[42] Entscheidungen
Es war ein innerer Kampf, der mich zermürbte. Die Geschehnisse der letzten Tage, die Begegnung mit Nachtgiger, Uriel dem Erzengel, der bevorstehende Kampf und die ständige Ungewissheit über das, was mit mir geschah – all das hatte mich immer weiter von meinen Freunden entfremdet. Sie wussten nicht, was in mir vorging, und ich wollte sie nicht belasten. Solange ich selbst keine Antwort hatte, was ich wirklich war, schien es das Beste zu sein, sie aus meinem Leben zu lassen. Besonders Leo und Juliette, die alles viel zu schnell bemerkten, hatten sich zu nahe an mich herangemacht. Ich konnte nicht riskieren, ihnen von dieser dunklen Seite zu erzählen.
Mit einem Seufzen ließ ich das Handy auf meinem Schreibtisch liegen. Die unzähligen Nachrichten von Leo und Juliette blinkten ständig auf dem Bildschirm, aber ich ignorierte sie bewusst. Ich wusste, dass sie sich Sorgen machten, aber was konnte ich ihnen sagen?
Wie sollte ich erklären, was in mir war, wenn ich selbst noch keine Antworten fand?
Es war leichter gesagt als getan. Der Druck in meiner Brust, das Gefühl, meine Freunde wegzuschieben, sie alle zurückzulassen, war wie ein schwerer Stein, der mir immer wieder ins Gesicht fiel. Ich wusste, dass ich mich distanzieren musste, aber es tat weh, ihre Namen auf dem Display zu sehen und nichts zu tun.
Die Schulstunden zogen sich endlos dahin, als ob jede Minute sich gegen mich verschworen hätte. Zum Glück, wenn man das überhaupt so nennen konnte, standen die letzten beiden Stunden unter dem Zeichen einer Klassenarbeit in Englisch. Es war, als ob der Raum selbst die Zeit in einem zähen, zermürbenden Rhythmus verlangsamte, doch plötzlich fühlte sich der Test wie ein Wettlauf gegen die Uhr an. Jeder Blick auf die Uhr, jeder gedankenverlorene Moment schien mich nur noch weiter von der finalen Lösung zu entfernen. Es war eine unaufhaltsame Jagd, die ich irgendwie gewinnen musste, um die Zeit, die mich quälte, zu überlisten.
Die Schulglocke ertönte mit einem schrillen Klang, der den Unterricht abrupt beendete und in der Klasse eine spürbare Erleichterung auslöste. Hastig packte ich meine Sachen zusammen und drückte meine Englischarbeit in die Hände von Frau Weiss, ohne sie wirklich anzusehen. Ihre Worte prallten an mir ab, ich hörte nur das gedämpfte Murmeln ihrer Stimme. In einem schnellen Schritt verließ ich das Klassenzimmer und ging den Flur entlang. Die anderen Schüler strömten an mir vorbei, lachten, redeten, ihre Stimmen hallten an den Wänden wider, aber in mir war nur Leere.
Draußen war der Himmel grau, und ein ständiger, schwacher Regen hatte die Straßen in einen silbrigen Schleier gehüllt. Trotz der festlichen Dekorationen, die die Schule und die Stadt mit bunten Lichtern und Tannenzweigen schmückten, fühlte sich alles für mich trostlos und leer an. Der Glanz der Feiertage konnte den Schatten in mir nicht vertreiben. Die festliche Atmosphäre, die die anderen in ihren Gesprächen erlebten, erreichte mich nicht.
Plötzlich hörte ich eine vertraute Stimme hinter mir.
»Magnus, warte!«
Leo. Ich zwang mich, schneller zu gehen, als würde ich die Worte in mir abblocken.
»Magnus!«
Wiederholte er, doch ich blieb unbeirrt und tauchte in den Strom der Schüler ein, der mich wie ein dicker Strom davontrug. Ich konnte den besorgten Blick hinter mir spüren, aber ich wollte nicht zurücksehen. Nicht jetzt. Zurück blieb Leo, verwirrt und besorgt, mit einem Ausdruck, der sich tief in mein Innerstes brannte, auch wenn ich ihn nicht mehr sehen konnte.
