13. Der schmale Grat zwischen Blau und dem Nirgendwo

Elias

Majikku's Augen glühten und ihre Stute schnaubte. Ein weiterer Blitz zuckte über den schwarzen Himmel.
Doch ansonsten war es still. Mucksmäuschenstill.
Alle starrten sie ungläubig an, mich inbegriffen.
Was war denn mit ihr los? Seit wann hegte sie eine solch starke Abneigung gegen die Karasu?
Wie... überraschend. Und hilfreich. Zumindest, wenn wir wollten, dass sie mit ganzem Herzen bei der Sache war.
Mir war es egal was sie von den Aasfressern hielt, aber vielleicht motivierte sie ihre Abneigung. Vielleicht würde sie dann widerspruchlos ihr Schicksal, die Erfüllung der Prophezeiung, akzeptieren.
Wir würden es ja noch sehen.
Immer noch war das einzige Geräusch die Naturgewalt, die über uns hinwegtobte.
Verunsichert blickte der Schlüssel in die Runde und als niemand auch nur irgendwie auf seine Rede reagierte, senkte er beschämt den Kopf.
Ein einzelner Jubelschrei zerriss die Stille der Menge.
Erst als die Menschen, nach kurzem Zögern, in den Jubel einfielen, johlten, klatschten und zustimmend aufstampften, erkannte ich, dass es mein eigener gewesen war.
Der Schrei war nicht echt gewesen, doch er reichte, damit die Anderen ihre Hemmungen überwanden, denn sie glaubten an die Echtheit des Schreies. Denn wenn sie nicht an Majikku glaubten, wer dann?
Erleichtert richtete diese sich wieder auf und wandte sich dem Anführer zu.
Plötzlich jedoch, drehte sie sich noch einmal um und richtete ihre blauen Augen direkt auf mich.
Einige Herzschläge lang musterte sie mich und ich konnte nicht einmal erahnen, was sie dachte, was sie wollte.
Innerlich wand ich mich vor Unbehagen und wollte gerade den Blick abwenden, als sich ihre Lippen zu einem kleinen, unsicheren Lächeln verzogen.
Sie bewegte lautlos die Lippen und es dauerte eine Weile, bis ich begriff, dass sie immer und immer wieder ein einzelnes Wort formte.
Dankeschön.
Von unterschiedlichsten Gefühlen gepackt, unter anderem Angst und Unsicherheit, lenkte ich meine Gedanken auf etwas, besser jemand anderen, der mir gerade einfiel.
Jetzt bewegte ich die Lippen, wollte das Mädchen etwas fragen.
Wo ist Nyoko? ich kann sie nirgends-
Ich brach ab, als sich Majikku wieder Aadil zuwandte.
Einen Moment ärgerte ich mich über ihre Arroganz, bis mir wieder einfiel, dass ich ja meinen Mantel trug und man im besten Fall höchstens meine Augen sah.
Und obwohl ich diese Frage hatte stellen wollen, war ich dennoch erleichtert über diesen. Ich wollte lieber von Angesicht zu Angesicht Fragen stellen, als ein offenes Buch für Andere zu sein. Ganz besonders bei diesem Mädchen wollte ich das vermeiden.
Schnell näherte ich mich ihr und dem Anführer, um in Erfahrung zu bringen wo Nyoko denn nun war.
Aadil sagte gerade:
„Gut gemacht. Jetzt ist sogar Quentin still und ich kann noch für die letzten Vorbereitungen sorgen. Übrigens, wo ist eigentlich Nyoko? Ich könnte sie gut als zusätzlichen Strategen gebrauchen."
„Egal, wo sie jetzt gerade ist, sie wird kommen. Um jeden Preis. Diesen Kampf wird sie nicht verpassen wollen.", sagte Majikku, ihre Stimme klang hart, wenn auch mit einer Spur Traurigkeit, die ich nicht zu deuten wusste.
Welchen Kampf? Die finale Schlacht zwischen den Neko und den Karasu? Aber selbst der Zeitpunkt ihres Beginns ist doch noch nicht einmal abzusehen...
Der Anführer runzelte die Stirn.
„Das hoffe ich doch. Sie sollte sich bloß beeilen, denn sie weiß nur zu gut, wie unersetzlich sie für die Neko ist."

Eine Weile war nur der prasselnde Regen zu hören bis eine Stimme sagte:
„Du wusstest, dass ich da bin, oder, Aadil?"
Der nickte lediglich und war als Einziger nicht überrascht, als eine komplett schwarzgekleidete Gestalt von einem nahestehenden Baum sprang, sich elegant wie eine Katze abfing, aufrichtete und sagte:
„Aus Schmeicheleien mache ich mir nichts, das müsstest du doch von mir wissen. Aber bevor wir jetzt die Strategie besprechen, sollte erst einmal Elias zu uns stoßen."
„Elias? Aber sicher. Dann ist das Team komplett."
Er lächelte leicht, auch wenn ich glaubte, kurz Sorge in seinen Augen zu sehen, nicht, weil ich dazu stieß, sondern-
„Nun komm schon, wie lange willst du da noch rumstehen?", fragte der Anführer und winkte mich zu sich heran.
„Ich wusste, du würdest kommen.", sagte Majikku, jedoch nicht zu mir, sondern zu der Gestalt, die ich jetzt als Nyoko identifizieren konnte.
Doch die reagierte nicht, ignorierte das Mädchen einfach, und die nahm das schweigend zur Kenntnis.
Ich runzelte die Stirn.
Was ist zwischen den Beiden vorgefallen?
Aber das konnte ich sie später ja immer noch fragen, im Moment war es wichtiger, dass Nyoko da war und wir jetzt zumindest eine ungefähre Strategie entwickeln konnten.
Wir, das waren die engsten Vertrauten des Anführers. Wir hatten den Vorteil, als Erster informiert zu werden, bei wichtigen Entscheidungen mitwirken zu können, wie jetzt die grobe Entwicklung der Strategie oder zum Beispiel der genauere Vorgang bei einer Belagerung. Und wir genossen Rang und Ansehen bei den anderen Organisationsmitgliedern.
Nyoko, Majikku und ich waren die einzigen Vertrauten, und im Gegensatz zu Majikku hatte ich mir diese Position hart erkämpfen müssen, wenn auch nicht mit Waffen, sondern mit wohlwollenden Worten und Taten und einer Art Aufnahmeprüfung.
Majikku hingegen gehörte von nun an automatisch dazu, das verdankte sie ihrem Privileg als Schlüssel der Prophezeiung.
Wie Nyoko Mitglied geworden war, wusste ich nicht, sie war schon lange vor meiner Prüfung seine Ratgeberin gewesen.
Ebendiese sagte gerade, ohne, dass man ihr anmerken konnte, was sie dachte:
„Wie ihr wahrscheinlich schon bemerkt habt, haben wir alles andere als gute Chancen den Karasu auch nur entgegenzugehen, da wir nicht wissen, wo ihr Aufenthaltsort liegt. Das Einzige, was wir haben, ist eine schon verschwindende Blutspur. Und umherzulaufen und zu hoffen, dass wir sie finden, ist nicht besser, als hier auf sie zu warten. Was schlägst du also vor, Aadil?"
Zum ersten Mal fiel mir auf, dass Nyoko ihn nicht mit dem respektvollen 'Sie' ansprach, sondern wie mit jedem anderen Menschen, von ihrem höflichen Ton einmal abgesehen.
Das allein war ja nicht sonderlich ungewöhnlich, schließlich tat ich es seit ungefähr einem Jahr auch nur noch selten, da wir uns inzwischen fast ebenbürtig und nicht mehr Schüler und Mentor waren, aber wenn ich so darüber nachdachte, hatte ich noch nie gesehen, dass sie ihm den Respekt eines höher Gestellten entgegengebracht hatte.
Nicht einmal, als ich vor ein paar Jahren das Gerücht von der jüngsten Ratgeberin aller Zeiten hörte und feststellen musste, dass es Nyoko war.
Damals hatte ich mich nicht im Geringsten für die Rangordnung bei den Neko oder gar Aadil interessiert, ich selbst war schließlich gerade erst acht Jahre alt geworden, aber ich wollte dennoch wissen, wer dort so schnell seinen Aufstieg in der Karriereleiter geschafft hatte. Vielleicht würde dieser jemand ja etwas mehr auf gelangweilte Kinder wie mich achten und uns einmal andere Aufgaben geben, als das Vieh zu versorgen. Oder vielleicht würde er sogar mit uns spielen.
So dachte ich.
Wie groß meine Überraschung war, als ich sah, dass ein Mädchen, das kaum älter als ich sein konnte, neben dem Anführer stand, dessen Name mir damals noch unbekannt war.
Zuerst hatte ich noch voller Begeisterung versucht, das Mädchen zum Spielen mit mir zu überreden, doch es hatte wieder und wieder abgelehnt und gesagt, es müsse mit dem Anführer reden oder andere, wichtigere Dinge tun. Schnell merkte ich, das etwas in ihren Augen, in ihrer Art fehlte, so, als sei sie längst kein Kind mehr. Ich sah sie nie spielen, hörte sie nie lachen und bemerkte nie Kinder, sondern nur Erwachsene um sie herum.

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Heute werde ich aber mit ihr spielen., dachte ich und ging auf das Mädchen zu, sobald es kurz alleine stand.
Ich wollte mich an es anschleichen, doch ich wurde bemerkt, bevor ich es auch nur ansatzweise erschrecken konnte, so wie es mein Plan gewesen war.
„Was willst du?", fragte das Mädchen genervt und wirbelte herum, ihre langen, schwarzen Haare wirbelten um sie herum und ließen sie düster erscheinen.
„Mit dir spielen.", sagte ich, ein wenig eingeschüchtert.
„Warum?", fragte sie und es klang ein wenig verdutzt.
„Warum?", fragte ich irritiert zurück.
„Na, weil Spielen mehr Spaß zu zweit als allein macht.", sagte ich und lachte.
„Wie heißt du eigentlich?", fragte ich neugierig.
„Wie heißt du denn?", fragte das Mädchen zurück.
„Elias und du?"
Schon von Anfang an hatte ich das Mädchen etwas merkwürdig gefunden, doch je länger ich mich mit ihm unterhielt, desto seltsamer fand ich es.
„Nyoko. Ich heiße Nyoko.", sagte sie leise, so als möge sie ihren Namen nicht und senkte den Kopf.
„Nyoko? Ein hübscher Name."
Ich lächelte zaghaft, doch als sie mich nicht böse ansah wurde mein Lächeln breiter und ich packte sie an Arm.
„Los, lass uns spielen! Komm, fang mich!", sagte ich und rannte schon los.
„Du erinnerst mich an jemanden.", hörte ich sie noch sagen, bevor ich schon hinter einer Häuserwand verschwunden war.

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Letztendlich war sie mir nicht hinterher gerannt und ich hatte sie die darauffolgenden Tage nicht mehr gesehen, bis sie plötzlich wieder vor mir stand, mir Schach unter die Nase hielt und mich fragte, ob wir eine Partie spielen wollten. Nachdem sie mir die Regeln beigebracht hatte und ich mit ihr gespielt hatte – ich hatte verloren - sagte sie, dass sie jetzt gehen müsse und verschwand.

