[44] Der Nachtgiger schlägt zurück

Die Luft war dick von Spannung, und ich konnte das Adrenalin spüren, das durch meine Adern jagte. Mein Griff um die Taschenlampe war fest, aber mein Blick wanderte unwillkürlich zu meinen Begleitern. Onkel Matt stand neben mir, seine Schultern aufrecht trotz der Verletzung an seiner Schulter. Blut sickerte durch den Stoff seines Mantels, aber sein Griff um den Dolch war unbeirrbar. Die Wut in seinen Augen hatte einer klaren Entschlossenheit Platz gemacht.

Corvin stand auf meiner anderen Seite, sein Ausdruck düster wie immer, doch es lag eine eigenartige Ruhe in seiner Haltung. Der Nachtgiger rührte sich nicht, sondern beobachtete uns mit diesen glühenden, unmenschlichen Augen. Es war, als würde er uns mustern, uns wie ein Jäger abschätzen, bevor er zuschlägt. Das Rascheln seiner Federpracht, ein unheilvoller Klang, schnitt durch die Stille, und ein kalter Schauer lief mir über den Rücken.

Onkel Matt warf mir einen ernsten Blick zu, seine Augen schmal und voller Sorge. Sein Dolch glitzerte im flackernden Licht meiner Taschenlampe, während seine knochigen Finger das Heft umklammerten. »Magnus«, sagte er eindringlich, seine Stimme war leiser, aber mit einem Gewicht, das ich nicht ignorieren konnte. »Wenn was sein sollte, ich kann nicht riskieren, dass dir etwas passiert. Wenn was, lauf um dein Leben!«

Ich schüttelte den Kopf, meine Kehle war trocken. »Ich gehe nirgendwohin«, sagte ich fest. Meine Stimme klang stärker, als ich mich fühlte, aber ich meinte es ernst. »Wir stehen das zusammen durch.«

Onkel Matt seufzte schwer, und für einen Moment wirkte er müde, so viel älter, als ich ihn je gesehen hatte. »Verdammt, Junge«, murmelte er, fast mehr zu sich selbst als zu mir, dann richtete er den Blick wieder auf den Nachtgiger.

Die Kreatur stand regungslos, nur seine glühenden Augen flackerten, als ob er jede unserer Bewegungen analysierte. Corvin, der bis jetzt geschwiegen hatte, trat einen Schritt nach vorne. Seine Bewegungen waren ruhig und präzise, doch die Spannung in seinem Gesicht war nicht zu übersehen. »Ihr könnt später darüber diskutieren«, sagte er leise, aber mit Nachdruck. »Wenn wir das überleben wollen, müssen wir uns aufeinander verlassen. Keiner läuft weg. Keiner bleibt zurück.«

»Wie ist dein Plan?«, fragte Onkel Matt, ohne den Blick von der Kreatur abzuwenden. Seine Stimme war scharf. Es war die Stimme eines Mannes, der Antworten brauchte, und zwar sofort.

»Der Plan ist...«, erwiderte Corvin, und ein schwaches, sarkastisches Lächeln huschte über sein Gesicht. »Das Nest finden. Es zerstören. Und hoffentlich es lebend rausschaffen.«

»Hoffentlich?«, wiederholte Onkel Matt grimmig.

»Du kennst Dämonen genauso gut wie ich«, entgegnete Corvin mit einem Hauch von Trotz. »Kein Plan ist perfekt.«

Ich trat einen Schritt vor, meine Taschenlampe fest in der Hand. Die Hitze in mir brodelte, und ich spürte, wie mein innerer Dämon sich regte, bereit, freigelassen zu werden.

Plötzlich hallte der durchdringende Kreischlaut des Nachtgigers durch die Minenschächte, ein schauriges Echo, das sich anfühlte, als würde es direkt in meinen Kopf bohren. Die Kreatur hob ihre knochigen, krallenartigen Arme, und aus dem Dunkel stürzte erneut ein Schwarm dämonischer Krähen auf uns herab. Ihre rotglühenden Augen leuchteten wie kleine Feuerbälle, und ihre Flügel bewegten sich in einer unnatürlichen, ruckartigen Art.

Corvin reagierte blitzschnell. Mit einer geschmeidigen Bewegung formte er erneut einen blauleuchtenden Feuerball »Bleib zurück!«, rief er mir zu und schleuderte den glühenden Ball in die Luft. Der Schwarm wich aus, einige der Kreaturen verpufften in einem grellen Lichtblitz, doch viele andere zogen gnadenlos ihre Kreise um uns.

