[48] Das Erbe des Vergessenen

Lisa saß am Küchentisch, ihre Hände flach auf der glatten Holzoberfläche, ihre Augen fest auf die kleine, weiße Kerze vor ihr gerichtet. Ihr Atem war ruhig, konzentriert. Die Flamme war noch nicht da, aber sie konnte sie beinahe spüren, als ob die Hitze nur einen Hauch entfernt wäre. Sie biss sich auf die Unterlippe, die Stirn in Falten gelegt.

»Du musst dich voll und ganz auf sie konzentrieren«, sagte ihre Großmutter Hulda, ohne sich umzudrehen. Sie stand an der Spüle, die Ärmel ihrer geblümten Bluse hochgekrempelt, während sie mit routinierter Leichtigkeit den Abwasch erledigte. Ihre Stimme klang ermutigend, aber auch geduldig, als ob sie wusste, dass es nicht so schnell gelingen würde.

Lisa schloss die Augen und versuchte, alles um sich herum auszublenden – das leise Plätschern des Wassers, das Summen des Kühlschranks, den Geruch von Spülmittel und der schwache Duft von den Keksen, die ihre Großmutter in der Früh gebacken hatte. Sie stellte sich den Docht der Kerze vor, wie er sich entzündete, wie die Flamme sanft zu tanzen begann. Ein Funken erschien in ihrer Vorstellung, fast wie ein Blitzlicht.

Doch gerade als sie glaubte, tatsächlich einen winzigen Lichtschimmer am Kerzendocht gesehen zu haben, durchbrach das schrille Klingeln des Telefons ihre Konzentration wie ein Hammerschlag. Lisa zuckte zusammen und stöhnte leise. Der Moment war dahin.

»ich gehe schon«, sagte Hulda und trocknete sich schnell die Hände an ihrer Schürze ab. Sie eilte zum Telefon, das auf einer kleinen Kommode im Flur stand, und hob den Hörer ab. »Karnbaum hier.«

Lisa sah ihrer Großmutter nach, ihr Ärger über die Unterbrechung wich schnell einer neugierigen Anspannung. Hulda hörte schweigend zu, ihr Gesicht war zunächst ausdruckslos, dann besorgt. Doch nach einem Moment erhellte es sich. Ihre Augen funkelten, und ein Lächeln breitete sich langsam über ihr Gesicht aus.

Als sie den Hörer auflegte und sich umdrehte, hielt Lisa es kaum aus. »Wer war das?«, fragte sie, ihre Stimme ein wenig höher als sonst. Hulda trat näher und legte ihre Hände auf die Tischkante. »Das Krankenhaus«, sagte sie mit einem breiten Lächeln. »Dein Vater ist aus dem Koma erwacht.«

Lisa blinzelte, ihre Augen wurden groß. Ein Moment verging, bevor sie erleichtert ausatmete, als ob sie die Luft seit Wochen angehalten hätte.

»Mach dich bereit. Ich hole Carolyn. Wir fahren gleich hin.« Huldas Stimme zitterte leicht vor Freude, aber auch vor Erleichterung. Lisa nickte hastig, sprang vom Stuhl auf und lief in ihr Zimmer, ihr Herz schlug schnell, nicht mehr vor Angst, sondern vor Hoffnung.

***

Ich stieg die Treppe hinunter, die Stufen knarrten leicht unter meinen Schritten. Das Haus war geschmückt mit Lichtern und Girlanden. Maja und ich hatten uns richtig ins Zeug gelegt, um das Haus festlich zu schmücken. Die Nordmanntanne, die Onkel Matt persönlich geholt hatte, stand stolz in einer Ecke des Wohnzimmers. Ihr harziger Duft mischte sich mit dem von frisch gebackenen Plätzchen und Zimt, was eine einladende Weihnachtsatmosphäre schuf.

Doch trotz all der Mühe fühlte sich das Haus irgendwie leer an. Es war, als ob etwas Essenzielles fehlte – oder besser gesagt, jemand. Meine Eltern. Die Freude, die sonst in dieser Zeit des Jahres so selbstverständlich war, hatte sich in einen bittersüßen Schmerz verwandelt, der sich tief in meinem Brustkorb festgesetzt hatte.

Langsam ging ich zum Klavier hinüber, das direkt neben dem Fenster stand. Ein Hauch von Nostalgie überkam mich, als ich meine Finger über die abgenutzten Elfenbeintasten gleiten ließ. Ich erinnerte mich daran, wie ich früher an diesem Klavier saß, während meine Mutter mir geduldig vorspielte, oder wie mein Vater leise mitsummte, während er die Zeitung las. Jetzt wirkte es wie ein Echo aus einer anderen Zeit.