Wieder sah ich sie einige Tage nicht, doch sie kam schließlich immer häufiger, ab und zu mit neuen Spielen, wobei wir nie Fangen oder Verstecken spielten, sondern immer nur Karten oder Brettspiele.
Und schon damals hatte ich am Rande bemerkt, dass, wenn sie mit den Erwachsenen sprach, jeder Glanz aus ihren Augen verschwand und sie mit diesen sprach, als wäre sie eine von ihnen. Das merkte ich schon an den wenigen Gesprächsfetzen die ich mitbekam, wobei es meist um die Vorräte, Viehbestände, Anzahl der Waffen, Verwundeten, Toten, den nicht auffindbaren Aufenthaltsort der Karasu oder andere, damals für mich uninteressante Dinge ging. Die Erwachsenen betrachteten sie dann immer mit einer gewissen Angst, Wut und Hohn, doch Nyoko schien das nie etwas auszumachen.
„Du hast Recht, wir sollten nicht ziellos durch die Gegend ziehen, dann sind wir leichte Beute.", sagte Aadil gerade und lenkte meine Aufmerksamkeit wieder auf die momentan wichtigste Aufgabe; den Unterschlupf der Karasu ausfindig zu machen, bevor sie ihre Streitmacht vor unsere Tore gebracht hatten.
Ich seufzte innerlich.
Wie sollten wir auf einmal etwas schaffen, was bisher noch nicht einmal den besten und erfahrensten Spionen gelungen war? Den einzigen Vorteil den wir jetzt hatten, war Majikku.
Und die weigerte sich vehement, ihr Schicksal widerspruchslos anzunehmen.
Abwesend winkte der Anführer einen Stallburschen heran, der ihm sein Pferd brachte, ein großer, grauer Hengst, dessen Fell Alter vortäuschen mochte, aber ich selbst hatte schon mit seinen Hufen, hart wie Stahl, Bekanntschaft gemacht.
Er stieg geschickt auf dessen Rücken, ignorierte den prasselnden Regen und fuhr fort:
„Das ist keine Entscheidung, die leichtfertig getroffen werden kann. Aber ich denke, wir werden die verblassende Spur aufsuchen und versuchen, Bluthunde auf diese anzusetzen. Oder hat irgendwer eine andere Idee?"
Er musterte uns aufmerksam, sein Gesichtsausdruck unleserlich.
Synchron schüttelten Majikku und ich die Köpfe und Aadil nickte, immer noch in Gedanken versunken, als hätte sich soeben ein Verdacht bestätigt, dann hielt er jedoch inne.
„Und was ist mit dir, Nyoko?"
Die schüttelte nun auch den Kopf.
„Nichts. Ich habe zwar auch noch eine Idee, aber ich halte deine für die Sinnvollste."
„Hättest du auch noch die Absicht, uns diese mitzuteilen?", fragte ich, genervt darüber, dass sie uns im Unklaren ließ.
„Wenn es nötig wird, natürlich.", antwortete Nyoko und klang ruhig wie immer.
„Jetzt lasst uns nicht diskutieren und kommt. Wir haben keine Zeit zu verlieren."
Der Anführer wandte sich um und wir alle folgten ihm, ohne Widerspruch, wenn auch ich mit einem gewissen Zögern.
Majikku hatte die ganze Zeit über schweigend das Geschehen beobachtet und schien erleichtert, dass es weiterging.
Nach einer Aufforderung Aadil's ließ sie ihre Stute neben ihm hertraben, Nyoko und ich folgten den Beiden zu Fuß. Die ganze Prozession schwieg, sodass das Schlagen der Hufe, das Prasseln des Regens und das Schmatzen des Matsches unter meinen Stiefeln mir unnatürlich laut vorkamen.
Das Schweigen nutzend, betrachtete ich Nyoko, die sich für die unbestimmt andauernde Reise umgezogen hatte.
Sie trug einen knöchellangen, schwarzen Mantel mit einer großen Kapuze, der ihre roten Augen verbarg. Die Ärmel waren lang und weit, ein Paar kniehoher Lederstiefel vervollständigte das düstere, ja unheimliche Gesamtbild.
Plötzlich stolperte ich über einen im Schlamm verborgenen Stein und fluchte leise, schaffte es jedoch, auf den Beinen zu bleiben.
Ich seufzte entnervt.
Es war wirklich nicht förderlich, dass ich einen schweren Rucksack trug. Aadil und Majikku hatten mein Stolpern nicht bemerkt, das Klappern der Hufe ihrer Pferde übertönte auch meinen leisen Fluch, unterstützt durch den Regen, der laut auf Steinen und Blättern aufschlug.
Doch Nyoko warf mir durch ihren Mantel einen ausdruckslosen Blick zu, flüchtig, wie ein Wimpernschlag, doch ich fühlte mich wie geohrfeigt.
Ihre Augen durchbohrten meine und sie tadelte mich, ohne auch nur ein Wort zu sagen, härter, als es eine Schimpftirade je vermacht hätte.
Blutrot., durchzuckte es mich.
Warum hat sich ihre Augenfarbe geändert? Und warum jetzt? Wieso sagt sie mir nicht, wie das passiert ist, wenn sie es doch weiß? Ist das von allein passiert, oder hat sie irgendwas getan, damit sie rot werden? Wenn ja, wie und warum? Wieso dann ausgerechnet diese Farbe? Was gefiel ihr denn dann am Braun ihrer Augen nicht? Und was bezweckt sie damit? Fühlt sie sich damit wohl? Oder will sie den Karasu damit Angst einjagen? Wenn das unabsichtlich passiert, ist, dann wie? Ist das ansteckend? Wie kommt sie dann mit dieser Farbe zurecht?
Ich hatte zwar keine Angst vor ihr, aber vor ihren Augen, in derselben Farbe wie der des Blutes, sehr wohl.
Verstört wandte ich den Blick ab und hoffte, dass die Kapuze des Mantels meine geröteten Wangen verbarg.
Zum Teufel, ich fühlte mich wie ein Schüler, der unter dem wachsamen Blick seines Mentors einen Fehler begangen hatte und dafür zurechtgewiesen wurde.
Als ob ich noch ein Kind wäre!
Verärgert schüttelte ich den Kopf.
Nyoko konnte nicht viel älter als ich sein, doch sie benahm sich, als hätte sie schon genug erlebt, um damit ein weiteres Leben zu füllen!
Was nicht gerade dazu beitrug, dass sich meine Laune besserte, war, dass sie sich neben mir vollkommen geräuschlos bewegte.
Wahrscheinlich, weil sie keinen Rucksack trägt., sagte ich mir, doch insgeheim wusste ich, dass das eine Ausrede war.
Sie hatte lange dafür geübt, das durfte man ihr nicht aberkennen.
Zumindest nahm ich das an, da sie sich, schon seit ich sie kennengelernt hatte, einfach ohne ein Wort davonstahl und später zufriedener und selbstsicherer denn je zurückkehrte.
Man konnte ihr diese neu gewonnene Selbstsicherheit, wenn überhaupt, an ihrem Gang oder wie sie sprach bemerken. Immer seltener hörte man Unsicherheit in ihrer Stimme, denn ihr Gesichtsausdruck zeigte nie Stolz, Überheblichkeit oder Hohn, auch prahlte sie nie mit ihren Fähigkeiten.
Inzwischen wurde die Menschenmenge wieder dichter und Rufe des Ekels, Entsetzens und der Verwunderung wurden laut, ebenso Forderungen nach Aufmerksamkeit und Klangen über das schlechte Wetter, was mich aus meinen Gedanken riss.
Doch so schnell, wie der Lärm gekommen war, verschwand er auch wieder, als würde eine unsichtbare Mauer diesen zurückhalten. Überall waren ernste, verschlossene Gesichter, die meisten starrten auf etwas, was ich von meiner Position aus nicht sehen konnte.
Die Ausdrücke auf ihren Gesichtern, wenn man sie denn zu deuten vermochte, waren ebenso vielseitig wie die hier anwesenden Menschen:
Ekel, Entsetzen, Übelkeit, Schadenfreude, Verachtung und Wut.
Ich wurde neugierig auf das, was bei ihnen solche unterschiedlichen Emotionen hervorrufen konnte.
Aadil und Majikku ließen ihre Pferde beiseitetreten.
Aus dem Augenwinkel erkannte ich, dass Nyoko nicht einmal überrascht wirkte, doch diese Erkenntnis kam wie aus weiter Ferne, wurde beiseitegeschoben, verdrängt, von dem Bild, das sich mir bot.
Die Menschen hatten einen Kreis gebildet, einen unsichtbaren Abstand zu etwas gehalten, wie ein unausgesprochenes Gesetz, das über ihnen schwebte.
Am Boden lag, in einer großen, getrockneten Blutlache - die durch den Regen wieder wie frisch aussah und zudem verschwand - ein abgetrennter Arm!
Drei Hunde hockten an ihm und kauten daran herum wie an einem großen Knochen. Die Besitzer dieser Hunde waren nirgends zu sehen.
Vor ein paar Jahren hätte ich mich beim Anblick erbrochen, doch jetzt spürte ich nur irgendwo tief in mir die Galle, die hochsteigen wollte, nicht mehr. Ich war abgestumpft durch den jahrelangen Krieg, das bewies diese Situation wieder einmal. Eine Tatsache, auf die ich nicht stolz war.
Welcher Mensch tut einem anderen so etwas an und warum?
Angewidert, von der Tat und von mir selbst, wandte ich mich ab.
Plötzlich stob Majikku's Stute vor, trat zwischen die Hunde und bäumte sich auf.
Wiehernd schlug sie die Hufe knapp neben dem Schwanz eines Hundes in den Boden.
Irritiert und fasziniert beobachtete ich, dass Majikku sich auf der durchgedrehten Stute halten konnte, ja, nicht einmal überrascht wirkte und dass, obwohl die Stute ohne jeden Befehl losgestürmt war, sich immer noch wie wild aufbäumte und lauthals wieherte.
Dass sie so etwas kann, hätte ich von ihr gedacht. Eigentlich müsste sie längst heruntergefallen sein.
Ein Bild blitzte vor meinen Augen auf, doch ich schob es sofort beiseite, kämpfte dabei mit meinen widersprüchlichen Gefühlen und konzentrierte mich wieder auf Majikku.
„Na los! Verschwindet!", zischte diese die Hunde an, die, nach einem nachdrücklichen Hufschlag von ihrer Stute, darauf winselnd und mit eingeklemmtem Schwanz verschwanden.
Stirnrunzelnd beobachtete ich das Spektakel.
Warum tut sie das?
„Ihr auch! Sammelt euch bei den Felsen!", rief sie der Menschenmenge zu, Aadil, Nyoko und ich gehörten nicht dazu.
Einige protestierten, ihre Einwände wurden jedoch von einer einzigen Handbewegung ihrerseits zunichte gemacht.
Als sie sich schließlich alle davongeschlichen hatten wie geprügelte Hunde, platzte es aus mir heraus, die Wut auf sie, mich und ihr herrisches Verhalten brodelte in meinem Magen:
„Was sollte das? Das kannst du nicht einfach machen! Du untergräbst Aadil's Autorität!"
Majikku zuckte gleichgültig mit den Schultern.
„Das ist dir egal?!", schrie ich entrüstet.
„Was glaubst du eigentlich, wer du bist?! Du-, fuhr ich sie an, wurde jedoch jäh unterbrochen.
„Willst du abgeschlachtet werden, wie eine Ratte in der Falle?", fragte sie tonlos, ohne dabei eine Spur von Reue zu zeigen.
Ihre ruhige Gegenfrage machte mich rasend.
Bevor ich allerdings auch nur etwas erwidern konnte, sagte Aadil:
„Es mag ja sein, dass du meine Autorität damit nicht untergraben wolltest, nur, was soll das Theater dann? Wir haben keine Zeit für Unsinn, der uns von der eigentlichen Sache ablenkt."
Sie nickte, ohne auch nur im Mindesten zu Zögern.
„Exakt. Deshalb veranstalte ich auch dieses 'Theater', wie du es nennst."
Als wir sie weiterhin verständnislos anstarrten, legte sie verwirrt den Kopf schräg.
„Ihr versteht es immer noch nicht?"
„Was denn?", fragten Aadil und ich irritiert und auch wütend wie aus einem Mund.
Nyoko wirkte nachdenklich, schüttelte dann aber den Kopf und sagte, mehr zu sich selbst:
„Nein, ich verstehe es nicht."
Spöttisch, teilweise sogar verachtend, hob sie eine Augenbraue und plötzlich wurde sie in gleißend helles Licht gehüllt.
Nyoko's Augen zuckten zu der Menschenmenge, kehrten jedoch zu Majikku zurück, als sie erkannte, dass diese zu weit weg war, um etwas zu erkennen.
Ich jedoch, konnte meinen Blick nicht abwenden und starrte fasziniert auf das gleißend helle Licht.
Was passiert da? Was macht sie da? Das Licht kommt mir so bekannt vor...
Da fiel es mir wieder ein und ich wandte hastig meinen Blick ab und errötete, da ich jetzt wieder wusste, dass Majikku beim letzten Mal nackt gewesen war und wollte es gerade Aadil erzählen, als Nyoko sagte:
„Keine Sorge, wenn sie sich jetzt verwandelt, dann nur in ein Tier und das hat Fell."
Gerade noch konnte ich ein Schaudern unterdrücken, während ich meinen Blick hob.
Kann sie Gedanken lesen? Was hat Majikku überhaupt vor?
Eine andere Frage schlich sich in mein Bewusstsein.
Wie bitte? Sie wird ein Tier? Wie soll das denn gehen?
„Ich habe schon einmal von solchen Tiermenschen gehört und dachte, dass diese Fähigkeit ausgestorben sei, bis ich durch Majikku hörte, dass die Karasu entsprechende Rituale durchführen können. Doch offenbar ist diese Form der Tiermenschen kein Einzelfall, wie ich damals dachte.", sagte der Anführer nachdenklich und schien überhaupt nicht überrascht, dass Nyoko davon wusste.
„Warum war Majikku denn dann in Gestalt einer Taube und warum hat sie sich erst so spät zurückverwandelt?", fragte ich jetzt neugierig.
Nyoko antwortete:
„Wie Aadil schon sagte, können die Karasu Rituale durchführen, mit denen Menschen auch unfreiwillig zu Tieren werden. Aus solch einer erzwungenen Tiergestalt kann nur selten jemand herauskommen. Dass sie es schließlich in Izanami's Haus geschafft hat, war eine Seltenheit. Eigentlich hätte Majikku auch nicht stark genug dafür sein dürfen, als ich ihr erklärte, wie man sich daraus befreien könne. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass sie es zu diesem Zeitpunkt schon versuchen würde."
Das erklärte dieses merkwürdige Selbstgespräch in Izanami's Hütte.
Ich nickte, zufrieden mit der Antwort.
Plötzlich verschwand das unnatürliche Licht, genauso schnell, wie es gekommen war und auf der Stute lag nun ein grauer Hund.
Vor Faszination wie gebannt beobachtete ich, wie dieser sich unsicher aufrichtete, mit zunehmender Sicherheit jedoch, geschickt wie eine Katze vom Rücken des Pferdes herabsprang, landete und sich ausgiebig schüttelte. Der Hund bleckte die Zähne und rümpfte die Nase, während er sich dem abgetrennten Arm näherte, um an ihm zu schnüffeln.
Nun trat Nyoko vor, ging schnellen Schrittes zum grauen Hund, kniete sich vor ihn hin und bedeutete uns, zu Fuß herzukommen.
Als Aadil verdutzt abstieg, seinen Hengst an einen Baum band, und sich, zusammen mit mir, vorsichtig dem Tier näherte, sagte Nyoko:
„Kniet euch neben mich. Aber langsam. Oder wollt ihr sie verlieren?"
Zwei verärgerte Augenpaare durchbohrten sie, doch sie starrte ungerührt zurück, bis wir verlegen den Blick abwandten.
Wie auf ein unsichtbares Zeichen hin, taten wir wie geheißen, den kalten Schlamm an unseren Mantelsäumen ignorierend.
Vorsichtig kniete ich mich links neben Nyoko, Aadil rechts von ihr und somit vor den Hund, und beobachtete ihn das erste Mal genauer.
Der Hund war lang und grazil, mit Beinen, die zum Rennen wie geschaffen schienen. Die Schnauze war lang und spitz und das kurze graue Fell lang eng am schlanken Körper. Und die Augen...
Überrascht holte ich keuchend Luft.
Mir starrten, wie erwartet, zwei kleine Knopfaugen entgegen, ja, aber sie waren nicht schwarz, sondern blau!
Nyoko hatte meinen verdutzten Blick und lächelte, lediglich ein Zucken ihrer Mundwinkel, so kurz, dass ich glaubte, mich geirrt zu haben, ganz im Gegensatz zu der unüberhörbaren Härte, die in ihrer Stimme lag.
„Seht ihr die blauen Augen? Ihre Augen? Das ist das einzige, was sie an unsere Welt bindet. Sobald die Augen ihre Farbe wechseln, ist sie nicht mehr bei uns, sondern ein Tier durch und durch."
Ich hob fragend eine Augenbraue, doch als ich merkte, dass sie das durch die Kapuze nicht sehen konnte und ich sie schon danach fragen wollte, fuhr plötzlich ihr Kopf energisch zu Aadil herum und ich vergaß, was ich hatte fragen wollen.
„Ich hoffe du hast niemandem erzählt, dass er sich verwandeln kann, wie ich dich gebeten hatte? Es wäre eine Katastrophe wenn nicht. Alle würden sich in Stücke reißen!"
Ihre blutroten Augen glühten und Aadil zuckte, genau wie ich, zurück.
Er jedoch, hatte sich schneller wieder erholt, und sagte verärgert:
„Natürlich! Glaubst du, ich wäre so dumm, etwas so Ungewisses, Gefährliches den Menschen zu erzählen?!"
Sie legte den Kopf schräg, wie eine Katze, sagte aber nichts, woran man hätte erkennen können, was sie dachte, denn der Rest ihres Gesichts war immer noch in ihrer Kapuze verborgen.
Plötzlich hörte man ein unterdrücktes Knurren und unsere Köpfe fuhren herum.
Majikku kauerte am Boden, die Ohren angelegt und mit gebleckten Zähnen.
„Das war wohl zu ruckartig und zu laut, was?", murmelte ich, mehr zu mir selbst und brachte lediglich ein heiseres Lachen zustande.
Während sich ihre Augen verdunkelten, versuchten Aadil und ich, langsam zurückzuweichen.
Doch bevor sich auch nur einer von uns einen Meter bewegt hatte, packte Nyoko uns am Arm.
„Bleibt stehen. Sofort. Verhaltet euch vollkommen ruhig, zumindest, bis ihre menschliche Seite soweit die Kontrolle übernommen hat, dass sie uns verstehen kann.", zischte sie wütend, bemüht darum, möglichst leise zu sein.
„Jetzt reicht es aber. Du kannst uns nicht einfach festhalten und befehligen wie Gefangene.", sagte ich, ebenfalls leise, riss mich los und stand auf.
„Wenn du jetzt rennst, wirst du ihren Jagdinstinkt wecken und sie wird vollends zum Tier.", flüsterte Nyoko, stand ebenfalls auf und griff erneut nach meinem Arm, nun war jegliche Wut verschwunden und ihr Ton ließ keinen Widerspruch zu.
Inzwischen knurrte Majikku tief und leckte sich über die immer noch gebleckten Zähne.
Diese unmenschliche Handlung veranlasste mich schließlich, trotz Nyoko's Worten, herumzufahren und wegzurennen.
Das ist sie nicht mehr, das ist kein Mensch!, dachte ich fassungslos, überrascht von meiner plötzlichen Angst.
Ein Tiermensch. Ein Fabelwesen aus Märchen. Aber selbst, wenn dieses Märchen wahr geworden sein sollte, wo war die Grenze zwischen Tier und Mensch? War sie mehr Mensch, oder mehr Tier? Und wie konnte man das ändern?
Aber erstmal musste ich mich in Sicherheit bringen, dann konnte ich weiter darüber nachdenken.
Ich versuchte schneller zu rennen, während Majikku knurrend und lauthals bellend hinter mir her sprang und triumphierend jaulte.
„Du wirst wie ein Kaninchen gejagt und getötet werden! Gegen einen Windhund hast du keine Chance!", rief Nyoko mir hinterher.
Ohne auch nur zurückzublicken, rannte ich tiefer in den Wald, Majikku dicht an meinen Fersen.
Hastig versuchte ich mich mit einem Sprung auf einen Baum in Sicherheit zu bringen, rutschte jedoch auf dem nassen Ast aus und tat das einzige, was mir in dem Moment in den Sinn kam:
Anstatt zu versuchen, das Gleichgewicht zu halten, es hätte nicht geklappt, nutzte ich den Schwung, krümmte mich zusammen, packte meinen im Schuh verborgenen Dolch und stieß mich mit aller Kraft ab.
Leider war ich etwas zu langsam und fiel also eher, als dass ich sprang. In letzter Hoffnung riss ich die Arme, die den Dolch fest umklammerten, über den Kopf, die Klinge zeigte nach hinten. Ich hatte Glück und erwischte einen Baum, doch der Aufprall war so hart, dass ich den Griff beinahe vor Schreck und Schmerz losgelassen hätte. Sobald sich mein Blickfeld wieder etwas klärte, begann ich mich umzuschauen.
Wie erhofft hing ich mit dem Rücken an einem Baum und die Klinge hielt mein Gewicht, leider hing ich aber nicht so hoch, wie ich es mir gewünscht hätte. Außerdem war dieser Baum eine Kiefer, anstatt an einer Eiche. Das hieß, ich konnte nicht einmal versuchen, die höheren Äste zu erreichen.
Aber immer noch besser, als wie ein Stein vom Baum zu fallen und mir dabei den Knöchel zu prellen., dachte ich missmutig.
Erst jetzt beachtete ich den Windhund wieder, was ein Fehler war. Er hatte mich erstaunlich schnell wieder ausfindig gemacht und grub sofort ihre Fänge in meinen linken Stiefel und ich spürte, wie die Zähne an meiner Fußsohle entlangglitten.
Schreiend, was eigentlich gar nicht meine Art war, entriss ich ihm meinen Fuß, zog so meinen Stiefel aus und suchte aus einem plötzlichen Reflex nach einem Ast, obwohl ich es ja bereits besser wusste.
Bellend zerkratzte der Hund mit seinen scharfen Krallen die Rinde, schnappte nach mir, versuchte, mich zu erreichen. Meine Hände wurden vor Nervosität ganz feucht, es wurde schwer, sich festzuhalten, zusätzlich erschwert durch den Regen.
Meine Augen suchten Majikku's.
Sie waren dunkel und glänzten aufgeregt, die Ohren waren angelegt, während sie ununterbrochen bellte und knurrte. Erneut schnappte sie zu, doch ich zog meine Füße an und hoffte innig, dass der Dolch halten möge.
Er hielt.
Nach einer gefühlten Ewigkeit, in der ich unfähig war, sachlich über meine Situation nachzudenken, jeder klare Gedanke wurde von meiner Angst, Müdigkeit, Erschöpfung und Panik verdrängt, merkte ich, wie die Anstrengung ihren Tribut forderte.
Meine Arme zitterten vor Anstrengung, meine Hände wurden eiskalt und taub, die Beine wurden mir schwer und die Hüfte wurde runtergezogen vom Gewicht des Schwertes an meiner Seite, sodass, als ich meine Füße hochziehen wollte, als er meinen Körper schmerzhaft protestierte, von dem Zittern meine Arme zusätzlich erschwert. Die Kälte des Regens, die durch meine nasse Kleidung bis in meine Knochen kroch, machte mich noch erschöpfter.
Als Majikku's Lefzen meine anderen Stiefel streiften, zuckte ich so heftig zusammen, dass meine vom Schweiß und Regen nassen Hände von dem Dolchgriff rutschten und ich fiel.
Komisch, dachte ich, seltsam entrückt von der jetzigen Szene.
Früher habe ich mich immer gefreut, dass der Griff so perfekt und angenehm glatt in meiner Hand liegt. Jetzt bedeutet das jedoch meinen Tod.
Ich hätte auch Nyoko hören sollen., durchzuckte es mich plötzlich.
Sie mag zwar nicht viel älter als ich sein, weiß aber, wann die Grenze zwischen einfachem Autoritätsspiel und nacktem Überleben überschritten ist.
Ob dieser Sinneswandel von dem Wissen über meinen baldigen Tod herbeigeführt wurde?
Überrascht jaulend sprang Majikku weg und schaffte es gerade noch, nicht unter mir begraben zu werden. Zuerst machte sie verängstigt kehrt, erkannte aber schnell, zu schnell, dass ich zu schwach zum Wegrennen war, als dass ich es noch hätte versuchen können. Wie ein nasser Sack klappte ich zusammen, sobald ich den Boden berührte und fiel mit dem Gesicht voran gegen den Baumstamm, jeglicher Überlebenswille hatte mich verlassen.
Ohne jeden Zweifel wusste ich, dass ich jetzt sterben würde.
Als ich den Kopf hob, sah ich den Speichel von ihren Lefzen triefen, ihre Augen leuchteten.
Jaulend machte sie einen Satz auf mich zu, ich konnte beinahe schon den Schmerz spüren, als ein Schatten zwischen uns huschte und Majikku's Sprung abrupt abbremste.
Schwarze Lederstiefel versperrten mit dem Blick auf das, was jetzt geschah.
Schwarze Lederstiefel? Nyoko!
Verzweifelt kroch ich zur Seite, versuchte aufzustehen, doch meine Beine trugen mich nicht mehr.
Also kroch ich an Nyoko vorbei, den eiskalten Schlamm ignorierend, versuchte, einen Blick auf die Beiden zu erhaschen.
Soweit ich es geschafft hatte, wünschte ich mir jedoch, ich hätte es nicht getan.
Ich erstarrte, konnte nicht anders, denn die Szene, die sich mir bot, war absurd, nein, das passendere Wort war unmenschlich.
Der graue Windhund hatte ohne zu zögern seine Zähne in Nyoko's rechten zum Schutz erhobenen Arm gebohrt. Blut tropfte aus der Wunde und sammelte sich in einer Blutlache zu ihren zu Füßen.
Das Unmenschliche daran war aber eher, dass Nyoko immer noch kerzengerade dastand, kein Laut kam über ihre Lippen, ihr Gesicht unleserlich. Nicht einmal ein Muskel zuckte, während sie ungerührt auf Majikku herabstarrte, trotz der Schmerzen, die sie haben musste.
Irritiert und verwundert drückte der Hund, der durch Nyoko's Größe in der Luft baumelte, fest dazu, was man nur daran merkte, dass sich das Blut schneller sammelte.
Tropf, Tropf, Tropf.
Gerade, als ich den Mund aufmachte, um Nyoko's Namen zu rufen, geschah alles so schnell, dass ich nicht gesehen hätte, hätte ich geblinzelt.
Nyoko warf sich vorwärts und schleuderte Majikku auf den Rücken, so stark, dass sie winselte. Dass der Windhund immer noch nicht losließ, nutzte sie, um den Hund mit ihrem Arm am Boden zu fixieren, die Knie platzierte sie auf den Hüftknochen.
Festgenagelt winselte Majikku und wollte die Zähne aus Nyoko's Arm nehmen, doch die zischte:
„Das lässt du schön bleiben!", und drückte den Kopf des Hundes fester in den Boden.
Ihre Augen glänzten, freigelegt von der heruntergerutschten Kapuze, doch ich konnte kein Gefühl aus ihnen lesen.
Obwohl Majikku sich wand und versuchte, sich überhaupt zu bewegen, geschah nichts.
Minuten verstrichen, ich war wie erstarrt.
Plötzlich kam Aadil hinter zwei Bäumen hervor und rief:
„Elias! Was machst du da? Geht es dir gut?! Nyoko plötzlich weg gerannt, weißt-
Da bemerkte er Majikku und Nyoko und fragte Letztere entsetzt:
„Was tust du da!?"
Sie schwieg.
Sein Gesicht überzog ein Schatten, während er die nächsten Worte förmlich herauspresste.
„Hör sofort auf. Ich verlange von niemandem, sich für das Wohl der Neko zu verletzen, besonders, wenn es einen anderen Weg gibt."
Er kam auf uns zu, steuerte Nyoko an, und wollte sie von dem Windhund wegreißen, doch die holte mit der Linken aus und gab ihm eine Ohrfeige.
Erstaunlich ruhig sagte sie:
„Ich mache das doch nur, weil es keinen anderen Weg gibt. Glaubst du wirklich, ich verletze mich zum Spaß? Majikku ist nun mal ein Windhund durch und durch, was allein seine Schuld ist. Wenn dieser Idiot nicht weggerannt wäre, wäre das alles nicht passiert. Jetzt müssen wir eben warten, bis sie wieder sie selbst ist."
An mich gewandt sagte sie:
„Und du, glaub ja nicht, dass ich dir das nicht übel nehme. Du wirst noch für deinen Fehler bezahlen. Ich bin eben nur jemand, der es nicht für sinnvoll hält, mit den Armen herumzufuchteln und herumzubrüllen."
Das traf mich wie ein Schlag in den Magen.
Ich hatte zwar gewusst, dass es meine Schuld war, dass Majikku's Jagdinstinkt geweckt worden war, aber wenn Nyoko mir so drohte, dann musste dieser Fehler gravierender gewesen sein, als ich dachte, denn das hatte sie bisher noch nie getan.
Aadil verlor die Geduld.
„Verdammt, Nyoko! Es mag ja sein, dass es Elias' Schuld ist, aber dafür musst du dich doch nicht verletzen! Als Anführer der Neko befehle ich dir, von Majikku abzulassen! Niemand verletzt sich hier mit Absicht! Wir werden einen anderen Weg finden, aber hör bloß damit auf!"
Sie blinzelte nicht einmal, als sie, nicht im Geringsten überrascht, sagte:
„Dann trenne ich mich eben von den Neko. Ich werde tun, was ich für richtig halte und niemand wird mich davon abhalten. Wenn du das zu tun beabsichtigst, dann unterstehe ich dir nicht mehr. Es gibt keinen anderen Weg. Ich brauche niemanden, um zu erreichen, was ich will. Allein war ich früher auch, und? Habe ich es hierher geschafft, oder nicht? Wir brauchen sie, es geht nur so. Ihr braucht sie. Du hast keine Idee, was wir sonst tun sollen, also werde ich es tun. Und wenn du darauf bestehst, dass ich jetzt aufhöre, werde ich sofort gehen, und nie wieder zurückkommen."
Entsetzt von dem, was sie da sagte und überrascht, dass Nyoko den Anführer zu erpressen schien, starrte ich sie mit aufgerissenen Augen an, zu mehr war ich nicht fähig.
Selbst Aadil erschien ungläubig, sagte etwas, doch es war zu leise, als dass ich es verstanden hätte.
Nyoko versteifte sich kaum merklich, erwiderte aber nichts.
„Also?"
Es war keine Frage, eher eine Provokation, zu versuchen, sie von ihrem Vorhaben abzuhalten.
Ihre elegant geschwungene Augenbraue hob sich, doch Aadil winkte ab.
„Du hast Recht. Wir brauchen sie. Und wir brauchen dich. Geh aber danach sofort zu Izanami."
Der Anführer blinzelte, doch ich konnte nicht erkennen, was er dachte.
„Bitte."
Zustimmend neigte sie den Kopf und streifte sich mit der freien Hand die Kapuze wieder über, es war kalt geworden, aber dafür hatte der Regen aufgehört.
Den dunklen Wolken allerdings nach zu urteilen, würde das nicht lange anhalten.
Da bemerkte ich meine eigene missliche Lage und versuchte, mit schmerzverzerrten Gesicht, aufzustehen.
Zögernd, mit sichtlichem Widerwillen, ließ Aadil Nyoko weiterhin knien und kam zu mir. Er half mir auf, stützte und führte mich zu Nyoko. Majikku knurrte drohend, doch es war eine leere Drohung, denn sobald die Knie und der Arm sie fester knebelten, winselte sie erbärmlich.
Ich konnte den Blick nicht von dem Blut abwenden und sagte:
„Wir müssen etwas dagegen tun. Ich weiß allerdings nicht, was. Wir sind hier schon seit mehreren Minuten, und es hat sich nichts verändert. Es muss also irgendetwas anderes geben, damit sie zu sich zurückfindet."
Beide schwiegen, jeder hing seinen eigenen Gedanken nach.
Es dauerte ein wenig, doch dann kam mir die zündende Idee.
„Ein Schrei!"
Aadil und Nyoko mussten das triumphierende Glitzern in meinen Augen gesehen haben, denn zumindest Aadil grinste, und erst da wurde mir bewusst, dass auch meine Kapuze heruntergefallen war.
Hastig setzte ich sie wieder auf, streifte mir grob den Schlamm vom Mantel und zog den Stiefel wieder an, trotz des Lochs in der Ferse.
Als ich mich wieder aufrichtete, immer noch etwas unsicher, fuhr ich erklärend fort:
„Denkt doch einmal nach:
Als ich völlig von Sinnen war, schrie Nyoko und ich erkannte sie. Vielleicht funktioniert das ja auch bei Majikku!"
Voller Freude über meine Entdeckung, überschlug sich meine Stimme beinahe.
Während Aadil nickte mir auf die Schulter klopfte, begleitet von einem zufriedenen:
„Gute Idee.", schüttelte Nyoko den Kopf.
„Was ist? Bist du nicht einverstanden?"
„Nein, das ist es nicht. Ich war nur... Vergiss es."
Ohne mit der Wimper zu zucken und ohne das Gesicht auch nur zu verziehen, schrie sie plötzlich markerschütternd.
Ich hörte den Schrei zwar, mein Gehirn jedoch, konnte nicht begreifen, was es da sah. Nyoko schrie, als durchlebte sie Höllenqualen, doch man sah nicht ein Anzeichen des Schmerzes.
Sie verzog nicht das Gesicht, bewegte sich nicht von der Stelle und auch ihre Augen blieben ausdruckslos.
Erschrocken stürzte ich zu ihr und fragte besorgt:
„Geht es dir gut?!"
Sie hob eine Augenbraue.
„Du hast das mit dem Schrei vorgeschlagen, also sei doch nicht so überrascht."
Sie lächelte, es war nicht mehr, als ein Zucken der Mundwinkel, traf mich jedoch wie ein Faustschlag.
„Wie kannst du denn jetzt lächeln?! Ich dachte schon, der Schrei wäre echt!"
Plötzlich fiel bei mir der Groschen.
„Als ich gegen dich gekämpft habe, war der Schrei da auch nur gespielt?!"
Diesmal sah ich ihr direkt in die Augen, die Wut und Scham, dass sie die ganze Zeit nur mit mir gespielt hatte, verliehen mir den nötigen Mut dazu.
Sie blinzelte, doch das genügte mir als Antwort.
Auf einmal starrte sie mich an, ihre Augen glitzerten, warum wusste ich nicht, und erst da merkte ich, dass ich sie geohrfeigt hatte.
Mit vor Angst und Entsetzen, aber auch Wut zitternden Knien, stand ich auf, wirbelte herum und zog Saile.
Ich hörte ein Geräusch, was ich nicht sofort zuordnen konnte, und dann war es mir auch nicht wichtig genug, um es weiter zu beachten.
Kraftvoll, um einen Teil meiner aufgestauten Gefühle loszuwerden, schlug ich die Klinge in einen Baum. Dieser war zwar nicht sonderlich groß, aber ich war trotzdem stolz, dass die Klinge von allein im Baum stecken blieb. Plötzlich spürte ich einen Luftstoß und im nächsten Moment stieß mich auch schon etwas Schweres gegen den Baum, genau in den Schwertgriff. Nach Luft schnappend, der Knauf hatte mich knapp unter der untersten Rippe getroffen, umklammerte ich den Schwertgriff und versuchte, das Gewicht von mir herunter zu stoßen.
Genauso plötzlich, wie es gekommen war, verschwand das Gewicht auch schon wieder und ich wirbelte herum, auf einen weiteren Angriff gefasst. Wie groß war meine Überraschung, als sich Majikku sah!
Sie hatte die blutigen Zähne gebleckt und knurrte, doch ihre Augen waren strahlend blau.
Ebendiese funkelten wütend.
„Was gibt dir das verdammte Recht, deine Gefühle an einem Mitglied des Waldes auszulassen?! Naturschänder!"
Erschrocken stolperte ich rückwärts und stieß mit dem Rücken gegen den Widerstand.
Später erkannte ich, dass es nur der Schwertgriff war, doch jetzt stieg Angst wie Galle hoch.
War das Majikku? Wenn ja, wie macht sie das? Irgendwann hat sie das ja schon mal gemacht, hielt es aber nicht für nötig, zu erklären, wie sie das gemacht hat. Naturschänder? Was ist das?
Strinrunzelnd fragte ich mich:
Woher weiß sie, warum ich das gemacht habe? Weiß sie, was ich fühle?
Schaudernd drehte ich mich um und riss Saile aus dem Baum, aus dessen Wunde Harz lief.
Ich wischte das Schwert an meinem Mantel ab und steckte es wieder in die Scheide, drehte mich aber nicht zu Majikku um, während ich überlegte, ob ich ihr auf dieselbe Weise antworten konnte.
Plötzlich stieß sie mich um und diesmal fiel ich, mit dem Bauch voran, in den Schlamm.
Bevor ich mich von dem Schreck erholen konnte, riss sie mir die Kapuze herunter.
Einen Moment lang spürte ich in heißen Atem in meinem Nacken und fragte mich, was sie wohl vorhatte, als zwischen ebendiesem und meinem rechten Schulterblatt ein brennender Schmerz aufflammte. Jaulend warf ich sie von mir, meine Nackenhaare stellten sich auf.
Was soll das?!
Da merkte ich, dass Majikku sich von mir abgewandt hatte, würgte und als sie sich erbrochen hatte, drehte sie ihren Kopf zu mir.
„Naturschänder."
Ich zuckte zusammen.
Ihre blauen Augen funkelten voller grimmiger Genugtuung, dann fuhr sie herum und verschwand mit einem geschmeidigen Satz im Schatten der Bäume.
Da rief Aadil mir zu:
„Elias, was spielte das fein makaberes Spiel? Wir haben keine Zeit für sowas! Nyoko verblutet und die Neko müssen aufbrechen, bevor die Blutspur vollends verschwindet!"
Ich stand auf, klopfte mir den Schlamm von den Kleidern und rieb mir einmal über die immer noch pochende Stelle.
Merkwürdigerweise spürte ich kein Blut, eine Bissspur oder etwas in der Art. Es war heiß und schmerzte, als hätte sie mir ein Brandeisen auf die Haut gedrückt, aber die Haut fühlte sich unverletzt und so normal an, wie sonst überall auch.
Stöhnend vor Schmerz wandte ich mich um, versuchte diesen zu ignorieren und bemerkte, wie Nyoko ihren Arm an sich drückte. Ich würde später über diese seltsame Szene nachdenken, beschloss ich.
Ich ging zu der Verletzten, war in Gedanken aber immer noch bei Majikku. Mit der Zunge fuhr ich mir über die Lippen, denn ich hatte einen metallenen Geschmack im Mund.
„Dich beschäftigt etwas, was ist es?", fragte Nyoko zwischen zusammengebissen Zähnen.
Abwinkend bückte ich mich, um ihren Arm genauer zu inspizieren. Als ich sie berührte, gab ich ihr einen kleinen Stromstoß, was mich zusammenzucken ließ.
Wann hatte ich mich elektrisch aufgeladen?
Das war allerdings nicht so wichtig jetzt, im Gegensatz zu der Wunde, aus der immer noch Blut lief. Und das konnte ich auch trotz des Mantelärmels dazwischen sehen, dennoch wurde ich erst aus meinen Gedanken gerissen, als Nyoko keuchte.
„Was ist? Tut es weh? Kann ich etwas tun?"
Erst als ich aufsah, bemerkte ich, dass sie mich anstarrte. Ihre Augen waren seltsam glasig, so als ob sie mich gar nicht wahrnehmen würde.
Ihre Lippen bewegten sich, aber es kam kein Ton heraus.
Eine Weile führte sie ein stummes Selbstgespräch, dann flüsterte sie, mit seltsam belegter Stimme:
„Naturschänder."
Entsetzt wich ich vor ihr zurück.
Woher kann sie wissen, was Majikku zu mir gesagt hat? Sind sie etwa beide verrückt geworden? Ich habe doch nur-
„Was nur?! Naturschänder!"
Die Stimme klang wie ein Flüstern des Windes in den Blättern, aber gleichzeitig so energiegeladen wie ein Donnerschlag.
Ich werde verrückt!
Wie gelähmt, wollte ich Nyoko's Arme mit dem Verband, den ich immer für einen Notfall bei mir trug, verbinden und packte ihren Ärmel, doch sie schüttelte den Kopf und nahm mir die Verbandsrolle ab.
Ohne jeglichen Protest erhob ich mich.
Am liebsten wollte ich schreiend weglaufen, fort, von diesen Verrückten die mich als Naturschänder bezeichneten, doch Nyoko sagte kalt, bevor ich mich entfernen konnte:
„Das wird nicht mehr weggehen, nicht mal in Form einer Narbe. Du bist gezeichnet, Naturschänder."
Ich fuhr zusammen.
Verdammt! Warum muss man mir meinen Schrecken denn ausgerechnet jetzt deutlich ansehen können?
„Wovon redest du? Meinst du nicht, dass du wegen des Schmerzes nicht mehr klar denken kannst?", fragte ich trotzdem, ohne mich umzudrehen.
Ich musste ja wenigstens versuchen sie zu täuschen, auch wenn ich insgeheim wusste, dass es zwecklos war.
Sie schwieg kurz, dann sagte sie leise:
„Nein Elias, du bist gezeichnet. Ich kann es sehen."
Ich gab auf, zu leugnen dieses Wort schon einmal gehört zu haben und ging in die Angriffsstrategie über.
„Aber das kann doch nicht sein! Wenn man wegen sowas-
Jetzt drehte ich mich doch um und deutete verächtlich auf den Baum-
„schon ein Naturschänder ist, dann wäre schon jeder einer gewesen. Hör' also sofort auf, irgendwelche Märchen zu erfinden!"
Sie war mit ihrer ersten Hilfe fertig, also sagte ich, bevor sie antworten konnte:
„Wir sollten so schnell wie möglich zu Izanami."
Mit diesen Worten fuhr ich herum und schritt zügig zu Aadil.
„Nyoko hat sich für's Erste versorgt, aber wir sollten uns beeilen, bevor sie wirklich noch verblutet. Die Wunde scheint tief zu sein."
Gerade wollte ich an Aadil vorbei und zurück zur Menschenmenge gehen, als Nyoko erneut rief:
„Verleugne dich nicht selbst! Wenn du Gewissheit suchst, dann schau dir doch mal dein rechtes Schulterblatt an!"
Da packte der Anführer mich an der Schulter und riss mich herum, bevor ich auch nur an ihm vorbeigegangen war.
„Wovon redet sie?"
Besorgnis flackerte in seinen braunen Augen.
„Was weiß ich das schon."
Ich zuckte teilnahmslos mit den Schultern, doch mein Magen zog sich bei diesen Worten schmerzhaft zusammen.
Ich soll ein Naturschänder sein? Warum? Wieso? Durch die Sache mit dem Baum? Und warum ist das so schlimm?
Erneut wandte ich mich um und wollte so schnell wie möglich in der schützenden Menschenmenge verschwinden, als Aadil meine Kapuze herunterriss und nicht mit Leichtigkeit an Ort und Stelle hielt. Er zog den Mantel ein Stück herunter und jetzt entriss ich mich ihm.
„Was soll das?! So lasse ich nicht mit mir umgehen! Ich bin-
Aadil schnitt meinen Wortschwall mit einer gebieterischen Bewegung ab.
Seine Augen blitzten wütend.
„Halt still! Das ist ein Befehl!"
Wie angewurzelt blieb ich stehen.
Ich schauderte, als seine dicken Finger die Stelle zwischen Hals und Schulterblatt berührten, die vorhin so schmerzhaft gebrannt hatte. Am Rande nahm ich wahr, dass der Schmerz inzwischen abgeklungen war, wurde jedoch von dem Stoß Aadil's aus diesem Gedanken geholt. Er stieß mich vorwärts, weg von sich selbst. Erleichtert legte ich eine Hand auf die Stelle, versuchte, das unangenehme Kribbeln meiner Haut zu ignorieren.
„Wann bist unter die Naturschänder gegangen? Sag es mir, Verräter."
Wütend wollte ich etwas entgegnen, als Nyoko interessiert fragte:
„Du kennst die Naturschänder?"
Aadil wandte sich zu ihr um, dann sagte er:
„Natürlich. Jeder kennt sie."
„Tja, dann bin ich eben nicht jeder!", entgegnete ich.
„Wer oder was sind die Naturschänder und was habe er ich mit ihnen zu tun?!"
Beide wandten sich zu mir und musterten mich lange, als ob sie in meinen Augen eine Antwort auf eine Frage suchen würden, dann sagte der Anführer:
„Du bist inzwischen schon so lange bei uns - fast seit deiner Geburt - von dir hatte ich etwas mehr Bildung erwartet."
Mit steinernem Gesichtsausdruck setzte ich die Kapuze wieder auf, drehte mich um und ging - ohne ein weiteres Wort - zurück zur Menschenmenge.
Sie werden schon hinterher kommen., dachte ich wütend, denn ich hatte alle Mühe, meinen verletzten Stolz zu ignorieren.
Tatsächlich kamen sie und Nyoko sagte, leise, damit die Menschen um uns herum nicht unbemerkt lauschen konnten und ohne eine Entschuldigung hinzuzufügen oder Reue zu zeigen:
„Die Naturschänder sind schreckliche Leute. Sie kommen, wenn alles besonders grün ist und blüht und entfernen Pflanze und Tier, als ob es nichts weiter als ein lästiges Objekt wäre. Sie behandeln alles, was nicht ein Mensch ist, mit Verachtung. Und damit meine ich nicht so einen Kratzer, wie du in diesem Baum zugefügt hast, sondern ganze Wälder, die niedergebrannt, ganze Flüsse, die ausgetrocknet und ganze Tierarten, die ausgerottet werden. Ihnen war nie bewusst und ihnen wird auch nie bewusst sein, dass sie genau diese Lebewesen brauchen, um zu überleben."
Jetzt machte es Sinn, warum es so schlimm war, einer von denen zu sein. Ich war zwar kein sehr naturverbundener Mensch, aber das konnte ich nachvollziehen.
Doch warum war ich nun einer von ihnen? Ich war ja schließlich keiner Organisation beigetreten oder so etwas und selbst das hätte man mir ja nicht ansehen können.
Trotzdem drehte ich mich nicht um, als ich sagte:
„Und? Was hat das mit mir zu tun? Du hast doch selbst gesagt, dass es keine so kleinen Sachen wie das vorhin seien.", fragte ich eben so leise zurück.
Diesmal war es Aadil, der sprach.
„Du trägst das Mal der Naturschänder, Elias."
„Welches Mal?"
Plötzlich spürte ich eine Hand auf meiner rechten Schulter und zuckte zusammen.
„Ach, kommt mir doch nicht damit! Da ich Majikku gebissen, nichts weiter!", rief ich wütend und zog damit die Aufmerksamkeit der Umstehenden Neko auf mich.
Mahnend musterten mich der Anführer und seine Ratgeberin, während wir weiter gingen, um weniger aufzufallen.
Nach einer Weile fragte Nyoko, wieder in angemessener Lautstärke:
„Sie hat sich da gebissen?"
Überraschung klang in ihrer Stimme durch.
„Ja.", murmelte ich, irritiert über ihr Interesse.
„Und sie sagte dasselbe."
„Was?", fragte Aadil.
„Naturschänder."
Ich zuckte erneut zusammen, hatte ihre verächtliche Stimme immer noch im Ohr.
So ein Mist! Warum zucke ich denn die ganze Zeit zusammen?, dachte ich, wütend auf mich selbst.
Die Hand ließ von mir ab und ich sagte ein wenig zu laut vor Angst und Wut:
„Glaubt mir! Ich wusste noch nicht einmal, dass es Naturschänder gibt!"
Missgelaunt brummte Aadil:
„Leise, Elias, wie oft denn noch?"
Ich klappte den Mund zu, schalt mich innerlich selbst und fragte dann neugierig:
„Wie sieht das Mal denn aus? Wie macht man es? Und wie geht es wieder weg?"
„Gar nicht. Jeder wird dich jederzeit daran erkennen."
Eine Pause entstand, dann fügte der Anführer hinzu:
„Wir vertrauen dir. Aber falls du unser Vertrauen in irgendeiner Form verletzen solltest, wirst du getötet."
Entsetzt riss ich die Augen auf, was sie glücklicherweise nicht sehen konnten und versteifte mich, antwortete aber überraschend gefasst:
„Was kann ich tun, um zu zeigen, dass ich euer Vertrauen verdiene?"
„Kümmere dich um Nyoko und verhindere unnötige Unruhen und Gerüchte. Ich werde Majikku suchen."
Gleichzeitig protestierten Nyoko und ich.
„Ich werde sie suchen Aadil. Ich weiß, wie ich am besten mit ihr umzugehen habe.", sagte Nyoko, mit einem seltsamen Lächeln auf den Lippen.
„Nein, ich werde gehen. Mit mir spricht sie, ich erkenne sie und du bist verletzt."
Einen Moment lang seine Zustimmung in Aadil's Augen, doch dann nur noch Verwirrung.
„Du kannst sie erkennen? Woran?"
Einen Augenblick lang sah ich Belustigung, dann jedoch Besorgnis, die immer stärker zu werden schien, je länger ich schwieg. Denn darauf hatte ich keine Antwort.
Ja, woran? Was erzählst du da eigentlich für einen Unsinn, Elias?
„Gut.", seufzte er zu meiner Überraschung schließlich.
Eine Spur Härte hatte sich in seine Stimme geschlichen, als er fortfuhr:
„Schwöre uns, dass du sie uns ohne einen Kratzer und nicht als Geisel wiederbringst. Immer."
Ich riss die Augen auf.
Da war also der Haken! Sie glaubten mir nicht und deshalb zwangen sie mich zu einem Schwur.
„Aber was, wenn sie schon vorher verletzt war?", flüsterte ich verzweifelt, ich hatte nur sehr selten etwas geschworen und hasste mich auch heute noch dafür, denn ein Schwur war schließlich bindender als der Tod.
Also wollte ich ihn nach Möglichkeit vermeiden, denn wenn sie wirklich schon vorher verletzt war, wenn ich sie von irgendwo holen musste, würde mich der Schwur vergiften und so wollte ich keinesfalls sterben.
Der Anführer kniff die Augen zusammen, so sehr, dass sich seine dichten Augenbrauen berührten.
Dann seufzte er tief.
An Nyoko gewandt murmelte er:
„Es hat keinen Zweck, ich kann es nicht. Er ist doch wie mein eigener Sohn. Ich vertraue ihm."
Seine Ratgeberin erwiderte nichts, musterte Aadil mich lediglich ruhig und fest, wie immer.
„Geh. Aber versprich mir, dass du ihr nichts tust."
„Ich verspreche es.", sagte ich energisch.
Damit fuhr ich herum und rannte zurück in den Wald, während Nyoko in der Menschenmenge verschwand und Aadil Anweisungen brüllte. In Gedanken versuchte ich Majikku zu erreichen, indem ich so fest ich konnte an sie dachte, doch ihre seltsame Art mir zu antworten, blieb aus.
Plötzlich hörte ich ein seltsames Geräusch.
Irritiert und neugierig folgte ich ihm.
Das Geräusch kam von der Gesuchten, da sie sich die Krallen an einem Baumstamm schärfte. Blinzelnd ließ sie von dem Baum ab, neigte den schlanken, grauen Kopf und wandte sich in eine andere Richtung.
„He! Warte!", rief ich aus und rannte ihr hinterher.
„Sei still, Naturschänder. Oder willst du die Spur verlieren? Lauf zurück und hol die Anderen. Ich werde euch zeigen, wo ich bin."
Mit diesen Worten stürmte sie weiter, die Ohren vom Wind angelegt und die schwarze Nase dicht am Boden.
„Wer ist hier denn der Naturschänder, he?!", fragte ich wütend und deutete auf den zerkratzen Baum, aber eine Antwort war natürlich zu viel verlangt.
Widerwillig wandte ich mich um und machte mich daran, den Rückweg anzutreten. Da ich dem Geräusch jedoch blind gefolgt war, dauerte es länger, als ich erwartet hatte.
Das muss sich ändern. Sonst wird es nochmal zu einem richtigen Problem., schwor ich mir.
Missmutig und niedergeschlagen suchte ich nach dem Anführer oder seiner Ratgeberin und fand letztere schließlich, mit einem Verband am rechten Unterarm und linker Hand die sie zu verbergen versuchte.
„Wir müssen die Neko bereit zum Aufbruch machen. Majikku hat die Spur und wird uns führen."
Ohne ein weiteres Wort und ohne Nyoko's Reaktion abzuwarten wandte ich mich ab, suchte Aadil und als ich ihn fand, überbrachte ich ihm dieselbe Botschaft. Außerdem erzählte ich jedem, der mir über den Weg lief, von unserem baldigen Aufbruch.