Onkel Matt nutzte den Moment. Mit einem wütenden Schrei stürmte er auf den Nachtgiger zu, den Dolch fest umklammert. Sein Gesicht war eine Mischung aus Entschlossenheit und Zorn. »Du verdammtes Mistvieh!«, brüllte er und holte aus, bereit, die Klinge in das knochige Gesicht des Wesens zu treiben. Doch der Nachtgiger war schneller.

Mit einer leichten Bewegung wich er aus, schwang einen seiner langen Arme und traf Onkel Matt mit voller Wucht. Das Kreischen der Kreatur, ein gellender Laut voller Bosheit, ließ das Blut in meinen Adern gefrieren. Die Mine bebte, lose Steine und Staub fielen von den Wänden. Ich sah, wie Onkel Matt durch die Luft geschleudert wurde, bevor er mit einem erschreckenden Knall gegen einen hölzernen Stützbalken prallte und reglos zu Boden sackte.

»Onkel Matt«, schrie ich, mein Herz raste vor Panik. Ohne nachzudenken, rannte ich zu ihm, meine Taschenlampe fiel zu Boden, das Licht tanzte flackernd über die unheimlichen Wände der Mine. Ich kniete mich neben ihn und legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Onkel Matt... bitte...!«, flehte ich, doch er rührte sich nicht.

Corvin, der die dämonischen Krähen weiterhin abwehrte, warf einen schnellen Blick zu uns hinüber. »Magnus, ich brauche dich hier!«, rief er, während er einen weiteren Feuerball schleuderte.

Ich wollte etwas sagen, wollte schreien, dass ich nicht von Onkel Matts Seite weichen würde. Doch bevor ich reagieren konnte, begann der Nachtgiger, sich auf mich zuzubewegen. Seine glühenden Augen waren auf mich gerichtet, sein Umhang aus Federn raschelte unheimlich, während er langsam, aber unerbittlich näherkam.

Die Panik in mir wuchs, aber auch ein unbändiger Zorn, der wie ein Feuer in meiner Brust loderte. Der Nachtgiger kam immer näher, seine knochigen Finger zu Krallen gekrümmt, bereit, zuzuschlagen. Die Luft um ihn herum war eisig, und das Flüstern der Schatten schien meinen Namen zu rufen. Ich wollte kämpfen, wollte Onkel Matt beschützen, aber Corvins Stimme riss mich aus meiner Starre.

»Magnus! Schnapp dir eine der Fackeln und das Heilige Feuer und such sein Nest! Ich lenke ihn solange ab!« Seine Worte waren scharf wie ein Peitschenhieb.

»Aber was ist mit Onkel Matt? Ich kann ihn nicht verletzt zurücklassen!« Mein Blick wanderte zu meinem Onkel, der reglos am Boden lag. Seine Brust hob und senkte sich, aber er wirkte furchtbar blass.

»Ich bleibe bei ihm! Schnell, Magnus, das ist unsere einzige Chance!« Corvin hob die Hände, und ein flammender Feuerball begann in seiner Hand zu wachsen, bereit, den Nachtgiger in Schach zu halten.

Mein Herz raste, und ich zögerte. Der Gedanke, Onkel Matt allein zu lassen, schnürte mir die Kehle zu. Doch dann packte mich die Entschlossenheit. Mit zittrigen Händen riss ich eine der angefertigten Fackeln aus Corvins Rucksack, griff nach dem Käfig mit dem Heiligen Feuer und warf einen letzten Blick zurück.

»Pass auf dich auf!«, rief der Halbdämon mir nach, als ich losrannte.

Der Korridor der Mine verschlang mich, die Dunkelheit umklammerte mich wie kalte Finger. Nur das sanfte Glühen des Heiligen Feuers spendeten mir Licht. Der Pfad war uneben, Geröll knirschte unter meinen Schuhen, und an den Wänden hingen rostige Schienen und alte Gerätschaften, die wie geisterhafte Überreste einer längst vergangenen Zeit wirkten.

»Ich schaffe das... ich schaffe das«, murmelte ich immer wieder, als würde das Mantra die wachsende Angst in mir dämpfen. Mein Atem war schnell und flach, und die feuchte, kalte Luft der Mine brannte in meinen Lungen. Doch ich konnte nicht zurück, durfte nicht versagen.

