》3. Kapitel《
"Kommt Jungs, feiern wir", trällert Vivien und ihre Kumpane ziehen ab. Fast wie Schoßhündchen führen sie sich auf und folgen ihrer Herrin. Sie feiern weiter und lassen mich unbekümmert am Boden liegen.
Mein ganzer Körper schmerzt und ich glaube, nie wieder aufstehen zu können. Da ich aber nicht ewig hier, wie das Häufchen Elend gammeln will, gebe ich mir einen Ruck. Ich zwinge meine Beine dazu, aufzustehen und beiße die Zähne zusammen. Als ich in den Rasen spucke, um Farbe los zu werden, sehe ich Blut. Schnell wende ich den Blick ab und mache mich langsam daran, weg zu tappen. Auch wenn ich am liebsten gelaufen wäre, ich kann es nicht. Auch wenn ich alle Kraft dazu kanalisieren würde: Es ist unmöglich.
Mit der einen Hand halte ich meinen Bauch und atme zitternd durch. Der Schmerz flackert mit jedem Fußtritt wieder auf und ich bleibe kurz stehen, um wieder Kraft zu schöpfen. Dann höre ich eine Stimme hinter mir.
"Du solltest dir einen Krankenwagen rufen", ertönt sie sanft. Der Typ, dem sie gehört, tritt an meine Seite. Ich sehe hoch und beiße automatisch die Zähne zusammen. Es ist der Junge, der mich gestern von Mikes Machenschaften gerettet und heute nichts unternommen hat.
"Was interessiert es dich? Du hast nur danebengestanden." Verdrossen mache ich den nächsten Schritt und versuche von ihm wegzukommen.
"Damit ist nicht zu spaßen!" Er streicht sich die dunklen Haare aus dem Gesicht und legt mir stützend einen Arm über die Schulter. Ich zucke zusammen, weil er eine verletzte Stelle trifft. Als er es bemerkt, lässt er mich wieder los und malmt mit dem Kiefer.
Ich beachte ihn nicht mehr, sondern schleiche weiter. "Du kannst abhauen", sage ich, als ich vor der Haustür angekommen bin. Ich werde Susan anrufen und ...
"Du hast kein Auto", stellt er fest. Geflissentlich ignoriere ich ihn und halte mir weiter die Seite, hole mein Handy heraus und will gerade die Nummer meiner Tante wählen.
Dazu komme ich aber nicht, als eine Hand mir mein Handy vor der Nase wegzieht. Verärgert sehe ich auf. "Gib mir mein Handy zurück!"
Er schüttelt den Kopf. "Ich fahr dich heim. Komm!" Ohne zu zögern holt er seinen Autoschlüssel aus der Hosentasche und sperrte seinen Wagen auf, der ganz in der Nähe steht.
Die Schmerzen sind so schlimm, dass ich eigentlich keinen Schritt zu viel machen will. "Ich mach dir dein Auto voller Farbe", merke ich jedoch an.
Ein Lächeln schlängelt sich über sein Gesicht und er öffnet siegessicher seinen Kofferraum. "Da hab ich was." Er zieht einen Müllsack heraus und legt damit den Beifahrersitz aus. Ich will gar nicht erst wissen, warum er einen dabeihat.
"Also kommst du jetzt?", erkundigt er sich und mustert mich.
Mein Blick schweift ab und ich setze konzentriert einen Fuß vor den anderen. Trotzdem ist das Auto noch weit entfernt und ich presse die Lippen zusammen. Er sieht mich besorgt an und kommt auf mich zu. Gerade will ich noch fragen, was los ist, da hebt er mich, wie ein Bräutigam seine Braut, hoch.
"Was soll das, lass mich runter!", beschwere ich mich. Wenn mir nicht alles weh tun würde, hätte ich ihm schon längst eine verpasst. So aber bleibe ich nur regungslos, aber angespannt.