Nach wenigen Minuten war jeder still und hatte sich aufmerksam vor uns Dreien, die wir jetzt zusammen standen, versammelt. Während die Menschen die Nachricht des Aufbruchs untereinander verbreitet hatten, hatten wir einen Plan für das weitere Vorgehen besprochen.
Fragte sich nur, ob Majikku mitspielen würde.
Wir sahen zurück in die Gesichter der Menschen und erst da wurde mir wirklich bewusst, wie viele es tatsächlich waren. Die Menschen erstrecken sich so weit in die Breite, dass man das Ende nicht sehen konnte, die Länge war begrenzt durch die Felswand vor uns.
Aadil hob die Stimme und rief:
„Neko, wir brechen auf!"
Einen Moment war es still, dann wurde aufgeregtes Flüstern laut, genauso wie vereinzelte Rufe der Begeisterung.
Nyoko fuhr wie geplant fort:
„Wir werden die Blutspur des Feindes verfolgen. Ein Windhund ist bereits auf seine Spur angesetzt."
Die Rufe wurden lauter.
„Nur ein Hund? Wollt ihr uns etwa zum Narren halten?", rief jemand verärgert.
Die Schwarzhaarige ließ sich nicht anmerken, ob sie ihn gehört hatte.
„Es ist der Schlüssel, der die Verfolgung aufgenommen hat und uns zu sich führen wird. Und so wahr ich hier stehe, schwöre ich, dass uns der Schlüssel an unser Ziel bringen wird."
Ein Raunen ging durch die Menge, während ich überrascht zu ihr sah.
Ein Schwur? Das war nicht abgemacht. Aber er wird den Leuten viel Zuversicht geben. Wir können nur hoffen, dass ihr Schwur nicht gebrochen wird.
Ich schüttelte den Kopf.
Ach was! Sie hat lediglich eine Tatsache in einen Schwur umgewandelt, zudem ist er relativ vage, also dürfte er sie wenig einschränken. Und wenn dieser Schwur nicht erfüllt wird, können wir uns auch gleich zum Sterben in die Ecke legen.
Ich schauderte.
Trotzdem hätte ich diesen Schwur nie an ihrer Stelle leisten können.
Nyoko zögerte kurz.
„Der Schlüssel hat sich in einen Windhund verwandelt. Um genau zu sein, kann das jeder von euch. Aber ich warne euch-, schnitt sie das begeisterte Getuschel ab-
„versucht es nie, niemals auf eigene Faust! Es mag ja sein, dass ihr stark seid, aber es ist gefährlich, für euch und für alle anderen. Das Tier, in das ihr euch verwandelt habt, könnte die Kontrolle über euch übernehmen."
„Wir sagen das nicht, um euch zu ängstigen, sondern zu unserer eigenen und eurer Sicherheit. Es kann sein, dass ihr euch gar nicht verwandeln wollt, nachdem ihr das gehört habt und das ist völlig in Ordnung. Doch fest steht, dass wir alle, Aadil, Nyoko, der Schlüssel und ich das tun werden, der Organisation wegen. Und mindestens zwei von uns werden jedem einzelnen Test beiwohnen, von daher seid ihr gut beschützt und bewacht zugleich. Wir bitten euch nur von ganzem Herzen, wie Nyoko bereits sagte, es nicht aus Neugier und um der Herausforderung willen allein zu tun. Ihr könntet die verletzen, die euch am meisten bedeuten.", schloss ich meine kleine Ansprache.
Auch sie war nicht Teil des Plans, doch ich hatte etwas unternehmen müssen, als ich beinahe spüren konnte, dass die Leute nun nicht mehr dieses Risiko eingehen würden wollen.
Nicht im Mindesten aus der Ruhe gebracht, fuhr Nyoko fort:
„Jeder kann sich nur ein Tier verwandeln danach ist kein Austausch mehr möglich, also wählt gut."
Überrascht sah ich sie an.
Woher wusste sie das? Hatte sie etwa allein experimentiert? Ich würde sie später danach fragen.
„Was ist ein Tier, was im Kampf nützlich sein könnte? Welches Tier mögt ihr am meisten? Welche Aufgaben liegen euch und kann euch dieses Tier dabei unterstützen? Eine Raubkatze, wie etwa ein Tiger, wäre wahrscheinlich am besten. Wir werden darum jeden einen Test durchlaufen lassen. Also-
„Warte mal!", unterbrach ein kleiner Junge Nyoko.
„Heißt das, dass der Schlüssel sich jetzt immer nur in einen Windhund verwandeln kann?"
Ihre blutroten Augen blitzten auf.
„Im Prinzip hast du recht,", die Menge seufzte enttäuscht, wahrscheinlich wegen dem wenig machtvollen oder majestätischen Tier.
„aber Magier wie der Schlüssel, haben das begehrte Privileg, sich in jedes Tier verwandeln zu können."
Die Menschen jubelten begeistert, waren aber auch wütend und neidisch, stellte ich besorgt fest.
Erneut hob ich die Stimme.
„Also, wer von euch möchte sich in ein Tier verwandeln?"
Der Großteil wollte es, doch mehr als mir lieb waren, schüttelten die Köpfe, spuckten verächtlich aus, oder schwiegen.
„Ich werde mich ganz bestimmt nicht von einem Raubtier kontrollieren lassen! Das ist das Ganze nicht wert! Erhöht das überhaupt unsere Chance auf einen Sieg? Oder werden wir uns am Ende selbst zerfleischen wie die Tiere?", keifte ein alter Mann und einige schlossen sich ihm, mehr oder weniger mit denselben Worten und derselben Vehemenz an.
Ich konnte sein Widerstreben verstehen, doch wusste nicht, wie ich seine Bedenken zerstreuen konnte.
„Wie Elias bereits sagte,", sprang Aadil für mich ein,
„ist es jedem gestattet, sich dieser Prozedur zu verweigern. Wir zwingen niemanden dazu. Es kann Vorteile haben, ebenso wie Nachteile, im Körper eines Tieres zu stecken, und jeder von euch muss für sich entscheiden, was für ihn mehr wiegt."
Der Alte klappte seinen Mund zu, funkelte den Anführer noch einen Moment böse an, wandte sich um und ging.
Der Anführer zeigte es nicht, wenn er beunruhigt war und sagte stattdessen, nachdem sich die Menschen etwas beruhigt hatten:
„Der Vertrautenkreis beginnen und danach wird der Rest der Neko nach dem Zufallsprinzip ausgesucht."
Kaum hatte er das gesagt, erneute wurden Proteste laut.
Wenig überrascht erklärte der braun gebrannte Hüne ihnen lang und ausführlich, dass dieses Verfahren notwendig war, um ihr aller Sicherheit zu gewährleisten. Weil ein Teil des Vertrautenkreises schon selbst Erfahrungen mit den Gefahren - die unweigerlich auftreten würden - gemacht hatte und deswegen nüchtern und vernünftig an die Sache herangehen könnte.
Nur langsam erstarben die Proteste, doch ich hatte damit gerechnet.
Also versuchte ich, möglichst ruhig und gelassen zu wirken, während der Anführer und ich den Menschen Positionen in der gewaltigen Kolonne zuwiesen und ihnen Aufgaben zuteilten. Dazu gehörte beispielsweise, dass die Alten und die Kinder in die Mitte gehörten und diejenigen, die gut kämpfen konnten, am Rande der Gruppe waren, um sie am besten schützen zu können. Nach Möglichkeit versuchten wir, Bekannte und Verwandte nicht voneinander zu trennen, doch meistens ließ es sich nicht vermeiden. Während wir Proteste, Unmut, Begeisterung, Wut und Entsetzen gleichermaßen über uns ergehen ließen und versuchten, ein wenig Ordnung in diese Menschenmasse zu bringen, huschten meine Augen immer wieder zu Nyoko. Sie hatte die Augen geschlossen und versuchte, Majikku zu erreichen. Offensichtlich schaffte sie es nicht, denn sie gab uns kein Zeichen und öffnete auch ihre Augen nicht, ob der Schlüssel nun nicht zu erreichen war oder Nyoko ignorierte, es lief auf dasselbe hinaus. Außerdem hatte Majikku gesagt, dass sie uns sagen würde wo sie war, von daher würde sie sich früher oder später bei uns melden.
Insgeheim hoffte ich, dass es eher später als früher war, bei der großen Anzahl an Menschen, die vor uns darauf warteten eine feste Position und Aufgaben zu bekommen. Vermutlich würden wir noch eine ganze Weile hier stehen.
Dann jedoch schalt ich mich.
Wir müssen so schnell wie möglich hier weg, wenn wir nicht wie eine Ratte in der Falle an einem Ort festsitzen und uns von den Karasu attackieren lassen wollen, also streng mich mal ein bisschen an.
Vor uns stand gerade eine Gruppe Menschen, die ankündigte sich für die Rationierung der Vorräte zu verantworten zu wollen, als Nyoko die Augen wieder öffnete und rief:
„Wir brechen auf! Der Schlüssel kennt die Richtung und wird mich zu sich führen. Folgt mir!"
Sie wirbelte herum und schlug ein zügiges Tempo an, ohne auf die erneuten Rufe des Protests zu achten.
„Wir werden während des Marschs weitermachen. Nun kommt!", rief Aadil beschwichtigend und ritt Nyoko hinterher.
Nur widerwillig folgte die Menge, sah aber ein, dass es so am Sinnvollsten war.
Vielen war der stete Regen - der inzwischen wieder eingesetzt hatte – egal. Sie fragten lediglich immer wieder nach ihren Plätzen in der Menschenmenge, in der Hoffnung auf einen angenehmeren Platz, in diesem Fall zum Beispiel nicht hinter einem Pferd. Doch auch die, die schon eine Aufgabe und einen Platz hatten, sprachen aufgeregt von dem Test, sodass Nyoko, Aadil mir eine lautstarke und langsame Menge folgte.
Ich stöhnte leise.
Die perfekte Beute für die Karasu.
Und nicht nur für die, sondern auch für wilde Tiere.
Das konnte ja heiter werden.

Einige Stunden folgte ich Aadil und dessen Hengst schweigend, bis ich plötzlich eine Bewegung am Rande meines Gesichtsfeldes wahrnahm.
Instinktiv zückte ich mein Schwert und drehte mich zu dem Baum, hinter dem ich die Bewegung gesehen hatte. Doch da war nichts.
Die Meisten hatten mein nervöses Handeln nicht bemerkt, doch wer es gesehen hatte, sprach leise mit seinen Nachbarn oder schwieg ängstlich. Beunruhigt beschleunigte ich meinen Schritt und schloss zu dem Anführer auf.
„Ich würde gerne das Schlusslicht bilden. Irgendwie werde ich das ungute Gefühl nicht los, dass wir beobachtet werden."
Aadil nickte abwesend, offensichtlich versuchte er, die aktuelle Position Aufgabe zu behalten. Mich hatte er schnell davon erlöst, weil er gemerkt hatte, dass ich nicht ganz bei der Sache und ihm so mehr Hindernis als Hilfe war.
Und so ungern ich es mir selbst eingestehen wollte:
Es stimmte.
Ich dachte mehr über die Tiermenschen, das Ritual der Karasu, Magie im Allgemeinen und zu meiner Überraschung auch über Nyoko's Augenfarbe nach, als es üblich für mich gewesen wäre.
Da weiteten sich seine braunen Augen kaum merklich und er nickte erneut.
Immer noch erschöpft, jedoch etwas gestärkt durch das Adrenalin, kletterte ich auf einen Baum und blickte zurück zu dem Anführer.
Dann wandte ich mich in die entgegengesetzte Richtung und lief los.
Über die Bäume kann ich schneller voran, als wenn ich am Boden mich durch die Menschenmenge quetschte. Doch ich wusste, dass das nur jahrelanger Übung und dem verzweifelten Wunsch zu danken war, Nyoko verfolgen zu können, wenn sie sich mal wieder aus dem Staub machte. Ich hatte schon viele blaue Flecken, Prellungen und gebrochene Knochen ertragen müssen, da ich die Tragfähigkeit des Astes über- oder mein Gewicht unterschätzt hatte. Doch inzwischen war das für mich kein Problem mehr, es schien nur noch eine andere Art des Laufens zu sein.

Nach wenigen Minuten wurden die Menschen weniger und ich staunte erneut, wie viele wir tatsächlich waren, da ich ungefähr wusste, wie schnell ich mich bewegte.
Als ich am Ende angekommen war, ging ich von der Spitze der Bäume in die untere Baumkrone über und folgte der Menge aufmerksam, doch es geschah nichts Ungewöhnliches mehr. Bald wurde es dunkler und ich musste noch weiter nach unten gehen, um alles im Auge behalten zu können. Natürlich musste ich auch immer wieder von links rechts, da die Menschenschlange auch ziemlich breit war.