Hinter mir hallte plötzlich ein schrilles Kreischen durch die Tunnel. Die Dunkelheit vor mir schien dichter zu werden, fast greifbar. Ich spürte, wie die Mine selbst gegen mich zu arbeiten schien. Schatten tanzten an den Wänden, als wären sie lebendig, und das Gewicht der Erde über mir ließ mich beinahe ersticken. Aber ich rannte weiter, immer tiefer in das Herz der Mine, auf der Suche nach dem Nest des Nachtgigers.

Die Atmosphäre wurde noch bedrückender, und jeder Schritt hallte in der gespenstischen Stille der Mine wider. Das Heilige Feuer in meiner Hand flackerte unruhig, als hätte es selbst Angst vor dem, was vor mir lag. Ich spürte, wie die Kälte um mich herum intensiver wurde, ein eisiger Hauch, der meine Knochen durchdrang und mein Atem in weißen Wolken vor mir schwebte.

Plötzlich hörte ich ein Geräusch. Ein kratzendes, schabendes Geräusch, das wie Nägel auf Metall klang. Es war leise, doch es schnitt durch die Stille wie ein Messer. Ich blieb stehen, drehte mich um – nichts. Aber das Gefühl beobachtet zu werden, ließ mir die Haare im Nacken zu Berge stehen.

»Corvin?«, rief ich, meine Stimme klang hohl in der Dunkelheit. Keine Antwort.

Mit zittrigen Händen hob ich das Heilige Feuer, das in seinem Käfig flackerte, und leuchtete die Umgebung ab. Die Dunkelheit schien undurchdringlich, als würde sie das Licht verschlucken. Meine Atmung ging schwer, und jeder Atemzug schien die kühle, staubige Luft noch dichter zu machen.

Plötzlich sank eine schwarze Feder vor mir zu Boden, langsam wie ein gefallener Schnee. Mein Blick folgte ihrem Flug nach oben, und mein Herz setzte einen Schlag aus. Über mir, an der Decke der Mine, funkelten mehrere rote, glühende Augen wie finstere Sterne. Ein Kreischen, schrill und ohrenbetäubend, zerriss die Stille. Bevor ich reagieren konnte, stürzten sich die dämonischen Krähen auf mich.

Ihre schwarzen Flügel peitschten die Luft, und ihre Krallen und Schnäbel waren wie lebendige Waffen. Instinktiv schlug ich mit der Fackel und dem Käfig um mich, die Flammen des Heiligen Feuers leuchteten hell auf, als sie eine der Kreaturen trafen. Ein durchdringender Schrei hallte durch die Mine, und die Krähe löste sich in einer Rauchwolke auf.

Doch es waren zu viele. Sie umzingelten mich, ihre Flügel schlugen gegen meinen Kopf, ihre scharfen Schnäbel trafen meine Arme und Schultern. Ich fuchtelte wie wild um mich, das Adrenalin schoss durch meine Adern, aber die Panik schnürte mir die Kehle zu.

»Verdammt!«, keuchte ich, während ich taumelte. Plötzlich fiel mein Blick auf ein dunkles Loch in der Wand, kaum mehr als ein schmaler Spalt. Es war meine einzige Chance.

Mit einem letzten, verzweifelten Schlag meines Käfigs, der eine weitere Krähe in Rauch aufgehen ließ, rannte ich los. Die Kreaturen kreischten hinter mir, ihre Krallen schrammten über den Boden, als sie mich verfolgten. Ich warf mich in das Loch hinein, spürte, wie die kalten Wände meine Jacke streiften, während ich durch den engen Spalt preschte.

Plötzlich rutschte mein Fuß auf losem Geröll aus. Ich verlor das Gleichgewicht, stolperte, und fiel. Der Boden unter mir gab nach, und ich rutschte eine steile Schräge hinunter. Der Käfig des Heiligen Feuers schlug mit mir auf dem Boden auf, das Licht warf tanzende Schatten an die Wände, bevor ich schließlich liegen blieb.

Ich lag keuchend auf dem Rücken, während das Geräusch meiner Verfolger schwächer wurde. Sie hatten mich nicht in den Spalt verfolgt. Vorsichtig richtete ich mich auf und tastete nach dem Käfig. Das Heilige Feuer flackerte schwach, aber es war noch da.

Die Luft war dick und schwer, durchzogen von einem unangenehm muffigen Geruch, der mich an vergessene Katakomben erinnerte – es war, als ob dieser Ort die Dunkelheit selbst in sich aufgenommen hatte und sie nun in einer abscheulichen, festen Form zurückgab. Ein starker, muffiger Geruch lag in der Luft, vermischt mit dem beißenden Duft von Eisen und etwas, das mich an verschmortes Holz erinnerte.