"Ich versuche vorsichtig zu sein", versichert er, geht aber nicht auf meine Aufforderung ein und trägt mich zum Auto. Sein Atem kitzelt mein Gesicht, was ich durch die ganze Farbe und die Maske hindurch aber nur schwach mitkriege. Ohne Widerrede setzt er mich auf den Beifahrersitz. Doch als er auch noch nach dem Sicherheitsgurt greifen will, wimmele ich ihn ab. "Das kann ich selbst, ich bin doch kein Kind mehr."
"Wie du meinst." Er macht die Autotür zu und holt vom Kofferraum einen weiteren Müllbeutel. Seine Aufmachung ist jetzt auch voller Farbe, merke ich und ziehe meine Augenbrauen zusammen.
"Warum machst du das?", frage ich und versuche flach zu atmen, damit nicht alles so weh tut.
Er startet das Auto und sieht zu mir rüber. "Darf man einer Frau in einer Notsituationen nicht mehr helfen?", stellt er eine Gegenfrage und fährt los.
Ich antworte nicht und blicke stur aus dem Fenster. Die Nacht streicht am Glas vorbei und ich betrachte den Mond. Ich atme durch und versuche das Spannen auf meiner Haut, weil die Farbe langsam trocknet, zu ignorieren. Zuhause muss ich mich wohl oder übel einer ausgiebigen Dusche unterziehen, oder noch besser in die Badewanne.
"Du bist neu an der Schule, oder?", erkundige ich mich schließlich, weil ich mich für meine Undankbarkeit schäme und die Stille nicht mehr ertragen kann. Und das will schon etwas heißen. Ich könnte normalerweise stundenlang nichts sagen und es würde mir nichts ausmachen.
"Wie kommst du darauf?", fragte er, streitet aber nichts ab.
Da ich ihm nicht unter die Nase reiben will, dass die anderen das Wort Freundlichkeit, im Gegensatz zu ihm, nicht mehr kennen, wenn ich ihnen begegne, antworte ich ausweichend: "Ach nur so."
"Nur so?" Er sieht fragend zu mir herüber.
"Nun ja, ..." Ich überlege mir etwas. "Ich hab dich vorher noch nie in der Schule gesehen."
Er grinst. "Das stimmt. Ich bin vor Kurzem erst hergezogen", stellt er klar.
Meine Augen schielen zu ihm herüber. "Von woher hergezogen?"
"Vom Land. Meine Eltern hatten außerhalb der Stadt einen Bauernhof. Aber wir sind umgezogen, ... aus verschiedenen Gründen." Bevor ich diese Gründe hinterfragen kann, kommt er mir zuvor. "Wo muss ich lang?" Erkundigt er sich und ich erkläre ihm, nach kurzem Zögern, den Weg. "Passt ja, ich wohn in der Nähe", merkt er ziemlich glücklich an und dreht am Lenkrad.
Ich sehe neugierig zu ihm herüber. "Wo wohnst du denn?" Als er nichts sagt setzte ich nach. "Hey, du weißt auch wo ich wohne. Sei nicht so."
"Ein paar Straßen weiter", erklärt er knapp. Ich will noch mal nachsetzen, da hält das Auto an. Wir sind da.
Ohne Eile schnalle ich mich ab und öffne die Tür. Ich versuche keine Farbe irgendwo hinzuschmieren, wo der Müllbeutel nicht hinreicht. Als ich stöhnend vor Schmerzen draußen bin, blicke ich nochmal in den Wagen.
"Darf ich fragen, wie der Retter in der Not heißt?"
Er schmunzelt: "Cameron."
"Danke Cameron. ... dass du mir nicht zu Hilfe geeilt bist, als sie mich verprügelt haben, aber danach. Besser als nichts." Ich zucke mit den Schultern, was ich aber lieber hätte sein lassen. Sofort fahre ich vor Schmerz zusammen.
"Du solltest wirklich mal einen Arzt drüber schauen lassen", erwidert er, mit gerunzelter Stirn. Er sagt aber nichts zu meiner halben Anschuldigung und halben Dankesrede, sondern beißt nur die Zähne zusammen.
