Kap. 94 Das Meer
Arya pov
Bis zu diesem Tag hatte ich nur die Geschichten über die Liebe meines Volkes zum Meer gehört. Die Geschichten und die Gedichte. Ich hatte mich nie wirklich dort hingezogen gefühlt, aber das konnte daran liegen, dass ich erst in der lebensfrohesten Stadt des Landes aufgewachsen war und wenn ich mich nicht dort aufhielt, entweder meine Pflicht im Kopf hatte oder mich an diesen friedlichen Ort zurücksehnte. Zurück in die grünen Hallen und zurück in meine Heimat. Trotz meines Streites mit meiner Mutter über meine Entscheidung, was ich in meinem Leben tun sollte, war dieser Ort das Inbild des Friedens für mich. Es gab keine Toten, es gab keine Gewalt, es gab kein spürbares Verstreichen der Zeit, denn wer ewig lebt, hat auch selten Schwung in seinem Leben.
Wenn ich in Durzas Gefangenschaft wieder Stunde um Stunde gequält worden war, sehnte ich mich manchmal danach, einfach wieder zurück dorthin zu kommen und niemals Botschafterin geworden zu sein. Aber am Ende war es die richtige Entscheidung gewesen, und das wusste ich inzwischen.
Jedenfalls, als ich in die Ferne über die Berge blickte und sich dort ein tiefes, unebenes Blau erstreckte, nur gelegentlich von Weiß und Grau unterbrochen, ergaben all die Gedichte, neben ihrer offensichtlichen Schönheit und Kunstfertigkeit, viel mehr Sinn. Es ist schwer, sich etwas vorstellen, was man noch nie gesehen hat, aber dazu gehörte ich nun nicht mehr. Irgendwo weit in dieser Ferne lag das Land, aus dem meine Vorfahren gekommen sein mussten. Alalea, so erzählten es die wenigen uralten Geschichten, lag jenseits des weiten Meeres und von dort waren die Elfen nach Alagaësia gekommen. Vor den Urgals. Vor den Menschen. Vor den Ra'zac. Es musste eine ganz andere Welt damals gewesen sein, als Drachen und Zwerge die einzigen waren, die sichtbare Städte, oder im Falle der Drachen Brutstätten, hatten und nach heutigen Beschreibungen auch beide schon ihre intern ausgeprägte Form der Kommunikation pflegten.
Für mich hatte der Blick in die Ferne etwas fesselndes, was sich nur schwer beschreiben lässt. Man konnte nicht ewig weit sehen, denn sehr weit draußen wurde es irgendwie nebelig, das ganze verlor sich im Grau und irgendwann merkte man, dass man nicht mehr auf die See sondern an den Himmel starrte. Trotzdem ging davon eine tiefe Anziehung für mich aus. Diese Weiten wirkten so frei und wild. Ich wusste, dass es nicht so war. Aber es entstand der Eindruck, als wäre es unendlich und etwas in mir war gewillt, es dennoch zu erkunden. Die unergründlichen Weiten des Meeres. Die in so vielen Werken beschriebene wilde Schönheit.
Zum ersten Mal seit langem, vielleicht seit ich geboren wurde, fühlte ich mich wirklich frei. In diese unendlichen Weiten könnte ich entkommen, wenn ich es mir wirklich wünschen würde und die Entschlossenheit hätte, alles zurückzulassen. Niemand würde mich jemals finden und niemand würde es auch nur versuchen. Ich wusste, dass ich das niemals tun könnte und es war auch nicht das, was ich wirklich wollte, aber diese hypothetische, teilweise vielleicht sogar zum Teil nur eingebildete Freiheit war mir bereits unbezahlbar.
Ich teilte diese Empfindungen, nachdem ich sie eine Weile genossen hatte, schließlich mit Eragon. Zu sagen, dass er überrascht von dieser so tiefgreifenden Faszination war, wäre wahrhaft eine Untertreibung. Das war zu erwarten gewesen. Meine Gefühle waren zum einen, wie bei jedem Angehörigen meines Volkes, in einigen Bereichen sehr weit hinter allem von außen wahrnehmbaren vergraben, aber sie waren insbesondere bei mir auch seit Gil'ead sehr abgestumpft. Ich hatte einmal all den Schrecken dort gesehen, seitdem war es für mich noch viel schwerer, irgendeine Form von starker Freude, Dankbarkeit oder Zuneigung an den Tag zu legen, aus Angst, sie könnten mir wieder genommen werden.
