》27. Kapitel《
Es ist immer noch Donnerstag. Ich bin immer noch in der Schule und verbringe auch die zweite Pause wieder draußen in der Sonne. Ich lehne mich an einen Zaun und atme durch. Dann schließen sich meine Augen. Ich denke an nichts. Atme einfach nur. Und bin da.
Als ich meine Augen wieder öffne, kommt Mike auf mich zugelaufen. Ich bin überrascht, als er vor mir stehen bleibt. "Warum hast du das getan?"
Meine Stirn runzelt sich. "Was getan?"
„Mir geholfen." Er stützt sich am Zaun ab.
„Hab ich das?" Ich verschränke meine Arme und blicke zum Himmel empor. Ich genieße die Sonne auf meiner Haut.
„Ja, hast du!", bestätigt er und klemmt den Ball, den er dabei hat, zwischen seiner Taille und dem Arm fest.
„Hast du mit dem Boxen angefangen?" Ich sehe ihn interessiert an.
„Nein, aber bald." Er lehnt sich zu mir an den Zaun. Er hält gebührenden Abstand. Die Situation ist entspannt.
„Und was ist dann?" Ich seufze, als Wolken die Sonne überdecken.
„Du ..." Er mustert mich. "... bist irgendwie anders."
Meine Augenbraue fährt in die Höhe. „Bist du gekommen, um mir das zu sagen?"
„Nein. Ich wollte fragen, warum du das gemacht hast?" Er schluckt. "Mir geholfen hast."
„Weißt du Mike, wir alle machen Dinge falsch, wie du, wie ich. Aber das heißt nicht, dass du oder ich, dass wir schlechte Menschen sind. Das macht uns menschlich. Und ...„ Ich lasse mir Zeit. "... wir sollten alle zusammenhalten."
Stille.
„Wow... du schaffst es innerhalb von ein paar Sekunden, dass ich mich schuldig fühle", beichtet er. "Ich hab dich immer nach deiner Maske beurteilt, hab dich verspottet und ...„
„Das war dein Fehler. Aber den wirst du nicht wieder machen."
Er zieht die Augenbrauen hoch. "Ich ... hab noch nie richtig mit dir geredet. Ich hab dich immer für einen Freak gehalten und ..."
„Und was?" Ich wende mich ihm zu.
„Das bist du nicht. Du bist kein Freak. Du wirst nur von allen so abgestempelt, weil wir alle oberflächlich bewerten und du mit deiner Maske aus der Norm fällst."
Ich bin beeindruckt. Also quetsche ich meine Wahrheit aus den Lungen. "Weißt du, auch ich hab dich falsch eingeschätzt. Auch, wenn es zugegebener Maßen schwer fällt, nichts anderes als Hass empfunden, wenn du mich mal wieder angemacht hast."
„Angemacht?" Er scheint ungläubig.
„Ja. Ich mein damit, wenn du wieder der Großklotz warst und mich nicht in Ruhe gelassen hast. Du kannst echt nerven, besonders wenn du glaubst, du seist der Beste und mich nur anschreist."
„Da, da siehst du's, ... warum das alles? Ich versteh nicht, dass du hier überhaupt mit mir redest."
„Mike, es ist Zeit für Veränderungen. Da ist es egal, wer einmal gemein zu dir war, oder nicht. Das liegt jetzt alles hinter mir. Und auch du solltest das versuchen."
Er kratzt sich am Kopf. "Machen wir mal was zusammen?"
„Träum weiter, in einem anderen Leben vielleicht!" Ich fange an zu lachen.
„Echt?"
„Ja, im nächsten. Nicht in diesem!", stelle ich klar.
„Ein Versprechen?" Er scheint es ernst zu meinen.
Ich sehe ihn offen an. "Wenn du so willst, dann ja, ein Versprechen."
„Gut!" Er will weggehen.
„Du Mike?" Er schaut zurück und hält an. "Du weißt, dass das kein Date ist, oder? Mein Herz gehört nur einem." Cameron Brooks...
„Ich weiß." Er grinst. "Veränderungen, Avery, Veränderungen", erklärt er und schlendert weg. Und mit meinem Lächeln kommt die Sonne wieder hervor.
~☆~
Ich bin im Garten. Meli hockt neben mir am Boden. Sie spielt mit Puppen und lässt sie in der Luft herumfliegen. Und ich, ich sitze vor einem Stück Papier und schreibe.
Liebster Cam, hier bin ich wieder. Es hat sich einiges verändert. Du wirst es nicht glauben ...
