Kapitel 29

Ob ich verrückt geworden war? Ja, schon möglich. Lebensmüde? Vermutlich schon. Anders ist es nicht zu erklären, wie ich auf die absurde Idee kam, von Socrate die volle Wahrheit einzufordern.

Nachdem ich den Eintrag im Tagebuch meines Vaters gefunden hatte, hatte ich nur noch dieses eine Ziel vor mir: Die Wahrheit zu erfahren. Meine Eltern hatten vor mir bereits ein Kind, so viel stand für mich fest. Doch was dieses Wissen unerträglich machte, war nicht diese Tatsache. Ich konnte mich nicht daran erinnern Geschwister zu haben, nichts hatte je daraufhin gewiesen. Allerdings hatte ich eine Vermutung, von der ich nicht wollte, dass sie wahr war. Die beiden Gräber neben dem meiner Mutter, ich war mittlerweile sicher, dass es ihres gewesen ist, war eines davon, das meines Bruders oder meiner Schwester? Bitte lass das nicht sein, dachte ich während ich über die Wiese hetzte. Wenn Arnaud meine Mutter wirklich umbrachte, dann auch... Schluss! Mach dich nicht verrückt, bevor du es nicht weißt!

Ich erreichte das Haupthaus, riss die Eingangstür auf und sprintete durch die Eingangshalle. Mehrere Magier allen Altersgruppen waren dort und sahen mich befremdlich an, als ich an ihnen vorbei raste. Die Frau hinterm Tresen stand auf und schrie mir hinterher, als ich einfach an ihrem Pult vorbei rannte: >Stehenbleiben! Sie brauchen einen Termin oder müssen sich anmelden!< Ich achtete nicht auf sie und sprang die Treppe schon förmlich hoch. Vor Socrate's Bürotür blieb ich stehen und schnaufte kurz durch. Als ich gerade klopfen wollte, hörte ich gedämpfte Stimmen hinter der Tür und hielt mitten in der Bewegung inne, als ich hörte wer da sprach und worüber.

>Verdammte Scheiße, Arnaud! Du hättest das Ganze nicht so hochschaukeln sollen. Es war endlich Gras darüber gewachsen<, zeterte Socrate hinter der Tür. Ich ging näher an sie heran um jedes Wort genauestens mitzubekommen.

>Das Bley-Prinzesschen hat das wieder in den Raum geworfen, sie ist zu vorlaut<, meinte Arnaud geringschätzend.

>Vorlaut oder nicht, sie ist eines der Oberhäupter. Und dazu auch noch die Freundin dieses billigen Abklatsches von Lucas. Sie wird vielleicht keine Ruhe geben, bevor die Sache wieder aufgerollt wurde und sollte das passieren...<

>Niemand wird je erfahren, dass ich Leana und ihre Brut bis auf diesen Glückspilz da draußen getötet habe<, fuhr Arnaud dazwischen. Ich stieß mich von der Tür ab und sah das Holz vor mir geschockt an.

>Stehengeblieben!<, rief da die Stimme der Empfangsdame. Ohne noch länger zu überlegen, riss ich die Tür auf und unterbrach damit Socrate mitten im Satz.

>Was zur Hölle?!<, rief Arnaud geschockt und sprang von seinem Sessel auf, während Socrate mich mit großen Augen ansah. Da war die Katze wohl aus dem Sack gelassen worden.

>Verzeihung, Mr. Sleight. Ich werde den Jungen sofort zur Tür begleiten<, meinte die Frau vom Empfang, die mir in den Raum gefolgt war, zögernd und befahl mir stumm mit ihr mitzukommen. Ich jedoch blickte unverwandt in Socrate's Augen und bekam das ganze nur aus den Augenwinkeln mit. Socrate war der erste, der unseren Blickkontakt abbrach.

>Schon gut, Mrs. Omar, sie können ruhig wieder an die Arbeit gehen. Ich werde den Jungen empfangen<, meinte Socrate, worauf sich Mrs. Omar verbeugte und dann hinter sich die Tür schloss, als sie den Raum verlassen hatte. >Wie viel hast du gehört?<, wollte Socrate sofort wissen.

>Genug<, antwortete ich. Ich setzte mich vor dem Schreibtisch auf einen der Stühle, während die beiden Sleights mich bei jeder Bewegung  genauestens beobachteten. >Ich glaube, es ist an der Zeit, dass ich von euch die Wahrheit höre, Socrate. Die ganze Wahrheit, wohlbemerkt< Socrate taxierte mich, versuchte mich mit seinem Blick zu verunsichern, doch ich wendete mich nicht ab. Sein Blick war bohrend, ja fast stechend, doch ich wich ihm nicht aus. Ich war seid fast neun Jahren vor meiner Vergangenheit davongelaufen, hatte versucht alles zu verdrängen. Aber das wollte ich nicht mehr. Meine Eltern waren zwar tot, aber ich hatte noch Familie. Die Cusine meines Vaters Mira, ihre Kinder und irgendwo musste es noch jemanden geben, ein Bruder oder eine Schwester. Ich wollte sie alle kennenlernen und erfahren, wie meine Eltern gewesen waren. Ich wollte die Wahrheit.

