Kap. 96 Groß und klein
Arya pov
Es sei angemerkt, dass wir uns in Alagaësia, einem Land von Drachen und Magie befinden. Die Gewässer hier sind nicht, wie zum Beispiel auf der Erde, auf eine Tiefe von vier bis maximal elf Kilometern beschränkt.
Das erste Wesen, was aufgetaucht war und vor dem Annabeth gewarnt hatte, konnte ich vage mit einigen Geschichten im Verbindung bringen. In ein paar Büchern hatte ich etwas über eine den mit Drachen verwandte Art gelesen, die angeblich im tiefen Meer lebt. Nïdhwalar wurden sie genannt. So weit draußen, wie sie waren, irrte nur selten jemand herum und nur die wenigsten von ihnen überleben dies. Aus diesem Grund war das verfügbare Wissen auch beschränkt. Alles, was wir noch hatten, kam aus Lehrbüchern der Reiter, die meinem Volk zu gewissen feierlichen Anlässen übergeben wurden. Die wenigen Angaben stimmten mit meinen bisherigen Beobachtungen überein. Sie waren gigantisch, weiß bis graue schuppige Haut und ihr Körper hatte die Form einer Schlange... mit Flossen... und einem Maul, in das halb Farthen Dûr untergebracht werden könnte. Ohne Annabeth hätten wir vielleicht erst Sekunden später die Strömung bemerkt und wären dann als Appetithappen eines Meeresungeheuers geendet. So jedoch flogen wir nun vor seinem immer näher kommenden Maul weg. Vielleicht wurde seine Fortbewegung von Magie unterstützt, wie der Flug von Drachen auch, aber die unangenehme Tatsache war auf jeden Fall, dass er näher kam. Viel näher. Sehr viel näher.
Ich war mir schon fast sicher, dass wir als eine zähe Mahlzeit mit allerlei Spuren von Metall werden würden, aber auf einmal stieß der Nïdhwal ein Brüllen aus, bei dem ich mich nur gerade so beherrschen konnte, meine Hände an Eragons Taille zu behalten, statt mir die Ohren zuzuhalten. Ich wagte einen Blick nach hinten und sah, dass der schlangenhafte Körper des Monstrums seitlich kippte und zurück in die Fluten sank, sodass es fast wirkte, als würde er in sich zusammen fallen. Auch Saphira schien das aufgefallen zu sein, denn ihre Flügelschläge wurden etwas sanfter und langsamer. Wir flogen immernoch rasend schnell davon, aber nun weniger mit dem Fokus auf absolute Geschwindigkeit und stattdessen auf Effizienz. Wir glitten nun wieder so sanft durch die Lüfte, dass ich es wagte, meine eine verkrampfte Hand zu öffnen und mich damit nach hinten abzustützen, um mehr zu erkennen.
Der sich mir bietende Anblick zeigte mal wieder, dass ich nicht nur im Vergleich zu Landschaften winzig war, sondern auch viele Lebewesen mich wie eine hilflose Fliege in der Luft erscheinen ließen. Dort unten schäumte das Wasser, während sich ein Knoten, bestehend aus einem schwarzen und einem weißen Band, fließend weiter in sich selbst verflocht und damit immer mehr zu einem heillosen Durcheinander wurde. Aus der Höhe sah es so normal aus, aber wenn ich mir vorstellte, wie weit weg diese beiden Dinger waren, und wie sie aus der Nähe aussehen würden, lief mir ein eisiger Schauer über den Rücken. Eine Schwimmflosse von einem der beiden war allem Anschein nach größer, als alle Drachen, die ich in meinem Leben gesehen hatte. Selbst bei Glaedr war der Unterschied so enorm. Ich wollte mir garnicht vorstellen, was und wie viel diese beiden am Tag fressen mussten. Einen ausgewachsenen Wal pro Tag vielleicht, aber selbst das erschien mir wenig.