Ich ließ mich auf die Bank sinken, nahm einen tiefen Atemzug und legte meine Hände auf die Tasten. Der Klang der ersten Noten erfüllte den Raum, zart und melancholisch, doch bald fanden meine Finger ihren Rhythmus. Das Lied war eines, das ich oft gespielt hatte – eine Melodie voller Wehmut, aber auch Hoffnung. Es schien, als würde es die Stille des Hauses durchbrechen und für einen Moment die Leere füllen. Kaum hatte ich den letzten Akkord gespielt, hörte ich eine Stimme hinter mir.

»Du hast schon eine Weile nicht mehr gespielt.«

Ich drehte mich überrascht um. Maja stand in der Tür, eine dampfende Tasse Kaffee in den Händen. Ihr Blick war sanft, aber es lag eine Spur von Traurigkeit in ihren Augen. Sie trug einen dicken Wollpulli, und ihre Haare waren locker zusammengebunden, was ihr einen fast kindlichen Charme verlieh.

»Es hat sich irgendwie... nicht richtig angefühlt«, antwortete ich leise und zuckte mit den Schultern. »Aber heute... ich weiß auch nicht.«

Maja trat näher, stellte ihre Tasse auf dem Couchtisch ab und setzte sich neben mich auf die Bank. »Es war trotzdem sehr schön. Mama und Papa wären stolz auf dich.«

Ich nickte und senkte den Blick.

»Wir haben immer noch uns. Und das zählt auch«, fügte sie sanft mit einem Lächeln hinzu und lehnte sich leicht an mich. Für einen Moment saßen wir einfach nur da, die Stille zwischen uns wie ein zarter Schleier, der den Schmerz für einen Moment milderte.

»Wann wollte Onkel Matt eigentlich wieder da sein?«, fragte ich und durchbrach damit die Stille. Maja schaute in ihre Tasse, drehte sie ein wenig, als würde sie darin eine Antwort finden. »Eigentlich müsste er jeden Augenblick zurückkommen«, sagte sie, ihre Stimme ruhig, aber ich konnte den Hauch von Nervosität in ihrem Tonfall hören. Sie nahm einen weiteren Schluck aus ihrer Tasse, die sie zwischen ihren Händen drehte, und vermied es, mir direkt in die Augen zu sehen.

Onkel Matt war zum Bahnhof gefahren, um Cousin Marcel abzuholen. Allein der Klang dieses Namens ließ meine Schultern verspannen. Marcel und ich waren nicht gerade die besten Freunde. Er war Onkel Matts einziger Sohn, und doch waren wir so unterschiedlich, dass es fast schon absurd war. Marcel hatte dieses Talent, immer genau das Falsche zur falschen Zeit zu sagen, und er trug seine Überheblichkeit wie einen Mantel, den er mit Stolz präsentierte.

»Das werden sicherlich grandiose Weihnachtstage werden.«

Maja seufzte und stellte ihre Tasse ab. »Magnus, komm schon«, sagte sie mit diesem beschwichtigenden Ton, den ich nur zu gut kannte. »Vielleicht wird es diesmal anders. Vielleicht hat er sich verändert.«

Ich hob eine Augenbraue und warf ihr einen skeptischen Blick zu. »Marcel? Sich verändern? Er ist wahrscheinlich genauso arrogant und nervig wie immer.«

Maja schüttelte den Kopf und versuchte ein Lächeln, das ihr nicht ganz gelang. »Er ist trotzdem Familie. Und Weihnachten ist... na ja, die Zeit der Versöhnung, oder?«

»Wenn du das sagst«, murmelte ich und starrte auf das Klavier, als könnte es mir die Antworten geben, die ich suchte. »Aber ich wette, er wird keine fünf Minuten hier sein, bevor er mich wieder auf die Palme bringt.«

»Vielleicht überrascht er dich ja«, meinte Maja und legte eine Hand auf meine Schulter. »Und selbst wenn nicht, versuchen wir einfach, das Beste draus zu machen, okay? Es ist Weihnachten, Magnus. Ein bisschen Frieden tut uns allen gut.«

Ich seufzte und zuckte mit den Schultern. Frieden klang wunderbar – aber mit Marcel unter einem Dach war das leichter gesagt als getan.