Aus den Augenwinkeln sah ich wie Arnaud ansätzte etwas zu sagen, vermutlich ein Protest gegen meine Forderung, doch Socrate hob, bevor Arnaud auch nur ein Wort sagen konnte, die Hand, während er mich immer noch ansah. >Also gut, William. Du willst die Wahrheit? Du bekommst sie, allerdings unter der Bedingung, dass du uns, egal was du erfahren wirst, dennoch dabei hilfst, den König zu finden<, meinte er und sah mich abwartend an. Ohne lange zu überlegen, stimmte ich zu. Der größte Fehler, den ich bis dahin gemacht hatte. >Also, wo fange ich denn da mal an?<, fragte Socrate sich selbst, nachdem er und Arnaud sich hingesetzt hatten, wobei mich letzterer genau im Auge behielt. >Fangen wir damit an, dass Lucas Mutter bei seiner Geburt starb.

Sie war eine hübsche, junge Frau gewesen, allerdings ohne jedes magische Talent. Rasmus, dein Großvater, hat sie geheiratet, obwohl seine Schwester Ellen bereits schwach in der Magie war und einen normalen Menschen zum Mann genommen hatte, ihre beiden Kinder und deren Nachkommen besitzen keinerlei Magie mehr. Somit wäre es an Rasmus gewesen, die Magie der Familie Niels vor dem Aussterben zu bewahren und eine Magierin zu ehelichen. Liza war zwar die Tochter eines Magiers, doch dieser vererbte die Magie nicht weiter, dennoch holte Rasmus sie hierher, weil er sie ja so unendlich liebte<, bei den letzten Worten hörte man aus Socrate's Stimme den Sarkasmus heraus. >Sie wurde dann ja auch sehr schnell schwanger, drei Jahre nachdem Arnaud geboren und ich zum Minister wurde, gebar sie Lucas und starb dabei. Ellen war zu der Zeit bereits Mutter eines zwei Jahre alten Mädchens und kam mit ihrer Familie für ein Jahr hierher, kümmerte sich um Lucas, da Rasmus dazu nicht in der Lage war. Als Liza starb, starb Rasmus mit ihr. Er war nicht in der Lage sich selbst zu irgendetwas aufzuraffen, geschweige denn sich um einen Säugling zu kümmern. Mit der Hilfe Ellen's und ihres Mannes überstanden Rasmus und Lucas dieses Jahr, und Rasmus schaffte es mit großer Mühe seinen Sohn wenigstens bis zum Anfang dessen Ausbildung am Leben zu erhalten und zu erziehen. Danach vegetierte er mehr oder weniger nur noch vor sich hin und Lucas war sich selbst überlassen.

Zu diesem Zeitpunkt war Leana bereits geboren, ein Jahr nach Lucas kam sie zur Welt. Sie war mein ganzer Stolz, obwohl sie die charakteristischen roten Haare der Rachin's, der Familie meiner Frau, geerbt hatte. Aber sie trug die Magie des Feuers in sich, die Magie an der ich scheiterte. Erst nachdem sie ihre Ausbildung begann, bekamen wir unser nächsten Kind, Reginald, das eine einzige Enttäuschung war. Doch ich sah es als Ausgleich zu Leana an. Sie war zwar stur, aber auch lerneifrig, sie erlernte das Feuer-Element ganz allein, und sie hörte auf das, was man ihr sagte. Mit deinem Vater hatte sie nichts zu tun.

Kurz nach Lucas' elften Geburtstag starb Rasmus schließlich. Lucas sah man nicht wirklich an, ob oder wie sehr ihm dieser Verlust zusetzte. Er war sehr schweigsam und insgesamt ziemlich in sich gekehrt, nur Jonathan Kermorgant kam als sein bester Freund an ihn heran. Ab diesen Moment lag die Vormundschaft von Lucas, dem bislang jüngsten Oberhaupt, bei mir. Was Leana anging, so plante ich, dass sie Dooley Zura, einer der mächtigsten Magier derzeit, heiraten sollte. Da die beiden sich bereits damals gut verstanden, sah ich da kein Problem.