Doch es wurde vollkommen finster, bis das erste Mal wieder etwas geschah.
Ein Junge rief nach mir.
„Elias!"
Ich schrak zusammen.
Zunächst verbarg ich mich, immerhin konnte es eine Falle sein.
„Elias! Aadil schickt nach dir! Ich werde mit einigen anderen Mitgliedern Wache halten, wir bereiten unser Nachtlager auf!"
Ein Junge soll Wache erhalten? Was denkt sich Aadil nur dabei? Fieberhaft versuchten meine Augen die Quelle dieses Ausrufs zu finden, doch inzwischen war es so dunkel, dass er beinahe überall sein konnte allein die Lautstärke der Stimme verriet, dass sie sich am Boden aufhalten musste.
Und da wolltest du Feinde entdecken, wenn du nicht einmal jemanden findest, der nach dir ruft?, fragte die leise Stimme in mir verächtlich.
„Hier bin ich!", rief der Junge, als hätte er meine Gedanken gelesen und einige Meter von meinem Baum entfernt wurde eine Fackel entzündet.
Erneut erschrak ich, schalt mich dieses Mal aber gleichzeitig für mein Misstrauen.
Was soll der Bengel denn noch tun, damit du ihm vertraust?
Meine innere Stimme verzog verächtlich die Lippen.
Innerlich seufzend sprang ich lautlos auf einen Baum in der Nähe des Jungen, dessen Augen unermüdlich die Gegend nach mir und möglichen Feinden absuchten.
Ich sprang und landete mit einer Rolle, um meinen Sprung abzufangen, direkt hinter ihm.
Schnell streifte ich noch die Kapuze wieder über, bevor ich fragte:
„Hier bin ich. Was will Aadil von mir?"
Erschrocken fuhr der Junge herum, lächelte dann aber, als hätte er etwas Lustiges festgestellt.
„Ich weiß es nicht. Er wollte bloß, dass ich dich auf direktem Wege zu ihm bringe."
Damit drehte er sich um und begann den Marsch zurück zum Anführer.
Unterwegs drückte er mir eine kleine Tasche in die Hand und forderte mich auf:
„Iss."
Stirnrunzelnd sah ich ihn von der Seite an, doch es dauerte lange, bis dieser sagte:
„Du sollst bei Kräften sollen. Und ich glaube nicht, dass du das ohne Essen im Magen sein kannst."
Anstatt Fragen geklärt zu haben, warf das Neue auf.
Was will Aadil von mir? Und warum weiß der Junge dann nicht, was er will? Warum muss ich bei Kräften sein? Wieso muss das jetzt ausgerechnet jetzt in der Nacht sein?
Fragen über Fragen.
Und sie wurden auch nicht gerade dadurch geklärt, dass mein Begleiter einigen der Neko zurief:
„Habt ihr getan, worum mir gebeten wurdet?"
Man sah ihm an, dass er nicht wusste, worum sie gebeten worden waren. Immer auf's Neue nickten die Gefragten und langsam wurde mir mulmig.
Was plant Aadil?
Schweigend aß ich, was der Junge mir gegeben hatte, einige Streifen getrocknetes Wild, genau wie nahrhafte Wurzeln, Beeren und Pilze.
Während ich das tat, betrachtete ich den Jungen genauer. Er war höchstens elf, hatte blondes Haar und blaue Augen. Verzweifelt schien er die Würde bewahren zu wollen und ignorierte seine Unwissenheit und Unsicherheit.
Genau wie ich früher.
„Wie heißt du?", fragte ich ihn freundlich.
Der Junge zögerte.
„Louis."
Nach einer Weile fügte er hinzu:
„Kennst du den Schlüssel? Hast du ihn gesehen? Wie sieht der aus? Wie heißt er? Wie ist er?"
Ein Lächeln zu unterdrückend, antwortete ich:
„Ja. Der Schlüssel ist weiblich."
Seine blauen Augen blitzten.
„Es ist Majikku, habe ich recht?"
Er wandte sich ab und fragte jemanden etwas, doch ich blieb wie angewurzelt stehen.
„Woher kennst du ihren Namen?"
Verwundert blieb Louis ebenfalls stehen, er hatte gar nicht gemerkt, dass ich nicht mehr an seiner Seite war.
Der winkte mich lächelnd zu sich.
„Komm, wir haben nicht die Zeit, hierum zu stehen und zu plaudern. Wenn du weitergehst, werde ich dir alles erzählen."
Widerwillig kam ich näher und sein Lächeln wurde breiter.
War ich früher auch so kindisch?, schoss es mir durch den Kopf.
Während wir weitergingen, sagte er wie versprochen:
„Wir sind uns begegnet, nachdem die Frau mit den langen schwarzen Haaren-"
„Nyoko. Sie heißt Nyoko.", sagte ich unvermittelt.
Irritiert fuhr er fort.
„Stimmt. So war ihr Name ja. Also, als Nyoko den Karasu besiegt und verjagt hatte und gegen ihren Hengst kämpfte."
„Gegen ihren Hengst...? Du hältst mich wohl für ein Trottel, was?!", fuhr ich ihn verärgert an.
Im nächsten Moment begriff ich, was er außerdem gesagt hatte und hielt mitten im Schritt inne.
Sie hat gegen den Karasu gekämpft? Dann hat sie ihm ja auch den Arm...! Das erklärt warum sie nicht überrascht war. Sie selbst war es!
Von plötzlicher Übelkeit gepackt, beugte ich mich zur Seite und wurde das gerade eben erst eingenommene Essen wieder los.
Er zuckte aufgrund meiner Antwort gleichgültig mit den Schultern, blieb dann aber ebenfalls stehen und seine Miene wurde besorgt, als er sah, dass ich mir Erbrochenes vom Mund wischte.
„Geht es dir gut, Elias?", fragte er und eilte zurück zu mir.
Ich lachte, heiser vor Schock.
„Klar. Alles bestens."
Komisch. Als ich den Arm gesehen habe, war es nicht so schlimm. Und mir war auch klar, dass sie schon Dutzende Karasu getötet haben muss. Aber das sie so grausam wäre, selbst, wenn es ihre Feinde sind-?
Ich schlug ein zügiges Tempo an und versuchte, nicht an Nyoko zu denken.
Skeptisch folgte Louis mir, sagte dann aber, da er wusste, dass er nicht in der Position war, mir zu widersprechen:
„Es war jedenfalls so."
Ich brummte etwas Unverständliches, den Rest des Weges verbrachten wir in vollständigem Schweigen, mal abgesehen von seinen gelegentlichen Fragen an einige der Neko.

Als wir ankamen, rannte uns Aadil ungeduldig entgegen.
„Wo wart ihr so lange? Jetzt komm, Elias!"
Ich lächelte müde, bekam jemand ganz speziellen trotzdem einfach nicht aus meinem Kopf.
„Beschwerst du dich etwa über die Größe der Neko?"
Doch dem Anführer war offensichtlich nicht nach Scherzen, denn er sagte energisch:
„Nein, und das weißt du!"
Er fuhr Louis an:
„Haben sie getan, was sie sollten?!"
Dieser zuckte zusammen.
„Ja, Anführer."
Aadil winkte ab.
„Lass' diesen Unsinn mit der Anrede und nimm schnellstmöglich seinen Platz ein. Und jetzt komm schon Elias, müssen uns beeilen!" Langsam kehrte meine Nervosität zurück, die mir half, mich auf das Bevorstehende zu konzentrieren, während ich hinter Aadil an der Spitze der Prozession rannte.
„Wozu diese Eile? Warum hält ein Junge statt einem Erwachsenen Wache? Nun sag schon! Was hast du vor?"
„Wem vertrauen die Neko, mal abgesehen von Nyoko, dir, Majikku und mir am meisten?"
Strinrunzelnd sagte ich:
„Ich weiß es nicht. Aber wozu willst du das wissen? Wir werden ja wohl kaum alle vier weg gehen, oder?"
Ich lachte, doch als er keinerlei Anstalten machte, meine Behauptung zu entkräften, erstarrte mein Lächeln zu Eis.
„Was hast du vor? Warum mitten in der Nacht? Und warum diese Geheimniskrämerei?"
„Ich weiß, warum. Wenn du gewillt bist, schweigend und möglichst unauffällig mitzukommen, werde ich es dir erklären."
Mein Kopf fuhr herum.
Überrascht schrak ich zusammen, als ich merkte, dass Nyoko direkt hinter mir stand.
Verdammt! Denkt jetzt nicht daran!, ermahnte ich mich, doch das bewirkte nur das Gegenteil.
Sie legte mir eine schlanke Hand auf die Schulter, die rechte Schulter, und ich hatte das Gefühl, als schicke man mir einen eisigen Stromstoß unter die Haut.
Nyoko's Augen schlossen sich für den Bruchteil eines Augenblicks und plötzlich stürzten Bilder, Worte und Gefühle auf mich ein, so schnell, dass ich Mühe hatte ihren Inhalt zu verstehen.
Das Bild eines soliden hölzernen Käfigs, die Angst, er könnte zerbrechen.
„Gib Acht! Denk immer daran, wer du bist!"
Überschwemmt von Bildern, Sinneseindrücken und Gefühlen konnte ich nichts mehr sehen und gab es auf, weiter zu gehen.
Beinahe wäre ich hingefallen, so sehr zerrten die Emotionen an meiner Kraft, und mir wurde übel.
Vor Angst. Angst vor dem Unbegreiflichen, dem Unbekannten, dem Unlogischen.
Seltsam, Magie ist für mich das Normalste der Welt, obwohl es unlogisch ist. Doch das hier macht mir Angst.
Denk immer daran, wer du bist? Was mag damit gemeint sein?
„Vergiss nie, niemals, wer du bist!"
Plötzlich erkannte ich die Stimme.
Es war Nyoko's.
Wovon redet sie? Wie macht sie das? Das ist unmöglich!
Obwohl ich versuchte, es zu ignorieren:
Ich hatte Angst. Das, was jetzt geschah, war nicht normal.
Konnte ich das erlernen? Oder konnten das nur bestimmte Leute, denen das angeboren war?
Neue Bilder stürmten auf mich ein, durcheinander, zusammenhanglos und emotional, bevor ich einen weiteren klaren Gedanken fassen konnte.
Die glühenden Augen eines Pumas, einer Raubkatze, von gelb bis hinüber zu grün.
Hitze, Schmerz und Blut.
Pure Mordlust.
Und Angst.
Ich wollte rennen, wollte fliehen, doch ich konnte nicht. Weg, einfach weg von diesem Tier.
Zwecklos.
Angst.
Angst vor Kontrollverlust.
„Vergiss nie, wer du bist!"
Kontrolle.
Kontrolle über diesen Instinkt.
Sonst wollte ich nichts.
Nur Kontrolle über mich, über das Tier, das mich zu beherrschen drohte.
„Nein!"
Angst.
Dann wieder das Bild des hölzernen Käfigs.
„Er wird nicht standhalten. Niemals. Nicht bei der Kraft einer ausgewachsenen, wütenden Raubkatze. Sei vorsichtig. Pass auf dich auf. Du darfst nicht nachgeben, hörst du? Zwing ihn in die Knie! Sei stark! Ich weiß, dass du das kannst!"
Angst.
Angst um sich, um ihn, um die Neko.
Keuchend riss ich die Augen auf.
Erschöpft taumelnd, wäre ich beinahe hingefallen, hätte Nyoko mich nicht am Arm gepackt.
Erneut fuhr ich herum, ich hatte Mitgefühl, Angst und Sorge, sogar Blut in ihrem Gesicht erwartet, doch stattdessen war dieses ausdruckslos.
Sie zeigte keinerlei Anzeichen von Beunruhigung, keine Spuren von Kraftverlust, nichts.
Verwirrt riss ich mich los und folgte Aadil, der weiter rannte, als wäre nichts passiert, als hätte das nur einen Augenblick gedauert.
Doch ich sah einen älteren Mann von der Wache der uns wohl vertreten sollte.
Doch in diesem Moment interessierte mich das nicht.
Ohne jedes Wort stürmte ich weiter, Nyoko dicht neben mir.
Es ist schwer, jemand Außenstehenden begreiflich zu machen, welche Wirkung das Erlebte auf mich hatte. Wenn man etwas irgendwo liest, irgendwo hört oder es selbst von jemandem erzählt bekommt, ist das etwas anderes, als es mit allen Sinnen zu erleben. Das ist, als wäre man dabei. Und ich wollte definitiv nicht dabei sein, wenn ich von einem Raubtier zerfleischt wurde. Oder dieses kurz davor war.
Aus dem Augenwinkel sah ich, dass Nyoko mich mit schräggelegtem Kopf musterte, wie eine Katze, als warte sie auf eine Reaktion von mir, die Kapuze wegen des prasselnden Regens immer noch auf dem Kopf. Nur ihre Augen waren ab und an zu sehen.
Blutrot, tief und unergründlich wie ein See aus Blut.
Übelkeit stieg erneut in mir auf und irgendwann konnte ich nicht mehr an mich halten.
Ich hatte das Gefühl einer unausgesprochenen Forderung nachgegeben zu haben, als sich tonlos fragte:
„Erklärst du es mir jetzt?"
Sie blinzelte und ich schreckte vor ihr zurück, doch diesmal geschah nichts.
Ihre Augen blitzten, doch bevor ich lesen konnte was darin geschrieben stand, waren sie wieder ohne jede Regung.
„Wir werden den Test vorher ausprobieren, damit auch wirklich alles reibungslos abläuft, wie Aadil schon sagte. Das ist alles. Überleg dir schon mal, auf welches Tier deine Wahl fällt."
Urplötzlich blieb ich stehen, als eine Hand mich umschloss.
Sie war eiskalt.
Erst nach einem Moment des Schreckens erkannte ich, dass das ein Irrtum war. Es war die eiskalte Hand der Angst, die mich gepackt hatte.
Ich? Ein Tier? Welches? Es muss eine Raubkatze sein, sonst bringt mir das im Kampf gegen die Karasu nichts! Aber eine Raubkatze kann gefährlich sein, für die Anderen und für mich.
Schaudernd erinnerte ich mich noch zu deutlich an die Bilder und Gefühle, die auf mich ein gestürmt waren.
„Worauf meine Wahl fällt?", echote ich, umnebelt von der Angst vor Dingen, die gar nicht sein konnten.
„Ja.", antwortete sie, ich konnte nicht erkennen, was sie dachte.
Schweigend rannte ich weiter, tief in Gedanken versunken.
Und was ist, wenn ich mich weigere? Ich habe es den Neko versprochen, doch das war bevor ich das gesehen habe. Nun weiß ich nicht mehr, was ich will.
Jetzt konnte ich sogar die Angst des Alten nachvollziehen.

Von derlei Gedanken geplagt, merkte ich erst, dass wir uns ein gutes Stück von den Neko entfernt hatten, als Aadil schließlich stehen blieb. „Hier?", fragte ich entsetzt.
Wenn ich mich hier, so abgelegen von den anderen verwandelte, konnte ich die Beiden mit Leichtigkeit töten!
„Majikku wird den Anfang machen.", sagte der Anführer und ignorierte meinen kleinen Ausbruch.
„Majikku? Wo ist sie überhaupt?"
„Hier.", sagte diese.
Mein Kopf schnellte in die Richtung, aus der die Stimme kam, doch ich sah nur gähnende Schwärze.
Als ich einen Schritt in die Dunkelheit machte, zischte sie:
„Komm nicht näher!"
Sie klang wütend, angestrengt und erschöpft.
Perplex blieb ich stehen.
„Warum?"
Sie erwiderte nichts.
„Majikku?"
„Ich fange jetzt an. Tötet mich, sollte ich vollkommen außer Kontrolle geraten."
Ich keuchte, wenn sie starb, waren die Neko dem Untergang geweiht, doch Aadil nickte, den Blick voller Ehrfurcht, Respekt und Verständnis.
Verwirrt musterte ich ihn.
So hatte ich ihn noch nie gesehen.
Niemand hatte sich dermaßen beim Respekt verschafft, außer Nyoko vielleicht. Bei diesem Mädchen aber, hätte ich das nicht erwartet.
Ich schüttelte den Kopf, das Echo einer Stimme aus längst vergangenen Tagen in meinem Kopf.
Urplötzlich erstrahlte ein gleißendes Licht einige Meter entfernt und ich vergaß, worüber ich noch vor einigen Herzschlägen nachgedacht hatte.
Im selben Moment schossen Nyoko und Aadil vor und entzündeten je drei Fackeln, nichts weiter als ein, zwei geschickte Handgriffe.
So blieb das Licht da und ich stolperte rückwärts.
Einige Meter vor mir stand ein riesiger Käfig, drei Meter hoch, drei Meter breit. Das Holz war geschickt miteinander verbunden worden, sodass der Käfig aussah, als wäre er aus einem einzigen Stück gebaut worden. Ferner gab es ein kleines Guckloch, ungefähr siebzig Zentimeter über dem Boden, die Seiten waren geschlossen. An jeder Seite waren drei Fackeln befestigt um den Käfig, das Innere und die Umgebung gut zu beleuchten.
Doch nun erstrahlte im Käfig ein Licht, dass um einiges heller war, als das der Fackeln. Egal wie sehr ich es versuchte, meine Augen konnten sich einfach nicht an diese unnatürliche Helligkeit gewöhnen.
Sobald das Licht erloschen war, blinzelte ich ein paar Mal und versuchte vergeblich, die Flecken vor meinen Augen zu ignorieren.
Ein kaum erstickter Schrei verließ meine Kehle, als ich wieder sehen konnte.
Reflexartig stolperte ich noch weiter nach hinten, blieb mit dem Schuh irgendwo hängen und fiel rücklings in den Schlamm.
„Wa-
Mühsam schluckte ich und versuchte es erneut.
„Was zur-
Meine Mundwinkel zuckten, dann lachte ich schallend. Plötzlich hockte sich Nyoko neben mich.
Mein Kopf schnellte ruckartig zu ihr und ich lächelte.
Meine Bewegungen waren ruckartig und verängstigt wie die eines Raubvogels, der gerade einen unerwartetem neuen Feind in die Augen blickt.
„Euer Sinn für Humor ist wirklich seltsam, fast schon Galgenhumor. Ich wusste gar nicht, dass ihr auf so etwas steht."
„Reiß dich zusammen.", forderte Nyoko mich scharf auf.
Das Lächeln auf meinem Gesicht wurde breiter, während ich wie am Rande Überraschung über die Intensität und Offenheit ihrer zur Schau getragenen Emotionen empfand.
„Tue ich doch schon! Eigentlich kann ich gar nicht mehr vor Lachen!"
„Dass es nicht einfach werden würde, war klar, aber dass er es leugnen würde hätte ich nicht gedacht. Seine Psyche ist instabiler, als ich dachte.", sagte sie zu Aadil.
Ich ignorierte sie.
„Ihr glaubt doch wohl nicht, dass ich euch ernst nehme, oder? Das bloß ein schlechter Scherz. Ihr würdet uns nie, nie dieses Monster auf den Hals hetzen, wenn es kein Witz wäre oder es nicht kontrollieren könntet!"
Lachend deutete ich auf den Käfig.
„Untersteh' dich."
„Womit denn? Tatsachen auszusprechen?"

Einige Atemzüge war es still.
„Nun sag schon:
Soll ich mir das Monster gefügig machen oder soll ich es töten?"
Ruckartig stand Nyoko auf und wandte mir den Rücken zu.
„Ich schwöre dir, solltest du Majikku dir jemals gefügig machen oder sie töten, bringe ich dich höchstpersönlich um."
Hat sie gerade ein Schwur geleistet? Was tut sie da? Sie weiß doch, was das für Konsequenzen nach sich zieht! Warum schwört sie denn so viele Schwüre? Das wird sie nur unnötig gefährden.
Nach einer Weile zuckte ich trotzdem mit den Schultern.
„Gut, dann eben nicht. Du musstest doch nicht gleich so ausrasten. Dann bringe ich das Mistvieh eben später um die Ecke."
Da zuckte ich zurück, als hätte sie mich geschlagen.
Majikku? Das glaube ich nicht. Die versteckt sich irgendwo... Sie will doch nur, dass ich mich wieder unter Kontrolle kriege, den Neko zuliebe. Aber da sie sich geschnitten! Ich habe das längst durchschaut. Bei so etwas kann man doch nicht ruhig bleiben!
Als sie sich einen Schritt von mir entfernte, packte ich sie am Arm.
„He, warte!"
„Lass los."
„Warum? Du musst dich doch nicht gleich angegriffen fühlen."
Ich kicherte.
Nur schwer konnte ich ein lautes Gelächter zu drücken. Die waren doch wahnsinnig. Hatten Monster in einen Käfig sitzen, dass sie nicht bändigen konnten und behandelten mich wie ein Monster. Oder war ich es, der wahnsinnig wurde? Wahnsinnig, weil ich nicht begreifen wollte und konnte, was ich da sah? Weil es ebenso ein Ding hier nicht geben sollte? Nein das konnte nicht sein.
„Lass los oder ich breche dir den Arm."
Sofort ließ ich los, als hätte ich mich verbrannt.
Sie klang tödlich leise, seltsam emotionslos, so als würde es ihr nichts ausmachen mir den Arm zu brechen und...
Nein, da musste ich mich irren.
War sie wirklich traurig? Warum?
Egal, wahrscheinlich irrte ich mich sowieso.
Aber eines wusste ich, obwohl sie meist nicht verstand, auf jeden Fall:
Bei dieser Mischung von Gefühlen, ja Gefühlen, sollte man es nie mit ihr darauf anlegen.
Wieso erlaubte ich mir überhaupt ein Urteil über Nyoko? Ich kannte sie doch kaum.
Wir waren zwar zusammen hier bei den Neko groß geworden, sie hatte mich immer wie einen kleinen Bruder und ich sie wie eine große Schwester behandelt, aber viel wusste ich nicht über sie.
Sie hatte mich immer getröstet, ermutigt und gemaßregelt, ja, war gleichzeitig auch noch so etwas wie eine Mutter für mich gewesen und ich war immer, wenn ich eine Frage hatte zu ihr gelaufen oder hatte mich trösten lassen. Doch das hatte bald nachgelassen, ich ging öfter zu Aadil, was unter anderem daran lag, dass Nyoko selten zu Hause war und irgendwann war ich auch zu stolz, um mich noch von ihr in die Schranken weisen zu lassen.
„Hast du eine Ahnung, warum du so wenig über sie weißt? Weil sie dir nicht vertraut. Und das ist eine eigene Schuld."
Was? Warum?
Seltsamerweise schmerzten diese Worte, mehr, als ich es mir selbst eingestehen wollte.
Ein Knall ertönte und Aadil, der uns aus einigen Metern Entfernung prüfend musterte und ich zuckten heftig zusammen.
Mein Kopf fuhr zu der Quelle des Lärms herum.
Ich wollte rennen, laufen, wollte fliehen.
Ein tiefes Knurren ertönte.
Ich wollte schreien, doch kein Ton verließ meine Kehle. Ein Schauder durchlief mich, als ich den heißen Atem auf meinem Gesicht spürte, doch ich konnte mich nicht bewegen.
Obwohl ich wusste, dass dies mein letzter Atemzug sein würde, ich konnte nicht.
Ein letztes Mal atmete ich tief durch, dann gab ich mir einen Ruck und streckte die Hand aus.
Funkelnde Augen an mich abschätzend, ja beinahe abwertend in Augenschein.
Diese Augen...
Von hellem Waldgrün, bis hin zu Sonnengelb.
So atemberaubend schön, dass sie mich an Ort und Stelle fesselten.
Meine Angst war noch da, aber die Faszination größer.
Als ich mit meiner Hand die schwarze Schnauze berührte, schauderte ich erneut.
Sie war warm und weich.
Nein, das hier war kein Monster.
Es war,...
Ein majestätisches, verzweifelt nach Freiheit suchendes Tier.
Etwas Weißes blitzte auf und ich erkannte eine beachtliche Reihe von Reißzähnen.
Furchterregend, ja, beängstigend, ja, aber es fühlte sich richtig an. Es gehörte nun mal so. Er war eben eine Raubkatze. Ein schwarzer Puma. Aber er würde mir nie etwas tun. Warum ich mir da so sicher war, wusste ich nicht.
Plötzlich fauchte dieser so sehr, dass meine Kapuze herunterrutschte und wir uns von Angesicht zu Angesicht in die Augen sahen.
Meine Hand hatte ich von seiner Schnauze genommen, aber ich blinzelte nicht einmal.
Sollte es doch versuchen. Aber er würde es nicht tun.
„Woher willst du denn wissen, ob ich dich nicht doch auf der Stelle in Stücke reiße?!"
Der Puma knurrte erneut.
Tja, woher?
Erst jetzt fiel bei mir der Groschen.
„Du hast mit mir gesprochen!"
Wie interessant. Der Gedanke war so stark, dass ich mich selbst fast schon reden hörte.
„Exakt. Hast du Dummkopf es endlich kapiert? Ich bin Majikku und du sprichst nicht mit mir, du denkst einfach nur! Wenn ich in der Nähe bin, kann ich dich hören."
Ich hörte, was sie sagte, war mit den Gedanken aber immer noch bei ihren ungewöhnlichen Augen.
Dann kam bei mir die Information an, dass das Majikku war.
Majikku? Also tatsächlich...
Nyoko hatte mich also nicht angelogen und das erleichterte mich irgendwie.
Urplötzlich sprang die Farbe ihrer Augen auf ein strahlendes Hellblau um und somit waren auch die letzten Zweifel beseitigt. Das waren ihre Augen.
Im nächsten Moment warf sich der Puma zu Boden und wälzte sich, ohne den Schlamm zu beachten.
„Mach das normal! Sprich mit mir, schnell!"
Majikku klang angestrengt und... panisch.
Wie denn? Was denn? Habe ich mit ihr gesprochen? Wie?
Plötzlich erkannte ich es:
Ich hatte gar nicht mit ihr gesprochen, sondern über sie nachgedacht, ein geistiges Gespräch mit ihr geführt, nur, dass es diesmal Selbstgespräch war sondern, dass sie mich hören und antworten konnte.
So, wie sie es mir hatte schon vorhin hatte erklären wollen. Hastig schloss sich die Augen um mich besser konzentrieren zu können, doch dann riss ich sie wieder auf.
Dann hat Nyoko ja auch so mit mir gesprochen! Egal jetzt. Ich muss mich beeilen, ich denke später darüber nach. Erst mal muss sich Majikku, also dem Hoffnungsträger der Neko, helfen.
Wieder schloss ich die Augen.
„Hier bin ich! Konzentriere dich auf mich!"
Ob es wohl funktioniert?
Ich wusste es nicht. Zwar konnte ich mich selbst in meinen Kopf reden hören, aber das musste ja noch nichts bedeuten.
Sie wälzte sich nicht mehr, lag einfach nur da im Schlamm, sprach mich aber auch nicht an.
„Majikku?"
Diesmal war ich mir sicher, dass ich so mit ihr sprach, den ihre Ohren zuckten. Außerdem fühlte sich irgendwie richtig an.
Seltsam, aber besser konnte ich es nicht erklären.
Doch irgendetwas stimmte nicht.
Sie stand nicht auf.
„Majikku? Antworte mir!"
Bevor ich reagieren konnte, traf mich etwas unsanft in die Seite und ich wurde weggestoßen.
Ich stöhnte vor Schmerz.
Auf einmal fauchte etwas, wütend, verzweifelt und traurig. Und freudig.
Ich konnte nicht einmal sehen, was da solche Geräusche machte, wusste nicht einmal, was das Problem war, als ich ungewollt eine Rolle seitwärts machte.
Majikku... Bist du das?
Entsetzt und ängstlich wollte ich aufstehen, doch ein Gewicht hielt mich fest.
„Halt still, Baka!"
Mein Kopf fuhr hoch.
Entsetzt weiteten sich meine Augen und ich drückte mich so stark ich konnte in den Boden.
„Willst du mich umbringen?!", schrie ich.
Nyoko saß auf meinem Schoß, ein Bein rechts und ein Bein links neben meiner Hüfte, ihre Vorderseite mir zugewandt. In den Händen hielt sie jeweils eine Kette, die sie in unglaublicher Geschwindigkeit über ihrem Kopf rotieren ließ.
„Nein, will ich nicht."
„Warum machst du das dann?!"
„Augen auf, du Idiot. Wenn ich aufhöre, stirbst du."
Strinrunzelnd wandte ich den Kopf zur Seite, behielt aber die Ketten mit den Klingen daran im Auge. Die Bäume, die in unserer Nähe standen bekamen Risse von diesen, doch noch immer konnte ich nichts Gefährliches sehen.
Da leuchtete ein Paar Augen aus dem Schatten hervor und es ertönte ein lautes Knurren.
Die Augen waren grüngelb.
Ein schlanker, schwarzer Puma sprang in unsere Richtung und gab ein wütendes Fauchen von sich, was sich jedoch in ein Überraschtes verwandelte, als eine von den Klingen ihn in die Schnauze schnitt.
Mit schreckgeweiteten Augen begriff ich.
Die Klingen waren das Einzige, was den Puma dazu zwang, Abstand zu halten.
Mit einem mulmigen Gefühl im Magen war ich mir nicht mehr so sicher, ob Majikku mir nichts tun würde.
Plötzlich bohrte sich eine Stimme in meinem Kopf, so angenehm wie ein paar Nägel und trotzdem einnehmend und fesselnd.
„Naturschänder...! Sterbt, Naturschänder...! Blutet...! Leidet...! Was habt ihr getan...?!"
Ich fasste mir an die Schläfen, versuchte, die Stimme zu ignorieren.
Nyoko drehte die Klingen schneller im Kreis, doch sonst zeigte sie keinerlei Regung.
Da ertönte ein Ruf:
„Was macht ihr da?! Kommt hierauf, oder wollt ihr eine Mahlzeit für sie werden?!"
Nyoko nickte nicht einmal, doch sie stand auf, die Ketten immer noch in Bewegung, sah mich noch kurz an und blinzelte.
Ich zuckte zurück und hatte deswegen den überraschten Gesichtsausdruck auf ihren Zügen nicht sehen können, der dort sehr deutlich verharrte, allerdings nur für die Dauer meines Wimpernschlags.
„Komm. Wir müssen zusammen zu einem Baum, die Kiefer ist da nicht die beste Wahl, nicht wahr?"
Irgendwie hatte ich mit einem Zucken ihrer Mundwinkel gerechnet, doch ihr Gesicht war nach wie vor ausdruckslos.
Im Stillen seufzte ich.
Ich verstehe sie doch nicht. Nicht einmal ansatzweise.
Schnell stand ich auf, jedoch mit mehr Vorsicht als Nyoko und folgte ihr, während mein Blick immer wieder zu Majikku schweifte.
Die knurrte wütend und frustriert, während sie immer wieder versuchte, näher an uns heranzukommen. Dort dabei fügte sie sich nur zusätzliche Schnitte an Gesicht und Pfoten hinzu.
„Es muss doch eine Möglichkeit geben, die Kontrolle über das Tier haben zu können.", murmelte ich, mehr zu mir selbst.
„Komm.", sagte Nyoko, sprang, bevor ich reagieren konnte und ignorierte was ich gesagt hatte.
Triumphierend fauchte Majikku und machte einen Satz auf mich zu, doch ich brachte mich mit einem hastigen Sprung auf den Baum, der mir am nächsten war, in Sicherheit.
Keuchend sagte ich zu Nyoko, die neben mir auf dem Ast stand:
„Du hättest mich wenigstens vorwarnen können...!"
„Du musst einfach besser aufpassen.", Erwiderte sie, ohne eine Spur von Reue zu zeigen und auch sonst ohne eine Gefühlsregung.
Plötzlich zog sich der schlanke Puma den Baum hoch und wir mussten hastig in die höhere Baumkrone fliehen.
Die Rinde splitterte unter ihren scharfen Krallen, die weißen Zähne hatte sie gebleckt, fest entschlossen, uns den Garaus zu machen. Ihr schlanker Schwanz peitschte durch die Luft und es gab einen lauten Knall, wann immer er an einen Ast schlug.
Sie folgte uns.