Kaum hatte Maja ihre Worte ausgesprochen, hörten wir, wie sich der Schlüssel in der Haustür drehte. Die Holztür wurde geöffnet, und kalte Winterluft drang ins Haus, begleitet von den leisen Stimmen unseres Onkels und einer weiteren, vertrauten, aber lange nicht gehörten Stimme.

Maja und ich erhoben uns fast gleichzeitig und gingen in den Flur. Onkel Matt trat zuerst ein, sein Gesicht von der winterlichen Kälte gerötet, eine Reisetasche in der Hand. Hinter ihm erschien Marcel, unser Cousin, mit einem Koffer in der einen und einer Umhängetasche in der anderen Hand.

Wie alle Adrians hatte er diese markanten braunen Haare, die bei ihm unordentlich über die Stirn fielen, und die unverwechselbaren grauen Augen, die in unserer Familie fast schon ein Markenzeichen waren. Er war ungefähr genauso groß wie ich, vielleicht ein paar Zentimeter kleiner, schlank, aber mit der andeutungsweisen Athletik eines Hobbyläufers oder Fußballspielers. Es war Monate her, dass wir uns zuletzt gesehen hatten – im Sommer, auf der Beerdigung meiner Eltern. Ein Tag, den ich lieber aus meiner Erinnerung streichen würde.

Maja war die Erste, die auf Marcel zuging, ihre Gesichtszüge hellten sich auf, als sie ihn mit einer herzlichen Umarmung begrüßte. »Marcel! Schön, dass du da bist!«, rief sie mit einem warmen Lächeln, das fast die Kälte aus der Luft vertrieb.

Marcel grinste schief, ein Grinsen, das mehr Selbstbewusstsein als echte Freude ausstrahlte, und seine Zahnspange blitzte dabei kurz auf. Er ließ seine Taschen mit einem dumpfen Geräusch auf den Boden sinken und erwiderte Majas Umarmung. »Hey, Maja. Lange nicht gesehen.«

Seine Stimme klang locker, fast beiläufig, als ob er überlegte, ob er die Situation ernst nehmen sollte oder nicht.

Ich blieb ein paar Schritte entfernt stehen, die Arme vor der Brust verschränkt, und beobachtete die Szene schweigend. Als Marcels Blick schließlich zu mir glitt, veränderte sich sein Ausdruck kaum, abgesehen von einem kurzen Hochziehen einer Augenbraue, das so viel wie ein stummer Kommentar war: Oh, du bist auch noch da.

Ich erwiderte seinen Blick mit einer ähnlichen Regungslosigkeit, meine Kiefermuskeln angespannt. Eine wortlose Botschaft hing zwischen uns in der Luft: Lass uns das hier so schnell und schmerzlos wie möglich hinter uns bringen.

»Magnus«, sagte er schließlich, mit einem schiefen Lächeln, das eher an eine Herausforderung erinnerte als an einen Gruß. »Immer noch der Typ, der lieber beobachtet als redet, was?«

Ich zog eine Augenbraue hoch, zwang ein knappes Lächeln und zuckte mit den Schultern. »Manche Dinge ändern sich eben nicht.« Meine Stimme klang neutral, aber die Spannung war unverkennbar.

Marcel hielt meinen Blick einen Moment länger, als nötig war, und zuckte schließlich mit einer Schulter, als ob er mir die Interaktion großzügig schenkte. »Gut, gut. Freu mich auch, dich zu sehen.« Sein Tonfall sagte das Gegenteil, aber das schien ihn nicht zu stören.

»Ich wünschte, ich könnte dasselbe sagen«, murmelte ich kaum hörbar, mehr zu mir selbst als zu ihm, während ich mich leicht von der Szene abwandte.

Maja schien die gespannte Stimmung zwischen uns zu spüren, ignorierte sie aber mit der Beharrlichkeit einer großen Schwester, die die Harmonie aufrechterhalten wollte. »Kommt schon, Jungs. Es ist Weihnachten. Reißt euch ein bisschen zusammen.« Ihre Stimme klang leicht, aber es war klar, dass sie genug von unserem stillen Schlagabtausch hatte.

»Setzen wir uns ins Wohnzimmer«, schlug Onkel Matt vor, während er seine Jacke an die Garderobe hängte. Seine Stimme war ruhig, aber entschieden, und er schaute uns beide an, als wolle er sicherstellen, dass wir nicht auf dumme Gedanken kamen. »Da jetzt alle da sind, müssen wir über etwas Wichtiges sprechen.« Sein Tonfall wurde ernster, und mir zog sich der Magen zusammen. Ich wusste genau, was uns bevorstand.