Vier Jahre später fing Lucas dann an, Reginald, diesem Versager, Unterricht im Umgang mit der Magie zu geben. Ein Jahr später, nachdem seine Ausbildung beendet war, beantragte er das Studium für die Feuer-Magie. Bei dem Eignungstest - der aus unerfindlichen Gründen zeigte, dass Lucas für alle Elementar-Maagie tauglich war, nicht nur das Wasser- und Wind-Element mit denen er geboren worden war - traf er dann zum ersten Mal auf Leana. Während des ersten Jahres in dem meine Tochter noch in ihrer Ausbildung steckte, war es wohl so, dass die beiden sich unbewusst mit ihren Aufzeichnungen weiterhalfen. Doch persönlichen Kontakt hatten sie nicht.

Als Lucas' Studium zu Ende war, war er achtzehn Jahre alt und verließ das Heim des Königs. Leana studierte da bereits die Erd-Magie. Ein Jahr später kehrte Lucas zurück, ich feierte mein 22-jähriges Minister-Jubiläum, Leana hatte ihr Erd-Element-Studium erfolgreich abgeschlossen und Lucas wollte plötzlich das letzte Element erlernen und mich als Minister ablösen. Gleichzeitig nahm er Reginald's Unterricht wieder auf und warf die Frage in den Raum, ob der König wirklich unbedingt notwendig wäre. Anfangs hatte Leana nichts von ihm gehalten, sie hielt ihn für arrogant und kindisch, was er auch war. Doch er schaffte es, sie vom Gegenteil zu überzeugen. Sie stellte sich wegen ihm gegen mich und folgte ihm, wie ein kleines Hündchen, aber das wollte niemand wahrhaben< Socrate stand auf und stellte sich ans Fenster. Eine kurze Zeit lang sah er nur nach draußen, bis er sich wieder halb zu mir drehte und weiter erzählte. >Mit zwanzig gebar sie ihr erstes Kind und meinen ersten Enkel, ein Junge mit dem Namen Jesse, der die roten Locken seiner Mutter und die braunen Augen seines Vaters hatte. Als er geboren wurde, heirateten Lucas und Leana, die Pläne mich zu stürzen, hatte Lucas wohl verschoben. Zwei Jahre später kam Elena hinzu, die die fast schon türkisen Augen von Leana und dazu braun-rötliche Haare hatte. Eine perfekte kleine Familie, könnte man meinen<

>Was ist mit den beiden passiert? Wo sind sie?<, wollte ich wissen. Ich hatte einen Bruder und eine Schwester! Diese Information wollte einfach nicht wirklich in mein Gehirn eindringen, so unglaublich war das.

>Geduld. Dazu komme ich noch<, erwiederte Socrate mit einem komischen Funkeln in den Augen, der mich stutzig machte. Was hat er vor?   >Wo war ich? Ach ja, bei der Geburt der kleinen Elena. Danach war alles Friede, Freude, Eierkuchen. Bis die gesamte Familie fünf Jahre später, im Jahr des Königs, von einem Besuch bei Lucas' Tante Ellen nicht wiederkam. Als dann die Sterne verkündeten, dass der neue König geboren wurde, war es uns nicht möglich, ihn zu finden, da uns ein Oberhaupt, dein Vater, fehlte. Wie sich später herausstellte, wurdest du in diesem Jahr geboren und Lucas hatte beschlossen, zum Verräter zu werden und sich denjenigen Adels-Magier-Familien anzuschließen, die verhindern wollten, dass jemals wieder ein König an die Macht käme. Zwei Jahre später griffen wir euch fünf in derselben Stadt auf, in der dein Vater starb. Beziehungsweise, wir wollten deine Eltern verhaften und deine Geschwister unter unseren Schutz stellen, von deiner Existenz wussten wir damals noch nichts. Doch Lucas versuchte den Helden zu spielen und schickte Leana mit euch Kindern vor. Jesse und Elena liefen in die eine Richtung, Leana mit dir in die andere, während Lucas versuchte uns aufzuhalten. Aber damit hatten wir gerechnet. Wir schafften es, Jesse und Elena zu umstellen. Allerdings hatte Lucas dafür gesorgt, dass sie uns nicht lebend in die Hände fielen. Die beiden setzten all ihre magischen Fähigkeiten ein, die nicht gerade wenig waren, und kämpften gegen uns. Als wir uns wehrten, zerstörten wir eine Gasleitung. Die Explosion war so groß, dass Leana ein paar Straßen weiter sie noch hörte. Vermutlich setzte sie dich dort irgendwo in Sicherheit ab und hetzte zu ihren beiden anderen Kindern. Doch sie kam zu spät. Jesse und Elena waren in der Explosion ums Leben gekommen<  

Ich weiß ziemlich viel Dialog dieses Mal... Hoffe euch hat es dennoch gefallen, Feedback ist immer willkommen

Bis nächste Woche

PS: Ist es bei euch auch so warm?

 

 

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