Ich trat weiter vor, das Licht des Feuers zu meiner einzigen Orientierung. Der Boden unter meinen Füßen war von dunklen Rissen durchzogen, die wie Krater wirkten und in die Tiefe führten. Die Kälte schnitt mir in die Knochen, als wäre sie nicht nur die Kälte der Umgebung, sondern die Kälte des Ortes selbst – ein Ort, der lange vor mir existiert hatte und der von einer düsteren Präsenz durchdrungen war.

Und dann erblickte ich das Tor. Es war groß und aus schwarzem, glänzendem Metall, das irgendwie nicht von dieser Welt zu stammen schien. Seltsame Symbole waren in das Tor eingraviert. Ich hatte keine Ahnung, was diese Zeichen bedeuteten, aber sie erinnerten mich an uralte Schriftzeichen, die in alten Legenden über Dämonen und die Ursprünge des Bösen vorkamen.

Schwarz verfärbte Wurzeln ragten aus dem Tor, als ob der Raum dahinter von einem lebenden, unheiligen Wesen kontrolliert wurde. Sie krallten sich in den Boden und schlängelten sich wie Äste, die darauf warteten, ihre Feinde zu fangen.

Plötzlich hörte ich ein Knacken unter meinem Fuß, und erschrocken blickte ich hinunter. Eine Brille lag zerbrochen vor mir, deren Glas in viele kleine Splitter zerbrochen war. Ich konnte mich gerade noch zurückhalten, um nicht auf den Glasscherben zu treten. Ich hob sie auf, und ein kaltes Gefühl breitete sich in meiner Brust aus.

»Was in aller Welt ist das für ein Ort?«, murmelte ich. Das fühlte sich an wie der Ort, an dem Alpträume geboren werden – und ich war mitten in ihm.

Ich blickte wieder zum Tor, das nun vor mir stand. Das Heilige Feuer in meiner Hand flackerte, als ob es gegen die dunkle Energie, die von dem Tor ausging, ankämpfen würde. Der Kälte, die mich ergriff, war fast körperlich spürbar. Der kalte Griff von Angst packte mein Herz, aber auch der Zorn und die Wut.

Mit einem kräftigen Ruck schob ich das Tor weit genug auf, um hindurchzutreten. Es knarrte und ächzte dabei, als hätte es Hunderte von Jahren nicht mehr geöffnet worden. Als die letzte Hemmschwelle sich löste, strömte eine eisige Kälte durch den Spalt, die mir sofort das Gefühl gab, als würde die Dunkelheit selbst in meine Knochen kriechen. Der modrige, faulige Geruch, der mir entgegenschlug, war überwältigend – der faulige Hauch des Todes. Der Drang sich zu übergeben stieg in mir auf, doch ich unterdrückte ihn.

Reiß dich zusammen!

Der Moment, in dem ich das Tor öffnete, fühlte sich an, als ob die Dunkelheit in sich selbst lachte. Ein schriller, durchdringender Schrei hallte aus der Ferne, und für einen kurzen Augenblick hielt ich den Atem an. Mein Herz schlug wild in meiner Brust, aber ich zwang mich, nach vorne zu sehen.

Der Raum vor mir war ein makabrer Anblick. Es war rund, wie ein unheimlicher, zerfallener Tempel. Die Wände waren in Dunkelheit gehüllt, und schwere, verfallene Säulen standen an den Seiten, als stützten sie das schwindende Gewicht eines längst vergessenen Gottes. Doch was mich am meisten faszinierte, war der Brunnen in der Mitte des Raumes. Er war seltsam, fast bösartig in seiner Form, und die schwarzen Wurzeln, die sich aus ihm herauswanden, wirkten wie die tentakelartigen Auswüchse eines finsteren Wesens. Sie krümmten sich und verbreiteten sich im Raum, als ob sie die ganze Umgebung erobern wollten.

War dies das Nest des Nachtgigers?

Ich trat einen Schritt näher und vergewisserte mich, dass ich nicht auf eine dieser Wurzeln trat. Sie wirkten lebendig, bewegten sich kaum sichtbar und zuckten, als ob sie jede Berührung spürten. Ein falscher Schritt, und ich konnte mir vorstellen, was passieren würde. Ein leises Zischen und das Gefühl von etwas, das sich in die Tiefe dehnte, schlich durch den Raum.