Als er seine Überraschung überwunden hatte, was zum Glück nur ein paar Sekunden dauerte, ließ er die Eindrücke zuerst auf sich wirken, denn das ist das wichtigste, wenn jemand ein Erlebnis teilt. Die Wahrnehmenden durften nicht versuchen, dabei die Dinge zu fühlen, die sie eigentlich umgeben würden, sondern sie mussten zulassen, dass etwas Fremdes ihnen diese Wahrnehmung gab und sie diese entweder ignorieren oder versuchen nachzuvollziehen. Letzteres war der Umgang, für den man sich als weltoffenes Wesen entscheiden sollte. Nach einem Moment der Ruhe sagte er schließlich: „Ich finde es interessant, wie man diesen Ausblick wahrnehmen kann. Als ich es das erste Mal gesehen habe, wirkte es eher wie etwas Fremdes und gleichauf Schönes wie Gefährliches. Ich hatte mehr Ehrfurcht davor, aber der Gedanke, dass diese unendliche, wilde Einsamkeit auch etwas schönes hat, ist mir nie gekommen. Jetzt wo du es sagst jedoch, scheint es mir geradezu offensichtlich."
Ich hatte nicht erwartet, dass er vor Begeisterung über meinen Einfall Luftsprünge vollführen würde, was angesichts der Tatsache, dass wir tausende Fuß über der Erde waren, sowieso keine gute Idee wäre, aber immerhin hatte er meine etwas eigene Auffassung dieses Blickes zu würdigen gewusst. Selbst wenn ihn dieses Bild nicht so sehr berührte wie mich, solange er den Gedanken dahinter verstand, konnte ich gut damit leben.
Für mich würde es trotzdem eine wichtige Erinnerung werden. Eine, die man nie wieder vergisst, denn meine Herkunft ist nicht nur der ruhige und geheimnisvolle Wald, sondern auch das stürmische Meer. Ein hervorragendes Sinnbild, denn man konnte durchaus sagen, dass ich für gewöhnlich den Wald repräsentierte, aber in einem Kampf brach das Meer hervor. Eine nicht mehr zu zähmende Naturgewalt. Klingt das eitel? Vielleicht, aber es hatte meiner Ansicht nach seine Berechtigung. Nur wenige, dieser Welt Entstammende konnten sich mir mit dem Schwert zur Wehr setzen und von diesen wenigen hatten es bisher zwei in einem Kampf auf Lebens und Tod angesetzt gehabt. Beide waren von Geistern heimgesuchte Schatten gewesen.
Ich legte meinen Kopf an Eragons Schulter ab, während ich weiter in den über dem Meer treibenden Nebel des Morgens starrte. Wir waren kurz nach Sonnenaufgang losgeflogen und es würden anstrengende Tage werden. Wenn nicht physisch, dann zumindest für die Nerven, und ein wenig Erholung und Entspannung, solange das noch ging, konnten sicher nicht schaden.
Der Blick hinab war für mich wirklich sehr beruhigend, obwohl oder vielleicht vor allem weil ich nicht wusste, was dahinter lag. Außerdem gab es eine Vielzahl Orte, an denen ich weniger gerne Energie sammeln würde, als auf dem Rücken von Saphira, an die Schulter ihres Reiters gelehnt und in die Ferne starrend. Bevor ich ins Reich der Wachträume hinüber glitt, machte ich mir ausnahmsweise keine Sorgen darum, was sein konnte und würde, denn der Nebel würde ohnehin alles verdecken.
Manfred hier, bevor das noch idyllischer wird, schicke ich euch lieber schnell zu dem Zeitpunkt, an dem sie aufwacht.
Ich wurde sanft wachgerüttelt, zum vermutlich ersten Mal seit Ewigkeiten. Für gewöhnlich nahm ich im Wachschlaf genug wahr, um zu bemerken, wenn sich jemand in meine Richtung bewegte und diese Phase rechtzeitig zu unterbrechen. Jetzt jedoch hatte sich sowieso alles bewegt und ich hatte lieber grauen Nebelformationen in meinen Träumen gefolgt, als die Ursache jeder einzelnen Bewegung im Blick zu behalten. Auch das, ein extrem umfangreicher Vertrauensbeweis meinerseits.