***
Leo saß an einem der Tische in der Schulredaktion der Schülerzeitung, das Rauschen der Tastaturen und das Rascheln von Papier um ihn herum waren beinahe beruhigend. Aber es war nicht das, was ihn beschäftigte. Seine Gedanken kreisten immer wieder um Magnus. Das seltsame Verhalten seines Freundes hatte ihn in den letzten Tagen zunehmend beunruhigt. Normalerweise war Magnus vielleicht mal launisch oder verschlossen, aber jetzt schien er eine Mauer um sich zu bauen. Leo konnte keinen klaren Grund erkennen, was ihn so abweisend gemacht hatte. Hatte er etwas falsch gemacht? Hatte er zu viel nachgefragt oder ihn mit seinen eigenen Sorgen überhäuft?
»Was ist nur los mit ihm?«, murmelte Leo, ohne es wirklich an jemanden zu richten. Es war mehr eine Frage an sich selbst.
»Leonard?«, Angelas Stimme riss ihn aus seiner Grübelei. Sie kam näher, ein Stapel Papiere in der Hand, die sie sorgfältig auf den Tisch legte. »Ist alles in Ordnung bei dir?«
Leo schüttelte den Kopf. »Ja... nein. Es ist wegen Magnus. Er ist zurzeit sehr distanziert und ich weiß nicht, was mit ihm los ist.«
Angela legte den Kopf schief und musterte ihn aufmerksam. »Magnus war schon immer ein bisschen eignen, oder?«
»Das ist er... aber er kam auf einen zu, wenn was war... aber ich spüre, dass etwas dieses Mal anders ist.«
Angela setzte sich auf einen der freien Stühle. »Gib ihm einfach Zeit. Sowie ich eure Freundschaft einschätze, wird er auf dich noch zurückkommen«, sagte Angela und lächelte dabei. »Übrigens bin ich mit dem Bericht über die Vermisstenfälle fast fertig. Allerdings gibt es so viele Ungereimtheiten in diesen Fällen...«
Leo sah auf und schien für einen Moment von seinen eigenen Sorgen abgelenkt.
»Das letzte Opfer, das 1984 verschwand war Bettina Fassbinder. Sie war 15 Jahre alt und verschwand direkt an ihrem Geburtstag. Das ist doch tragisch, oder?« Ihre Stimme war sachlich, aber ihre Augen verrieten, dass sie von dem Fall genauso fasziniert wie beunruhigt war.
Bei dem Namen „Fassbinder" zuckte Leo innerlich zusammen. Sofort dachte er an Juliette. Könnte sie vielleicht eine Verwandte von Bettina Fassbinder sein? Seine Gedanken rasten, als er nach den Unterlagen griff. Er zog ein schwarz-weißes Foto heraus und betrachtete, das junge Mädchen mit einem strahlenden Lächeln, das so voller Leben war, dass es fast schmerzte, es anzusehen.
»Aber eigentlich wollte ich dich was fragen... Willst du nicht über das schreiben, was du im Wald erlebt hast? Das könnte ein richtig spannender Artikel für Pandoras Presse werden.«
Leo zuckte mit den Schultern und schüttelte den Kopf. »Das Erlebte klingt viel zu verrückt, Angie. Niemand würde mir das abkaufen.«
Das Mädchen lehnte sich zurück und lächelte schief. »Mag sein. Aber genau deshalb lieben es Leute solche Geschichten zu lesen. Sie müssen nicht glauben, dass es wahr ist, um interessant zu sein.« Sie warf einen Blick auf die Uhr und begann, ihre Sachen zusammenzupacken. »Ich muss los. Hab noch zwei Stunden Physik vor mir. Aber denk drüber nach, ja? Du hast ein gutes Feingefühl, und ich wette, du könntest etwas richtig Gutes daraus machen.«
Leo nickte, sagte aber nichts. Angela verabschiedete sich und ließ ihn allein in der Redaktion zurück.
Die Stille im Raum fühlte sich plötzlich schwer an, und Leo blickte wieder auf das Schwarz-Weiß-Foto von Bettina Fassbinder. Er griff nach einem weiteren Scan eines alten Zeitungsartikels, der über ihren Vermisstenfall berichtete, und begann, ihn zu überfliegen.
Plötzlich klopfte es an der Tür, und Leo fuhr erschrocken zusammen. Sein Herz machte einen Satz, während er den Bericht hektisch zur Seite legte und sich umdrehte. Im Türrahmen stand Juliette, ihr Gesicht von einem Hauch Neugier und Unsicherheit geprägt. Sie klammerte sich am Riemen ihrer Tasche fest, als würde sie sich an ihm festhalten, um nicht fortgerissen zu werden.