„Der eine von ihnen kommt mit etwa dreißig blauen Pfannkuchen und einer Flasche Sirup am Tag aus", informierte mich Annabeth, so als sei es etwas vollkommen normales, dass zwei Giganten der Meere direkt vor unserer Nase unlösbare Knoten ineinander binden. Es schien jedoch so, als wäre der schwarze nur wieder Percy, der in einer anderen Gestalt seinen Spaß hatte. Es war immer wieder beunruhigend, wie Dinge, die für uns lebensbedrohlich erschienen, für ihn nur ein Spaß waren.
Ich vertraute ihm trotzdem. So weit, dass ich glaubte zu wissen, dass er nicht zulassen würde, dass uns etwas zustieße, aber solange wir es selbst schaffen konnten, ließ er sich seinen Spaß nicht nehmen. Ich wusste, dass er viel durchgemacht hatte. Viel mehr als ein fühlendes Wesen sollte und genau aus diesem Grund konnte ich es auch aushalten, ohne davon verrückt zu werden, wie wenig Ernst er dem Ziel entgegenbrachte, dem ich mich verschrieben hatte und für das ich seit vielen Jahrzehnten alles auf mich nahm, was mein Leben mir in den Weg stellen konnte. Ich konnte es mit ansehen, weil ich den Glaubenssatz verinnerlicht hatte, dass ich irgendwann auch an einem Punkt sein würde, an dem ich nicht mehr für oder gegen das Schicksal kämpfen müsste, sondern mich in seinem Strom treiben lassen könnte. Dass sich mein Traum und meine Vision von der Welt erfüllt hatte, und ich mich in Frieden etwas widmen konnte, was ich liebte. In Frieden, ohne weiter töten zu müssen. Für genau dieses Leben setzte die kauzige Schmiedin und Freundin in Ellesméra, Rhunön, ein einwandfreies Vorbild. Sie war glücklich mit ihrem Leben, auch wenn sie das nicht all zu oft zeigte, aber es war ihr eigenes. Sie tat es nur, weil es ihr gefiel.
Ich wusste, dass ich mich selbst verpflichtet hatte und dazu einstand, dass ich mein Leben dem Schutz meines Volkes gewidmet hatte. Dies galt jedoch für Kriegszeiten. Wenn wir gewonnen haben würden, würde ich guten Gewissens aus großen Teilen meiner Aufgaben zurücktreten können, denn sie waren nicht um der Aufgaben wegen erfüllend für mich. Sie waren nur aus dem einen Grund genug, um mein eigenes Leben durchzuhalten. Weil sie dem Ziel dienten, dem ich mich verschrieben hatte. Rache für meinen Vater. Rache für die Reiter und Frieden in diesem Land. Am Ende war es aber eben doch der Traum vom Frieden, der mir meine Energie und Entschlossenheit gab. Und eben weil er diesen Traum für sich bereits erreicht zu haben schien, respektierte ich sein Verhalten. Sich nicht gehen zu lassen, sondern Spaß und helfen zu verbinden, hielt ich für eine sehr erstrebenswerte Fähigkeit und Situation im Leben. Noch tat ich für die meiste Zeit nur immer eins von beiden.
Nachdem der weiße Nïdhwal eine ganze Zeit lang versucht hatte, Percy zu beißen, oder um es in der Sprache von Wesen dieser Größenordnung zu sagen, ihn um ein paar Tonnen Fleisch erleichtern, sah er schließlich ein, dass er seinem Gegner unterlegen war. Er kämpfte nun nicht mehr darum, Percy in dem Knoten ihrer Leiber immer mehr zu verwickeln und zu fixieren. Stattdessen begann er nun sich herauszuwinden. Dies ging erstaunlich schnell und dem begrenzten Ausschnitt des Geschehens nach zu urteilen, den ich sehen und verarbeiten konnte, letzterer war nochmal um einiges kleiner, lag ein großer Teil daran, dass unser schwarzer Freund sich absichtlich in leicht auflösbare Strukturen gebracht hatte. Verständlicherweise schien er nicht die Absicht zu haben, sich für den Angriff zu rächen.
