》4. Kapitel《
Als ich in die Schule komme, ziehe ich alle Blicke auf mich. Der Pulli ist oben zugezogen und darunter die Maske versteckt, sodass alles abgedeckt ist. Ich weiß, dass es scheiße aussieht, aber die eindringlichen Blicke und das Tuscheln demütigen mich.
Die ersten zwei Stunden habe ich notdürftig überstanden und denke eigentlich, es kann nicht mehr schlimmer werden. Doch das kann es. Mein Blick fällt auf Mike. Er kommt mit seinen Freunden und einem fetten Grinsen zu mir geschlendert. Ich will gar nicht erst wissen, was das bedeutet.
"Na, mich wundert, dass du heute überhaupt in der Schule bist. Hab ich nicht genügend zugehauen?", spottet er und seine Freunde stimmen mit ein. Ich sehe jedoch nicht hoch.
"Ist deine Maske hinüber, was?" Als ich nichts sage, brüllt er mir ins Gesicht:"Antworte mir!" Mike kann glatt als Wrestling-Typ durchgehen, zumindest sein Gesicht, das sich im Moment zu einer Fratze verzieht.
"Halt die Schnauze. Wir sind hier in einer Bibliothek!", motze ich mit mehr Kraft als ich eigentlich habe. Ich bin selbst überrascht von mir. Als ich den Schock überwunden habe, lese ich unbekümmert weiter.
"Ach ja, sind wir das? Denkst du ich bin blöd!", brüllt er weiter. Ich versuche sie so gut es geht, nicht zu beachten. Das ist ein schwerer Fehler, erkenne ich, als Mike meinen Kopf zu sich rüber reißt und mir gefährlich nahe kommt. "Du verdammte Bit..." Energisch schiebe ich den Stuhl nach hinten und springe auf. Man weiß nie, was er machen wird und ich habe eine Abneigung dagegen, meine Maske am Boden liegen zu sehen.
"Du hast sie nicht mehr alle. Fass mich nie wieder an!", schimpfe ich und mache mich vom Acker. Als sie mir hinterher sprinten, laufe ich schneller. Mein Herz klopft mir bis zum Himmel und ich versuche meine geschundenen Beine zum Weitermachen zu zwingen.
"Bleib stehen!", brüllen sie rasend hinter mir. Meine Füße denken gar nicht daran, sondern nutzen das Adrenalin, um schnell die Kurve zu kratzen. Der Schmerz kommt wieder, aber da bin ich schon in der Damentoilette angekommen und knalle die Tür zu.
Keuchend atme ich aus und stütze mich auf den Knien ab. Ich lausche, ob sie noch da sind und möglicherweise sogar hereinkommen werden. Wissen tut man es ja nie. Diese Typen sind total irre. Nachdem ich mir sicher bin, sperre ich mich in einer Kabine ein und lasse mich sinken. Ich halte mir verkrampft den Bauch und atme ein.
Wenn das so weitergeht, muss ich noch die Schule wechseln. Die sind doch krank! Jäh werde ich aus meinen Gedanken gerissen, als die Tür des Mädchenklos aufgeht.
Sofort halte ich den Atem an und lausche. Ich ziehe meine Füße auf den Klodeckel, damit sie nicht merken, dass ich da bin. Meine Muskeln spannen sich an und meine Prellungen schmerzen. Trotzdem schaffe ich es, meine Position beizubehalten. Die Stimmen von Vivien und Tiffany ertönten und ich werde automatisch wütend. Wie ich die beiden doch hasse. Sie sind wie Kletten, die sich an mich heften, mich nicht mehr in Ruhe lassen und verhöhnen.
"Hast du die gesehen, ihr Kleidungsstil wird ja immer schlimmer", stichelt Tif, die Ober-Tussi.
Gelächter ist zu hören. "Die ist sowieso nicht mehr zu retten. Soll sie sich in die Hölle verziehen." Ich balle meine Hände zusammen und hoffe sie werden rasch wieder abziehen. Das tun sie aber nicht.
"Sie ist so eine Schlampe. Wir hätten sie härter rannehmen sollen", schimpft sie weiter und ich versuche nicht hinzuhören, was einfacher gesagt ist als getan. - Sie meinen mich.
Ihre Stimmen nehmen den ganzen Raum ein und mein Atem wird flattrig, als die Wände auf mich einzustürzen drohen. Sie rücken immer näher heran und wollen mich zerquetschen. Schnell kneife ich die Augen zu, atme ein und aus. Mir wird heiß und ein Dröhnen befällt meine Ohren. Die Geräusche von den beiden, werden gefühlt immer lauter und ich halte mir die Ohren zu. Mein Herz drückt in meiner Brust. Es will raus, zerreißt mich. Ich kralle mich an meiner Hose fest und beiße die Zähne zusammen. Ich muss mich beherrschen, mir das alles nicht zu Herzen nehmen, gar nicht erst hin hören. Aber das funktioniert nicht.