Ich erzähle ihm von Mike, von dem Telefonat und der Begegnung heute in der Schule. Wie zum Beispiel diesen Ausschnitt:
...Ja, weißt du, dass es Zeit ist, alles hinter sich zu lassen. Ich habe lange gebraucht. Aber ... man sollte die Vergangenheit ruhen lassen. Was war, das war. Das kann man nicht mehr ändern. Man kann nur zusehen, dass man es besser macht. Alles besser mach: Hoffen, träumen., LEBEN. Denn, wenn man träumt, lebt man. Und wenn man hofft, hat man den Mut noch nicht aufgegeben, zu träumen. Dann ist noch lange nichts verloren.
Ich erzähle ihm von meinem neuesten Stammplatz in der Schule.
...Ja, ich war draußen. Ob du es nun glauben magst oder nicht. Aber ich war frei.
Und am Schluss lege ich ihm noch eine CD bei. Ich habe überprüft, dass keine Kinder darin vorkommen. Nichts, das ihn an Max's erinnern könnte, hoffe ich zumindest.
„Avi?" Ich sehe Mellory auf mich zukommen. Ohne zu zögern setzt sie sich auf meinen Schoss.
„Was ist?" Ich lache sie an und lege meine Arme um sie.
„Cam hat Glück."
„Äh, Warum?" Ich bin ehrlich verunsichert, ob mit Meli alles gut ist, denn seine jetzige Situation ist ja wohl alles, aber nicht gut.
„Er hat dich", erklärt sie. Ich hätte mich beinahe verschluckt.
„Ohhh..." Ich drücke ihr einen Kuss auf die Haare. "Du hast mich doch auch, Süße."
„Ja, aber er braucht dich. Und - Und du bist da", raunt sie und drückt mir einen Kuss auf die Wange. "Das ist un-unfasssss-fasbar."
„Unfassbar?" Sie nickt.
„Ihr - ihr habt euch gefunden. Ich hoffe..." Sie drückt sich an mich. "... ich werde auch mal so jemanden ... finden."
„Ohhh, Süße! Das wirst du."
Sie kichert. "Ja, ich bin ja noch klein."
Ich schmunzele. „Das bist du. Und, wenn du größer bist, wird dir die ganze Welt zu Füßen liegen, du kannst sie erkunden und - und ... alles finden." Ich muss Tränen zurückhalten. Sie drohen zu fliesen, drohen alles mit sich zu nehmen.
Ich staune über Meli, staune über alles. Und dann nehme ich sie noch fester in den Arm und lasse sie eine Weile nicht mehr los.
~☆~
Freitag, im Blumenladen ist nicht viel los. Ich verrichte meine Arbeit. Mache ein bisschen sauber. Rieche verstohlen an den Blumen, wenn niemand da ist und betrachte sie. Hier im Laden ist eine solche Pracht an den unterschiedlichsten Arten. Ich kann nur wieder aufs Neue staunen.
Dann bimmelt die Glocke und jemand betritt den Laden. Ich bemühe mich schnell hinter den Tresen der Kasse zu kommen.
„Hallo", begrüße ich die Person die gerade eingetreten ist. Es ist eine Frau, ich schätze sie auf etwa zwanzig, ihre Haare sind hochgesteckt und voller Blumen.
„Hey!" Sie dreht sich schmunzelnd zu mir. "Habt ihr vielleicht Rosen da? Ich brauche sechzehn Rosen für mein Paten-Kind, das morgen Geburtstag hat", erklärt sie. Sie ist mir gleich sympathisch. Doch als sie sich dreht, stockte mir der Atem.
Ich sehe eine Narbe. Sie verläuft quer über ihre Wange...
„Ach ja, genau." Sie deutet auf ihr Gesicht. "Das war mein Ex-Freund."
Wow, jetzt klappt mein Mund erst richtig auf. "Ich-Ich, wollte nicht starren. Tut mir leid. Ich, ich weiß wie so was ist", versuche ich zu erklären.
„Sie ...", fängt sie an. Dann zeigt sie auf meine Maske. "... haben sie, auch...?"
Ein Nicken. "Ja. Bei mir war es Feuer, und ..." Ich stocke.
„Schon gut, sie müssen nichts sagen, ich weiß wie so etwas ist. Ich hab nur damit gelernt umzugehen, damit zu leben." Sie tritt näher. "So was kann schwieriger sein, als man glaubt."
Mein Mund öffnet sich wie von alleine. „Ich, bin gerade so ... erstaunt. Wissen sie, ich..." Ich schlucke. "Ich hab noch nie jemanden gesehen, der auch, so ... so wie ich ist."
„Und sie sind erstaunt, dass ich meine Narben nicht verstecke? Wie sie?" Sie scheint Gedanken lesen zu können.
„Ja, irgendwie schon," gestehe ich.