Bei diesen Titanen der Meere wäre das vermutlich auch nicht besonders sinnvoll, sofern man nicht plante, ihre gesamte Gattung auszurotten. Das hätte wohl für einige außergewöhnliche Funde in Küstenregionen nach Stürmen gesorgt. Außerdem waren wir vermutlich seit dem Sturz der Reiter die einzigen, die überhaupt einen zu Gesicht bekommen hatten. Dies brachte mich auf einen weiteren Gedanken. Das Wissen über sie war unvollständig. Zu unvollständig für meinen Geschmack, vor allem im Hinblick auf die Größe. Ich versuchte, mir ein Bild von seinen Gedanken zu machen, während er begann abzutauchen. Der kleine Teil von ihm, der aus dem Wasser ragte, sah aus wie ein weißer Wetzstein, der sich rasant drehte.
Ich war jedoch zu spät. Ich erhaschte in seinem Geist nur noch einen Blick auf Mauern aus einem dunklen graublau, die von Fäden aus Schmerz, Wut, Hass und Einsamkeit durchzogen waren. „Barzûl!" Auch wenn ich nur noch selten außerhalb von öffentlichen Anlässen mit ihm sprach, dachte ich mir, dass es eine gute Idee wäre, in der Art meines Fluchens unseren Freund bei den Zwergen, Orik, zu ehren. Eragon drehte sich fragend um und ohne Umschweife antwortete ich auf seinen Blick. „Ich habe zu spät reagiert, ich konnte keine neuen Erkenntnisse sammeln, die ich bei unserer Rückkehr verewigen könnte." Er hob überrascht eine Augenbraue und meinte dann: „Ich habe nicht erwartet, dass dir das so wichtig ist, aber sei's drum. Dann werde ich das wohl für dich übernehmen. Ich war denke ich schnell genug."
Erfreut und überrascht starrte ich ihn einen Moment lang an. Als ich ihn kennengelernt hatte, hatte er noch zu fast jeder Handlung angewiesen werden müssen. Manchmal hatte man das Gefühl, er würde selbst zum Denken eine explizite Erlaubnis oder Einladung brauchen. Mit der Zeit hatte sich das etwas gebessert, aber aus diesem Grund kam es wirklich recht überraschend, dass er von sich aus Erkundigungen angestellt hatte. „Kannst du mir zeigen, was du gesehen hast?", bat ich. Er nickte mit einem flüchtigen Lächeln auf den Lippen und fast sofort tauchten Bilder und Eindrücke vor meinem inneren Auge auf.
Auf der Ebene der physischen Beobachtung hatte er nicht wirklich mehr gesehen als ich. Zum größten Teil ließ sich eigentlich feststellen, dass auch er das Gefühl gehabt hatte, Percy hätte absichtlich darauf geachtet, dass das Ungeheuer schnell frei kommen könne. Auf der Ebene der Gedanken hatte er zumindest erkennen können, dass nicht nur seine aufgebauten Mauern, sondern wortwörtlich alles von außen sichtbare bis in die Tiefe hinein mit diesen Fäden verbunden waren. Hass und Einsamkeit schienen so elementare Grundeigenschaften zu sein, dass er keinen eigenen Schutzwall aufbauen musste. Dieses Bollwerk wurde aus der reinen Tatsache, wie tiefgreifend diese Attribute waren, aufrecht erhalten. Niemand aus dieser Welt könnte es einreißen und kaum einer, der nahe genug war, würde genug Zeit haben, um es zu versuchen.