Die Mädchen schminken sich, so hört es sich zumindest an. Das kann ja noch Stunden dauern! Zittrig sehe ich auf die Uhr. Noch fünf Minuten, dann ist die Pause um.
Als ich noch drei Minuten warte und ihre Spotttiraden über mich immer härter werden, mache ich mich zum Aufbruch bereit. Ich will ihnen zwar nicht zeigen, dass mich ihr Gerede aus der Bahn schmeißt, aber genauso wenig habe ich Lust hier ewig drinnen zu verrotten.
Also atme ich durch und fahre mir unter die Maske um die Tränen, die darunter geflossen sind, wegzuwischen. Ich fasse mich wieder und der Schweiß an den Händen wird weniger. Dann ziehe ich wieder alles zu und versuche die Kabinentür vorsichtig aufzuziehen. Als die beiden hochfahren und dann lächeln, beschleunige ich meine Schritte.
"Maske!", kreischen sie und lachen sich einen ab. "Das tut mir aber leid", sagt Vivien gespielt und verzieht ihre geschminkten Lippen. "Wir konnten ja nicht ahnen, dass du..."
Meine Ohren versuchen krankhaft, nicht hinzuhören. Ohne anzuhalten sprinte ich aus dem Mädchenklo und den Gang entlang. Ich kann noch das Gekicher von den beiden hören, dann bin ich außer Hörweite.
Meine Füße tragen mich direkt zum Klassenzimmer und ich versuche den Blicken der anderen zu entkommen. Langsam reicht es!
Beim Klassenraum angekommen lasse ich mich sinken, da es noch eine Minute dauert, bis der Lehrer kommen wird. Meine Arme schlingen sich wie von selbst um mich und ich stütze meinen Kopf auf die Knie.
Kann es überhaupt noch schlimmer werden?
~☆~
Als der Lehrer das Klassenzimmer aufsperrt, setze ich mich wie Speedy Gonzales, auf meinen Platz. Ich ignoriere die Blicke, die mich anstarren oder mich wissend angrinsen. Ich verschränke die Arme und bete, dass die Schule bald aufhören möge.
Alle sind im Klassenzimmer angekommen und Mr. Rucker fängt an zu unterrichten. Ich schlage das Buch auf Seite 67 auf und fange an zu lesen. Fertig damit warte ich und mustere meinen Tisch.
Mein Lehrer beginnt, ein Erklär-Video auf Youtube abzuspielen. Gelangweilt sehe ich es monoton an und verkrampfe meine Schultern, als ich wieder Gelächter höre. Ich drehe mich jedoch nicht um, sondern starre nur auf den Bildschirm. Zwanghaft blicke ich nur ihn an und versuche nichts von meinem Inneren, nach außen preiszugeben.
Auf einmal wird das Bild unscharf und verschwindet. An seiner Stelle blinkt ein Video auf, das so wie es aussieht, mit einer Handykamera gefilmt wurde. Es zeigt das Mädchenklo, Vivien und Tiffany unterhalten sich.
"Was soll das?", schimpft der Lehrer und versucht es wegzuschalten. Viviens Gang kichert und die restliche Klasse stimmt ein, als ich im Video, aus dem Klo stürme.
Ich denke ich muss vor Peinlichkeit sterben. Mein Herz rast und meine Hände sind schweißnass. Mein Gedächtnis erinnert sich wieder an die Demütigung, die erst ein paar Minuten her ist. Ich sehe es auf dem Bildschirm, wie jeder andere auch. Nur, sie lachen. Ich dagegen, werde knallrot und drohe zu verglühen.
Ich kralle meine Hände zusammen. Versuche es zu ignorieren. Kurz schließe ich die Augen und versuche alles zu vergessen. Es klappt nicht. Vivien steht auf und stellt sich auf einen Tisch. "Weg mit der Maske. Weg mit der Maske", grölt sie in den Raum hinein. Es dauert nicht lange, da machen andere mit.
Mike, Jack und Tiffany grinsen sich an und schwingen sich ebenfalls auf ihre Tische. "Das geschieht dir recht", wird von irgendjemanden gerufen, den ich nicht einmal richtig kenne. Und er kennt mich auch nicht, da bin ich mir sicher. Niemand hier, in diesem Raum kennt meine wirkliche Seite. Trotzdem erlauben sie sich ein Urteil.
"Hört sofort auf!", schimpft der Lehrer. Das bringt aber nichts. In meinen Ohren wiederholten sich immer wieder ihre Worte. Die Wände rasen auf mich zu. Mein Atem wird abgehakt, als ich wie ein Tornado aufspringe und zur Tür hinaus stürme. Mein Lehrer lässt mich gewähren.