Eine Weile ging das so weiter, bis ich schon dachte, hier auf dem Baum getötet zu werden, bis auf einmal ein Zweig unter ihrer Pranke, von Wut viel zu schnell und schwer, nachgab und sie uns nicht mehr folgen konnte.
Wir hatten uns jetzt auf verschiedene Astgruppen im Baum verteilt, damit sie uns noch hielten.
„Weiß vielleicht einer von euch, was wir mit ihr machen? Noch will ich nicht zum Äußersten greifen.", sagte Aadil, laut genug, um Majikku zu übertönen.
Ich wusste, dass er ihren Tod meinte.
„Ich werde etwas versuchen. Aber sagt ihr bitte nichts."
Ohne auf eine Reaktion der Beiden zu warten, schloss ich die Augen.
„Majikku? Hör mir bitte zu."
„Wer soll Majikku sein...?", fragte diese mich, ein Fauchen in der Stimme.
„Du! Du bist-
„Lügner...! Elendiger Käfer...! Nichts als ein elendiger Mistkäfer...! Wo ist sie...?"
Ein Mistkäfer?! Unverschämtheit!
Mühsam versuchte ich, nicht die Beherrschung zu verlieren, vor Wut und Scham über ihre Respektlosigkeit. Doch das, was mich letztlich davor bewahrte, war nicht mein Wille, sondern die Bilder.
Die Raubkatze schien mehr mit Bildern, Sinneseindrücken und Gefühlen als mit Worten zu kommunizieren, das merkte ich von da an.
Ich spürte warmes Blut, den unbändigen Durst danach, hörte einen letzten schwachen Herzschlag, sah das offen darliegende Herz in der Brust eines Rehs und spürte das Blut, was mir dabei ins Gesicht spritzte. Ich spürte den nassen Waldboden unter meinen kleinen Pfoten, sah meine Mutter neben mir herlaufen, hörte ihren ruhigen Herzschlag, spürte die Aufregung, zum ersten Mal auf Jagd zu sein und den Stolz, als ich meine erste Beute erlegt hatte, ein Kaninchen.
Im nächsten Moment sah ich mich wieder mit meiner Mutter auf der Jagd - diesmal war ich größer, schneller und stärker - zum letzten Mal, bevor ich sie verlassen würde. Als nächstes angekaute Köpfe, zerrissene Organe und andere Dinge, die ich gar nicht sehen wollte.
Wenn ich nicht irgendwo ganz hinten in meinem Bewusstsein gewusst hätte, dass dies nicht meine eigenen Erinnerungen waren, wäre ich verrückt geworden, da war ich mir sicher.
Ich schluckte schwer, versuchte, dass was ich gesehen hatte zu vergessen und sagte, mit neuer Ernsthaftigkeit und Nüchternheit:
„Hör mir zu. Du bist Majikku Harakiri, vierzehn Jahre alt-
„Ich bin niemand anderes...! Sag mir, wo sie sind...!"
Ein wütendes Fauchen schnitt durch meinen Geist wie eine Klinge, das Bild von der Puma Mutter blitzte wieder in meinem Kopf auf.
„Es gibt keine Mutter, die ein Puma ist, du-
„Natürlich, pelzloser, stinkender Naturschänder...!"
Ich sein Bild, wie sie sich auf mich stürzte und mich zerfleischte, spürte, wie meine Knochen unter ihrem kräftigen Kiefer zerbrachen, wie trockene Zweige.
Angst machte sich in mir breit und damit Majikku sie nicht bemerkte, sagte ich herausfordernd:
„Dann sag mir Namen. Wie heißen sie? Wie viele wart ihr? Wie sahen sie aus? Und wie lange ist das her?"
Eigentlich war die Frage dazu dagewesen, die eine Falle zu stellen und ich war umso überraschender, als sie nach einer Weile sagte:
„Es gab jemanden... Alrand! Was hast du getan...!?"
Erst tauchte das Bild der Puma Mutter wieder auf, dann das Bild eines anderen schwarzen Pumas, der würzige Duft von Kiefernadeln stieg in meine empfindliche Nase, ich spürte die Aufregung dieser neuen Bekanntschaft und etwas anderes, was ich nicht ganz zuordnen konnte.
Ein Gefährte?
Plötzlich verschwand die Erinnerung, wie Nebel im Sonnenschein und zurück blieb nur meine eigene Persönlichkeit.
Mordlust ging von den Pumaweibchen aus, ich versuchte, sie zu ignorieren.
„Es gibt keinen-, setzte ich erneut an, wurde jedoch wieder von ihr unterbrochen.
„Schweig, Naturschänder...! Wenn wir jemals dort runterkommst, wirst du erbeutet wie Wild und dein Rudel auch...!"
Ich sah das Bild eines erdrosselten Elchs, der noch einmal gequält blökte, bevor er erschlaffte und sein Herzschlag verstummte.
Als ich die Bilder sah, in denen Nyoko zerfleischt wurde, konnte ich es nicht mehr mit ansehen, gab auf, öffnete die Augen und unterbrach so den Kontakt.
„Es hat nicht geklappt, oder?", fragte der Anführer besorgt, als ich mich wieder bewegte und somit zu erkennen gab, dass ich wieder da war.
Ich schüttelte den Kopf.
„Sie hört mir gar nicht zu. Irgendwie..."
Nach kurzem Zögern fuhr ich fort.
„Majikku scheint eine neue Persönlichkeit zu haben. Mit neuen Erinnerungen, mit einem anderen Puma und Erfahrungen, die sie gar nicht haben dürfte."
Ich hatte die Bilder von zerrissenen Tieren immer noch vor meinem inneren Auge und schüttelte wieder den Kopf.
Nachdenkliches, aber auch bedrücktes Schweigen herrschte.
Nach einer Weile sagte Nyoko, langsam und zögernd, was selten vorkam:
„Ich hätte da eine Theorie..."
Der Anführer und ich horchten auf.
„Ach ja?", fragte Aadil interessiert.
„Aber zuerst muss ich sie überprüfen. Sie könnte ja schließlich falsch sein. Zuerst jedoch, werde ich versuchen, Majikku wieder zu beruhigen. Wenn ich es schaffe, erweist sich meine Idee als wahr, wenn nicht, dann nicht. Und hofft, dass sie falsch ist.", fügte sie noch hinzu, was meine aufgewühlten Gedanken und meine blank liegenden Nerven nicht gerade beruhigte.
Sie schloss die Augen, bevor einer von uns auch nur protestieren oder zustimmen konnte.
Ich sah hinüber zu dem Anführer und schüttelte verärgert den Kopf.
Hab Verständnis., formten seine Lippen lautlos, dann fixierten seine braunen Augen ihren Rücken.
Ich schnaubte.
Verständnis? Für was?

Minuten verstrichen, während wir drei wie merkwürdige Vögel auf dem Baum hockten.
Auf einmal bemerkte ich, dass Majikku nicht mehr fauchend versuchte, uns zu erreichen, sondern regungslos in den Ästen verharrte, ihre gelbgrünen Augen glasig, nur ihre Schwanzspitze zuckte gelegentlich.
Ich sah zu der vollkommen in schwarz gekleideten Person hinüber, doch ihre Lider verbargen immer noch ihre blutroten Augen.
Wieso redet sie denn immer noch mit Majikku? Sie ist doch ruhig...

Doch immer weitere Minuten verstrichen, in denen nichts geschah.
Fragend blickte ich erneut zu Aadil herüber, doch der zuckte nur mit den Schultern.
Ich versuchte, eine bequemere Haltung auf dem Ast zu finden und Saile schlug mit einem dumpfen Aufprall gegen diesen.
Der Anführer und ich fuhren zusammen und ich hätte mich bei ihm entschuldigt, hätte Majikku nicht plötzlich wieder angefangen, um sich zu schlagen.
Warum ist sie jetzt wieder wütend? Was macht Nyoko da? Verdammt, warum kann sie nicht einfach mal sagen, was genau sie machen will?!
Der Schlüssel jaulte und fauchte einer Lautstärke, dass auch die letzten Vögel in den umliegenden Baumkronen flohen
Kurz dachte ich an die Neko, was sie wohl von der Geräuschkulisse hielten, doch im nächsten Moment bohrte sich wieder die Stimme des Pumaweibchens in meinem Kopf und verdrängte alle anderen Gedanken.
„Stirb...! Stirb, Brudermörder...! Mörder! DU warst es!"
Das Bild des Leichnams der Puma Mutter, die brennende Wut und Trauer und ein kaum wahrnehmbar Geruch, nicht definierbar, aber ohne jeden Zweifel von dem Mörder, das wusste ich instinktiv.
„Du hast sie getötet! Ich weiß, dass du es warst, ich kann es riechen! Dafür wirst du büßen, das schwöre ich! STIRB, Mörder meiner Mutter!"
Majikku, nein eher der Puma, machte einen gewaltigen Satz, erwischte einige Strähnen von Nyoko's Haar, das zwar unter dem Ast hing auf dem sie saß, sie aber dennoch aus dem Gleichgewicht brachte.
Während der Puma vom Baum herunterfiel, nur Purzelbäume schlagend, bei dem Versuch seinen Sturz aufzuhalten, schwankte Nyoko gefährlich, die Augen immer noch geschlossen vor Konzentration.
Redet sie denn immer noch mit ihr? Warum können wir hören, was der Puma sagt, aber nicht, was Nyoko antwortet? W-
ich vergaß meine Frage, als Majikku gegen den Baumstamm krachte, was den ganzen Baum zum Erbeben brachte.
Das an sich war nicht sonderlich schlimm, denn der Anführer und ich konnten uns problemlos ausbalancieren, doch Nyoko brachte dieser Aufprall endgültig aus dem Gleichgewicht.
Sie machte sich nicht die Mühe, sich festzuhalten, sie schien nicht einmal zu merken, dass sie fiel, die Augen immer noch geschlossen, ihr Haar flatterte wie ein schwarzes Tuch um sie herum.
Ich sprang.
Gerade noch packte ich ihren linken Arm und landete mit einem dumpfen Krachen auf einem noch intakten Arzt im unteren Teil der Baumkrone. Im nächsten Moment ging ein solcher Ruck durch meine Arme, dass sie einen Moment lang ganz taub wurden und ich Nyoko beinahe fallen gelassen hätte.
Ich hörte das leise Klirren von Metall auf Metall und sah mich um, erwartete einen Angriff, konnte aber weder mein Schwert ziehen noch ausweichen.
Doch der Angriff kam nicht.
Irritiert wollte ich Nyoko hochheben, als ich bemerkte, dass der linke weite Ärmel ihres Kleides heruntergerutscht war. Um ihren Oberarm waren alte, zerfledderte Stofflappen gebunden und am hinteren Ende, also in Richtung Schulter, schauten drei Ketten heraus.
Und noch etwas fiel mir auf, doch bevor ich genauer nachsehen konnte, was dort Ungewöhnliches war, rief Aadil von oben zu mir herunter:
„Ist alles in Ordnung? Hast du sie?"
Mit einem Ruck zog ich Nyoko in meine Arme, den Ärmel schob ich wieder hinunter, plötzlich war mir unangenehm, sie so ungeniert zu betrachten.
Immerhin war sie so etwas wie meine Schwester. Wenn es etwas gab, was sie mir nicht zeigen wollte, warum auch immer, dann musste ich das respektieren und nicht ihre Wehrlosigkeit in einem Moment der Neugier ausnutzen.
„Ja, alles in Ordnung. Ich habe sie."
Ich sprang wieder auf meinen ursprünglichen Ast, der sich unter dem neuen Gewicht gefährlich bog, aber hielt. Auf einmal unsicher, sah ich zu dem Anführer herüber und lächelte leicht.
Was jetzt? Sollten wir warten, bis Nyoko wieder die Augen aufschlug? Sollten wir Majikku töten? Oder sollten wir etwas ganz anderes tun? Wenn ja, was? Oder sollten wir gar nichts tun?
Aadil runzelte die Stirn und jetzt begriff ich, dass er die Unsicherheit in meinen Augen sehen konnte, denn die Kapuze war heruntergefallen.
„Was ist, Elias?"
Ich deutete abweichend mit dem Kinn in Richtung des Pumas, der sich gerade wieder aufrappelte, sich aber nicht gleich wieder auf dem Baum stürzte, sondern am Boden kauern blieb. Er fauchte, seine gelbgrünen Augen glühten und sein Schwanz peitschte ununterbrochen von einer Seite zur anderen.
„Was machen wir jetzt? Müssen wir sie töten?"
Der muskelbepackte Mann schüttelte den Kopf.
„Nein. Wir warten auf Nyoko's Urteil. Ich habe vollstes Vertrauen in ihre Fähigkeiten. Sie weiß, was sie tut."
Zorn weilte in mir auf, ich hasste es, einfach nur abzuwarten während andere arbeiteten. Doch ich wagte es nicht, zu widersprechen. Also packte ich stattdessen widerwillig gehorchend, in angemessenem Respekt den Kopf, während ich mich immer wieder fragte, wie lange wir wohl noch warten mussten.

Weitere Minuten verstrichen und langsam wurde ich ungeduldig. Zu meinem Erstaunen und meiner Befriedigung musste ich feststellen, dass es nicht nur mir so ging.
Aadil verlagerte sein Gewicht immer häufiger von einem Bein auf das andere, sein Blick hing länger an Nyoko, bevor wieder Majikku musterte oder in Gedanken versank.
Ich schrak zusammen, als die Raubkatze sich schüttelte und rief:
„Nein, das ist nicht wahr! Das kann nicht... Wer... Nein! Lügnerin!"
Sie jaulte auf, ihre Augen plötzlich strahlend blau, dann brach sie zusammen.
Als ich Luft holte, um Aadil zu fragen, ob er jetzt zu Majikku gehen würde, spürte ich auf einmal ein Augenpaar, das mich unergründlich beobachtete.
Nyoko war wieder da, das wusste ich, auch ohne nach unten zu sehen.
„Hat es geklappt?", fragte ich, ohne hinabzuschauen.
Ohne ein Wort sprang sie von meinen Armen, blieb einige Sekunden auf dem Ast, um das Gleichgewicht zu halten und sprang schließlich vor den Puma, genau in dem Moment, in dem er sich zurück verwandelte.
Kurz erhellte ein Licht, heller, als jede Fackel oder Lampe das Dunkel der Nacht, dann versank alles wieder in tiefster Schwärze.
„Ich brauche Ersatzkleidung.", rief Nyoko die Baumkrone empor.
Ich runzelte die Stirn.
Wofür brauchte sie den jetzt Ersatzkleidung?
Doch Aadil schienen zu verstehen, denn verschwand kurz, bevor er mit dem Gebetenen zurück kam, dass zu klein war, als dass sie Nyoko meiner Meinung nach passen konnte.
Immer noch begriff ich nicht, was hier vor sich ging, bis sie plötzlich einen ihrer Dolche nach mir warf.
Nur mit Mühe konnte ich ausweichen und funkelte sie wütend, aber auch erschrocken an, Saile schon halb aus der Scheide gezogen.
„Was sollte das denn jetzt?!"
„Dreh dich um."
Es war keine Bitte, sondern ein Befehl und ich zuckte bei der Härte und Kälte ihrer Stimme zusammen. Erst da fiel mir ein, dass Majikku, wieder einmal, keinen Fetzen Kleidung am Leib hatte.
Kurz sah zum Anführer hinüber, eine leichte Röte auf den Wagen, doch der hatte Nyoko und Majikku bereits den Rücken zugewandt und es war unmöglich zu erkennen woran oder was er dachte.
Hastig drehte ich mich um, streifte mir die Kapuze über den Kopf und vergaß vor lauter Scham beinahe meinen Ärger auf Nyoko.

Einige Minuten hörte man nichts als das Rascheln von Klamotten, bis diese sagte:
„Ich bin fertig."
Erleichtert drehte ich mich um und gesellte mich, zusammen mit Aadil, zu Nyoko, die Majikku vollständig angezogen und an einen Baum gelehnt hatte, ihr Kopf lag auf ihrer linken Schulter. Sie trug eine einfache braune Wollhose und ein Wollhemd, darüber ein knielanger, schlichter schwarzer Mantel.
„Was ist passiert?", fragte diese plötzlich, richtete ihre blutroten Augen auf mich und ich musste mich gewaltig zusammenreißen, um ein Schaudern zu unterdrücken.
Sie klang kalt wie Eis.
Da war er wieder, der eiskalte, schwarze Engel, den jeder zu fürchten hatte, auch ich.
„Was genau meinst du? Du müsstest es doch am besten wissen, schließlich hast du mit Majikku geredet."
Wortlos sah sie von sich zu mir, eine Augenbraue hochgezogen.
Ich wurde rot und verfluchte mich innerlich dafür.
Was? Warum ist mir das denn so peinlich? Ich habe noch gar nichts gemacht.
„Majikku ist heruntergefallen und so oft gegen den Baumstamm gekracht, dass du auch heruntergefallen bist. Da habe ich dich aufgefangen."
Sie erwiderte nichts, betrachtete mich lediglich. Ich konnte nicht erkennen was sie dachte und das Rot auf meinen Wangen vertiefte sich, doch ich vermied es, noch etwas zu sagen, um mich nicht noch lächerlicher zu machen.
„Hast du es geschafft?", fragte ich erneut, weil ich von der Situation ablenken wollte, es mich aber auch interessierte.
„Ja."
Ein trauriger, designierter Unterton schwang kaum hörbar in ihrer Stimme mit, was mich wunderte.
„Und?", fragte ich also, meine Verwunderung über diesen Unterton deutlich hörbar.
„Wie lautet deine Theorie? Warum hat Majikku so komische Sachen gesagt und warum hat sie andere Erinnerungen? Weißt du, was sie mit ‚Brudermörder' gemeint haben könnte? Hast du denn überhaupt den Puma getötet? Wenn ja, warum?"
Ich glaubte zwar nicht, dass sie auf eine der letzten beiden Fragen antworten konnte, aber ich wollte Gewissheit.
Nyoko erblasste.
Ich stutzte.
„Ist alles in Ordnung, Nyoko? Du siehst so blass aus.", fragte Aadil besorgt, bevor ich es konnte.
Einen Moment schwieg sie, sah uns nur in die Augen, als nähme sie uns gar nicht wahr oder sie suchte etwas darin.
Als sie jedoch nichts zu finden schien oder damit zufrieden war, was sie sah, schüttelte sie den Kopf.
Sie schloss die Augen und massierte sich die Schläfen.
„Meine Theorie ist bestätigt. Ihr wollt sie hören, nicht wahr?"
„Ist es denn irgendwie anstrengend gewesen oder warum bist du so blass?", fragte ich, immer noch besorgt, besonders, da sie versuchte von sich abzulenken.
Nyoko schaute weg, ihre langen, schwarzen Haare verbargen ihr Gesicht.
„Du hast mir das Leben gerettet. Ohne dich hätte ich mir wahrscheinlich alle Knochen im Leib gebrochen oder Majikku hätte mich erwischt. Ich werde mich irgendwann dafür revanchieren, das verspreche ich dir."
„Kannst du nicht einfach nur auf eine Frage antworten?", fragte ich, er resigniert als wütend.
Der Engel wirkte mit einem Mal zerbrechlich, verstärkt dadurch, dass er sich an einem Baumstamm herabsinken ließ, das Gesicht immer noch hinter einem dichten Schleier aus Haaren verborgen.
Doch ich wusste, dass sie mir den Kopf abreißen würde, wenn ich jetzt noch irgendeinen Kommentar in dieser Richtung abließ.
Sie starrte in die Ferne und als sie anfing zu erzählen, klang ihre Stimme seltsam monoton, als berichtete sie von Dingen, die einem anderen widerfahren waren.
„Weil ich selbst schon damit Bekanntschaft gemacht hatte, wusste ich, wie sie sich fühlte. Ich wusste, wie es war, seinem Bewusstsein, seines Charakters, seiner Persönlichkeit beraubt zu werden, an dessen Stelle ein blutrünstiges Tier trat. Ich ahnte, dass mehr dahinter steckte. Wie sonst konnte ein Tier, ein Wesen, das nur von seinen Instinkten und Gefühlen geleitet wurde, meine Persönlichkeit, mich, lückenlos ersetzen?"
Nyoko machte eine Pause, doch trotz der brennenden Fragen, die Aadil und ich hatten, schwiegen wir beide, in stiller Übereinkunft, ihren Redefluss jetzt bloß nicht zu unterbrechen.
Sie seufzte.
„Nun, die Antwort ist denkbar einfach:
Weil dieses Tier eine eigene Persönlichkeit hat. Ein eigenes Leben. Hatte."
Jetzt konnte ich nicht mehr an mir halten und fragte:
„Hatte?", bevor ich mich bremsen konnte.
Dafür erntete ich einen vernichtenden Blick von Aadil.
Doch sie schien mich gar nicht gehört zu haben.
„Ein eigenes Leben. Arme Seelen, Verstorbene, die so verzweifelt versuchen, doch noch weiterzuleben. Ich frage mich, ob wir das überhaupt noch machen sollten. So geben wir ihnen die Hoffnung auf ein neues Leben und müssen ihre Seele erst erneut in den Tod schicken, um unsere eigene Persönlichkeit zu behalten. Oder wir lassen sie leben und geben unser eigenes auf. Damit macht man sich zum Richter zwischen Leben und Tod. Stellt ein Leben über das andere."
Nyoko hielt inne.
Ich schauderte.
Nur zu gut konnte ich mir vorstellen, dass man daran zerbrechen konnte.
„Ich meine, wenn der Eine stirbt, sollte der Andere leben dürfen?"
Sie klang immer noch monoton, trotzdem wandte ich mich unruhig, denn sie traf den Nagel auf den Kopf.
„Andererseits ist es wahrscheinlich die beste Methode, den wahren Charakter eines Menschen herauszufinden. Stellt sich über andere oder unterwirft er sich widerspruchslos? Ist er stark genug, um sich gegen das Tier zu wehren? Gibt er schnell auf oder besitzt er Durchhaltevermögen? Ist eine unschuldige Seele oder hat er etwas auf dem Kerbholz?"
Wieder hielt sie inne, während ich betroffen schwieg.