Das Heilige Feuer in meiner Hand flackerte und warf lange, verzerrte Schatten auf die Wände des Raumes, die sich tanzend um mich schlangen. Der Raum schien tiefer zu werden, als könnte er mich verschlingen, aber der Schein des Feuers gab mir etwas Halt. Es war ein schwaches Licht in einer Welt der Dunkelheit. Doch das Licht war genug. Es hielt die Kälte und den Tod fern, so schien es mir zumindest.

Doch dann fiel hinter mir ein metallisches Geräusch, ein Klicken, das sich wie ein eisiger Riegel in meinem Inneren anfühlte. Erschrocken drehte ich mich um – und da stand er. Der Nachtgiger. Mit seinen glühenden, rot-brennenden Augen, die mich durchdrangen. Die Bedrohung in seiner Haltung war unübersehbar, die Aura, die er ausstrahlte, war wie ein scharfer, schneidender Wind, der alles Leben um sich herum erstickte.

»Was hast du mit Corvin gemacht?«, schrie ich panisch, aber der Nachtgiger antwortete nicht. Er stand einfach da, sein Mantel aus schwarzen Federn raschelte in der unheimlichen Stille, und seine Augen verfolgten jede meiner Bewegungen.

Die Angst kroch in mir hoch wie ein kalter Schatten, der sich über mein Herz legte. Ich wollte weglaufen, doch die Kälte lähmte mich. Und dann – plötzlich – begann die Hitze in mir zu brennen. Ein stechender Schmerz durchzog meine Brust, und ich griff mir keuchend an die Seite. Mein Herz pochte so laut, dass es fast schmerzte. Der Druck, der sich in meiner Brust aufbaute, ließ mich taumeln, und ich spürte, wie sich ein dunkler Drang in mir regte – mein innerer Dämon.

»Lass mich heraus, Magnus...«, flüsterte seine Stimme in meinem Kopf, tief und verführerisch. »Du brauchst mich, Magnus...«, drang es weiter in meine Gedanken, und ich spürte, wie die Hitze in mir wuchs, stärker, unaufhaltsam.

»Gib dich ihm nicht hin... denk an Uriels warnende Worte!«, schrie mein Über-Ich in meinem Geist. Die Worte klangen wie das Rauschen eines gewaltigen Stroms, der mich zurückzog, als ich fast schon in den Sog des Dämons geraten wäre.

Ich starrte auf das Heilige Feuer in meiner Hand, das leicht flackerte, als ob es selbst gegen die Dunkelheit kämpfte. Die Wärme des Feuers schien zu zögern, als würde es mit mir ringen, mich zu retten oder mich in den Abgrund zu ziehen. Ich wusste, dass der Moment kam, in dem ich mich entscheiden musste.

Die Brustschmerzen wurden stärker, die Dunkelheit immer dichter, und der Nachtgiger stand immer noch da, regungslos, als würde er wissen, dass meine Entscheidung bevorstand. Der Druck in meiner Brust schnürte sich weiter zusammen, bis ich das Gefühl hatte, gleich zu zerbrechen.

»Was mache ich jetzt?«, fragte ich mich verzweifelt.

Die Worte meines inneren Dämons klangen immer lauter, ein Ruf nach Macht und Freiheit, während die warnenden Worte von Uriel wie ein letzter Funken Hoffnung in meinem Kopf leuchteten.

Soll ich das Heilige Feuer gegen den Nachtgiger richten? War ich stark genug, nicht zu fallen? Würde ich selbst nachgeben und die Dunkelheit umarmen, die so verführerisch war?

Ich schloss für einen Moment die Augen, atmete tief ein und spürte den inneren Kampf. Es war jetzt oder nie. Die Dunkelheit um mich herum schien noch dichter zu werden, als ich den Käfig mit dem Heiligen Feuer langsam abstellte. Der Dämon in mir, der in den Tiefen meiner Seele schlummerte, drängte an die Oberfläche.

»Mir bleibt wohl keine andere Wahl«, flüsterte ich zu mir selbst. Die Worte schienen die Dunkelheit in mir zu durchdringen, als ob sie die letzte Grenze zwischen meinem alten Ich und dem Dämon, den ich nun werden würde, sprengten. Es war der Moment, in dem ich mich entschied. Ich ließ den inneren Dämon die Macht übernehmen.

Die Veränderung begann mit einer Welle der Hitze, die mich durchzuckte, als ob mein Körper in einem Feuer brannte. Meine Organe schienen zu kochen, der Schmerz war wie nichts, was ich je erlebt hatte. Die Hitze kroch in meine Adern und ließ mein Herz wie einen Schmelztiegel schlagen, als ich zu Boden sank, um nicht von der Wucht des inneren Umbruchs überwältigt zu werden. Die Welt um mich herum verschwamm, als meine Sinne sich verfremdeten und die Dunkelheit sich mehr und mehr mit dem Feuer in meinem Inneren verband.