Ich balle die Hände zusammen, als meine Sicht verschleiert. Als ich schon wieder weinen muss, brülle ich meine Wut in die Luft hinaus. Stürmisch laufe ich die Schulgänge entlang und renne vor der Schande davon. Ein Schluchzen durchbricht meine Kehle und ich ärgere mich über meine Schwäche. Zitternd drücke ich die Tür zum Treppenhaus auf. Mein Gesicht landet auf einer breiten Brust. Abrupt sehe ich hoch und weiche zurück. Es ist Cameron.
"Hey", sagt er überrumpelt. Das ändert sich jedoch, als er mich genauer betrachtet. "... was ist los?" Seine Miene wirkt besorgt.
Ich schüttle stumm den Kopf und drücke mich an ihm vorbei. Ich presse die Lippen zusammen, um nicht noch einmal zu schluchzen und lasse ihn einfach stehen. In Eile überwinde ich die letzten Meter bis nach draußen und renne ohne Pause nach Hause.
~☆~
Zuhause verziehe ich mich ins Bett und hole meinen Laptop heraus. Ich brauche so schnell wie nur irgendwie möglich eine neue Maske. Als ich eine halbe Stunde damit verbracht habe, alle Angebote durchzusehen, beschließe ich aufzugeben. Die Masken sind schweineteuer und ich habe kein Geld. Meine Tante sorgt eh schon für mich, da muss ich ihr das nicht auch noch aufbürden.
Ich knalle den Laptop wieder zu und lege ihn zur Seite. Meine Zimmerfenster sind abgedunkelt, was im Moment gut ist. Als mein Handy bimmelt, schalte ich die Nachtischlampe ein und sehe auf die Nachricht.
Unbekannte Nummer: Hey, was war los?
Ich lasse das Handy sinken, atme kurz noch einmal durch und tippe zurück. - Wer bist du?
In wenigen Sekunden kommt die Antwort. - Cameron
Woher hast du meine Nummer? - Mein Kiefer steht unter Spannung. Unglaublich!
Geheimnis. Ich weiß auch deinen Namen.
Entsetzt springe ich auf und laufe durchs Zimmer. Er scherzt doch. ... oder? -
Ach ja?
Ja - Schreibt er ohne Widerrede zurück.
Mit einem Seufzen lasse ich mich auf mein Bett nieder. - Woher weißt du ihn?
Er braucht ein bisschen. Es scheint so als hätte er viel zu tippen, aber am Ende kommen dann doch nur zwei Wörter heraus. - ... deine Tante.
WAS? - Das habe ich nicht wirklich gelesen.
Ich bin heute kurz nochmal bei euch vorbeigekommen, deine Tante hat aufgemacht, ... da habe ich sie etwas ausgefragt.
Warum hat sie mir nichts gesagt?, frage ich mich. Sie hätte mir doch bestimmt etwas gesagt!
...Ich hab ihr gesagt, dass sie es geheim halten soll. Aber jetzt ist ja der ganze Spaß vorbei. :(
Aha...Dieser Idiot!
Und ... sag meinen Namen. Sonst lügst du noch...
Morgen - Erscheint auf dem Bildschirm und ich knirsche mit den Zähnen.
Es ist nur ein Name! - Wiegel ich ab.
Du wolltest ihn mir zuerst nicht sagen! Du hast so einen Aufstand gemacht.
Ja,... - gebe ich ihm Recht, aber ...
Nichts ja, und jetzt sag mir was heute los war!
...Ich antworte nicht.
...Immer noch nicht.
Avery! - Scheint er regelrecht durch den Bildschirm zu schreien.
Mich lässt es jedoch aufstrahlen. - Ha, ich hab gewonnen!
Als er merkt was los ist, kommt prompt die Antwort.... - Miese Trixerin! - Schnauzt er über den Bildschirm. Ich kann es nicht ernst nehmen.
Selbst schuld, wenn du bei so was reinfällst. - Innerlich strecke ich ihm die Zunge raus.
Ja, ja schon gut. ... Also!!! - Verlangt er und scheint keine Geduld mehr zu haben.
Ich atmete kurz durch. - Das geht dich nichts an!
Warum nicht?
War der unverschämt. - Weil das privat ist.
...Es waren wieder Vivien und die Anderen, oder?
Mist, er ist gut im Raten. Antworten tue ich ihm aber nicht.
Keine Antwort, ist Antwort genug! - belehrt er mich und ich sehe argwöhnisch drein, gebe es dann jedoch zu. Schließlich sind wir nicht im Kindergarten.
Ja, sie waren es. Wie immer! Sie haben ja nichts Besseres zu tun... - Platze ich hinaus und hätte am liebsten die Nachricht zurückgezogen.