Erst nach einer Weile sagte Nyoko:
„Ich habe Majikku's Persönlichkeit hervorgebracht und den Puma zurückgeschlagen. Aber darüber zu richten, wer stirbt, ist nicht meine Aufgabe. Das muss sie selbst tun. Ich kann nur sagen, dass ich das nicht noch einmal machen werde. Denn wie ich es gemacht habe, ist... nicht gerade vertrauenerweckend. Und niemand würde dieser Methode zu bestimmen, um ihn zurückzuholen. Zwar funktioniert meine Methode, aber niemand wird sie freiwillig machen. Also müssen wir uns etwas Neues überlegen."
Plötzlich stand sie auf, sagte:
„Ich empfehle mich.", und verschwand binnen eines Augenblicks im Dunkel der Nacht.
Verdutzt starrte ich ihr hinterher.
Dann verwandelte sich mein Unglaube in Wut, ich stieß unwirsche Flüche aus und hieb mit der Faust gegen einen kleinen Stein.
Er zerbrach.
„Diese Nyoko! Sie kann doch hier nicht einfach abhauen! Denkt sie denn nie an die Neko?! Wir-
„Junge!", donnerte Aadil.
Überrascht, und auch ein wenig eingeschüchtert hielt ich inne.
Plötzlich fühlte ich mich in die Zeit zurückversetzt, als ich noch begierig von ihm als ein Schüler gelernt und mir mal wieder seinen Zorn zugezogen hatte.
„Ja, Meister?", fragte ich deshalb kleinlaut.
Im nächsten Moment schalt ich mich selbst dafür.
Ich war nicht mehr sein Schüler, also musste ich mich nicht mehr vor ihm in den Staub werfen!
Aber,, wies mich eine kleine Stimme in meinem Inneren zurecht,
er ist immer noch dein Anführer. Also behandle ihn mit dem nötigen Respekt.
Jaja., brummte ich zurück.
Die Stimme schwieg.
„Mäßige deine Zunge! Du weißt nicht einmal im Ansatz, wie viel sie für die Neko und dich schon getan hat. Du hast nie das Feuer gesehen, was in ihren Augen brannte, als ich ihr vor Jahren vorschlug, gemeinsam mit mir gegen die Karasu zu kämpfen. Und solange das nicht gesehen hast - solange du jemanden so wenig kennst wie sie – maße dir nicht an, über sie in ihr Verhalten zu urteilen!", riss mich mein ehemaliger Mentor zurück in die Gegenwart.
Reden ist Silber, Schweigen ist Gold.
Natürlich kannte ich dieses Sprichwort, doch ich hatte es nie wirklich beherzigt, noch ahnte ich etwas von seinem Wahrheitsgehalt.
„Feuer? Welches Feuer?! Verdammt noch mal, behalt' deine blöden Metaphern für dich! Ich bin nicht mehr dein Schüler, also denk' nicht, dass ich dir diesen Unsinn glaube! Falls es dir einmal aufgefallen ist, empfindet Nyoko nie etwas, ganz zu schweigen von einem Feuer in den Augen! Immer macht sie das, was ihr gerade passt, lässt sich mit einem Befehl geben, der ihr nicht passt, ist immer unhöflich und tadelt, wo sie nur kann! Sie ist egoistisch, denkt immer zuerst an sich und ihre komischen Spielchen und erwartet, dass man bei ihrer Maske widerspruchslos mitspielt! Meist führt sie sich selbst auf wie eine Anführerin und handelt nach ihrem eigenen Rechtsprinzip und nach eigenem Gutdünken! Selbst bei Majikku in diesem Karasu handelt sie nur so, wie sie es für richtig hält, ohne an jegliche Konsequenzen denken!"
Ich holte tief Luft und wollte gerade fortfahren, als Aadil plötzlich auf mich zu sprang, Lidaa hoch erhoben, so schnell, dass mir kaum Zeit für eine Reaktion blieb.
Ich hechtete zur Seite, parierte den seitlichen Stoß mit dem fast augenblicklich gezogenen Saile und hielt mir die rechte Schulter. Denn obwohl ich den Stoß hatte parieren können, war er mir dennoch schon so nah gewesen, dass die Klinge mein Fleisch gedrückt hatte.
„Und?", fragte plötzlich Aadil, bevor ich mich fragen konnte, was um Himmelswillen in ihn gefahren war.
Er stand ein wenig hinter mir und hielt sich ebenfalls die rechte Schulter.
„Hast du in diesem Moment etwa an mich gedacht? Darüber, wie stark du deinen Anführer verletzt haben könntest?"
Ich wollte etwas erwidern, was das jetzt mit Nyoko zu tun hatte, doch er fuhr schon fort:
„Nein. Natürlich hast du nicht darüber nachgedacht. Es ging dir nur um dich. Dass das Instinkt war, Reflex war, willst du sagen. Vielleicht. Aber es war auch der Egoismus, den du Nyoko so schön nachsagst. Und ist dir eigentlich je in den Sinn gekommen, dass sie auch Instinkte und Reflexe besitzt?"
Mit diesen Worten ließ er mich wie vor den Kopf gestoßen zurück.
Einen Moment starrte ich noch auf Saile's glänzende Klinge ohne sie wirklich zu sehen, dann schob das Schwert blutig in seine Scheide zurück, bereits tief in Gedanken versunken.
War das denn wirklich so? Handelte sie wirklich so sehr aus Reflex und Instinkt? Und was bitteschön hatte sie für die Neko getan, außer wie jeder andere mitzukämpfen, lediglich mit etwas mehr Talent?
Ich hatte nicht den blassesten Schimmer.
Seufzend musste ich mir eingestehen, dass sowohl Majikku, als auch Aadil gesagt hatten.
Ich kannte sie wirklich nicht. Mit einer gewissen Selbstverständlichkeit war tagein tagaus zu ihr gegangen, wenn ich sie denn fand und da sie immer Zeit für mich gehabt hatte, hatte ich das Gefühl gehabt, dass sie mich verstand. Jetzt musste ich feststellen, dass ich dieses Verständnis mit Kennen gleichgestellt hatte. Und, fiel mir zu meinem Leidwesen auch noch auf, dass nur weil sie nicht ‚kannte', hieß das noch lange nicht, dass ich sie verstand oder kannte.
Was war ihre Lieblingsfarbe? Schwarz vielleicht? Wie alt war sie? Achtzehn, neunzehn oder doch schon über zwanzig? Wie lautete ihr Nachname?
Verdammt, nicht einmal solche Sachen wusste ich von ihr, ganz zu schweigen von Hobbys oder gar ihrer Vergangenheit.
Nein, das Einzige, was ich von ihr wusste, war ihr Vorname, ihre frühere Waffe, der Langbogen, ihre jetzige Waffe, die Klingen und ihr außergewöhnliches Kampfgeschick. Aber das wusste auch jeder andere von den Neko.
Frustriert über meine eigene Selbsttäuschung in Bezug auf Nyoko und auch weil Aadil und Majikku Recht behalten hatten, hieb ich wieder einmal gegen einen Stein. Er hielt stand und das Einzige, was mir die Aktion einbrachte, waren Schürfwunden an meinen Fingerknöcheln.
Knurrend vor Unmut, schaute ich mich nach dem Anführer um, um zu sehen was er vorhatte. Hoffentlich würde mich das ablenken.
Aadil hockte vor Majikku und musterte sie schweigend, die braunen Augen gedankenverloren ins Leere gerichtet.
Mühsam schluckte ich meinen Stolz herunter - wie so oft meinem Mentor gegenüber - und kniete mich neben ihn, betrachtete mit einer gewissen Neugierde das Mädchen vor mir.
Sie hatte langes, blondes Haar, eine helle Haut, war schlank und hatte weibliche Proportionen, besaß ein schmales Gesicht mit hohen Wangenknochen, einer kleinen Nase, schmale, rosane Lippen und ein kleines, rundes Kinn.
Was genau unterschied sie eine zwischen anderen Mädchen in ihrem Alter? Was machte sie so beson-, äh anders?
Ihre Behinderung? Sicher, das war nichts Alltägliches, aber war das wirklich das Ausschlaggebende der Schlüssel der Prophezeiung? War sie es deswegen?
Ich bezweifelte es, schließlich gab es noch andere Mädchen mit Behinderung auf dieser Welt.
Das Mal der Schützin? Was war es überhaupt? Ich wusste ja, dass es laut der Prophezeiung das war, woran man sie erkennen konnte. Aber wer sagte denn, dass es nicht auch gemalt, aufgeklebt oder unter die Haut gestochen worden war? Zumindest, wenn ich Nyoko glauben konnte. Ich stelle es mir ziemlich schmerzhaft vor, mir Farbe unter die Haut stechen zu lassen, so, wie sie es geschrieben hatte.
Als was zeichnete sie das Mal aus, außer als Schlüssel? Als Bogenschützin, aber sonst? Ich meine, es musste irgendeinen Grund geben, warum gerade sie das Mal besaß, sonst hätte es ja jeder haben können. Was war das bloß? Und wann und wie hatte sie das Mal bekommen? Warum hatte sie es nie bemerkt, ihren überraschten Blick damals nach zu urteilen?
Fragen über Fragen.
Ich wollte zwar Antworten, aber mir war auch klar, dass - wenn sie mir jemand geben konnte - es höchstens Majikku oder Nyoko waren. Und ich war nicht gerade erpicht darauf, mit einer von ihnen zu sprechen, mal abgesehen davon, dass sie wahrscheinlich sowieso nicht mit der Sprache herausrücken würden.
Meine Wut war noch nicht verraucht, sodass zusätzlich zu meinem Hohn, meiner Verachtung und dem Sarkasmus auch mein Zorn deutlich zu hören war, als ich sagte:
„Ich nehme mal an, dass du Nyoko in- und auswendig kennst und ich ein egoistischer, blinder Idiot sein muss, wenn du das sagst. Oder hast du das nur aus einer Laune heraus gesagt? Dann wärst du ein noch größerer Narr als ich, zu hoffen, dass ich es dir dann abkaufe."
„Wie ich sehe, hast du verstanden, worauf ich hinaus will.", antwortete der Anführer, vollkommen ruhig und beherrscht, ging aber ansonsten nicht auf meine Äußerung ein.
Er stand auf und ging zu dem zerbrochenen Käfig hinüber, zumindest vermutete ich das, denn ich sah nicht auf.
„Sie muss Magie verwendet haben, um ihn zu zerstören, was wahrscheinlich auch dazu geführt hat, dass ihre Augen kurz blau wurden, denn nicht einmal drei steigende um sich tretende Pferde konnten ihn beschädigen."
Er schwieg kurz, doch als offenkundig wurde, dass ich nicht willens war zu antworten, fuhr er fort:
„Entweder wir beenden den Test für heute-
Ein Teil meiner Anspannung löste sich-
„oder wir machen ohne Käfig weiter."
„Nein.", erwiderte ich, fast zu leise für Aadil, der kaum zwanzig Schritte entfernt von mir stand.
„Nein!", wiederholte ich, diesmal lauter.
„Das ist viel zu riskant! Nyoko ist die einzige, die weiß, wie man-
Ich stockte kurz, auf der Suche nach den richtigen Worten-
„wie man unsere menschliche Seite erhält und sie hat gesagt, dass sie es nicht wieder tun wird! Die, die sonst noch etwas wissen könnte, holt sich gerade gemächlich den Schlaf, den wir eigentlich alle brauchen! Und jetzt ist auch noch der Käfig in Schutt und Asche gelegt, der das war, was mir das Raubtier am ehesten vom Leib ferngehalten hätte, Majikku einmal außen vor gelassen. Nein, das wäre Selbstmord!"
Angst stieg wie Galle mir auf, sodass ich nicht darauf achtete, ob es höflich war, was ich da sagte oder nicht.
„Warum versuchst du es denn dann nicht?"
Er klang immer noch ruhig und gelassen, ja, sogar erheitert, als sei das Ganze nur ein Spiel.
„Ich?!", quäkte ich, einige Oktaven zu hoch.
Ich lasse mich ganz bestimmt nicht von irgendeinem Toten Tier umbringen! Nicht, nachdem das Tier passiert ist!
„Genug.", sagte plötzlich jemand, bevor Aadil oder ich noch etwas sagen konnten.
„Das reicht. Zumindest für heute."
Majikku hatte die Augen aufgeschlagen und strich sich eine Haarsträhne zurück, Müdigkeit stand ins Gesicht geschrieben.
Hastig stand ich auf und brachte eine angemessene Distanz zwischen sie und mich, während Aadil an meine Seite trat.
Bei etwas anderem hätte ich wahrscheinlich ob des fast nicht hörbaren Befehls in ihrer Stimme protestiert, doch jetzt war ich unsagbar froh, diese Worte zu vernehmen.
„Warum, Schlüssel?"
Aadil klang nicht wütend, irritiert oder enttäuscht, lediglich neugierig.
„Es wäre zu gefährlich, jetzt noch ein Versuch mit einem von euch zu starten, solange ich-
Sie zögerte kurz-
„solange wir keine Lösung dafür gefunden haben und ich bin zu müde, um es jetzt noch einmal zu versuchen."
Eine kurze Pause entstand.
„Einer mangelnden Verwirrung nach zu schließen, hat es Nyoko euch gesagt. Wo ist sie überhaupt und was genau hat sie euch erzählt?"
Aadil antwortete, er ahnte wahrscheinlich schon zurecht, dass ich wieder einmal kurz davor war, zu explodieren.
„Sie hat gesagt, dass die Tiere, in die man sich verwandelt, existiert haben und so versuchen, wieder zu leben. Außerdem meinte sie, dass entweder der Mensch oder das Tier sterben müsse und dass man sich damit zum Richter macht, weswegen sie an dieser Methode zweifelt. Du müsstest noch den Puma besiegen, hat sie gesagt und dass sie niemanden wieder so zurückholen wird wie dich."
Zornesfalten entstanden in ihrem Gesicht.
„Und dann hat sie sich empfohlen.", fügte ich, nicht ganz ohne Wut in meiner Stimme, zu.
„Nyoko täte gut daran, sich an ihr Wort zu halten.", sagte sie, eher zu sich selbst, fast zu leise für meine Ohren.
Lauter sagte sie:
„Wie immer sagt sie nur das Nötigste und langsam glaube ich zu verstehen, warum. Euch ist nicht zufällig noch etwas Nützliches eingefallen?"
Sarkasmus klang in ihrer Stimme durch, ebenso wie Resignation.
Wir schüttelten die Köpfe.

Eine Weile hörte man nichts, außer den Geräuschen des Waldes, jeder war in seine eigenen Gedanken versunken.
„Also ehrlich, ich kann nicht nachvollziehen, wie ihr das tagein tagaus machen könnt.", ergriff der Schlüssel als Erster wieder das Wort.
Aadil hob eine Augenbraue.
„Was?"
Majikku machte eine ausschweifende Geste.
„Na, was macht ihr denn den lieben langen Tag? Trainieren, nehme ich mal an. Trainieren für den Tag, an dem wir wieder einmal gegeneinander kämpfen müsst. Doch warum kämpft ihr? Wofür? Wieso lasst ihr zu, dass sie euch nach ihrer Pfeife tanzen lassen?"
Plötzlich war sie wieder hellwach musterte uns aufmerksam.
Ich konnte ihrem durchdringenden Blick nicht standhalten, sondern starrte stattdessen auf meine Stiefelspitzen, etwas, was sie nicht sehen konnte, dank meines Mantels.
Langsam begann ich nämlich auch an Sinn und Zweck dieser Kämpfe zu zweifeln, doch als ich es bemerkte, riss ich mich sofort wieder zusammen.
Das Mädchen wollte lediglich nicht kämpfen, wollte nicht töten, das war alles. Doch sie würde es müssen, so wie ich es hatte tun müssen, obwohl ich es nicht wollte.
Natürlich würde sie es müssen. Denn wenn es nicht tat, wenn sie sich doch noch weigerte, an unserer Seite zu stehen, wenn der Krieg losbrach, waren all diese Jahre des Trainings, war mein bisheriges Leben, umsonst gewesen.
Als hätte sie meine Gedanken gelesen, fuhr Majikku fort:
„Versteht mich nicht falsch, aber das der einzige Grund, warum die Neko existieren? Um Krieg gegen die Karasu zu führen? Und muss dieser Krieg wirklich sein? Ich will nicht grundlos zum Mörder werden. Fest steht, dass - wenn ich bleibe - ich lieber an eurer Seite kämpfen will, wo ich Vorschläge machen, helfen, planen und mich auch mal weigern kann, als bei dem Versuch euch zu entkommen den Karasu in die Arme zu laufen. Denn die würden mich nur als Mittel zum Zweck sehen wir keine Entscheidung lassen doch bitte gebt mir einen triftigen und wohl überlegten Grund, für euch, an eurer Seite, zu töten."

Eine lange Zeit sagte keiner auch nur ein Wort, Majikku musterte uns immer noch, das spürte ich und ich hatte das Gefühl, dass sich etwas zwischen uns geändert hatte, bis der Anführer sagte:
„Du musst wissen, dass deine Fragen ziemlich dreist waren, Mädchen."
Überrascht sah ich auf.
Majikku zuckte zusammen, senkte aber weder den Blick, noch entschuldigte sie sich.
Der muskelbepackte Hüne neben mir seufzte.
„Aber als Schlüssel hast du ein Recht darauf Antworten."
Ihr Gesicht wurde hart und ich ahnte, dass sie sich auch nicht mit weniger zufrieden gegeben hätte.
„Also eine Frage nach der anderen. Du hast Recht, wir trainieren, jedoch tun wir das nicht täglich. Wir kämpfen lediglich zur Verteidigung unserer Organisation und unseres Zuhauses und wir tanzen nicht nach ihrer Pfeife, zumindest nicht freiwillig. Wie d-
„Und wenn ihr euch doch nur verteidigt, warum kämpft ihr denn dann noch? Warum greifen euch die Karasu wieder und wieder an? Warum hassen sie euch so?"
Ich holte schon Luft um sie anzufahren, still zu sein wenn sie Antworten haben wollte, sowas machte mich immer fuchsig, egal wer das tat, als Aadil antwortete:
„Das wollte ich gerade sagen, Schlüssel. Können wir uns darauf einigen, dass du deine Fragen hinterher stellst, wenn sie dann noch offen sind?"
Sie nickte.
„Wie du sicherlich schon von Taurus gehört hast,-
Ich erkannte tatsächlich denselben Satzanfang wie zuvor wieder-
„wirft man uns vor, ein Kind gestohlen zu haben. Ich kann ihren Zorn verstehen, ich bin mir sicher, dass ich auch meine verbittertsten Feinde zuerst verdächtigt hätte, wenn sich nicht das Gegenteil beweisen ließe, jedoch ist mir vollkommen unklar, warum sie neun Jahre daran festhalten. Es mag ja sein, dass sie immer noch keine Spur von ihm gefunden haben, aber das ist schon so lange her. So viele sterben, so viel Leid entsteht völlig grundlos. Und ich kann nichts tun, um sie von unserer Unschuld zu überzeugen."
Der Anführer wirkte ehrlich betrübt.
„Mir fallen genau drei Gründe für ihr Handeln ein:
Erstens, sie haben Beweise für eure Schuld gefunden-
„Das kann nicht sein, weil wir doch gar keine Schuld tragen!", fauchte ich sie an.

Nicht zu fassen! Nicht einmal sie glaubt uns!
Vollkommen ruhig erwiderte Majikku:
„Vielleicht ist es euch ja gar nicht bewusst."
„Wie soll man denn ‚unbewusst' ein Kind stehlen oder entführen?"
Jetzt klang selbst Aadil ungehalten, doch das Mädchen ließ sich nicht beirren:
„Menschen sehen Dinge und Menschen übersehen Dinge. Ein Mensch die Dinge anders als ein anderer. Was meint ihr, warum es Streitereien gibt?"
Nun klang sie wieder müde.
„Beruhigt euch. Ich versuche doch nur, die Dinge als Außenstehende zu betrachten."
„Du stehst nicht außen! Du kennst für uns!", platzte es aus mir heraus.
In mir brodelte es.
Sie wagte viel. Sie stellte alles und jeden infrage, war unverschämt und direkt, ganz anders als die anderen Neko.
Eine kleine Stimme in mir sagte, dass das vielleicht einer der Gründe war, weshalb gerade sie der Schlüssel war, doch ich ignorierte sie.
„Ach ja?"
Sie hob eine Augenbraue.
„Wie ich sagte, ihr braucht eine überzeugende Begründung, damit ich für euch töte. Noch stehe ich nicht an eurer Seite, auch wenn ihr und die Neko das vielleicht so sehen mögen. Und solange ich das noch nicht tue, betrachte ich die Dinge als Außenstehende, höre mir eure Gründe an, schaue mir die tatsächliche Lage an, werde vermutlich beim ersten Kampf nur zu sehen, bilde mir aus diesen Dingen meine eigene Meinung und entscheide dann, ob ich gehe oder bleibe. Außerdem erwarte ich, dass ihr mir meine Fragen ehrlich beantwortet."
Eine Spur Härte war in ihrer Stimme zu hören.
Irritiert verfolgte ich ihre Stimmungsschwankungen, hielt jedoch den Mund, aus Angst, sie durch eine unbedachte Bemerkung gegen uns aufzubringen. Immerhin konnte sie jetzt wirklich gehen, durch ein Pferd, dass wir ihr gegeben hatten.
„Na schön. Ich fürchte, dass uns so oder so nichts anderes übrig bleiben wird. Versprich bloß, dass du unsere Informationen nicht den Karasu weitergeben wirst.", sagte Aadil und nun wird er ebenfalls müde.
Wieder hob sie eine Augenbraue.
„Was mich zu einer Frage führt:-
Ich öffnete schon den Mund-
„Stimmt es, dass ein Schwur hier bindend ist?"
Er nickte und ich schloss meinen Mund wieder.
„Erwartet ihr, dass sich das auf mein Leben schwöre?"
Der Anführer nickte erneut.
Ihre Augen wurden dunkel.
„Das kann ich nicht. Nicht, solange ich mir keine eigene Meinung gebildet habe."