Marcel musterte Onkel Matt, dann mich, mit einem leichten Heben seiner Augenbrauen, das zu fragen schien: Was zur Hölle meint er? Ich zuckte nur mit den Schultern und setzte einen ausweichenden Blick auf, als wollte ich ihm nicht den Gefallen tun, irgendetwas zu erklären.

Mit einem leisen Schnauben griff Marcel seine Taschen und stellte sie an die Seite, bevor er sich lässig ins Wohnzimmer bewegte. Beim Vorbeigehen warf er mir noch einen flüchtigen Seitenblick zu, der fast triumphierend wirkte –Ich bin hier, und du kannst nichts daran ändern.

Ich erwiderte seinen Blick mit einem leisen Seufzen, ließ ihn ziehen und murmelte tonlos: »Wunderbar.«

Maja setzte sich auf das Sofa und klopfte auffordernd auf den Platz neben sich, als ob sie uns mit Gewalt zu einem friedlichen Miteinander zwingen könnte.

Onkel Matt nahm auf dem Sessel gegenüber Platz. »Gut, dass wir alle beisammen sind«, begann er mit einem tiefen Atemzug. »Es gibt einige Dinge, die ihr wissen solltet«

Marcel lehnte sich zurück, die Arme hinter dem Kopf verschränkt, und warf mir einen Blick zu, der besagte: Na, das wird sicher lustig. Ich verschränkte die Arme vor der Brust und erwiderte seinen Blick nicht, sondern fixierte stattdessen Onkel Matt.

»Unsere Familie... wir sind nicht einfach eine gewöhnliche Familie. Seit Generationen hatten wir eine Aufgabe, eine Verantwortung.«

Er hielt kurz inne, als ob er die Worte sorgfältig abwägen wollte. »Wir sind Dämonenjäger.«

Die Worte hingen einen Moment lang in der Luft, als ob sie ihren Platz im Raum finden müssten. Maja und Marcel starrten ihn an, ihre Gesichter eine Mischung aus Verwirrung und Unglauben. »Das ist nicht dein Ernst, oder?«, fragte Maja schließlich, ihre Augen weiteten sich ungläubig. Marcel verschränkte die Arme und lehnte sich zurück, ein skeptisches Lächeln auf den Lippen. »Das klingt ja wie aus einem schlechten Film«, bemerkte er spöttisch.

Ich hingegen fühlte, wie mein Herz schneller schlug. Die Tragweite, was Onkel Matt jetzt sagte, war trotzdem erdrückend.

»Ich wünschte, es wäre ein Scherz«, antwortete Onkel Matt ernst und fuhr fort, in dem er erzählte, dass der Angreifer von ihm und mir, kein zufälliger Angreifer war, sondern der Nachtgiger.

Majas Hand flog vor den Mund, und Marcel saß plötzlich steifer, sein Spott wich einer vorsichtigen Wachsamkeit. »Das ist verrückt«, murmelte er, aber seine Stimme war weniger überzeugt.

Onkel Matt erhob sich und holte einen großen, abgenutzten Lederkoffer hervor. »Dieser Koffer gehörte meiner Großmutter«, erklärte er, während er ihn auf den Couchtisch stellte. »Sie hat ihn aus Danzig mitgebracht, als sie vor der Roten Armee floh.«

Er öffnete den Koffer, und der Raum schien stiller zu werden, als ob selbst die Nordmanntanne den Atem anhielt. Im Inneren des Koffers lagen ein silbernes Amulett in Form eines Kreuzes und ein breiter Ledergurt, bestückt mit Messern und Dolchen. Die Griffe waren mit schwarzem Leder umwickelt.

»Das hier«, sagte Onkel Matt, während er das Amulett hochhielt, »ist ein Schutzamulett. Es soll böse Geister fernhalten. Und diese Messer wurden speziell geschmiedet, um Dämonen zu töten.«

Maja starrte die Gegenstände an, als ob sie jeden Moment verschwinden könnten. »Das ist doch nicht real...«, flüsterte sie, ihre Stimme zitterte. Marcel beugte sich vor. »Und was... was hat das mit uns zu tun?«, fragte er zögernd.

Onkel Matt legte das Amulett zurück in den Koffer und setzte sich wieder. »EuerGroßvater hat das Institut für Dämonenjäger in Danzig geleitet«, erklärte er ruhig.