„Ich, hab eine lange und schwierige Zeit hinter mir. Ich weiß nicht, was ihnen passiert ist, aber ... ich habe gelernt mich anzunehmen und mich nicht deswegen zu schämen. Es ..." Sie starrt kurz zu Boden. "Das sagt sich jetzt so leicht." Ein Schimmer tritt in ihre Augen. "Ich will einfach nur, dass sie wissen, dass es ok ist, Narben zu haben. Ich hätte damals jemanden gebraucht, der mir so was gesagt hätte. ... Sie, sie machen einen nicht schwächer, sondern nur stärker. Sie ... wie heißen sie eigentlich?"
„Avery."
„Avery, sie dürfen ihre Stärke zeigen. Da ist ok." Sie nickt, und streicht sich unter ihren Augen entlang. "Sorry, tut mir leid. Mich nimmt das nur gerade so mit, weil ..." Sie fängt an zu schluchzen. "Weil ich mal genau wie sie gewesen bin. Ich, ich habe mich geschämt, und ..."
Ich eile zu ihr und nehme sie in die Arme. "Schsch ... alles ist gut." Ich weiß nicht warum, aber ich fühle mich verbunden mit dieser Frau. Sie weiß, wie es ist, so zu leben wie ich. Sie...und dann fange auch ich an, zu weinen.
Wir brauchten eine Weile bis wir uns wieder beruhigen. Sie stellt sich als Moraine vor. Wir besorgen ihr die sechzehn Rosen und sie geht mit einem Lächeln nachhause. Wir haben Nummern ausgetauscht. Und ich weiß, diese Begegnung wird mein ganzes Leben verändern.
Sie ist stark. Und ich? - Auch ich bin stark. Das muss ich nicht verstecken!
Ich fange an, mir Gedanken zu machen, alles zu hinterfragen. Dann wische ich meine restlichen Tränen ab und schlendere zum Auto, das mich abholt. Ich fahre nachhause. Und zuhause setzte ich meinen Plan in die Tat um. Ich werde zeigen, dass ich stark bin. Denn das bin ich.
~☆~
Ich bin im Bad, habe meine Maske heruntergenommen, mein Gesicht abgewaschen und habe die Abdrücke massiert. Ein letztes Mal atme ich durch und blicke mich im Spiegel an.
Ich sehe blondes Haar, nicht glatt, aber auch nicht wellig, genau zwischen drinnen.
Ich sehe grüne Augen, meine grünen Augen, die mir entgegenstrahlen. Die mich bestärken.
Ich mustere mich, wie damals als ich mich mit Sus für den Kinobesuch mit Cam fertig gemacht habe. Nicht feindselig, nicht verschmähend, nein, offen.
Und dann weiß ich, ich bin bereit, diesen kleinen Schritt werde ich nun wagen. Und ich trete aus der Tür heraus, lasse meine Maske liegen und schreite an den Esstisch.
Die Gespräche verstummen. Ich setze mich auf meinen Stuhl und schaufle mir reichlich Abendessen auf den Teller. Erst dann traue ich mich hochzusehen.
Das Erste was ich sehe, ist Sus. Sie strahlt mich an, wie sie es noch nie getan hat. Sie nickt mir zu, als Bestätigung wie glücklich sie darüber ist und, dass ich das Richtige getan habe. Ich spüre ihren Stolz, ihren Stolz auf mich.
Dann blicke ich zu Loren. Sie scheint verblüfft, so wie sie ihre Augenbrauen in Stellung hält. Noch nie zuvor hat sie mich ohne Maske gesehen. Doch das, was sie sagt, hätte mich beinahe vom Stuhl gehauen. "Du, Du bist wunderschön, Avery!"
Ein Satz. Ein einziger Satz, der mich zu Tränen rührt. Und dann lasse ich alles laufen.
Ich fange an zu schluchzen, vergrabe mein Gesicht in den Händen und lasse alles raus. Alles was sich angestaut hat. Dies hier ist der erste Schritt, mich meiner Familie zu zeigen. So wie ich bin.
Wenige Sekunden später spüre ich Arme die mich umschlingen. Es sind Sus, Loren und eine strahlende Meli, die sich wieder auf meinen Schoß platziert. Sie drückt meine Hand.
„Avi?"
Ich schluchze noch mehr. "Ja?"
„Du brauchst dich nicht verstecken. "
Sie ist nicht angewidert oder erschreckt von meinen Malen. Wie ich es mir immer ausgemalt habe. Nein, sie ist Meli. Und sie allesamt haben genau das Richtige gesagt.
Um mich ist es geschehen. Ich stehe auf und hebe Meli von mir herunter. Ich drücke Sus, ich drücke Loren und ich umschlinge nochmal Meli.
„Ich hab euch so lieb!" Und dann versiegen meine Tränen. Ich bin zuhause. Es gibt keinen Grund zu weinen: Ich bin angekommen.
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