Einen Moment herrschte Schweigen, dann sagte Aadil:
„Ist dir bewusst, was du da verlangst, Mädchen?"
Er klang hart und ich wusste, dass er nun als Anführer zu ihr sprach und nicht als Aadil.
„Ist euch bewusst, was ihr von mir verlangt?", fragte sie ebenso todernst zurück.
„Na schön! Denke aber immer daran, dass die Verantwortung einer ganzen Organisation auf seinen Schultern liegt.", gab Aadil plötzlich nach.
Erst viel später wurde ich den Grund für diese plötzliche Nachgiebigkeit erfahren.
„Wie könnte ich das je vergessen?", spöttelte sie.
„Zweitens könnte das Kind wichtiger sein, als ihr denkt oder drittens, sie brauchen einen Vorwand euch anzugreifen. Habt ihr euch vielleicht noch durch etwas anderes ihrem Zorn zugezogen?", fragte sie nachdenklich, bevor einer von uns noch etwas sagen konnte.
„Nicht das ich wüsste. Ich dachte, du willst Antworten auf deine Fragen, Schlüssel?", fragte er.
Ich glaubte einen Hauch von Sarkasmus zu vernehmen.
„Ich dachte es geht nicht um mich? Lieber will ich meine Fragen jetzt stellen, als sie später anders zu formulieren oder zu vergessen, Anführer."
Obwohl sie ihn als Anführer bezeichnete, klang sie nicht sonderlich respektvoll dabei.
Sie spielt mit dem Feuer., dachte ich fassungslos.
„Gerade eben warst du aber noch anderer Meinung.", sagte er leise.
Ihm schien ihr Ton nicht entgangen zu sein.
„Ja, bevor ich gewusst habe, wie wenig konstruktiv sein würde. Antworte einfach auf meine Fragen."
Ich fragte mich, ob sie wohl überhaupt merkte, wie dünn das Eis war, auf dem sie sich da bewegte.
„Und ich erwarte Respekt von dir, wenn du Antworten haben willst. Irgendwann weiß nämlich auch mein Geduldsfaden."
Zu meinem Entsetzen gab sie sich damit noch nicht zufrieden, sondern machte weiter.
„Warum sollte ich? Ihr braucht mich, nicht umgekehrt."
Sie taxiert ihn unverwandt mit ihren blauen Augen.
Ich hielt den Atem an.
Aadil schritt auf die zu, doch Majikku zuckte nicht mit der Wimper.
„Und wenn wir dich einfach hierlassen? Wer braucht dann wen?"
Er lächelte auf sie herab und Majikku starrte zurück, ohne eine Miene zu verziehen.
Beinahe hätte ich laut ausgelacht, da ich diese, zumindest eine ähnliche Methode, der Prüfung von ihm kannte. Aber ich konnte mich gerade noch beherrschen.
„Das kleine, hilflose Mädchen, das nicht einmal laufen kann. Du nimmst deinen Mund ein wenig zu voll, wenn du mich fr-
Aadil spielte mit einer ihrer blonden Haarsträhnen, als er sich plötzlich unterbrach.
Majikku lächelte.
Doch es war kein freundliches Lächeln.
„Hilflos? Hilflos?! Wenn ich nicht wüsste, dass wir uns gerade gegenseitig testen würden, dürftest du jetzt um Gnade betteln."
Überraschung flackerte in seinen Augen auf und ich brauchte einen Moment, um zu begreifen warum, so verdutzt war ich darüber.
Ich keuchte.
Majikku grinste und ich glaubte, spitze Eckzähne zu sehen. Aadil stand immer noch über sie gebeugt dar, wagte es jedoch nicht, sich zu rühren, denn an seinen Bauch drückte sich... die Tatze eines Pumas!
Ihre Krallen waren ausgefahren und sie konnte ihn damit sowohl durch die Gegend schleudern, als auch herunter reißen und ihn mit ihren Zähnen den Garaus machen.
„Los, komm schon, bettle um Gnade.", flüsterte sie.
Ihre Augen flackerten gelb grün und blau.
„Und nenn' mich nie wieder hilflos.", Fügte sie an und die Tatze drückte fester zu.
„Einverstanden." hauchte Aadil mit Beunruhigung in seinen Zügen und wollte einen Schritt zurück machen.
Doch sie sagte:
„Du willst doch nicht der Erste sein, den nicht töte, oder? Verrate mir nur eins; Katzen-
Sie schnurrte fast bei diesem Wort-
„begeben sich eigentlich nie zusammen auf die Jagd. Wie hast du es angestellt, Katzen zusammen zu bringen? Und ist euer einziges Ziel wirklich die Jagd? Kein Schlechtes, ohne Frage,-
Diesmal schnurrte sie wirklich-
„aber euer einziges?"
„Die Neko existierten schon lange vor meiner Zeit.", antwortete der Anführer bedächtig und schielte immer wieder zu der Pranke.
„Ebenso wie die Karasu. Früher gab es auch noch andere Clans-
„Antworte mir, Mensch! Wie?!", fauchte sie.
Ihre Augen blieben länger gelb grün als blau, wenn sie wechselten.
„Ich weiß es nicht. Wir sind nur Menschen. Wir haben uns einfach nur diesen Namen gegeben, sonst nichts, wir haben sonst noch nie in Gestalt einer Katze gekämpft. Wir-
„Dann verdient es nicht, unseren Namen zu tragen! Ich erwarte einen, der mit uns zurechtkommt, der auch nur davon träumen kann, sich mit uns zu messen, Seite an Seite mit uns auf die nächste Jagd zu gehen, dann werdet ihr mich nur noch in Begleitung dieses Mädchens sehen. Wenn ich jedoch keinen sehe, wirst du sterben und viele andere auch. Damit hast du aber immer noch nicht meine zweite Frage beantwortet. Jag-
„Wir kämpfen nicht nur, viele leben einfach nur hier. Für sie ist die Organisation so etwas wie eine große Familie.", sagte Aadil schnell.
Majikku knurrte, doch diesmal wirkte es... zufrieden.
„Ein Grund mehr, die Aasfresser zu jagen. Sie sollen keine Flügelspitze mehr in euer, vielleicht bald unser, Territorium stecken. Denke aber daran, dass es aber genauso gut bald das Meine und das meiner Brüder und Schwester sein könnte. Es liegt ganz bei dir."
Plötzlich schauderte Majikku und sackte in sich zusammen, das Gesicht hinter einem dichten Haarschleier verborgen.
Hastig entfernte sich Aadil und ihr und stellte sich wieder an meine Seite.

„Geht es dir gut?", fragte sie nach einer Weile, beide Hände waren inzwischen wieder menschlich.
Aadil antwortete nicht.
„Ich wollte dich nur testen. Ich wollte sehen, wie weit ich gehen kann."
Sie zögerte.
„Doch dann sie mich übernommen. Sie sagte, dass sie ein ernstes Wörtchen mit dir zu reden hätte und sprach anstatt mir mit dir. Ich konnte hören, was ihr sagtet und sah aus ihren Augen, doch ich konnte nicht eingreifen."
Majikku machte eine Pause.
„Warum flieht ihr nicht einfach? Warum spart ihr euch nicht den Ärger, all die Verletzten und Toten und geht aus der Kuppel?"
„Die Menschen hier werden nicht gehen. Das hier ist ihr zu Hause. Viele sind hier geboren worden und wer es nicht ist, hat hier Familie und Freunde. Und sie wollen sie nicht für eine Lüge aufgeben. Außerdem, selbst wenn wir fliehen wollten, können uns die Karasu folgen und die Kriege würden schrecklicher mir weitergehen, weil die Waffen viel schlimmer sind, habe ich recht?"
„Zusätzlich würde das die Aufmerksamkeit der Menschen dort draußen auf uns lenken.", fügte ich hinzu, denn Nyoko und ich hatten schon aus Spaß darüber gesprochen als wir jünger waren, wobei ich inzwischen glaubte, dass das damals nur für mich ein Spaß gewesen war.
„Und wir wären klar im Nachteil, wenn du keine Magie mehr wirken kannst.", setzte Aadil abschließend nach.
„Ist das denn so? Oder könnte es so sein? Das ist ein Unterschied."
„Das ist bisher nur eine Vermutung, dennoch halten wir sie für gerechtfertigt." gab Aadil zähneknirschend zu.
Ohne ein weiteres Wort hob Majikku einen Splitter vom Boden auf und drehte ihn zwischen den Fingern, ihr Gesicht immer noch hinter den Haaren verborgen.
Plötzlich schloss sie ihre linke Faust um den Splitter.
„Ich muss etwas tun. Bringt mir Nyoko."
Ihre Stimme klang entschlossen.
Fragend sah ich zum Anführer hinüber und der nickte.
Mit einem Satz war in der Dunkelheit verschwunden und ließ mich mit ihr zurück.

„Machst du das öfters?", fragte sie nach einem unangenehmen Moment des Schweigens.
„Was?", fragte ich irritiert.
Ich hoffte, dass Aadil Nyoko schnell finden würde, denn es war mir unangenehm, mit Majikku allein zu sein. Ich wusste nie, was gleich kommen würde, wie sie reagieren würde und am meisten störte es mich, ihr mein Schicksal anvertrauen zu müssen.
„Na, solange von Zuhause wegbleiben. Wie hast du deine Eltern davon überzeugen können, engster Vertrauter des Anführers zu sein? Warum lassen sie zu, dass du kämpfen gehst?"
„Das geht dich nichts an.", sagte ich, mit einer Stimme, kalt wie Eis.
Majikku seufzte.
„Eine wie der andere. Seid ihr zufällig Geschwister, Nyoko und du?"
„Auch das hat dich nicht zu interessieren."
„Was mich interessiert und was nicht, ist allein meine Entscheidung, Elias."
Ich fuhr zusammen.
„Es war unhöflich von mir, dich so direkt nach deiner Familie zu fragen,-
„In der Tat."
Wieder seufzte sie, doch diesmal klang es genervt.
„aber alles was ich wollte, war ein bisschen Smalltalk zu betreiben.", fuhr sie fort, als hätte ich sie nie unterbrochen.
„Smalltalk?"
„Ich wollte einfach nur reden, nichts Wichtiges."
Mir sträubten sich die Nackenhaare.
„Einfach nur reden?", fragte ich misstrauisch.
„Was ist, wenn ich aber nicht ‚einfach nur reden' will?"
Mit einem lauten Knall schlug sie ihre immer noch geschlossene Faust gegen den Baumstamm an dem sie lehnte und fuhr zu mir herum. Die Faust zitterte vor Anspannung und ihre Fingerknöchel traten weiß hervor, so fest umklammerte sie den Splitter.
Ihre Augen funkelten wütend, doch ich konnte auch Tränen in ihnen schimmern sehen.
„Spar dir deinen Hass auf mich für ein anderes Mal auf und hilf mir lieber, verdammt noch mal! Ich habe ein für alle Mal genug davon, so abwertend behandelt zu werden!"
Sie schien noch mehr sagen zu wollen, schwieg dann aber.
Ich runzelte die Stirn.
Hasste ich sie? Im Moment konnte ich das nicht so genau sagen, ich musste länger darüber nachdenken wenn ich allein war, doch spontan würde ich eher sagen, so ungern ich mir das auch eingestand, dass ich eher... Angst vor ihr hatte.
Aber das würde ich sicherlich nicht unter die Nase reiben.
„Helfen? Ich dachte, du bist nicht hilflos, Schlüssel?", sagte ich kalt.
Ich beschloss, mich wieder mehr auf die Kontrolle meiner Stimme zu konzentrieren, damit niemand aus ihr heraus hören konnte, was ich fühlte. Doch in meinen Augen stand ganz klar Unsicherheit und Irritation, das wusste ich und ich hasste mich dafür. Aber dafür ja der der Mantel.
„Männer!", schnaubte sie und wandte sich von mir ab, den Splitter immer noch fest umklammert.
„Nie hört ihr zu. Was habe ich vorhin gesagt? Das war nicht ich. Außerdem bedeutet Hilfe in Anspruch nehmen nicht gleich Schwäche oder Hilflosigkeit."
Ich schwieg.
Sie knurrte.
„Noch schön dann eben Schmerz!"
Sie öffnete die Hand, nahm den Splitter mit der anderen und trieb ihn mit Gewalt in die linke.
Ich riss die Augen auf.
„Warum tust du das?"
Eigentlich war ich entsetzt, doch meine Stimme klang vollkommen ruhig.
Majikku ignorierte mich.
„Hör auf."
Keine Reaktion.
Raschen Schrittes trat ich auf sie zu, doch das Mädchen sah nicht einmal auf.
Ich griff schon nach ihrer Hand, als sie mir plötzlich den Splitter entgegen schleuderte.
Voller Ekel und Entsetzen sprang ich rückwärts, versuchte so, dem Splitter auszuweichen, doch ich scheiterte. Er traf meine Brust, hinterließ dort einen winzigen roten Blutfleck und fiel dann klappernd zu Boden.
„Du hast Angst."
Es klang verwundert und... interessiert. So, als ob ihr dieses Empfinden neu wäre.
Überrascht, woher wusste sie das, fuhr ich zusammen.
Mit einem Mal stöhnte sie presste sich die blutverschmierte Hand an den Mund, um den Laut zu ersticken, nahm ich an.
Ich sollte mich irren.
Majikku sagte, unter weiteren schmerzerfüllten Geräuschen, an der Wunde.
„Warum, Schlüssel?"
Beinahe wäre meine ruhige Stimme ins Wanken geraten.
Sie fuhr herum, Mund und Hand voller Blut.
„Es ist widerwärtig, nicht wahr?"
Wieder schwieg ich, diesmal war ich jedoch davon überzeugt, kein Wort herausbringen zu können, selbst wenn ich es wollte. Ein Glück, dass sie das nicht wusste.
„Sag meinen Namen", forderte sie mich plötzlich auf.
Ich zögerte.
„Nun mach schon. Er ist nicht verflucht."
Jetzt klang sie ungewöhnlich sanft, dem Schmerz in ihren Augen zum Trotz.
„Majikku."
Zum Teufel! Warum hatte ich ihrer Aufforderung nachgegeben?! Meine Stimme hatte auch noch unsicher geklungen!
Ihre Augen leuchteten auf.
„Warum? Weil du nicht mit mir reden wolltest."
Ich brauchte eine geschlagene Minute, zu begreifen, dass sie auf meine Frage geantwortet hatte.
Kopfschüttelnd fragte ich schließlich:
„Und was hat dir das jetzt gebracht außer einer Wunde? Wie soll ich dir überhaupt helfen? Warum sollte ich deinen Namen sagen?"
Nun war es an ihr, den Kopf zu schütteln.
„Falls es deine Sorge ist, ich könnte dich besser kennen lernen wollen, sei beruhigt. Ich wollte nie-
Mitten im Satz unterbrach sie sich.
„Mädchen?"
Ich brachte es nicht über mich, schon wieder ihren Namen zu nennen.
Sie schwieg, fing sich an zu bewegen und schaffte es letztendlich, sich mit dem Gesicht zum Baum hinzusetzen, ein Bein links und ein Bein rechts von ihm.
Ich konnte ihr Gesicht nicht sehen, wusste also nicht einmal, ob sie mich nur wieder ignorierte oder gar nicht hörte.
Majikku umschlang den Baum mit beiden Armen und legte ihre Stirn an die Rinde.

Nach einer Weile, ich schwieg verwirrt über das was ich sah, setzte sie erneut an:
„Du bist wirklich stur. Wie ein kleines bockiges Kind. Ich kann nicht glauben, dass du engster Vertrauter von dem Anführer bist. Kannst du mit deinem Schwert überhaupt umgehen? Bisher habe ich immer nur die anderen kämpfen sehen. Oder bist du dir etwa zu fein für die Drecksarbeit? Immerhin sollte es von den Vertrauten Dutzende geben, wenn schon so jemand wie du-
Innerhalb eines Wimpernschlags hatte ich Saile gezogen und drückte es ihr an den Rücken.
„Sagt das noch mal.", sagte ich tödlich leise.
„Ich kann es ja selbst nicht fassen, dass ausgerechnet du der Schlüssel der Prophezeiung sein sollst. Jemand wie du hätte in den Kämpfen keine Chance. Jemand wie du besitzt nicht die nötige Stärke, zu töten. Ohne Hilfe kannst du nur reiten, sonst nichts. Wie soll man auf dich bauen, dir vertrauen? Du bist selbst stur, stellst alles infrage, was schon seit Generationen besteht, wie etwa der nötige Respekt zum Anführer, bist dreist und unverschämt und zeigst keinerlei Verantwortungsbewusstsein. Außerdem-
„Danke!", unterbrach sie mich, es klang erheitert.
Irritiert blinzelte ich und schloss meinen Mund, doch das Schwert blieb wie angekettet an ihrem Rücken.
„Wofür?"
Die Rage, in die ich mich hinein geredet und dabei meine Wut herausgelassen hatte, verschwand, nur die Wut auf mich selbst blieb.
Meine Stimme jedoch, war wieder tonlos.
„Dafür, dass du jetzt doch mit mir redest. Irgendwie muss dein Mund ja auf zu kriegen sein."
Immer noch konnte ich ihre Belustigung hören.
Wie elektrisiert sah ich zu ihr, konnte jedoch nichts sehen, weil ihr Gesicht hinter verborgen war. Zornesröte stieg mir ins Gesicht, wie konnte sie mich einfach so übergehen, ich öffnete schon meinen Mund, als sie sagte:
„So, jetzt versuchen wir es noch einmal. Small...Talk. Wie soll das Wetter morgen werden?"
Sie sprach ganz langsam, so, als wäre ich schwer von Begriff.
„Wie bitte?"
Diesmal schaffte ich es nicht gänzlich, meine Irritation und Wut heraus zu halten.
Hatte sie denn jetzt völlig den Verstand verloren? Woher sollte ich denn bitteschön wissen, wie das Wetter morgen werden würde? Oder wollte sie mich einfach nur zum Narren halten?
„Woher soll ich das wissen?"
Sie schüttelte den Kopf.
„Entschuldige, ich vergaß keine Handys. Wie öde. Und ihr macht wirklich nichts anderes als trainieren?"
„Wenn du leben meinst, nein, das ist leider keine Zeit.", meinte ich sarkastisch, biss mir danach sofort auf die Zunge, wütend über diesen erneuten Ausrutscher.
Verdammt, sie spielte wirklich mit mir, wie mit einem besonders exotischen Spielzeug!
„Was machst du gerne?", setzte sie erneut an und ignorierte meinen Kommentar.
Ich schnaubte und wandte mich ab. Saile strich an ihrem Rücken entlang und schnitt eine Linie in den Stoff des Mantels.
In den paar Minuten würde ihr schon nichts passieren. Aber ich werde den Teufel tun, und hierbleiben. Ich kam einfach nicht mit ihr klar, was sollte man da machen?
Ich steckte das Schwert zurück in seine Scheide und wollte gerade nach Nyoko suchen, doch Majikku hielt mich auf:
„Bleib."
Ich blieb stehen, drehte mich jedoch weder um, noch sagte ich etwas.
Ich wünschte, ich hätte ihrer Aufforderung nicht nachkommen müssen, doch in gewisser Weise war ich dazu verpflichtet. Es gäbe einen riesigen Ärger, nicht nur von Nyoko's Seite.
Doch auch Majikku schien das Schweigen nicht brechen zu wollen.
Wieder einmal irritiert, wollte sie nun etwas oder nicht, und entnervt, warf ich noch einen letzten Blick über die Schulter und verschwand dann lautlos im Geäst der Bäume.
Das heißt, das hatte ich vor.
Denn als ich einen Blick zurück warf, sah ich etwas, das mich keuchen und wieder herumfahren ließ.
Majikku kroch auf mich zu, jedoch war der rechte Arm nicht länger ihrer, ebenso wie ihr eines Auge, das gelbgrün funkelte und einen schwarzer Schwanz peitschte wütend durch die Luft.
Entsetzt wich ich einen Schritt zurück.

„Bleib stehen.", fauchte sie und kroch weiter auf mich zu.
Ich zögerte, denn diesmal war ich mir nicht sicher, wer der sprach.
Plötzlich machte sie einen Satz und warf mich um.
Überrascht hatte ich keine Zeit auszuweichen oder gar mein Schwert zu ziehen. Ich war davon ausgegangen, dass sie so, halb Raubkatze, halb Mensch, nicht so einen Sprung machen könnte.
Offensichtlich hatte ich mich geirrt.
Gemeinsam krachten wir auf den Boden und ich stöhnte, als ich auf mein Schwert fiel, es war zwar in seiner Scheide, aber dennoch hart, dass mir sicherlich einen blauen Fleck einbringen würde.
Vorausgesetzt natürlich, ich lebte noch lange genug.
Im nächsten Moment traf der Schwertknauf meinen Hinterkopf und ich dafür ein paar Augenblicke nur Sterne, der Schwertgurt schnitt zusätzlich in meinem Bauch, was mir das Atmen erschwerte.
Das ganze Schwert musste beim Fall hochgerutscht sein, vermutlich, weil die Schwertspitze als erstes den Boden berührte.
Moment mal, hochgerutscht?
Mit neuer Hoffnung hob ich die Arme während ich nach Luft rang, ich musste nicht einmal vortäuschen, dass ich damit mein Gesicht schützen wollte.
Ich hatte Angst, auch das musste ich nicht schauspielern, doch gerade begann eine Idee in meinem Kopf Gestalt anzunehmen.
„Majikku? Kannst du mich hören? Warum tust du das?"
Immer noch hörte man nichts von der Angst in meiner Stimme, ich klang vollkommen ruhig, gemischt mit ein wenig Neugier.
Doch ein Blick sprach Bände, und ich konnte nicht verhindern, dass sie meine Augen sah, da sie ein wenig weiter oben lag.
Vorsichtig hob ich die Arme ein Stück höher, fuhr aber vor Schreck zusammen, als ich sah, wie nah sie mir war.
Ihre rechte Seite war von einem dichten, schwarzen Fellkleid bedeckt, ihr Ohr zuckte und in ihrem gelbgrünen Katzenauge stand Berechnung. Die eine Pranke legte sich auf meinen linken Ellbogen, begleitet von einem warnenden Knurren, die Schnurrhaare zuckten. Ich fuhr zusammen, allerdings beschleunigte das meinen Plan immens.
Dann sah ich ihre linke Hälfte.
Ihr langes, blondes Haar kitzelte mein Gesicht, sie blinzelte und in ihrem großen blauen Auge sah ich Verzweiflung und Angst. Doch das wurde beinahe von einer eisernen Entschlossenheit überdeckt.
Ich zögerte, nur einen Herzschlag lang, dann tastete ich mit der Hand, die der Puma zu Boden drückte nach dem Schwertknauf und als ich ihn fand, schloss ich meine Hand darum.
Während ich das tat, sagte ich, um sie abzulenken:
„Majikku? Lass es sein. Das willst du doch nicht wirklich, oder? Ich meine, ein engster Vertrauter des Anführers,..."

