Kapitel 21

Ich gebe es zu: Der Schock saß tief. Ich konnte es nicht fassen, dass Lilia dieses Schicksal aufgebürdet wurde. Wie konnte man ein Kind von Geburt an nur dazu erziehen, dass es sich dem Willen und der Vorstellung eines ihr wildfremden anderen Kind zu unterwerfen hatte? Jeder hatte doch das Recht, sich selbst so zu geben wie man wollte, oder nicht? Klar, man sollte mit seinem Verhalten anderen nicht etwas aufzwingen oder gar das Leben nehmen. Aber das, was Socrate und Dooley und alle anderen Lilia angetan haben, war nicht richtig. Sie haben ihr die Identität genommen. Ihr eigenes Leben. Ihr Selbstwertgefühl. Ihre Existenz. Und nun sollte ich auch noch dabei helfen die Person zu finden für die Lilia all das überhaupt erst durchleben musste, für die Lilia all das hatte aufgeben müssen. Das war doch schon fast Sklaverei. Wie sollte ich so etwas unterstützen?

Ich wollte etwas sagen. Wollte ihr sagen, dass sie das nicht machen musste nur weil irgendwer beschlossen hatte, dass sie die zukünftige Königin sein sollte. Wollte ihr sagen, dass das falsch war. Dass ich das nicht zulassen würde. Bevor aber auch nur ein Laut aus meinem Mund kam, den ich auf und zu klappte, als wäre ich ein Fisch auf dem Trockenen, kam ein großer stämmiger Typ mit großen Schritten auf uns zu. Und er sah nicht gerade erfreut aus. >Wir haben dir doch gesagt, du sollst nach dem Unterricht nach Hause kommen! Also, was tust du hier?!<, schrie der Typ Lilia an, die merklich in sich zusammensackte und unter seinem Blick immer kleiner zu werden. Ich hatte ihn ja schon von weitem für groß gehalten, aber da hatte ich mich ja ganz schön geirrt. Der Typ war ein Riese, locker zwei Meter groß, mit Muskeln bepackt wie so ein Bodyguard oder ein Mitglied der Navy, was seine rasspelkurzen blonden Haare noch unterstrichen. Ich schätze ihn auf ungefähr zwanzig und ich bin mal ehrlich: Ich konnte sehr gut verstehen, weshalb Lilia so eingeschüchtert wirkte. Wäre so jand auf mich sauer, würde ich wahrscheinlich vor ihm zu Kreuze kriechen.

>Ich war auf dem Heimweg, Wayne<, meinte Lilia leise, doch dieser Wayne wollte es anscheinend gar nicht hören. Er schnaupte nur abfällig und griff nach ihrem Arm. Hatte ich schon mal erwähnt, dass ich oft voreilig und impulsiv handelte? Falls nicht, meine Reaktion auf Wayne's Handlung zeigte dies nur zu deutlich. Als ich sah, wie Wayne nach Lilia griff, handelte ich ohne nachzudenken. Ich hielt seine Hand fest und verhinderte so, dass er Lilia ergriff.

Keine Ahnung, wer überraschter war: Lilia, Wayne oder ich. Allerdings wandelte sich Wayne's Überraschung in Sekundenschnelle zu Wut. Er riss sich aus meinem Griff und baute sich vor mir auf. >Wer bist du, Winzling?<, fragte er mich leise, was ziemlich bedrohlich klang.

>William Niels<, antwortete ich möglichst selbstbewusst.

>Aha, der Neue also<, war seine Bemerkung und es klang so abfällig, dass ich ihm am liebsten an die Gurgel gesprungen wäre. >Hör mir gut zu, das hier ist deine erste und letzte Verwarnung: Halt dich von Lilia fern. Sprich nicht mit ihr, sieh sie nicht mal an. Dazu hast du keinerlei Rechte< Ich sah rot. Er war nun schon der Zweite, der glaubte, mir den Umgang mit Lilia verbieten zu wollen. Was dachten die denn alle, was ich von ihr wollte?! Außerdem hatte sie bisher nichts dagegen gehabt mit mir zu reden, also was glaubte dieser Wayne, wer er war?