Ich konnte den Dämon in mir spüren, wie er seine Macht ausdehnte, wie er meinen Körper ergriff und ihn formte. Schwarze Adern schossen wie Risse über meine Haut, zogen sich durch meine Arme und Beine, ein Netzwerk aus Schatten, das sich immer weiter ausbreitete. Ich hörte, wie der Dämon in mir lachte – ein dunkles, triumphales Lachen, das den Raum füllte und den Schmerz in mir auf eine seltsame Weise linderte.

Meine Hände verwandelten sich vor meinen Augen, die Finger dehnten sich aus und bildeten scharfe Krallen, die den Boden durchbohrten. Die Transformation war nicht nur körperlich, sie war auch mental. Ich spürte, wie sich meine Gedanken in den Abgrund zogen, wie der Dämon in mir die Kontrolle übernahm, mich zum Werkzeug seines eigenen Willens machte.

»Wäre sonst ein unfairer Kampf, nicht wahr?«, sagte ich mit einer neuen, tiefen Stimme. Ich richtete meinen Blick auf den Nachtgiger, der immer noch regungslos vor mir stand, als würde er die Veränderung in mir abwarten.

Das Monstrum verharrte noch immer, seine glühenden Augen starr auf mich gerichtet, während ich ihn anfunkelte. Die Spannung im Raum war greifbar, wie ein gespanntes Seil, das kurz davor war zu reißen. Ich spürte die Energie in mir, die unbändige Kraft meines Dämons, und ohne ein weiteres Zögern stürzte ich mich auf ihn. Meine Krallen fuhren durch die Luft, zielten auf seine Brust, doch er war schnell – zu schnell. Mit einer geschmeidigen Bewegung wich er aus, und meine Pranken trafen nur die kalten Steinplatten des Tempelbodens.

Ein hämmerndes Krachen hallte durch den Raum, als der Nachtgiger seinerseits zum Angriff überging. Seine krallenartigen Finger zischten durch die Luft, und ich konnte nur knapp zur Seite hechten, um einem Treffer zu entgehen. Der Schlag hinterließ eine tiefe Furche im Boden, wo ich gerade noch gestanden hatte. Ich stieß ein knurrendes Grollen aus, der Dämon in mir fauchte vor Zorn.

Ich schlug erneut zu, zielte auf seine Seite, doch er blockte den Angriff mit einer blitzschnellen Bewegung seiner Arme. Unsere Kräfte schienen sich zu messen, und die Luft zwischen uns schien vor Energie zu knistern. Jeder Schlag, jeder Tritt war präzise, und doch gelang es keinem von uns, den entscheidenden Treffer zu landen.

Plötzlich durchbrach eine Stimme die unheimliche Stille des Raumes:

»Magnus!«

Ich hörte meinen Namen, klar und durchdringend, wie ein Anker in der tobenden Dunkelheit. Die Stimme gehörte Corvin, und sie klang abgehetzt, wie von einem langen Sprint. Mein Kopf fuhr herum, und ich erblickte ihn, wie er durch das Tor hetzte, die Schultern schwer atmend, doch mit einem entschlossenen Blick. Für einen Moment war ich erleichtert, ihn zu sehen. Doch diese Ablenkung war kurz – mein Fokus galt immer noch dem Nachtgiger.

Dieser nutzte den kurzen Moment meiner Unaufmerksamkeit und setzte zum nächsten Schlag an, ein mächtiger Hieb, der mich zu Boden reißen sollte. Doch ich war schneller. Ich tauchte unter seinem Angriff hindurch, wirbelte herum und griff nach seinem Kopf. Meine Krallen packten die skelettartige Maske, die wie mit Wurzeln an ihm haftete, und rissen sie mit einem kraftvollen Ruck ab.

Ein markerschütternder Schrei ertönte, als die Maske von seinem Gesicht gerissen wurde. Ich stolperte zurück und hielt die Maske in den Händen, die wie aus verdorrtem Knochen und schwarzen Federn bestand. Doch mein Blick wanderte unwillkürlich zu dem, was unter der Maske zum Vorschein kam.

Corvin und ich erstarrten gleichermaßen. Das, was vor uns stand, war nicht das Gesicht eines Monsters, wie wir es erwartet hatten. 

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top