Unablässig redete ich weiter und fuchtelte ab und zu mit der anderen Hand herum, was mir jedes Mal ein erneutes Knochen einbrachte. Festgehalten wurde sie jedoch nicht, wofür ich dankbar war, auch wenn ich nicht wusste warum sie das tat. Vermutlich hatte ich das Majikku's Seite zu verdanken.
Der heiße Atem, der nach Blut roch, schlug mir entgegen, ihr Ohr zuckte und der Drang, mir den Garaus zu machen, stand unübersehbar in ihrem gelb-grünen Auge. Da kamen mir Zweifel.
Was tat ich denn da? Ich versuchte, eine Raubkatze zu beruhigen. Einen Fleischesser, den ich wahrscheinlich nur als Mahlzeit sah. Im Moment spielte der Puma noch mit seiner Beute, und so lange sollte ich nach Leibeskräften versuchen, mich zu befreien. Stattdessen spielte ich mit. Wohl wissend, dass ich auf All In setzen musste, obwohl ich nicht einmal wusste, ob meine Karten die besseren waren und ob mein Plan überhaupt aufging.
Dann jedoch wanderte mein Blick erneut zu ihrer linken Seite und meine Entschlossenheit kehrte zurück.
Nein, das war nicht nur ein Raubtier, sondern auch Majikku lebte in dieser merkwürdigen Form ihres – früher allein gehörigen - Körpers.
Ich musste es tun. Für mich, für Nyoko, für Aadil und alle anderen, denen ich geschworen hatte, die zu schützen, die in diesem Kampf gegen die Karasu gebraucht wurden. Und das wurde sie definitiv.
Der Schwur war zwar vage, trotzdem spürte ich neben meinem Pflichtgefühl und meiner Ehre noch etwas, das mich antrieb und das war der Schwur.
Dennoch bemerkte ich in diesem Moment, dass der Plan nicht aufgehen würde.
Eigentlich hatte ich das Schwert ziehen wollen, jedoch würde es von meiner aktuellen Position nicht funktionieren.
Blitzschnell änderte ich die Strategie, die dem Schwertknauf los, ballte die Hand zur Faust und schlug mit aller Kraft zu, wodurch ihr ein überraschtes Keuchen und Fauchen entfuhr.
Und endlich einmal bestätigte sich, was ich vermutete.
Ein Knistern und Summen war zu hören und die geballte Faust stoppte einen Fingerbreit vor ihrem blauen Auge. Erleichtert und erfreut, dass es geklappt hatte, stieß ich einen kleinen Triumphschrei aus und hieb wieder und wieder auf ihre linke Gesichtshälfte ein. Beide, sowohl der Puma als auch das Mädchen, waren zu überrascht und erschrocken, um irgendwie zu reagieren.
Die Rechte jedoch, wagte ich nicht einmal zu berühren, da ich nicht wusste, ob diese immer noch geschützt war oder nicht.
Da verengte sich die ohnehin schon schlitzförmige Pupille und die Pranke des Pumas hob sich, bebend, langsam, als ob Majikku mit aller Macht dagegen ankämpfte.
Und das musste sie auch, wenn ich überleben sollte, denn ich wusste; wenn sie damit aufhörte, reichte ein kräftiger Schlag ins Gesicht, um mir zuerst das Bewusstsein zu nehmen und ein, zwei Schläge mehr, um mir das Genick zu brechen..
Bitte mach', dass es klappt!, schickte ich ein Stoßgebet gen Himmel.
Wieder hob ich die Fäuste, schlug erneut zu und begann, wieder und wieder ihren Namen zu rufen.
Ich hoffte, mit dieser Attacke ihre magischen Kräfte zu aktivieren und durch ihren Namen ihre Persönlichkeit in den Vordergrund zu bringen.
Die Pranke erzitterte und nun kam jede Bewegung in ihr vollständig zum Erliegen.
Bevor ich jedoch erleichtert aufatmen konnte, machte die Pranke einen Ruck nach unten, stoppte allerdings kurz vor meiner Kehle.
Nein,, durchzuckte es mich.
wenn ich jetzt und hier sterben muss, wird sie mir keinen so schnellen und schmerzlosen Tod gönnen, sondern mich ausbluten lassen wie ein Schwein. Langsam, schmerz- und qualvoll.
Adrenalin durchflutete meinen Körper und mir war bewusst, dass ich Recht hatte. Zwar kommunizierte dieses Tier mit Majikku, aber deswegen musste es noch lange keine Empathie für mich empfinden. Vermutlich war mein Tod nicht mehr als eine Strafe für mich und alle, die nicht so wollten wie das Pumaweibchen, mehr nicht. Vielleicht noch ein erfrischender Zeitvertreib.
Obwohl ich es versuchte, spürte ich die aufsteigende Panik, die mir beinahe das letzte bisschen Verstand raubte, dass ich noch irgendwie zusammenklauben konnte.
Du musst logisch denken. Atmen. Ein- und ausatmen. Was kannst du sinnvolles tun? Sicher, ich könnte versuchen, die rechte Seite anzugreifen, doch ich könnte es mir nie verzeihen, wenn ich unseren einzigen Hoffnungsträger verletzen würde.
Der andere Teil in mir rannte wie ein kopfloses Huhn immer mit denselben Fragen im Kreis.
Werde ich so enden? Kann ich denn gar nichts tun? Bin ich etwa immer noch zu schwach? Was wird passieren, wenn ich sterbe? Wird Majikku alles und jeden niedermetzeln, der ihr in den Weg kommt? Wenn ich es nicht schaffe, mich zu befreien, werden die Neko so zu Grunde gehen? Abgeschlachtet durch einen schizophrenen Tiermensch mit magischen Fähigkeiten, die er nicht kontrollieren kann? Das wäre ein armseliges Ende für diese Organisation, wenn es auch nicht vergessen würde. Das kann ich aber noch nicht zu lassen!
Jedoch kann keiner dieser beiden Teile zu einer aufschlussreichen Antwort.
Also fing ich wieder an zu sprechen und versuchte die Tatsache zu ignorieren, dass ich mich um Kopf und Kragen redete.
„Du bist doch tot, oder? Wozu dann das Ganze? Alle, die du kanntest, sind ebenfalls tot. Welchen Sinn hat es denn dann, mich und die anderen umzubringen?"
„Warum habt ihr mich denn zurückgeholt?", stellte sie die Gegenfrage.
„Wir wollten dich nicht zurückholen. Wir wollten den Körper einer Raubkatze, um mit ihm zu kämpfen. Das dabei Tote wiedererweckt werden würden, lag außerhalb unserer Kenntnis.", antwortete ich wahrheitsgemäß.
„Ihr wollt kämpfen, ihr wollt töten. Wo liegt der Unterschied, wer es ist, dessen Herz aufhört zu schlagen?"
„Wo der Unterschied ist?", fragte ich ungläubig.
„Wieso tötest du deine Feinde nicht deinesgleichen?", fragte ich zurück.
„Ich töte auch meinesgleichen. Also? Nenn mir den Unterschied."
„Dann bist du ein Mörder und ein Monster."
„Tatsächlich? Wie sieht es denn dann mit ihr aus?"
Eine eiskalte Kralle legte sich auf meinen Kehlkopf und ich wagte es nicht einmal mehr zu schlucken.
„Du tötest genauso deinesgleichen. Oder willst du etwa behaupten, deine Gegner seien keine Menschen?"
Die Kralle zog sich ein Stück zurück, sodass ich es wieder wagte, etwas zu erwidern.
„Sie sind Tiermenschen.", schoss ich zurück, wusste allerdings sofort, dass ich das Falsche gesagt hatte.
„Und das ist sie dann? Eine Halluzination?"
Das Pumaweibchen genoss es offensichtlich, mich langsam aber sicher in die Ecke zu treiben. Sie ließ mir immer die Hoffnung, doch noch zu entkommen, während mir allmählich die Argumente ausgingen.
Wie die Ratte in der Falle abgeschlachtet., erinnerte ich mich schaudernd an Majikku's Worte.
Wie treffend.
Obwohl das eine rhetorische Frage gewesen war, fühlte ich mich dennoch dazu verpflichtet, darauf zu antworten.
„Natürlich ist sie das nicht. Ebenso wie du."
„Und warum tötet ihr uns dann nicht?"
„Bist du etwa so erpicht darauf, zu sterben?", witzelte ich, halb von Sinnen vor Angst um mein Leben.
„Antworte auf meine Frage, Mensch!", fauchte sie.
Die Kralle schnitt meinen Hals und ein feines Rinnsal aus Blut lief heiß und dickflüssig auf den Waldboden.
Ich schwieg.
Mir schwante, dass die Antwort mit der Prophezeiung die falsche gewesen wäre. Tiere wie sie, wie es war, glaubten nicht an eine höhere Macht der Worte. Besonders nicht, wenn Majikku selbst es nicht wirklich tat.
„Du wirst sterben, wenn du nicht antwortest.", schnurrte sie, beinahe zärtlich, als wäre das etwas besonders Schönes.
Ja, wo lag eigentlich der Unterschied? Mal abgesehen von ein paar Worten auf Papier, bestanden beide Seiten aus Menschen, wie der Puma bereits gesagt hatte. Also, was machte die Karasu zu Karasu und Neko zu Neko? Warum sahen wir Majikku als Verbündete an? Schließlich taten das ja auch die Karasu, wenn auch auf eine andere Art. Sicher, sie waren ein Clan, ebenso wie wir, der uns etwas vorwarf, von dem wir nicht das Gegenteil beweisen konnten und der uns deswegen unerbittlich wiederholt angriff. Wir töteten sie aus Notwehr, weil wir nicht wollten, dass noch mehr von uns starben. Doch auch dieser Grund fing an, sich aufzulösen. Viele brachten - aus Rache an Menschen, die ihnen etwas bedeutet hatten und die im Kampf gefallen waren - die Karasu um oder weil sie wollten, dass dieser Krieg ein Ende nahm.
Ich selbst wurde dieses Leben praktisch hineingeboren und sah es als meine Pflicht an, diejenigen zu schützen, die mich wie eine große Familie aufgezogen hatten. Mir war es quasi in die Wiege gelegt worden, es gab überhaupt keinen Grund, an dem zu zweifeln, dem ich schon mein ganzes Leben widmete.
Doch nun stellten sich schon zum zweiten Mal an diesem Tag all meine Überzeugungen auf den Kopf.
Was sollte ich nun tun? Ich wusste die Antwort nicht und es schien auch nicht so, als würde sie mir innerhalb der nächsten Augenblicke einfallen. Doch ich wollte auf keinen Fall deshalb sterben, weil dieses Raubtier so ungeduldig war. Doch selbst einem Laien wäre klar gewesen, in welcher ungünstigen Lage ich mich befand.
Das Schwert konnte ich nicht ziehen, die Kralle war mir wie ein Dolch an die Kehle gelegt worden und ihr Gewicht drückte mich zu Boden wie ein Felsblock. Das gelbgrüne Auge musterte mich, ohne zu blinzeln und das Blaue schien glasig vor Anstrengung zu werden. Lange konnte ich also nicht mehr auf Majikku zählen. Außerdem war es gefährlich, auf einen Plan Ihrerseits zu hoffen oder noch länger zu zögern, sodass sich unsere Pläne gegenseitig zunichtemachten.
Apropos, ich hatte ja nicht mal einen Plan.
Falls ich in dieser hilflosen Lage von einem der beiden entdeckt werden würde, wäre so ziemlich das demütigste, was ich bisher erlebt hatte. Und sobald einer der beiden aus dem Schatten der Bäume trat, würde der Puma mich ganz sicher nicht am Leben lassen. Also stand ich auch noch unter Zeitdruck. Na super. Ich konnte mir schon beinahe Nyoko's verächtlichen Blick aus ihren roten Augen vorstellen und wie danach die Kralle in meine Kehle-
Nyoko! Das war es!
Sie hatte mir einmal einen Trick beigebracht, der für so eine Situation wie die jetzige und etliche andere hilfreich sein könnte.
Doch konnte ich den Schlüssel wirklich verletzen? Denn darauf würde es hinauslaufen. Aadil und Nyoko waren schon so wütend gewesen, als ich sagte, dass ich den Schwur der gewährleistete, dass Majikku bei mir immer unverletzt sein würde, nicht leisten würde.
Ich wollte auch Nyoko's Freundschaft und Aadil's Vertrauen nicht verlieren, indem ich das jetzt tat. Außerdem bestimmte der Schlüssel nicht nur mein Schicksal, konnte ich mir also anmaßen, mein Leben über das aller anderen zu stellen? Sie würde nicht sterben, doch ich hatte keine Ahnung, wie stark die Verletzungen damit wären und wie lange es dauern würde, die Schäden zu beheben.
Außerdem würden diese Schäden, wenn überhaupt, um einiges schwerer zu behandeln sein.
Doch dann war mein Überlebenswille stärker. Mein Leben war mir viel zu wertvoll, um es aus Angst vor möglichen Zorn wegzuwerfen. Ich würde Aadil und Nyoko meine Gründe für mein Handeln darlegen und hoffen, dass sie es verstehen würden. Und wenn ich etwas tun konnte, um den Heilungsprozess beschleunigen, würde ich auch das tun. Selbst wenn es Jahre dauern würde, mein Vertrauen zu Aadil und Nyoko wiederherzustellen, war mir das mein Leben allemal wert.
Und wenn ich es wirklich nicht aushielt - scherzte ich mit merkwürdigen Galgenhumor - konnte ich mir ja immer noch selbst den Todesstoß versetzen.
In dem Moment, in dem sich die Kralle wieder einen Fingerbreit von meiner Kehle entfernte, damit ich antworten konnte, nahm ich meine Hände, die andere war jetzt ebenso frei und schlug so stark ich konnte mit offenen Handflächen auf ihre Ohren.
Schmerzerfüllt kam eine Mischung aus Jaulen und Schreien aus ihrem Mund, bevor sie auf mir zusammensackte.
Schwerfällig lag der tierische, menschliche Körper auf meinem und einen Moment bekam ich keine Luft, was sowohl an dem Fell, als auch an der Pranke auf meinen Kehlkopf lag.
Die ohnehin schon gereizte Stelle brannte, während die Pfote jetzt durch Majikku's Gewicht noch stärker in die Wunde drückte. Also schob ich sie nach Leibeskräften von mir herunter und stand schwankend auf.
Hastig stolpernd versuchte ich, möglichst viel Distanz zwischen mich und sie zu bringen.
In einer - nicht mehr ganz so fließenden - Bewegung zog ich Saile, wobei ich mit der anderen Hand erst mein Kreuz, dann vorsichtig meinen Hals betastete. Mein Rücken war höchstwahrscheinlich unverletzt, obwohl er das Gegenteil beweisen zu wollen schien, der Hals schmerzte zwar höllisch und blutete immer noch, war aber wohl kaum lebensbedrohlich.
Plötzlich war ein Stöhnen zu vernehmen und ich drehte mich um, etwas langsamer als beabsichtigt. Majikku lag immer noch am Boden und das gelb-grüne Auge musterte mich noch einen Moment hasserfüllt, dann begann das gleißende Licht sich auszubreiten, während das Auge sich noch schloss.
Ich trat noch ein paar Schritte rückwärts, dachte aber nicht im Traum daran, sie auch nur einen Moment aus den Augen zu lassen geschweige denn, ihr den Rücken zuzuwenden. Meine Sicherheit stand jetzt für mich klar über ihrer Würde.
Misstrauisch musterte ich Majikku, achtete jedoch nur auf plötzliche Bewegungen, anstatt auf ihren Körper, so viel Anstand besaß ich immerhin noch. Doch als ich erkannte, dass sie wirklich das Bewusstsein verloren hatte, ließ ich mich erschöpft von den beiden Attacken auf meine Person an einem Baumstamm zu Boden sinken. Jedoch behielt ich den Schlüssel ununterbrochen im Auge und lockerte auch nicht den Griff um die Waffe. Mit der anderen Hand zog ich die Kapuze wieder über meinen Kopf und drückte den Ärmel des nassen Mantels auf die Wunde.
Nach einem Moment der Ruhe zwang ich mich dazu erneut aufzustehen und packte das Schwert fester.
Bevor ich jedoch auch nur ansatzweise das tun konnte, was ich vorgehabt hatte, durchschnitt eine einzige Stimme die Nacht.
„Finger weg."
Ich war bereits bei Majikku, als Nyoko's Worte mich innehalten ließen.
Nun war es also soweit. Nun würde ich ihren Zorn zu spüren bekommen, für etwas, dass sie vermutlich vollkommen falsch verstand. Doch ich hatte beschlossen, mich dem zu stellen und nicht davonzulaufen.
Also packte ich das Schwert fester, löste den Gurt und legte beides auf den Boden. Dann schlug ich die Kapuze zurück.
Ich machte keinerlei Anstalten, eine Schuld von mir zuweisen, die ich nicht einmal begangen hatte, sondern fuhr mit meinem Vorhaben fort.
„Wag es ja nicht."
Ohne sie zu beachten, zog ich den Mantel aus, bückte mich, um dem Schlüssel diesen um die Schultern zu legen und stand wieder auf. Zuletzt schnallte ich mir das Schwert wieder um die Hüfte.
Nyoko hatte mich erreicht und riss mich mit erstaunlich viel Kraft herum.
„Was hast du getan?"
Sie klang, als wäre sie kurz davor, die Fassung zu verlieren.
Innerlich fuhr ich zusammen.
Du hast gewusst, dass das kommen würde. Gib jetzt nicht nach. Du hast es dir selbst versprochen. Du wirst ihr Vertrauen zurückgewinnen.
„Was soll ich schon getan haben? Sie hat mich, halb Mensch, halb Puma angegriffen, kurz nachdem Aadil losgegangen ist, um dich zu holen. Ich habe mich gewehrt und so hat sie das Bewusstsein verloren.", fasste ich sachlich zusammen, die Stimme ruhig und emotionslos.
Nyoko packte mich am Ohr und zog mich das kleine Stück, was uns unterschied, zu sich herab.
„Du solltest beten, dass das die Wahrheit ist."
Ich riss mich los und machte einen Schritt rückwärts.
Mit so einer heftigen Reaktion allerdings, hatte ich dann doch nicht gerechnet.
„Natürlich ist es das!", fauchte ich, lauter als beabsichtigt.
Na toll. Ganz toll gemacht, Elias. Jetzt sieht es wirklich so aus, als würdest du lügen.
Doch es war leichter, sich Dinge zu sagen wie ‚das ist es mir wert' oder ‚selbst wenn es Jahre dauert', als wirklich mit diesem Misstrauen konfrontiert zu werden.
„Was bin ich denn bitte für dich?! Ein Monstrum?!"
„Du bist mein Bruder."
Überrascht blinzelte ich.
Nach einem Moment des Schweigens kehrte meine Wut zurück.
„Wenn ich für dich wie ein Bruder bin, was soll das dann? Behandelt man seinen Bruder etwa mit so wenig Vertrauen?"
„Vertraust du mir denn?", fragte sie zurück.
„Natürlich."
Im nächsten Moment hatte ich einige ihrer Klingen meiner Kehle.
Doch auch sie hatte mein Schwert am Bauch.
„Lügner."
Ich verfluchte meinen Instinkt, so froh ich auch sonst war, ihn zu besitzen.
Es kostete mich mehr Überwindung, als ich gedacht hatte, das Schwert in seine Scheide zurück zu stecken, während Nyoko's Klinge unverändert an meinem Hals lag.
Einige quälend lange Sekunden musterte sie mich so ausdruckslos, dass ich mich dabei ertappte, wie ich hoffte, dass mein Tod kurz und schmerzlos verlaufen würde. Doch sie drückte noch einmal kurz zu, ließ dann jedoch von mir ab.
Ich spürte den neuen Schnitt, der mit dem ersten ein Kreuz bildete und fühlte mich gebrandmarkt, während ich beide betastete und erleichtert schluckte.
Neben diesem Angriff erschütterte mich die Tatsache mehr, dass sie Recht behalten hatte.
Ich hatte ihr Vertrauen gewinnen wollen, stattdessen hatte ich für noch mehr Misstrauen gesorgt.
Keinesfalls hatte ich ihr einen gerechtfertigten Grund geben wollen, mir wirklich zu misstrauen.
Hatte ich das Versprechen, was ich mir vor wenigen Augenblicken selbst abgenommen hatte, etwa so schnell gebrochen?
Zwar hatte ich es nicht bewusst missachtet, doch ich hatte wieder einmal die Nerven in ihrer Gegenwart verloren.
Wie erschlagen ließ ich mich nieder, denn ich war mir sicher, dass mich meine Beine nicht länger tragen würden.
Kannte ich Nyoko, Aadil und mich so gut, wie ich es glaubte?
Die heutige Nacht schien das Gegenteil zu beweisen.
Zuerst war ich völlig neben der Spur gewesen so dass sich ein Fremder unbemerkt hätte anschleichen können und das, weil ich zum ersten Mal feststellte, dass Nyoko mir doch nicht so viel erzählte, wie ich geglaubt hatte. Ihre blutroten Augen waren das beste Beispiel, gleich danach Tiermenschen, das Ritual der Karasu und Magie im Allgemeinen.
Also war die erste Frage:
War ich wirklich so geeignet für den Posten eine der engsten Vertrauten, wenn ich mich so leicht ablenken ließ?
Und als dann dieser Louis aufgetaucht war, um mich zu Aadil zu bringen, bemerkte ich, dass ich die Organisation kaum kannte. Zwar wusste ich, wo sich welcher Ort im Groben befand, doch abgesehen von unserer kleinen Truppe, kannte ich gerade mal eine handvoll Menschen. Mir war nicht einmal klar, wie weit sie gehen oder wann sie das Handtuch werfen würden. Und das war ja nur die Organisation im Allgemeinen.
Und nun hatte ich mir selbst etwas vorgelogen, hatte mir ein Versprechen abgenommen, dass ich keine zwei Minuten erfüllen konnte. Es gab offensichtlich einen Grund, warum ich keine Schwüre schwor, denn sonst wäre ich schon längst tot.
„Schwörst du es?", fragte Nyoko plötzlich, wieder einmal ausdruckslos.
„Was?", fragte ich zerstreut, da sie mich aus meinen Gedanken gerissen hatte.
„Wenn du ihr nichts getan hast, kannst du es ja auch schwören."
Sie sagte das, als wäre das eine vollkommen normale und nachvollziehbare Vorgehensweise.
„Das kann ich nicht. Und das weißt du!", fuhr ich sie heftiger als gewollt an.
Da hatte ich gerade erst festgestellt, dass ich der absolut ungeeignetste Kandidaten für Schwüre war, und da forderte sie einen, als hätte sie meine Gedanken gelesen!
„Wieso nicht?"
Ich stockte kurz, als ich begriff, dass sie die Frage vollkommen ernst meinte.
Um meinen eigentlichen Beweggrund nicht sagen zu müssen, nannte ich einen anderen:
„Ich werde mich nicht wegen jeder Kleinigkeit in selbst gewählte Ketten legen! Mir ist meine Freiheit noch etwas wert, im Gegensatz zu dir. Was das angeht, werde ich mich nicht von dir herumkommandieren lassen."
Wieso machte ich genau das Gegenteil von dem, was ich eigentlich tun wollte? Ich wollte sie doch beschwichtigen, ihr einen Grund geben, mir wieder zu vertrauen. Stattdessen brachte ich sie nur noch weiter gegen mich auf.
Aber ich wollte auch nicht lügen.
Und egal was sie tat; zu einem Schwur würde ich mich nicht zwingen lassen.
Das sagst du jetzt....
So wie du gesagt hast, das du all das Misstrauen ertragen wirst., kicherte meine innere Stimme in sich hinein.
Ach, sei doch still!
Das war sie dann auch, aber wir beide wussten, dass sie es nicht tat, weil ich es von ihr gefordert hatte.
„Kleinigkeit? Diese ‚Kleinigkeit' kann Leben zerstören.", stellte sie berechnend und logisch wie immer fest.
„Verdammt nochmal, ich habe ihr nichts getan! Wenn du sie wach kriegst, kannst du es dir ja von ihr bestätigen lassen. Aber auch von ihr, selbst wenn sie der Schlüssel ist, lasse ich mich nicht umbringen.", erwiderte ich kalt.
„Was will sie überhaupt von mir?", wechselte Nyoko das Thema, wobei der Ton klar machte, dass diese Angelegenheit für sie noch nicht erledigt war.
„Woher soll ich das denn wissen? Wüsste ich es, bräuchte ich mir nicht so viele Sorgen um meinen Kopf zu machen.", erwiderte ich, halb im Scherz.
„Friede. Jetzt ist nicht die richtige Zeit für Anfeindungen und Zweifel."
Aadil war aus dem Schatten getreten und hob beschwichtigend die Hände.
Nyoko nickte zustimmend und machte sich erneut daran, Majikku mit meinem Mantel anzukleiden.
Ich hingegen dachte nicht einmal daran, mich beruhigen zu lassen, sondern tat schon wieder das Gegenteil von dem, was ich vorhatte.
Anstatt dankbar für seine Hilfe die Wellen zu glätten, richtete ich meine Wut auf mich selbst und meine Enttäuschung, Trauer und mein Entsetzen über Nyoko's Reaktion auf mein neues Ziel. Aadil.
„Ach, der große Anführer beehrt uns auch einmal mit seiner Anwesenheit. Was hat die Hoheit denn davon abgehalten, ebenfalls mit seiner Beraterin zu erscheinen?"
„Manchmal", sagte der muskulöse Mann unbeeindruckt,
„ist es besser, den Mund zu halten, wenn man nichts zu sagen hat. Sonst bereut man diese im Zorn ausgesprochenen Worte zu einem späteren Zeitpunkt."
Schnaubend wandte ich mich ab und lief rastlos im Kreis. Ich wagte es einfach nicht mich hinzusetzen, obwohl alles in meinem Körper danach schrie.
Sie ist eine Gefahr.
Das dachte sowohl der nüchterne, als auch der zornige Teil in mir.
Schließlich konnte sie ihre Verwandlung offensichtlich nicht kontrollieren.
Also lief ich weiter auf und ab, um meine erschöpften Glieder in Bewegung zu halten.
Ein Schlüssel ist nutzlos, wenn er die falschen Türen öffnet. Türen, die zu Risiken und Ungewissheiten führen.
„Was ist jetzt der Plan?", fragte ich, bemüht um etwas Ruhe und schluckte alles andere, was ich hatte sagen wollen herunter.
Wir mussten jetzt das Problem lösen und dafür mussten wir zusammenarbeiten. Da war mein Bedürfnis nach Vertrauen unwichtig. Das musste jetzt einfach hinten anstehen, so schwer es mir auch fiel.
„Wir warten, bis Majikku wieder aufwacht, während Verstärkung unterwegs ist."
„Verstärkung? Inwiefern?", fragte ich überrascht.
Der Anführer grinste.
„Die Magierin hat garantiert einen Plan. Und ich habe nicht vor, tatenlos herum zu sitzen. Mal sehen, ob sie irgendeinen meiner Leute gebrauchen kann. Wenn nicht, habe ich keine Hemmungen sie wieder weg zu schicken."
Unangenehm gemaßregelt zuckte ich zusammen.
Das Mädchen Magierin zu nennen, war volle Absicht gewesen. Und auch die Aussage, dass er nicht tatenlos herum sitzen werde.
Entschlossen steuerte ich auf die beiden Frauen zu.
„Dann sehen wir mal zu, dass wir sie wieder wach kriegen. Ich habe keine Lust, mir die restliche Nacht um die Ohren zu schlagen."
Nyoko hielt mich zurück, als ich Majikku an den Schultern packen wollte.
„Sie zu schütteln ist das denkbar Schlechteste, was du jetzt tun kannst."
Sie schien enttäuscht zu sein, als sie den Kopf schüttelte, sicher war es jedoch nie.
„Ich habe dir diesen Trick nicht beigebracht, damit du unsereins verletzt."
An Aadil gewandt sagte sie:
„Ich hoffe, dass unter deinen Helferlein auch ein Heiler steckt. Sie hat vermutlich ernsthafte Hörschäden und der Druck hat und ihrem Innenohr im Allgemeinen bestimmt keinen Gefallen getan."
Ihr schmaler Finger strich an der Ohröffnung entlang und ein Blutfleck beschmutzte ihren schlanken Finger.
Ich versuchte, meine Überraschung und auch mein Entsetzen zu überspielen, in dem ich mich erneut abwandte.
Zwar hatte ich gewusst, dass die Schäden groß sein würden, doch so stark hatte ich sie nicht vermutet. Wieder mal ein Irrtum.
Ich konnte gerade noch ein ‚Und was ist mit mir?' unterdrücken und sagte stattdessen:
„Die sollen sich beeilen. Ich werde nicht neben einem lebendigen Käfig schlafen. Oder auch nur einnicken, wenn ich weiß, dass sie unbeobachtet bleibt."
Aadil schnalzte ungehalten mit der Zunge, doch ich ließ mich nicht zu einer Rechtfertigung provozieren.
Zu meiner Überraschung schwieg Nyoko. Zumindest für diesen Augenblick.
Während ich weiter auf und ab tigerte - sofort verbot ich mir den Gedanken an dieses Wort, weil er mich zu sehr an den bevorstehenden Test erinnerte - musterte mich der schwarze Engel von neuem. Sie sagte nichts schweifte mich nur einen Herzschlag lang mit ihren Augen, doch das reichte, damit ich mich wie unter einem Verhör fühlte.
Bevor mich dieselben Gedanken wie vorhin gefangen nehmen konnten, schüttelte ich sie verärgert ab.
Sollte sie mich denn gar nicht mehr ansehen, bloß, weil ich mein Bild von ihr revidieren musste?
Trotzdem ist und bleibt mir dieses Blutrot unheimlich., flüsterte eine kleine Stimme in mir und diesmal musste ich hier Recht geben.
„Wie ich sehe, kommt selbst der wildeste Jagdhund, wenn man nur laut genug pfeift."
Überrascht hielt ich in meinem Auf und Ab inne und wandte mich um.
Wieder einmal hatte Majikku gesprochen und diesmal sah sie noch erschöpfter aus.
Und schon jetzt wusste ich, dass sich dieses amüsierte Lächeln nicht ausstehen konnte. Doch um Aadil und Nyoko nicht noch weiter gegen mich aufzubringen, verkniff ich mir das.
Wie schon ein paar Stunden zuvor lagen ihre Augen auf meinen, beließen es allerdings nicht dabei, sondern studierten meinen ganzen Körper so intensiv, dass ich nur schwer den Impuls unterdrücken konnte, an mir herabzuschauen.
Der Mantel. Ich habe den Mantel nicht., dachte ich mit Unbehagen.
Plötzlich weiteten sich ihre Augen und sie öffnete schon ungläubig den Mund, als eine gackernde Stimme hinzufügte:
„Oder wenn der Leckerbissen groß genug ist. Schon mal das Ganze so gesehen, Kleine?"

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