Von dieser unvermeidlich oberflächlichen Beobachtung des Geistes einmal abgesehen hatte er auch ein paar Beobachtungen visueller Natur besser machen können als ich. Er hatte entdeckt, dass dieser Titan der Meere nicht, wie die Kinder des Himmels, die Drachen, einen stachelbesetzten Rücken hatte, sondern seine schuppige Haut fast wie Widerhaken fungieren könnten. Das machte Percys Arbeit, dem Nïdhwal eine Möglichkeit zu entkommen zu bieten, nur um so eindrucksvoller.
Dazu kam, dass er an scheinbar willkürlichen Stellen Schwimmflossen hatte. Erst als wir gemeinsam in unseren Köpfen eine Collage der einzelnen Fetzen, die wir gesehen hatten, zusammengesetzt hatten, offenbarte sich, dass sie in Größe, Zahl und Abstand stark variierten. Die kleineren waren kaum größer als Saphiras Flügel, die größte hätte ganz Teirm unter sich verstecken können. Noch immer war ich fasziniert von diesem Anblick. Schon als ich Glaedr das erste Mal gesehen hatte, hatte ich mich nicht in der Lage gefühlt, seine schiere Größe zu erfassen. Dieses wahre Monster hier jedoch war etwas ganz anderes. Es ging hier nicht mehr um das Erfassen von Größe, das war unmöglich, es ging um die bloße Vorstellung von selbiger.
Noch immer rauschten weißgraue Schuppen durch das Wasser und noch immer war kein Ende in Sicht. Wir waren inzwischen so weit davongeflogen, dass wir vermutlich selbst bei einem erneuten Angriffsversuch in Sicherheit wären. Zumindest vor ihm.
Es waren mehrere Minuten vergangen, seit dieser Gigant begonnen hatte, sich zurückzuziehen, als endlich seine schwarze Schwanzflosse aus den Tiefen auftauchte, einmal in die Luft schwenkte und mit einem selbst durch den Donner des Gewitters hörbaren Aufschlag verschwand. Ich schob die Frage nach seiner Größe beiseite. Wenn ich einmal alt werden würde und nicht mehr wüsste, was ich mit meinem weiteren unendlichen Leben anfangen wollte, könnte ich vielleicht versuchen, die heute empfangenen Größenmaßstäbe in Relation zu setzen. So weit war ich jedoch noch nicht. Noch mussten wir durch ein Gewitter hindurch fliegen, das noch größer war als dieses Größte aller je gesehenen Lebewesen. Und uns blieben noch ein paar Minuten, bis der Sturm losbrechen würde.
Natürlich war Saphira unsere Fliegerin und als solche auch extrem begabt, aber ich hatte schon einiges in Ellesméras und Tronjheims Bibliotheken gelesen, was sich mit Gewittern beschäftigte, das meiste wohl von der einzigen in diesem Fall autoritären Quelle niedergeschrieben, den Drachen oder letztlich ihren Reitern, und sie erzählten von fast unberechenbaren Winden, dem permanenten Regen und den Blitze, die das Ganze auch nicht leichter erträglich machten.
Roran pov
Guck mal was ich kann. Wer sagt, dass ich immer Zeit überspringen muss? Ich kann sie auch zurück drehen.
Schon am Vorabend hatten wir die Rauchfahnen der Feuer im Lager der Varden und auch von Dras-Leona sehen können. Als die Dämmerung herein gebrochen war, hatte ich gewusst, dass wir niemals vor Einbruch der Nacht dort angekommen wären. Deshalb hatten wir noch ein Mal auf freier Fläche genächtigt, natürlich immer unter der Wache von Thalia und Frank, und waren früh am Morgen losgezogen. Es war noch kühl und unsere Sachen waren klamm, aber das war ich inzwischen gewohnt und davon einmal abgesehen würde es im Lager zumindest ein Stück weit besser sein. Dort gab es schließlich Feuer und bis zu einem gewissen Grad auch die Möglichkeiten, sich ein zweites Paar Kleidungsstücke zuzulegen. Etwas, worauf wir für diese Reise vollends verzichtet hatten, da es immer Gepäck gewesen wäre, dass wir mit uns herum schleppen hätten müssen.