"Ja, das sollte ich wohl..." Insgeheim schüttle ich den Kopf. Ich werde nur über meine Leiche zum Arzt gehen. "Tja, dann ... Bye", versuche ich ihn abzuwimmeln.
"Hast du nicht was vergessen?", erkundigt er sich, bevor ich die Autotür zuknallen kann. Kurz durchforstete ich mein Gehirn, finde aber nichts. Ein Kuss kann es ja kaum sein.
"Nein, ... was denn?" Meine Stirn zieht sich zusammen.
Ich sehe, wie sein Lächeln breiter wird. "Darf ich deinen Namen wissen?", weist er mich auf die Lösung hin.
"Wenn du so fragst, dann ..." Ich tue so als müsste ich überlegen, obwohl ich die Antwort schon längst weiß. "... Nein." Dann schmeiße ich die Tür zu und schleppe mich mit langsamen Schritten zur Haustür.
"Ich erfahr ihn schon noch." Er hat sein Fenster heruntergelassen, wie ich feststelle, als ich mich noch einmal umblicke.
"Träum weiter!" Die nennen mich alle nur Schickimicki-Maske, da kennt niemand meinen richtigen Namen. Innerlich grinse ich schadenfroh.
"Ruh dich aus", sagt er ernst und das Fenster geht wieder zu. Damit fährt er weg. Einen Augenblick verweile ich noch, gehe dann aber im Schneckentempo nach drinnen.
~☆~
Meine Maske ist hinüber. Nachdem ich Stunden gebraucht habe, mich von dieser ekligen Farbe zu befreien, ist es nun klar. Ich halte sie sogar unter heißes Wasser und schrubbe. Ich benutze alle möglichen Utensilien, aber es nützt nichts. Die Farbe bleibt drauf.
Fluchend lasse ich meine violette Maske ins Waschbecken fallen und rubble mich trocken. Nachdem ich mir bequeme Kleidung angezogen habe, verziehe ich mich in mein Zimmer. Ich verkrümel mich unter der Decke und ziehe sie bis zur Nasenspitze hoch.
Es dauerte nicht lange, bis ich alles sacken lasse und losheule. Tränen laufen mir übers Gesicht und kullern auf die Bettdecke. Ich wische sie unbedacht weg und lege mich auf die Seite. Mir tut immer noch alles weh. Die Schmerztablette, die ich eingeworfen habe, hilft nur mäßig.
Susan ist noch nicht zuhause, da sie mit Freunden aus Essen ist. Aber ich bin dankbar. So muss sie mich wenigstens nicht in diesem Zustand sehen und ich muss ihr nicht alles erzählen, denn dazu habe ich die Kraft nicht.
Ich schließe meine Augen und versuche mich abzulenken. Ich will alles überdecken. Dabei vergesse ich meine geschundene Maske, die Demütigungen, die Schmerzen, den Kummer und die Tränen. Ich wünsche mich weit weg ins Traumwunderland und denke an Eis und Lollipops, fliege durch die Luft und stelle mir alles vor, was ich sonst nicht kann. Mein Gesicht ist heil, meine Vergangenheit existierte nicht, ich lache und hüpfe in der Wiese umher.
Nach einer gefühlten Stunde schlafe ich endlich ein. Meine letzten Gedanken bleiben jedoch an Cameron haften.
~☆~
Es ist mitten in der Nacht, als ich hochschrecke und eine Gestalt in meinem Zimmer stehen sehe. Sofort knipse ich meine Nachtischlampe an und erblicke meine Tante, welche die Hände an den Hüften abgestützt hat.
"Was ist das?", fragt sie und hält meine mit Farbe verschmierte Maske hoch. Ich habe sie wohl im Bad vergessen.
Schlaftrunken setze ich mich unter Stöhnen auf und versuche mir nichts anmerken zu lassen." Die Party war nicht so toll wie gedacht", nuschle ich und sehe ihr nicht in die Augen.
Sie kommt näher und setzt sich auf mein Bett. " Was war los, Avery?" Ihre Stimme wird sanfter, als sie merkt, dass ich kurz vor dem Weinen stehe.