>Jetzt hörst du mir mal zu, Riese<, ich benutzte mit Absicht nicht seinen richtigen Namen. Ich hatte Lust jemanden zu prophozieren. >Was zur Hölle ist euer Problem? Sie ist ein Mensch! Sie kann selbst entscheiden mit wem sie redet und mit wem nicht. Das hast nicht du zu entscheiden, oder bist du ihr Vater?! Da gehe ich nämlich nicht von aus. Und solange sie nicht sagt, ich solle sie nicht mehr ansprechen, werde ich mich nicht von ihr fernhalten. Hast du das verstanden, du möchtegern Soldat?< Wayne's Gesicht war rot vor Wut, seine Hände zu Fäuste geballt und an seinem Hals trat eine Ader hervor. Ich genoss dieses Bild. Mein ganzer Körper wurde mit Genugtuung durchflutet bei diesem Anblick.

>Ich an deiner Stelle hätte nicht so ein großes Maul. Du machst dir hier nicht grad Freunde, Milchbubi. Seh zu, dass du wieder Leine ziehst und in die Menschenwelt zurückkehrst. Du gehörst nicht hierher, unabhängig davon ob du Magie besitzt oder nicht< Wayne und ich lieferten uns ein Blickduell, welches durch die Stimme von Morgan beendet wurde.

>Was macht ihr da? Will? Wayne?<, fragte sie. Als wären sie gerade vom Himmel gefallen, standen plötzlich Lance und Morgen neben uns. Beide standen abwartend da und warteten auf Erklärungen.

>Sieh zu das du deinen Neuling-Freund von Lilia fernhältst. Das nächste Mal werde ich nicht so freundlich sein<, meinte Wayne nur noch, schnappte sich dann doch Lilia's Arm und maschierte einfach weg, Lilia im Schlepptau. Es war unheimlich still, bis Morgan mich plötzlich anschrie:

>Hab ich dir nicht gesagt, du sollst dich von ihr fernhalten?! Ich dachte, du wärst schlau! Warum zur Hölle hörst du dann nicht auf mich?! Willst du nochmal verprügelt werden, ist es das? Oder willst du dich umbringen lassen? Falls ja, dann sag Bescheid, dann weiß ich wenigstens, dass ich nicht versuchen brauche, dir dein Leben zu erhalten und dich irgendwie durch die Ausbildung zu boxen!<

>Ich hab doch bloß mit ihr geredet<, versuchte ich mich zu verteidigen.

>Und ich hab dir gesagt, dass du genau das NICHT tun sollst!<, schoss Morgan zurück.

>Was ist euer scheiß Problem?!<, schrie nun auch ich. Meine Geduld war noch nie die beste gewesen, deswegen wunderte es mich nicht grad, dass der Faden nun riss. >Ich habe mit ihr geredet, na und? Ist es so ein großes Verbrechen, dass sie mit jemanden redet, oder was? Allmählich bekomme ich das Gefühl, nicht ich brauche hier psychologische Hilfe sondern ihr. Wie kann man einem Kind das antun?! Wie könnt ihr dabei zu sehen, wie Lilia ihr Leben und sich selbst aufgibt und das nur damit der König später jemanden zum vögeln hat, der genau so ist wie er es sich vorstellt?! Das ist krank! Und als wäre das noch nicht genug, isoliert ihr sie vollkommen. Habt ihr auch nur die geringste Ahnung, wie es ist einsam zu sein?! Nein, habt ihr nicht, sonst würdet ihr nicht versuchen mich von Lilia fernzuhalten, sondern würdet selbst mit ihr reden< Mit diesen Worten wandte ich mich von ihnen ab und stampfte wütend zu meinem Haus.

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