》12. Kapitel《

Ich starre auf den Karton vor mir. Er ist leer. Bis jetzt habe ich noch nicht den Mut gefunden, alles einzuräumen. Aber ich kann nicht mehr lange fackeln. Wir werden fahren: Heute.

Also zwinge ich meine Hände nach vorne und greife nach irgendetwas, das in der Nähe steht. Ich schenke ihm jedoch keine Beachtung, sondern lasse es in die karge Hülle fallen. Plump kommt es drinnen auf und ich fasse schon nach dem Nächsten.

3,36 Euro auf dem Konto. Und ich hatte nichts mitbekommen...

Mit zitternden Händen streiche ich mir meine Haare zur Seite und klemme sie mir hinter die Ohren ein. Dann landet das nächste Etwas im Karton.

Plumps.

Ein Buch. Noch eins. Plumps, plumps....

Ich werde immer hektischer, bis ich alles nur noch hineinschmeiße und nach Luft ringe. Meine Hand lässt das vorletzte Stück in den Karton fallen und ich sehe auf, atme durch, rufe mich zur Vernunft.

Mir ist klar, dass sich jetzt einiges ändern wird. Ich werde Cameron nur noch in der Schule sehen. Denn so schwer mir die Entscheidung auch gefallen ist, ob ich auf eine neue Schule gehen soll oder nicht, so gerne ich auch von allen, von Vivien, Mike und all ihren Genossen wegwill, ich kann es nicht. Nur weil diese eine Person in mein Leben getreten ist und ich sie nicht mehr loslassen will.

Ich werde ihn nicht mehr so oft sehen, aber das ist kein Vergleich zu gar nicht mehr. Denn das könnte ich nicht verkraften, dafür ist er mir zu sehr ans Herz gewachsen.

Für ihn nehme ich in Kauf, dass Susan mich in Zukunft zur Schule fährt, obwohl sie in der Zeit genügend andere Sachen erledigen könnte. Für ihn ist mir alles andere egal, solange ich ihn sehen kann. Für Cam werde ich all das machen. Und es nicht bereuen.

Meine Augen wandern zu meinem Bett unter dem mein letztes Stück Heimat versteckt liegt. Mit einem neuen Einatmen, gleite ich auf den Boden und öffne die lose Dille unterm Bett. Ich taste alles ab, bis ich es ergreife und nach oben ziehe. Mein Buch!

Als auch dieses im Karton Platz gefunden hat, ziehe ich mir Cams Maske über und beruhige mich wieder. Wir werden fahren. Also schleppe ich den randvollen Karton durch meine Zimmertür und blicke nicht zurück. Kein einziges Mal mehr, mustere ich mein Zimmer, denn es ist jetzt nicht mehr meins. Es ist Vergangenheit! So wie alles kommt und geht - auch dieses Zuhause.

~☆~

Eine Dreiviertelstunde.

Wir sind eine Dreiviertelstunde gefahren. Und genauso lange werde ich zur Schule brauchen, zu Cameron, zu allem, was war und jetzt nicht mehr ist ...

Mit unsicheren Beinen zwinge ich mich aus dem Auto nach draußen. Die morgendliche Luft umfängt mich und ich atme sie sofort ein, ziehe sie in meine Lunge. Erst dann sehe ich auf und betrachte mein neues Zuhause. - Vorläufiges, erinnere ich mich. Nur vorläufig, bis wir uns wieder aufgerafft haben. Daran halte ich mich fest.

Also setze ich einen Schritt vor den anderen und folge Susan, die mich die ganze Zeit über immer mit Sorgenfalten gemustert hat, als würde es ihr besser gehen. Wir beide haben eine lange Nacht hinter uns. Für uns beide, wird sich etwas ändern, nicht nur für mich. Aber ich schiebe all diese Gedanken weg, als ich immer und immer näher zum Eingang dieses kleinen aber bescheidenen Hauses schreite.

Es sieht gemütlich aus, schon von außen. Aber ... es ist trotzdem nicht dasselbe. Die Wohnung ist nicht besser gewesen, hat zum Teil einen etwas kümmerlichen Zustand gehabt, aber trotzdem hatte sie gereicht - voll und ganz. Sie ist mir ans Herz gewachsen, all die Jahre...

Meine Tante drückt auf die Klingel und ein schrilles Geräusch erklingt. Wenig später wird die Haustür auch schon geöffnet. Eine kleine Frau mit schwarzen, lockigen Haaren blickt mir entgegen und lächelt mir zu. Ich versuche es zu erwidern, aber ich brauche keinen Spiegel, um zu merken, dass es mir nicht gelingt. Also lasse ich es lieber gleich bleiben.

"Hey Loren." Sus nimmt ihre Freundin in die Arme. Dann dreht sie sich zu mir und stellt uns einander vor. "Das ist Avery. Avery das ist Loren."

"Hey, Avery! Freut mich dich kennenzulernen!", erwidert sie, als ihr Lächeln breiter wird. Loren muss von der Masken-Geschichte Bescheid wissen, fällt mir ein, da sie kein Stück überrascht oder respektlos mir gegenüber ist. Doch meine Überlegungen werden gestoppt, als sie auf mich zukommt. Überrumpelt erwidere ich ihre Umarmung und nuschele an sie gepresst ein kleines "Hi".