»Stör ich dich gerade?«, fragte sie leise, fast zögerlich.
Leo schüttelte hastig den Kopf. »Nein, überhaupt nicht. Komm rein.«
Juliette trat ein. Ihr Blick glitt über den Tisch und blieb an dem Schwarz-Weiß-Foto hängen, das noch halb unter den Papieren hervorlugte. Ein flüchtiges Lächeln huschte über ihr Gesicht, das von einem bittersüßen Ausdruck begleitet wurde.
»Das ist eines der schönen Fotos von Tante Betty«, sagte sie leise, ihre Stimme schwang zwischen Wehmut und Stolz.
Leo horchte auf, seine Augen weiteten sich leicht. »Bettina Fassbinder ist deine Tante?«
Juliette nickte langsam und ließ sich auf den Stuhl neben ihm sinken. »Ja, sie ist Papas jüngere Schwester gewesen. Das langersehnte Mädchen meiner Großeltern.« Ihre Stimme klang jetzt melancholisch, und ihre Augen verloren sich für einen Moment in der Ferne.
»Ich hätte sie wirklich gerne kennengelernt. Sie liebte das Schreiben. Meine Oma erzählte immer, dass Tante Betty Autorin werden wollte. Sie hatte so viele Notizbücher voller Geschichten und Gedichte.«
Leo nickte nachdenklich und stützte sein Kinn auf die Hand. Das Bild einer jungen, träumerischen Bettina Fassbinder formte sich in seinem Kopf, eine Person voller Leben und Ambitionen, die zu früh aus der Welt gerissen worden war. »Das ist wirklich...« Er suchte nach den richtigen Worten, konnte aber nichts sagen, was die Tragödie leichter machen würde.
Juliette winkte jedoch ab, als wollte sie verhindern, dass er weiter nach Worten rang. »Aber ich bin nicht deswegen hier.« Sie sah ihn nun direkt an, ihre Augen fest und fragend. »Ich wollte mit dir über Magnus sprechen.«
Leo lächelte matt, ein Hauch von Resignation in seinem Ausdruck. »Er reagiert nicht auf meine Nachrichten. Weißt du, was los ist?«
Leo schüttelte langsam den Kopf, seine Lippen zu einem nachdenklichen Strich zusammengepresst. »Ich weiß es auch nicht... er antwortet ebenso wenig auf meine. Es ist so, als hätte er sich von der ganzen Welt abgeschottet. Meine Vermutung ist, dass Weihnachten vor der Tür steht. Es ist das erste Mal, dass er die Feiertage ohne seine Eltern verbringen wird.« Seine Stimme war leise, als würde er das Gewicht dieser Worte noch einmal selbst spüren. »Und über Gefühle zu sprechen, gehört nun mal nicht zu seinen Stärken.«
Juliette nickte zustimmend, ihr Blick auf den Boden gerichtet. »Das stimmt...« Sie hob den Kopf, ihre Augen suchten wieder den Kontakt zu Leo. »Übrigens wollte ich noch auf unser Gespräch letztens zurückkommen, als du gefragt hattest, ob ich Gefühle für Magnus habe.« Leos Augen weiteten sich leicht, und er lehnte sich vor, ganz Ohr.
»Ja?«
Juliette wandte den Blick ab, spielte nervös mit dem Riemen ihrer Tasche, bevor sie tief Luft holte. »Ich hatte... ich... ich... ich bin schon seit der Grundschule in diesen Sturkopf mit den eisblauen Augen verliebt.« Es platzte förmlich aus ihr heraus, als hätte sie die Worte nicht länger zurückhalten können. Ihre Wangen färbten sich leicht rosa, und sie wagte es nicht, Leo direkt anzusehen.
Leo lächelte breit, seine Augen blitzten schelmisch. »Ich meine, wir wussten das irgendwie alle... aber es ist schön, endlich ein offizielles Statement von dir zu bekommen.« Er griff nach einem kleinen Notizblock und einem Kugelschreiber, setzte eine übertrieben ernste Miene auf und spielte den Journalisten. »Erzählen Sie weiter, Miss Fassbinder, zukünftige Mrs. Adrian. Unsere Leser warten sehnsüchtig auf die Lovestory des Jahrhunderts!«
Juliette konnte nicht anders, als in sein Lächeln einzustimmen. Sie schüttelte den Kopf und lachte leise. »Gossip Boy in seinem Element«, entgegnete sie, während sie ihre Hand spielerisch auf seine schob, um den Notizblock beiseitezuschieben. Beide brachen in ein herzliches Lachen aus, das für einen Moment die Schwere der Gespräche über Magnus und die merkwürdigen Ereignisse in der Stadt verdrängte.
