》10. Kapitel《

Cameron ist gekommen, er hat mich verändert, hat sich in meinem Herzen eingenistet und lässt mich nicht mehr los. Und das in so kurzer Zeit, dass ich es eigentlich nicht fassen kann ... aber ich spürte es. Und das ist Beweis genug. Also mache ich mich heute in der Schule auf zu Alec.

Ich habe Cams Maske auf und bin dankbar, dass ich keinen miefenden Zuziehpulli mehr tragen muss. Also bin ich mehr als bereit und steuere zielgerichtet auf Alec zu.
Er steht gerade bei der Essensausgabe in der Kantine, die ich eigentlich nie wieder betreten wollte. Das habe ich jedoch über Bord geworfen. Drastische Maßnahmen sind erforderlich, wenn drastische Gegebenheiten vorliegen. Innerlich klopfe ich mir auf die Schulter.

Alecs Schulter kommt aber nicht so gut davon, als ich ihn an dieser packe und ihn ruppig zu mir umdrehe. Dann boxe ich ihm gegen die Brust, so hart wie es mir möglich ist. "Du kannst es einfach nicht lassen, oder?! Du verdammter..." Meine Wut kommt so schnell, dass man sie schon als Tsunami bezeichnen kann. Und der stürzt jetzt auf Alec nieder.

"Hey, was soll das!", beschwert er sich und hält schützend die Arme hoch. Ich verpasse ihm noch eine. "Ich hasse dich!", schreie ich weiter und bekomme nicht einmal mit, wie die Schüler aufstehen und um uns herum einen Kreis bilden. Sie sind alle für Alec. Der auch genau in dem Moment ausholt.

"BITCH!" Ich werde nach hinten geschubst, kann mich aber gerade noch fangen. "Du brauchst nur mit mir ausgehen, Avery! So schwer ist das nicht!"

"Warum, he? Ich hab gesagt du sollst mich in Ruhe lassen!", maule ich und schlage ihm erneut gegen die Brust. Meine Hand fängt an zu schmerzen, ich kann es aber ignorieren.

Der Schlag in den Magen von Alec ist allerdings schmerzhafter und meine Augen fangen an zu tränen. Meine Maske, mein Schutzwal, ist jedoch zur Stelle und verbirgt mich. Ich weiche Alecs nächstem Schlag aus und ohrfeige ihn. Dann ist aber aus mit der Maus und er bekommt meine Hände zu fassen.

Ich schnaube. "Das wird mich nicht aufhalten!", stellt ich klar und reiße meine Hände aus seinen. Ich will schon wieder ausholen. Doch ich werde so abrupt von ihm weggezogen, dass ich fast gestolpert wäre. Ich kann mich aber noch abfangen und spucke ihn aus der Entfernung an. Leider treffe ich nicht und meine Spucke kann nun am Boden ihre Glanzleistung zeigen.

"ER hat es verdient!!!!", rechtfertige ich mich, aber da werde ich schon zum Direktor gezogen.

~☆~

Ich habe eine Verwarnung bekommen. Dabei hat Alec doch fast nichts abgekriegt. Mürrisch gehe ich nach Hause, schlage die Haustür zu und lasse den Rucksack fallen.

Susan kommt um die Ecke. "Avery, ich muss dir was sagen. ..."Als sie meinen Zustand bemerkt, stoppt sie jedoch. " Was ist los?"

"Ich hab's verbockt!", schreie ich sie an und schelte mich dann selber. "Sorry", entschuldige ich mich wegen meiner Tonlage.

Sie kommt zu mir und legt mir eine Hand auf die Schulter. "Ist es wegen Cameron?"

In meine Brust schleicht sich ein drückendes Gefühl und ich greife danach, indem ich mir an die Brust fasse. Will ich zumindest, aber es ist nun mal nicht möglich, Gefühle zu verscheuchen. Also schlucke ich und lasse meine Hand wieder sinken. "... Ja und nein."

Ohne zu zögern zieht mich Susan an den Esstisch und holt mir eine Limonade. Dann fange ich an zu erzählen. Als ich ihr erklärt habe, wer Alec ist und was er will, komme ich zum unangenehmen Teil. "Ich hab ihn heute in der Schule - eventuell - geschlagen!", beichte ich. Susan reißt ihre Augen auf. "Was hast du?"

"Ich weiß, ich weiß...", fange ich an mich zu recht fertigen.

"Avery, ich hab dich so nicht erzogen!" Ich kann mir fünf lange, lange, seeehr lange Minuten, eine Schimpftirade anhören.