Einen Moment spiele ich mit dem Gedanken, ihr nichts zu sagen, aber das würde sie so oder so nicht zulassen. Also beiße ich die Zähne zusammen und erzähle ihr alles. Auch wenn ich das mit den Prügel milde beschreibe, damit sie keine Panik bekommt.
Meine Erklärungsrunde endet. Sofort springt meine Tante auf. "Wie heißen die Kinder? Ich werde bei ihren Eltern anrufen", droht sie und will nach einem Handy greifen.
"NEIN!" Als sie ein Handy gefunden hat, stehe ich so schnell es geht auf und nehme es ihr aus der Hand. "Wenn du das tust..." Ich sehe ihr in die müden, aber aufgebrachten Augen. "... dann wird es nur noch schlimmer. Es wird nichts bringen, wenn du mit ihren Eltern redest. Die haben ihre Kinder doch gar nicht unter Kontrolle, die machen was sie wollen."
Als sie mit einem "Aber..." anfängt, unterbreche ich sie bestimmt. "Bitte lass es, Susan. Sonst wird es nur noch schlimmer. Ich bekomme das schon hin." Ich bin es schon gewohnt denke ich, mit grimmiger Miene.
Nachdem sie mich eine halbe Minute gemustert hat, seufzt sie. "Zeig mir deine Wunden", fordert sie mich auf und setzt sich zurück aufs Bett.
Widerwillig, weil ich ihr nicht noch etwas ausreden kann, lege ich mich zurück und ziehe mein Oberteil hoch. Viel kann man noch nicht erkennen, aber als sie alles abtastet, ist klar, dass ich an den Rippen eine Prellung habe. Tausend blaue Flecken übersähen meinen Körper und meine Lippe ist aufgeplatzt. Daher auch das Blut, als ich die Farbe ausgespuckt habe. Keine innerlichen Blutungen, versichere ich mir.
Als ich meiner Tante beteuert habe, dass es mir soweit einigermaßen gut geht und ich keinen Arzt brauche, lässt sie mich, mit einem Gutenachtkuss allein.
Draußen vor der Tür, höre ich sie noch schimpfen. Man merkt ihr an, dass sie liebend gerne jemanden zur Rechenschaft gezogen hätte. Aber so ist es besser. Ich kenne die Leute an meiner Schule einfach besser. Sie können unberechenbar sein.
~☆~
Jetzt ist es schon wieder früh und Zeit für die Schule. Die Schmerzen sind erträglicher, auch wenn ich jeden Muskel unangenehm spüre.Als ich ins Bad eile, weil ich spät dran bin, sehe ich in den Spiegel und es fällt mir wie Schuppen von den Augen. Meine Maske ist hinüber! Ich habe zwar noch eine andere, die aber nur den Augenbereich bedeckt.
Fluchend trete ich gegen das Klo und springe klagend umher, da ich eine Zehe hart getroffen habe. Scheiße! Wie von selbst ballen sich meine Hände zu Fäusten, damit ich nicht aus Versehen, irgendetwas zerschlage, was mir sicherlich noch einen blauen Fleck mehr eingetragen hätte.
Ich kann heute nicht in die Schule gehen. Unmöglich! Nur zu blöd, dass meine Tante schon außer Haus ist und sie die einzige ist, die mich krankmelden könnte.
Wie ein Tornado, flitze ich ins Zimmer und durchforste meinen ganzen Kleiderschrank. Ich schmeiße die Kleidung auf den Boden und suche meinen Pulli, den ich vorne zuziehen kann. Als ich ihn gefunden habe, könnte ich fast vor Freude in die Luft springen. Ich ziehe mich dann aber nach einem Blick auf die Uhr schnell um.
Heute ist der Tag, an dem ich den Bericht über die Mensa abgeben muss und auch gleichzeitig der, an dem ich noch mehr Hausaufgaben aufgebrummt bekomme. Ich werde wieder einmal zu spät kommen.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top