Das Lachen verklang langsam, und die Atmosphäre wurde wieder ruhiger. Juliette lehnte sich zurück, verschränkte die Arme vor der Brust und schaute Leo nachdenklich an.
»Was ist mit Anton?«, fragte Leo schließlich und durchbrach die Stille. Seine Stimme war vorsichtig, als ob er ein heikles Thema ansprach.
Juliette zuckte mit den Schultern, ein Schatten von Unbehagen huschte über ihr Gesicht. »Ich mag ihn... wirklich. Er ist nett, aufmerksam und bringt mich oft zum Lachen. Aber...« Sie seufzte und schaute zur Seite, ihre Finger spielten nervös mit dem Reißverschluss ihrer Tasche. »Meine Gefühle für Magnus sind einfach stärker. Eigentlich führe ich solche Gespräche mit Lisa, aber sie hat im Moment schon genug mit ihrem Vater zu tun.«
Leo nickte, seine Stirn leicht in Falten gelegt. »Verständlich. Aber ehrlich gesagt, kommst du nicht drum herum, ein Gespräch mit ihm zu suchen. Anton ist vielleicht ein Arsch, aber auch er hat es verdient, die Wahrheit zu erfahren.«
Juliette stimmte mit einem kleinen Nicken zu. »Er ist wirklich kein schlechter Mensch...«, verteidigte sie ihn sanft. Sie strich sich mit beiden Händen über das Gesicht und ließ sie dann kraftlos sinken. »Was soll ich nur tun?«, fragte sie leise, ihre Augen suchten Leos, als ob sie in ihm eine Lösung finden könnte.
Leo legte eine Hand auf ihre Schulter und drückte sie leicht. »Tu das, was du für richtig hältst. Sei einfach ehrlich. Es wird nicht einfach, aber es ist das Beste.«
Sie nickte langsam, dankbar für seinen Rat. »Danke, Leo. Du bist wirklich ein guter Freund.«
Leo lächelte verlegen. Sie stand auf, nahm ihre Tasche und warf einen letzten Blick auf ihn. »Ich sollte los. Danke nochmal.«
Leo blieb zurück, allein in der Redaktion. Eine Weile starrte er gedankenverloren auf den Monitor vor sich, die Gedanken an Juliette, Anton und Magnus wirbelten wie ein Sturm durch seinen Kopf. Doch schließlich wanderten seine Gedanken zurück zu dem, was Angela gesagt hatte.
Er öffnete ein neues Word-Dokument und begann zu tippen. Die Worte flossen fast von selbst, als er die Geschichte des mysteriösen „Engel der Nacht" Stück für Stück zu Papier brachte.
***
Der Abend war still, nur das Knirschen ihrer Stiefel auf der dünnen Schneeschicht durchbrach die Ruhe, als Juliette vor dem Haus der Langenecks stand. Das Haus war einladend, mit seiner weißen Fassade und dem roten Dach, das im schummrigen Licht der Straßenlaternen fast malerisch wirkte. Die Nachbarschaft war festlich geschmückt: Lichterketten funkelten, und auf den Vorgärten standen leuchtende Rentiere und Schneemänner. Trotzdem fühlte sich Juliette wie ein Eindringling, als sie auf die Tür zuging. Ihre Handschuhe halfen kaum gegen die Kälte, ihre Finger waren klamm, doch die Nervosität in ihrer Brust ließ sie die eisigen Temperaturen kaum wahrnehmen.
Sie hielt kurz inne, sammelte sich und klingelte schließlich. Ihr Herz pochte laut in ihrer Brust, die Sekunden zogen sich in die Länge, bis die Tür geöffnet wurde.
Anton stand dort, groß und vertraut, in einer blauen Küchenschürze mit einem humorvollen „Küchenchef"-Aufdruck. Sein Gesicht hellte sich auf, als er sie sah.»Julie, Schatz!« Seine Stimme war warm, voller Zuneigung, und er beugte sich vor, um sie zu küssen. Juliette wich instinktiv leicht zurück, sodass sein Kuss nur ihre Wange streifte.