...Das tut mir ehrlich leid, Avery. Ich halte die Luft an. ...
Geht's dir wieder besser? - Fragt er nach.
Soll ich lügen? Aber einerseits, war er mein Retter in der Not, ... also ziemlich zumindest.
Mir geht's beschissen. - Antwortete ich dann schließlich und schmeiße das Handy weg. Als es nach einer Minute wieder bimmelte, habe ich keine so ehrliche Antwort erwartet.
Mir geht's auch beschissen.
Da ich es mir nicht nehmen lassen kann, schreibe ich wissbegierig ein - Wieso?
Zuerst du! Sonst habe ich keine Garantie. - Fordert er mich auf.
Ich verschränke die Arme und überlege kurz. - Na schön ... Meine Maske ist hinüber und ich hab kein Geld für ne Neue.
...Er antwortet nicht. Mein Gesicht spannt sich an. Bin ich ein Trottel. In Eile tippe ich noch etwas nach. - Ich weiß, dass das komisch klingen mag, aber für mich ... - Weil ich nicht zu Ende reden kann, schicke ich die Nachricht halb fertig ab.
Nein, schon gut. Das ist es nicht. Meine Mom ist grad zur Tür hereingekommen.
Aha...Du bist dran. - Als ich merke, dass ich meinen Atem angehalten habe, atme ich durch und schlucke.
...Ich - fängt er an, beendete die Nachricht aber nicht.
Ich setzte nach. - Ja?
...Mein kleiner Bruder liegt im Krankenhaus.
Kurzzeitig fällt mir die Kinnlade herunter. - WAS? Warum bist du nicht bei ihm?
Cameron braucht lange zum Schreiben.... - Weil er gerade einer längeren Operation unterzogen wird und so weiter. Wir brauchen mal ne Pause, er ist schon etwas länger drinnen...
Ich streiche mir durch die Haare. Scheiße. - Das ist ja schrecklich!
Ja, Ich weiß. ... darf ich das Thema wechseln? - Kommt noch mal eine Nachricht von ihm.
Mein Kopf fährt auf und ab, bis ich merke das er es gar nicht sehen kann. - Ja.
Cam scheint innezuhalten und fieberhaft nach einem neuen Thema zu suchen. Was machst du gerade? - Erkundigt er sich schließlich.
...Ähm, ich sitze auf meinem Bett. - Antworte ich verwirrt und weiß nicht, auf was das hier hinauslaufen soll.
Gut, dann solltest du dir unverzüglich Eis zu Rate ziehen. Das hilft in allen Notsituationen.
Echt jetzt...?
Ja, Versprochen! Jetzt mach schon. Hast du welches da?
Ja, ich hol welches. Ist die Sorte egal?
Nimm die, die dir am besten schmeckt.
Komm gleich wieder... - schreibe ich perplex zurück und tappe in die Küche. Wir haben Schoko, Caramel-Peanut und Vanille da. Ich entscheide mich für das mittlere.
Und was jetzt? - Frage ich gespant nach.
Das ist doch klar! Essen. Das hilft immer bei Kummer. - tippt er unverzüglich zurück und scheint etwas ungläubig zu wirken.
Aha... hab ich ja noch nie gehört.
Bist du kein Eis-Fan? - Ich kann mir richtig sein geschocktes Gesicht vorstellen und muss ein Grinsen unterdrücken.
Wer wäre ich, wenn ich kein Eis mögen würde?
Warum last du es dir dann nicht endlich schmecken?
Schon gut Boss! ... ein Löffel ist schon verschlungen.
Gut, dann las es dir jetzt auf der Zunge zergehen. Kuschel dich in dein Bett und schau irgendeinen schnulzigen Film. - Weist er mich an.
Okey...
Wirklich? - Fragt er nochmal sicherheitshalber nach.
Ja, ich mach grad. Hör auf mich zu stören.
Ich will einen Beweis!
...Welchen Beweis denn?
Ein Foto oder ein Video. Du kannst aber auch einen Videoanruft starten :) ... -Zählt er mir meine Optionen auf.
Ein Foto reicht vollkommen. - Merke ich an.
Gut, dann los!
Ich ziehe mir schnell meine Maske auf und den Pulli zu, schalte den Fernseher in meinem Zimmer an und suche einen Film auf Netflix. Als alles wie verlangt ist, stecke ich mir einen Löffel Eis in den Mund und schieße ein Foto.
Zufrieden?
Gut und jetzt mach weiter so.
Aha, ich mache so weiter und genieße das Eis. Er hat recht. Wie kann mir so was entgangen sein? Bei Kummer ist das wirklich das Beste.
Als ich wieder aufs Handy sehe, ist er offline. Dieser Schlingel! Trotzdem erhellt sich mein Gesicht, zu einem Lächeln.
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