Das ist der erste Teil, den ich zwar nicht richtig bereue, der aber trotzdem nicht richtig ist. Dann komm ich jedoch zum zweiten Punkt: "Cam denkt, dass ich Alec mag und deswegen haben wir uns gestritten." Ich schlage fahrig auf den Tisch. Als ich Susan ansehe, ziehe ich meine Hand schnell wieder weg.

"Ich... ich kann nicht ohne ihn, Sus! Er bedeutet mir einfach zu viel!", rücke ich mit der Sprache heraus und starre auf den Tisch. Sehr interessante Details. Fällt mir jetzt erst auf, ...Uh, und da ist ja sogar eine Einbuchtung, spannend ... Arg!

"Du bist verliebt!" Meine Tante springt so heftig vom Tisch auf, dass der Stuhl hinten überkippt. Sie stört das aber nicht, als sie freudig in ihre Hände klatscht. "Endlich!"

Meine Augenbrauen wandern nach oben. "Das ist doch Quatsch!", meckere ich und schiebe meinen Stuhl zurück. "Wir sind nur Freunde."

Susan mustert mich. "Red dir das nur ein, mein Kind. Das ändert es auch nicht."

Mir klappt der Mund auf. "Seeehr witzig, Sus!" Doch sie ignoriert mich und lächelt wie die Sonne höchstpersönlich - strahlend, hell und ansteckend! Wäre meine Laune nicht im Keller, hätte ich es erwidert. Das ist jedoch nicht der Fall. Mürrisch stampfe ich aus dem Zimmer und schüttle den Kopf.

~☆~

Ich starre in mein "Tagebuch", nachdem ich es seit langem wieder einmal herausgeholt habe. Mein letzter Eintrag ist mit einem Wasserfleck gekennzeichnet und ich erinnerte mich daran zurück. Was seit damals alles passiert ist!
Es ist viel.
Verdammt viel.
Und ... Ich habe mich verändert.

Ob ich es mir nun eingestehen will oder nicht.

Ich blättere weiter nach vorne und lese Bruchstücke, ganz am Anfang einen meiner ersten Einträge:

Alle halten mich für gebrochen. - Vielleicht bin ich das auch. Der Vorfall hat mich verändert, nur nicht zum Guten. Wie sollte er das auch? ... Wenn ich mich zurückerinnere, kann ich nur Dunkelheit sehen - unendlich und unverfroren. Sie zieht mich hinab und hüllt mich ein bis ich soweit bin und zusammenbreche. Und das immer und immer wieder. Es hat kein Ende...

Eine Seite danach:

Jeden Tag, wenn ich einschlafe, sucht mich ein Albtraum heim. Er wirkt wahr und echt, wie nichts anderes auf der Welt. Ich will nichts mehr sehen, nichts fühlen. Gar nichts! Aber das kann ich nicht, wenn ich mich immer und immer wieder zurückerinnere, was damals war.
Es lässt mich einfach nicht los...

Ich blättere weiter und lese immer wieder dieselben Worte:

Schmerz bis ins Unendliche...

Vollkommene Leere...

Trauer, die mich auffrisst...

Kein Vergessen...

Kein Entkommen....

Ich habe den Tot meiner Eltern nicht gut verkraftet. ...
Aber es war mehr als das ...

Stürmisch klappe ich das Buch zu und beruhige mich langsam wieder. Es ist Vergangenheit. Nichts kann mir jetzt noch etwas anhaben. Ich habe Susan, das ist besser als nichts.

Also nehme ich den Stift und fange an zu zeichnen. Ich male Sonnenstrahlen, die durch eine graue Wolke durchscheinen: Hoffnung.
Denn ich werde nach vorne schauen. Doch das kann ich nicht alleine tun. Also klappe ich das Buch wieder zu, verstecke es und ziehe mich um.

~☆~

Ich weiß nicht was mit mir los ist, ob ich vollkommen verrückt geworden bin, aber ich bin nach draußen gegangen.

Mittlerweile gehe ich schon zehn Minuten lang von Haus zu Haus. Ich bin ein paar Blocks weiter, als dem Ort wo ich wohne und klingle an jeder möglichen Haustür. Wie genau jetzt zum Beispiel.

Die Tür öffnet sich und eine rothaarige Frau Mitte Dreißig tritt hinaus. "Wohnt hier zufällig ein Cameron?", frage ich voller Hoffnung.

Sie schüttelt den Kopf. "Kennen sie hier einen Cameron in der Nähe?"

"Nein tut mir leid."

"Ach" Ich wedle mit der Hand. "Schon gut. Trotzdem danke."

Zwei Häuser weiter: "Wohnt hier ein Cameron?"

"Nein"

"Ok, danke!"

Fünf Häuser weiter: "Ist hier ein Cameron?"