Es hatte näher ausgesehen, als es am Ende gewesen war. Die Varden waren bereits ein paar Dutzend Meilen weiter gekommen, als ich mir vorgestellt hatte. Tatsächlich lag noch fast ein vollständiger Tag im Sattel vor uns.
Schon einige Minuten nachdem wir losgeritten waren jedoch, erspähte ich etwas über dem Lager. Ein großer blauer Drache, den ich Mangels Alternative für Saphira hielt, hob aus dem Gewirr der Rauchfahnen ab. Das an sich wäre eigentlich nichts Besonderes gewesen, schließlich flog sie regelmäßig auf Patrouille, aber während ich ihr nachblickte, schließlich könnte ich sonst nicht wirklich etwas tun, bemerkte ich etwas merkwürdiges. Sie wurde transparent und verschwand langsam. Es war nicht so, als wäre sie zu weit weg, ich konnte ihre Konturen bis zum vollständigen verblassen noch einwandfrei ausmachen, aber dafür glaubte ich wirklich, meinen Augen nicht trauen zu können. Normalerweise verschwanden Dinge nicht spurlos, solange man nicht mit Frank unter der Erde unterwegs war.
Ich nahm mir vor, Eragon danach zu fragen. Er würde mir die Antwort nicht vorenthalten, das wusste ich. Da irgendetwas in mir das sagte, sprach ich es nicht jetzt schon laut in Anwesenheit von Frank oder Thalia an, da es ja sein konnte, dass die anderen oder vielleicht auch ich davon nichts wissen sollten. Tatsächlich waren wir große Teile des Rückweges entweder in absolutem Schweigen oder in einem Gespräch, an dem sich alle aktiv beteiligt hatten, verstrichen. Ich persönlich bevorzugte zweiteres, doch im letzten Stück war ich dann doch zufrieden, mir einfach in meiner Phantasie auszumalen, was ich eben gesehen hatte, auch wenn mein Verstand mir sagte, dass ich das bereits wusste.
Irgendwann am späten Nachmittag waren wir dann so weit an das Zeltlager heran gekommen, dass wir von den Wachen gesehen und erkannt wurden. In eine Fanfare wurde laut genug, um sie für uns hörbar zu machen, gestoßen und ich ging davon aus, dass genau in diesem Moment einer von ihnen zum Kommandozelt rannte, um Nasuada Bescheid zu geben, dass ihr Himmelfahrtskommando zurückgekehrt war. Ich erhoffte mir eigentlich, einfach nur meine Aufgabe als erledigt abgestempelt zu bekommen und anschließend Katrina wiederzusehen. Leider kannte ich die Varden inzwischen gut genug um zu wissen, wie unrealistisch dieses Szenario war.
Letzten Endes würde mir der Ruhm für die Eroberung einer Stadt zugesprochen werden, als hätte ich es alleine getan. So wurde mit beliebten Anführern umgegangen. Gut fand ich das jedoch nicht. In meinen Augen war es respektlos gegenüber all derer, die ebenfalls Schweiß und Blut im Kampf gelassen hatten oder erstrecht vor denen, die dort ihr Leben gelassen hatten. Sie hatten diesen Ruhm verdient, denn sie hatten bis zum Ende gekämpft und dabei alles verloren. Wie Carn. Nach meiner Wahrnehmung hätte er diese Ehrungen mehr verdient als ich. Von Frank hatte ich mir einiges über sein Leben erzählen lassen.
