~3~
Meine Schulzeit war eine durchwachsene Erfahrung, die mich sehr geprägt hat, worüber ich heute tatsächlich gar nicht so unzufrieden bin. Ich finde, ich bin ziemlich gut gelungen.
Jedoch kühlte mich meine Zeit in Rosenheim auch ab. Versteht mich nicht falsch, auch vorher strudelte ich jetzt auch nicht vor Lebensfreude und Lebensenergie. Doch jetzt war ich noch kühler als vorher.
Eine Tatsache, für die meine Familie kein Verständnis hatte. Unglücklicherweise brach in meiner Schulzeit auch der Krieg aus. Das hatte zur Konsequenz das man meinen Vater zur Front schickte und meine Mutter mit zwei Jugendlichen zu Hause saß, in der ständigen Angst, dass man auch meinen Bruder einzog.
Diese Angst bewahrheitete sich in den späteren Jahren des Krieges dann auch. Doch bis dato lebten wir drei zusammen und es stellte sich als einzige Katastrophe dar. Mein Vater stellte sich irgendwie als tragendes Bindemittel dieser Familie heraus. Doch dieses Bindemittel war fort und ließ drei extrem unterschiedliche Individuen zurück.
Da hatten wir meinen Bruder. Er war voller jugendlichen und arroganten Leichtsinn. Wartete förmlich nur darauf, meinen Vater endlich in den Krieg für den Kaiser folgen zu können. Er sprach ununterbrochen über die Front, darüber, wie sehr er es kaum erwarten konnte. Wie schnell dieser Krieg besiegt sei. Patriotismus war das einzige, was er noch von sich gab und den Kummer meiner Mutter damit nur verstärkte.
Dann war da meine Mutter. Eine Frau, die unter normalen Umständen schon wenig belastbar war. Doch jetzt stand sie am Rande eines Nervenzusammenbruches. Immer wieder jammerte sie darüber, dass mein Vater fort war, stellte sich in den schlimmsten Grautönen die Zukunft vor und weinte viel. Sie sah sich jetzt schon als Witwe die Mann und Sohn verlieren würde und das brachte sie bei jeder Gelegenheit zur Sprache. Wirklich bei jeder einzelnen Gelegenheit. Es gab kaum eine Minute, wo das leidige Thema nicht zur Sprache kam.
Und dann war da ich. Ich, die sowohl den Hochmut und Wahnsinn meines Bruders nicht verstand und wahnsinnig genervt war von der ewigen Heulerei meiner Mutter. Ich hatte für sowas keine Zeit. Immerhin arbeitete ich an einem großen Racheplan. An einem persönlichen Feldzug, der durch nichts und niemand gestört werden durfte! Und auf den konnte ich mich nicht konzentrieren, wenn alles um mich herum so laut und furchtbar anstrengend war!
Ich gab es den beiden auch zu verstehen, dass es mir lästig war. Ich konnte schon irgendwie nachvollziehen, dass meine Mutter Angst hatte, immerhin war Vater ja ihr Mann. Aber diese ständige Theatralik. Das hielt man doch im Kopf nicht aus!
Es war eine Zeit, wo es innerhalb der Familie wahnsinnig viel Streit gab, meistens wegen völlig belanglosen Dingen. Doch der Höhepunkt der Eskalation wurde erst erreicht, als Mutter und ich völlig alleine zu Hause waren.
Man hatte Wilhelm eingezogen, im Jahre 1917. Ich muss sagen ich war nicht wirklich traurig, dass er weg war, ein Störfaktor weniger.
Ich schrieb in dieser Zeit an meinen Informationen, an meinem Feldzug. Das war bis dahin mein größtes Lebenswerk. 30 Seiten Information, handschriftlich, ordentlich und gebunden. Die Arbeit von Wochen und Monaten. Meiner Mutter erzählte ich davon nichts, doch sie wurde neugierig. So neugierig, dass sie etwas Unvergleichliches tat.
Als ich eines Abends nach Hause kam, in mein Zimmer saß sie an meinem Schreibtisch! Sie hatte Unverschämtheit mein Zimmer zu betreten und einfach in den Unterlagen herumzuwühlen. Wie ein dreckiger Dieb.
Ich weiß noch, ich war völlig fassungslos, völlig außer mir. Sie hatte es einfach gewagt, meine Aufzeichnungen zu lesen. Einfach in mein Zimmer zu gehen. Das war für mich der größte Vertrauensbruch gewesen und den habe ich meiner Mutter bis heute nicht vergeben.
Mutter wollte eine Erklärung, sie war genauso fassungslos wie ich. Gut, so etwas erwartete man wohl auch nicht von seiner 13-Jährigen Tochter. Doch ich hatte genauso das Recht, wütend zu sein. Immerhin ging sie das ja gar nichts an!
Sie warf mir vor, ich seie krank! Völlig wahnsinnig. Das war schon ein Schlag in die Magengegend. Doch viel schlimmer war, dass sie meine Arbeit, meine wertvolle Arbeit einfach nahm und zerriss.
Das war einer jener Momente in meinem Leben, die sich tief in mein Gehirn eingebrannt haben. Ich weiß noch genau, wie ich einfach da stand. Wie ich gar nichts anderes tun konnte als zuzusehen. Einfach, weil ich zu schockiert war.
Ich habe selten geweint. Weinen ist ein Zeichen der Schwäche und der Machtlosigkeit. Deswegen versuche ich nicht zu weinen oder zumindest nur so das es niemand zu Gesicht bekommt.
Doch in diesem Moment war ich so sauer und traurig,dass ich Tränen vergossen habe. Ich war bitterlich enttäuscht.
Über die Tatsache das sie mich Krank nannte, konnte ich hinweg sehen. Das war zwar nicht leicht, aber es war ertragbar. Meine Mutter sagte in ihrer Hysterie und Dramatik oft Dinge, die völlig überzogen waren. Doch dass sie einfach aus einer Laune heraus mein Werk vernichtete. Das war zu viel.
Das Verhältnis mit meiner Mutter wurde seit jenem Ereignis angespannt. Wenn mein Vater zu Hause gewesen wäre, hätte sie wohl sofort mit ihm beratschlagt, wie man nun vorgehen müsste, wie unnormal ich doch sei.
Doch da mein Vater wohl an der Front gerade größere Sorge hatte, als das Geisteswohl seiner Tochter, blieb ich verschont.
Ich muss wohl kaum erwähnen, dass die Beziehung zu meiner Mutter unter diesen Umständen eines war, und zwar angeknackst. Doch wir schafften es uns zumindest noch ein paar Jahre zusammenzuraufen.
Der eigentliche Bruch mit meiner Familie kam viel später. An dem Tag, wo sie mir Erhard Lehmann vorstellten
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top