"Was für ein Cameron?" Ein Junge im Alter zwischen fünf und sieben sieht zu mir hoch.

"Du kennst keinen?" Er schüttelt den Kopf.

Und zehn Häuser weiter: Ich zwinge mir ein Lächeln auf die Lippen. "Wohnt hier ein Cameron?"

"Kann sein, wie heißt er denn mit Nachname?"

"BROOKS!", erwidere ich mit einem hoffnungsvollen Lächeln. Dann schüttelt der Mann den Kopf. Verdammt!

Eine Siedlung weiter: "Hallo, wohnt hier ein..." Ich stocke. " Cameron?" Er steht vor mir. Als ich mich versichert habe, dass er keine Fata-Morgana ist, atme ich durch.

"Was machst du hier, Avi?", fragt er ruppig.

"Du siehst scheiße aus", platze ich heraus, als ich seinen Zustand sehe. Augenringe, müde Augen - eigentlich müsste er jeden Moment umfallen ...

"Na danke auch!", hält er dagegen und streicht sich durch seine Haare.

Ich kann ihm nur in die Augen starren. Und plötzlich holt mich alles ein. Emotionen überschwemmen mich wie eine Flut. Ich atme rasselnd aus. Aber die Wahrheit kann nicht versteckt werden. Es macht klick. Und ich verstehe endlich, was ich zu verdrängen versucht habe. Susan hatte Recht!
Mein Mund klappt auf und ich klammere mich an meinen Pulli. Ein Schniefen durchfährt meine Kehle und ich muss mich selbst dafür verfluchen. "Es tut mir so leid...!!!!"

Die erste Träne kullert mir herunter und findet ihren Platz auf meinem Pulli. Cam starrt die Stelle an. Als seine Augen, die meinen treffen, scheint die Welt stehen zu bleiben. Spannung baut sich zwischen uns auf und ich kann den Schmerz förmlich spüren, der in Cams Augen geschrieben steht.

"Hör auf zu weinen, Avi!", schimpft er.

Verzweifelt fahre ich mir unter die Maske und will meine Tränen wegwischen. Schüttle dauernd den Kopf. Ich weiß auch nicht was mit mir los ist. "Ich kann nicht!"

Er nimmt meine Hand in seine. "Warum weinst du?"

"Ich will dich nicht verlieren!", schluchze ich auf und kralle mich in seine Hand. "Ich brauch dich, Cam!" Die Wahrheit trifft mich mit Wucht und droht mich von den Füßen zu reißen.

Cams Hand kommt näher. Langsam fährt er unter meine Maske und wischt mir die Tränen weg. Gestatten tue ich es ihm nur. Aber weil er grob vorgeht kann ich ihn nicht daran hindern. Dafür bin ich auch zu perplex. Ich halte den Atem an und vergesse alles. Meine Ohren rauschen. Mein Hirn fühlt sich an wie Matsch. Aber Cam ist da und streicht mir mit einer Zärtlichkeit über die Wange, dass mir warm ums Herz wird.

Augenblicklich breitet sich ein Grinsen auf Cams Antlitz aus. Er scheint die Narben nicht gespürt zu haben und wenn doch, sagt er nichts dazu. Wofür ich ihm dankbar bin. "Dann ist ja gut."

"Gar nichts ist gut!", stelle ich verzweifelt fest.

"Doch."

Meine Augenbrauen wandern in die Höhe. "Warum denn?"

Er starrt mir mitten in meine Seele und mir schaudert. "Weil ich dich auch nicht verlieren will."

"Oh.", bringe ich nur heraus, weil es mir die Sprache verschlagen hat. War ich wirklich so schwer von Begriff?...

"Ja, oh" Dann hebt Cam mich hoch und trägt mich ins Haus.

"Was soll das jetzt werden?", frage ich.

Natürlich kann er sich eine Gegenfrage nicht verkneifen: "Nach was siehts den aus?"

Hält der mich für bescheuert? "... du trägst mich."

"Falsch. Wir vertragen uns jetzt wieder." Er setzt mich auf sein Bett und zieht mir meine Jacke aus. Dann folgen die Schuhe. Ich kann nur mit offenem Mund alles beobachten. Als er fertig ist, trägt er alles in die Garderobe und kommt wieder.

Als ich sehe was er in der Hand hat, fängt mein Herz an, freudig schneller zu schlagen. Es scheint so, als wäre das mittlerweile unsere Routine. Ich glaube in diesem Moment kann niemand auf der ganzen Welt mehr strahlen als ich: Avery Grant, die das Glück besitzt, Cameron Brooks über den Weg gelaufen zu sein.

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