»Kann ich reinkommen?« Ihre Stimme war ruhig, aber sie spürte den Knoten in ihrem Hals.
»Natürlich.« Anton trat beiseite, um sie einzulassen. Sie zog ihre Handschuhe aus und folgte ihm ins Haus. Die Wärme der Räume umhüllte sie sofort, und in der Luft hing der verlockende Duft von frischen Plätzchen.
»Ich bin gerade dabei, Plätzchen zu backen«, sagte Anton mit einem stolzen Lächeln, während sie in die Küche traten. Der Raum war ein Chaos aus Mehlstaub, bunten Streuseln und Keksförmchen, aber er wirkte lebendig und einladend. Auf einem Teller standen bereits fertige Zimtsterne, die wie aus einem Backmagazin aussahen.
Juliette spürte einen schmerzhaften Stich in ihrer Brust. Es war so typisch für Anton, diese Seite von sich nur mit den Menschen zu teilen, die ihm am nächsten standen. Und sie gehörte zu diesem Kreis – zumindest bis jetzt.
»Probier mal!« Anton nahm einen der Zimtsterne vom Teller und hielt ihn ihr erwartungsvoll hin. Sie nahm den Keks mit einem gezwungenen Lächeln, biss hinein und spürte, wie die vertraute Mischung aus Zimt, Zucker und Nüssen auf ihrer Zunge zerging.
»Und?«, fragte er, seine Augen leuchteten vor Erwartung.
»Es schmeckt fantastisch«, antwortete sie, und sie meinte es auch. Der Keks war wirklich köstlich. Doch das Lächeln auf ihrem Gesicht hielt nicht lange. Sie wusste, dass sie nicht gekommen war, um Plätzchen zu probieren oder die gemütliche Atmosphäre zu genießen. Sie war hier, um ihm die Wahrheit zu sagen – eine Wahrheit, die alles verändern könnte.
In dem Moment, bevor Juliette weitersprechen konnte, begann der Backofen zu piepen. Das schrille Geräusch durchbrach die Stille zwischen ihnen, und Anton drehte sich mit einem kurzen »Moment« zur Arbeitsplatte um. Er zog geschickt die Ofenhandschuhe über und öffnete die Ofentür. Der warme Duft von frisch gebackenen Nussecken erfüllte die Küche, noch intensiver als zuvor. Das heiße Blech, das er herauszog, dampfte leicht in der warmen Luft, und Anton stellte es sorgfältig auf zwei Holzschneidebretter ab, um die Arbeitsfläche zu schützen.
»Perfekt gebräunt«, murmelte er zufrieden und lächelte, während er die Ofenhandschuhe abstreifte. »Ich kann uns einen Tee aufsetzen. Dir ist bestimmt kalt.« Seine Stimme war freundlich, voller Fürsorge, während er sich bereits auf den Weg zum Wasserkocher machte.
Juliette beobachtete ihn, wie er so selbstverständlich und liebevoll in der Küche hantierte, und spürte, wie die Worte in ihrer Kehle zu einem Knoten wurden. Es war schwer, ihn so zu sehen – so sorglos, so vertraut. Sie wollte diesen Moment nicht zerstören, aber sie wusste, dass sie es musste.
»Anton... ich...« Ihre Stimme war kaum mehr als ein Flüstern, aber er hielt inne und drehte sich zu ihr um. Das Lächeln auf seinem Gesicht war noch immer da, ein wenig schief, mit einer Spur Neugier.
»Was ist los?« Seine Stimme war ruhig, und er lehnte sich leicht gegen die Arbeitsplatte. Juliette merkte, wie ihre Hände zu Fäusten ballten, um das Zittern zu verbergen. Ihre Nervosität schien greifbar, wie eine kalte Welle, die sie erfasste. »Wir müssen reden«, brachte sie schließlich hervor, die Worte schwer wie Blei auf ihrer Zunge.
Anton hob eine Augenbraue, das Lächeln verschwand aus seinem Gesicht, und seine Haltung wurde ernster. »Okay«, sagte er langsam, die Besorgnis in seiner Stimme nicht zu überhören. »Worüber?«
Juliette schluckte, ihre Gedanken rasten. Wie sollte sie das sagen? Wie sollte sie die richtigen Worte finden, um ihn nicht zu verletzen?
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