Onkel Matt lehnte sich im Sessel zurück, seine Hände auf den Lehnen ruhend, und ließ seinen Blick über uns schweifen. »Es war nie mein Plan, euch das auf diese Weise mitzuteilen«, begann er, seine Stimme weiterhin ruhig, aber eindringlich. »Doch nach allem, was passiert ist – nach dem Angriff des Nachtgigers, habe ich keine Wahl mehr. Es ist an der Zeit, euch mit der Wahrheit zu konfrontieren.«

Seine Worte fühlten sich schwer an, als würden sie den Raum noch enger machen. Ich spürte, wie meine Hände kalt wurden und mein Herz schneller schlug. Ich wusste, dass er recht hatte, aber in mir wuchs das Gefühl, ertappt zu sein. Die komplette Wahrheit, vor allem das, was mich betraf, hatte ich bisher verschwiegen. Und jetzt wurde der Raum, der sich so heimisch angefühlt hatte, zu einem Ort, der mich bedrängte.

Maja griff vorsichtig in den Koffer und hob eine kleine Glocke aus reinem Silber heraus. Ihre filigranen Verzierungen glänzten im warmen Licht der Weihnachtsbeleuchtung. Sie hielt sie wie ein zerbrechliches Relikt in ihren Händen, musterte jede Linie, jedes Detail. »Was... ist das?«, fragte sie leise, als hätte sie Angst, die Antwort könnte das Zerbrechliche zerstören.

»Der Rufer, er wurde geläutet, wenn etwas von der anderen Seite Kontakt suchte und gezähmt werden musste«, erklärte Onkel Matt. »Silber ist eines der wenigen Metalle, die auf übernatürliche Wesen wie Geister oder Werwölfe Auswirkungen haben.« Maja sah ihn an, ihre Augen weit vor Unglauben. »Das klingt wie aus einem Märchen.«

Marcel hingegen lehnte sich zurück, die Arme vor der Brust verschränkt. Er ließ ein skeptisches Schnauben hören. »Das klingt nicht wie ein Märchen, sondern wie eine verrückte Geschichte. Dämonen? Geister? Und wir sollen plötzlich... was? Monsterjäger spielen?«

Onkel Matt seufzte, sein Blick wurde härter. »Das hier ist keine Geschichte, Marcel. Das ist real. Und ich weiß, dass es schwer zu glauben ist, aber du hast keine Vorstellung davon, wie real es werden kann, bis zu einem von ihnen gegenüberstehst.« Er sah zu mir, seine Augen durchdringend. »Magnus weiß, wovon ich spreche.«

Marcel wandte sich mir zu, ein herausfordernder Ausdruck in seinem Blick. »Oh, wirklich?« Er beugte sich leicht vor. »Dann klär uns doch mal auf, Cousin. Was genau weißt du, was wir nicht wissen?«

Ich spürte, wie sich der Druck auf meine Schultern verdoppelte. Maja legte die Glocke behutsam zurück in den Koffer, ihr Gesichtsausdruck ein stiller Appell an mich, zu reden. Aber die Worte blieben mir im Hals stecken. Es war, als würde die Last meiner Geheimnisse mich nach unten ziehen, während ich versuchte, einen Weg durch dieses Gespräch zu finden. Ich nickte langsam, mein Blick auf den Boden gerichtet. »Onkel Matt hat recht«, sagte ich schließlich, meine Stimme leise, aber bestimmt. »Das alles... es ist echt. So verrückt es auch klingt.«

Maja atmete tief aus, ihre Hände zitterten leicht, als sie die Arme verschränkte. »Das ist mir gerade alles ein bisschen zu viel«, murmelte sie und erhob sich vom Sofa. Ohne ein weiteres Wort erhob sie sich und ging Richtung Küche. Ihre Schritte hallten leise auf dem Holzboden wider, und die Stille, die sie hinterließ, fühlte sich plötzlich schwerer an.

Onkel Matt sah ihr nach, ein Ausdruck aus Mitgefühl und Bedauern auf seinem Gesicht. »Sie braucht Zeit«, sagte er schließlich, mehr zu sich selbst als zu uns.

Marcel hingegen sah mich an, seine grauen Augen durchdringend. Er sagte nichts, aber sein Blick sprach Bände. Skepsis, ein Hauch von Unglauben – und vielleicht, ganz tief drinnen, die leise Andeutung einer Herausforderung.

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