Als sie mich wieder entlässt und meine Lunge nicht länger zusammengepresst wird, erinnert sie mich automatisch an Susan und ich kann verstehen, warum die beiden Freundinnen sind. Sie passen zusammen, wie die Faust aufs Auge.

Ich freue mich für Sus, dass sie so jemand sympathischen an ihrer Seite hat. Aber mein Gehirn schaltet trotzdem ab. Lässt alles an sich vorbeiziehen. Ich betrachte das gemütliche Haus nur spärlich und bin mit den Gedanken woanders. Überall und im Nirgendwo.

Als dieses ganze Haus-Besichtigungs-Gedöns vorbei ist, tapse ich in mein neues Zimmer und packe erst mal aus. Meine Tante und Loren verziehen sich und ich bin froh darüber. Ich brauche erstmal Zeit mit der ganzen Situation umzugehen. Also setze ich mich auf mein neues Bett und betrachte mein neues Zimmer.

Pastelltöne blicken mir entgegen, ein riesiger Schreibtisch, ein Schrank, den ich niemals ganz vollkriegen werde, und ein weißer Teppich inmitten von allem. Ich lasse mich auf den Teppich fallen und schleife meinen Karton herbei. Als ich mein Buch in Händen halte fange ich an zu schreiben. Rede mir alles von der Seele und suche dann ein passendes Versteck. Ich räume alles ein und mache es so heimelig wie es nur geht. Für mich - begreife ich. Für mein Gemüt, damit es mir besser geht. Ich versuche alles. Aber etwas geht mir ab. ...

~☆~

Mittlerweile ist es schon Mittag und wir haben uns dazu entschlossen, alle gemeinsam am Esstisch zu essen. Also habe ich mich aufgerafft und sitze nun hier, in dem großen, fremden Esszimmer.

Ohne Lust auf Auflauf oder irgendetwas anderes, stochere ich auf meinem Teller umher und starre ihn an. Als ich jedoch die Blicke von Susan und Loren auf mir spüre, zwinge ich schließlich doch etwas hinunter. Ein Seufzen entwischt mir und mein Blick weicht zum Fenster. Dicke Regentropfen platschen auf den Asphalt und durchnässen alles und jeden, der sich noch draußen befindet.

Als ich eine Weile das Schauspiel betrachtet habe, räuspert sich Susan. "Avery, ich weiß, dass es nicht leicht ist. Für keinen..." Ich blicke auf in ihre Augen und reiße mich zusammen. Ich will das hier für niemanden unangenehmer machen, als es eh schon ist.

"Ich brauch einfach noch ein bisschen, um klarzukommen. Es ist alles neu und ich fühl mich nicht so gut..." Das ist keine Ausrede. Schon den ganzen Tag über verspüre ich ein Kratzen im Hals und muss immer wieder niesen.

Ihr Kopf fährt auf und ab. "Ich versteh das..." Doch zu Ende reden kann sie nicht als Loren etwas einwirft und ich verblüfft zu ihr hinübersehe.

"Ich kann dir gerne einen Tee machen, wenn es dir hilft. Ich sollte auch noch irgendwo Schals versteckt haben, da kann ich dir auch einen leihen..."

Langsam nicke ich. "Das wäre super!"

Freudig hüpft sie auf und rast los. Ihr Essen ist wie vergessen und ich starre einen Augenblick auf ihren Teller. Dann sehe ich schmunzelnd zu Sus hinüber. "Warum hab ich Loren, davor noch nie kennengelernt?"

"Hat sich noch nie ergeben und wegen meiner Arbeit, hatte ich auch nie so viel Zeit...", fängt sie an.

"Das Problem hast du jetzt nicht mehr!", platze ich dazwischen. Das musste einfach heraus. Ihr Chef war schon immer total rücksichtslos gewesen und hatte sie schuften lassen.

"Das stimmt. Ich werde mir aber einen neuen Job suchen müssen", überlegt sie und spricht die Wahrheit der Wahrheiten aus.

"Ich werde mir auch einen zulegen." Als sie den Mund aufmacht, hebe ich die Hand. "Keine Widerrede!"

"Na schön, aber du musst nicht ..."

"Ich will aber!" Dann verschränke ich meine Arme, um es zu verdeutlichen.

"Mit was hab ich dich nur verdient, Avery?" Sie scheint ehrlich fasziniert zu sein.

Ungläubig schüttle ich den Kopf und will etwas erwidern, doch da kommt Loren schon um die Ecke und ich lächle Susan nur liebevoll zu und drücke ihre Hand unterm Tisch.

Loren stellt vor mir eine Tasse dampfenden Tee ab und streckt mir fragend fünf verschiedene Schals hin. Ich entscheide mich schließlich für den blauen mit Goldverzierungen und schlängele ihn mir gleich um den Hals. Anschließend versuche ich mich nochmal am Essen.

Plötzlich bimmelt mein Handy und ich fahre vor Schreck zusammen, ziehe es dann aber angespannt aus meiner Hosentasche.

Das vor dem ich die ganze Zeit Angst hatte, trifft nun ein. Cam ruft an. Und es gibt kein Zurück mehr. Ich muss es ihm sagen.

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