Er hatte seine gesamte Familie verloren, aber anstatt leichtsinnig einen einzelnen Widerstand zu starten, hatte er sich etwas größerem angeschlossen, dessen Ziele den seinen sehr ähnlich waren. Die Befehle, die er und alle anderen ausgeführt hatten, waren von mir gekommen, aber sie hatten sie umgesetzt. Warum also sollte ich die Lorbeeren für ihre Leistung bekommen? Dürfte ich entscheiden, würde ich dem Hauptmann nicht mehr Jubel zugestehen als jedem seiner Soldaten. Jeder war ein Zahnrad im Uhrwerk und egal welches fehlen würde, das System wäre eingeschränkt oder unbrauchbar. Dazu kam noch die persönliche Eigenschaft, dass ich nicht gerne in erster Reihe stand, wenn es um Anerkennung, Lob und offizielles ging. Im Kampf hatte ich mich daran gewöhnt und damit angefreundet, doch da geschah es, um meine Mitstreiter zu beschützen.
Trotz meines inneren Widerwillens war es fast genau so, wie ich erwartet hatte. Baldor und Delvin wurden von den Dorfbewohnern herzlich empfangen, was für sie vermutlich auch nicht wirklich schlechter war, als vom ganzen Lager bejubelt zu werden, schließlich sahen wir uns alle noch irgendwie als Teil des kleinen Dorfes im Norden und somit gehörten sie alle zu unserer Gemeinschaft. Die Varden standen ungefähr auf der Stufe der fahrenden Händler damals. Sie waren ein Weg für uns zu überleben, wir waren gerne hier und Verbündete waren sie auch, aber Freunde konnte man kaum einen nennen.
Thalia und Frank waren kurz vor dem Lager einfach verschwunden und niemand schien das bemerkt zu haben. Deshalb wurde ich nun von einem der Wachposten, die uns entdeckt hatten, durch eine schmale Gasse aus Menschen ins Zentrum geführt. Die Nachricht von unserem Sieg in Aroughs schien sich verbreitet zu haben und allem Anschein auch noch weitaus heroischer, als es wirklich gewesen war. Von allen Seiten kam Jubel, den ich jedoch weitestgehend ausblendete, um nicht den Verstand und mein Gehör zu verlieren.
Stattdessen versuchte ich, in einem letzten Anflug von Beherrschung diesen Sieg auch noch als Propaganda auszunutzen. Stur lächeln und winken, als wäre es ein leichtes gewesen. Das war es nicht, aber wenn die Menschen das glaubten, würden alle weiteren Schlachten einfacher werden. Wenn ich im vergangenen Jahr etwas gelernt hatte, dann dass Zahlen keine Rolle spielten. Es zählte der Wille. Wenn die Leute motiviert von den Erfolgen waren, würden sie auch eher alles geben und damit für mehr Erfolge sorgen. Leider konnte sich dieses Verhalten auch ins negative umkehren.
Ich konnte die Ausstrahlung eines stolzen und guten Hauptmanns recht gut aufrecht erhalten, bis ich am Kommandozelt angekommen war. Dort wartete nicht, wie ich erwartete hätte, Nasuada, sondern Jörmundur, der mich aufmerksam musterte. Ein ungutes Gefühl beschlich mich. Bis auf in der Nacht verließ sie eigentlich nie dieses Zentrum des Lagers.
Nach einer energiereichen Begrüßungsansprache bedeutete er mir, ihm zu folgen und befahl danach allen, wieder ihren Pflichten nachzugehen. Es dauerte mehrere Minuten, bis niemand mehr am Rand stand und uns begaffte. Ich folgte ihm ins Innere des Pavillons. Im Inneren war noch niemand und er ließ sich auf den Platz fallen, an dem unsere Herrin immer gesessen hatte. Es schien, als sei er binnen Sekunden um Jahre gealtert, und dabei sah er schon so nicht mehr aus wie der jüngste. „Wo ist sie?", fragte ich also ohne Umschweife.
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3103 Wörter
Vielen Dank fürs Lesen. Ich hoffe, es hat euch gefallen. Unabhängig davon freue ich mich über jeden Vorschlag zur Verbesserung.
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