Als ich meinen Kopf hob, stachen mir viele Dinge ins Auge. Wir flogen tatsächlich schon die Küste entlang. Das Meer war nicht mehr ein schmaler Streifen in der Ferne. Die Nebelwände wurden schwach von der Sonne angeleuchtet und die Tatsache, dass die Sonne im Osten aufgeht, spielt mir hier möglicherweise ein klein wenig in die Karten und waren nun nicht mehr grau sondern ein breites Spektrum warmer Farben. Überwiegend jedoch orange und lila. Als ich mich umdrehte, sah ich dort in der Ferne die Sonne untergehen. Vom Boden unter uns aus konnte man sie durch die Berge seit Stunden nicht mehr sehen.
Eragon hielt mich sanft an der Schulter, als hätte er Angst, dass ich aufschrecken und dabei mein Gleichgewicht verlieren würde. Kein unwahrscheinliches Szenario, aber das wäre eher so gekommen, wenn er mich ruppiger geweckt hätte. Ich war gerade viel zu entspannt gewesen, um mich von meinen Instinkten zur Selbstverteidigung leiten zu lassen. Ich blickte ihn fragend an und er meinte: „Zum einen, wenn dir der Nebel schon so gefallen hat, solltest du dir diesen Anblick nicht entgehen lassen, dachte ich. Zum anderen auch etwas Wichtiges, was mit unserer Reise zusammenhängt." Ich lächelte dankbar. Diese Aussicht war es definitiv wert, dafür geweckt zu werden. Anschließend sah ich ihn nochmal mit dem selben Blick an. Er wollte mir noch immer erklären, was es denn wichtiges gab.
Zum Glück schien es ihm in diesem Moment ein Leichtes, meine Mimik zu entziffern, und so begann er die Situation zu erläutern. „Wir haben zwei Möglichkeiten. In ein paar Meilen führt laut den Karten, die ich gesehen habe, die Küste sehr weit ins Meer hinein. Man könnte von dort aus direkt nach Vroengard fliegen. Es wäre allerdings eine längere Strecke, die wir vollkommen ungeschützt vor natürlichen Einflüssen wären. Alternativ könnte man viel weiter nach Norden fliegen und von dort den kürzesten Weg übers Wasser nach Dorú Areaba nehmen. Es wäre weiter, aber sicherer. Saphira hat bereits gesagt, dass sie beides in einem Fort schaffen würde, doch da bei einem Unglück auch du davon betroffen wärst, würde ich auch auf deine Meinung hören, wenn du es für besser hältst, den sicheren Weg zu gehen."
Ich musste zugeben, seine ständige Rücksichtnahme war schon ein bisschen niedlich. Ich hatte das Gefühl, er hätte nicht jeden geweckt, um ihm diese Möglichkeit zu geben. Andererseits hätte es wohl auch nicht jeder über sich gebracht, an seiner Schulter einzuschlafen und sich so nicht eigenständig in die Diskussion einzubringen. „Wenn wir Zeit sparen können und du, Saphira, es sicher schaffst, glaube ich, dass wir das tun sollten. Unsere Streitmächte, sowohl die der Elfen, als auch von allen Völkern werden in rund einer Woche, vielleicht noch ein paar Tage später, in Urû'baen eintreffen und wenn sie dort alleine sind, wird es garnicht erst zum Angriff kommen. Außerdem, sollte uns auf dem Weg etwas passieren, passiert es uns immerhin gemeinsam." Den letzten Teil hatte ich nicht vorgehabt zu sagen, aber er war mir rausgerutscht. Vielleicht war das mein Unterbewusstsein, was da sprach, denn meine Vernunft hätte diese Aussage in jeder erdenklichen Situation verweigert. Er musterte mich ein bisschen überrascht. Er wusste schließlich auch, dass solche Aussagen für gewöhnlich nicht aus meinem Mund kamen.
Zum Glück ließ er es auf sich beruhen. Ich fühlte mich gerade nicht in der Stimmung, ein emotionales Gespräch zu führen, selbst wenn es von der Szenerie her hervorragend in eine der menschlichen Heldensagen passen würde. Die Vorarbeit wäre ja bereits geleistet, aber jetzt fehlte noch die Liebeserklärung. Ich hatte genug gelesen, um den schematischen Verlauf zu kennen. Wir sind hier aber nicht in einer Heldensage und dieser Moment wird auch nicht nacherzählt, Wenn du wüsstest, muhahahahaha! also brauchte ich mir auch keinen Druck machen, einer solchen Begebenheit zu entsprechen. Stattdessen würde ich es tun, wenn ich mich danach fühlte, auch wenn mir mein Instinkt riet, die Zeit auf Reisen der Abgeschiedenheit wegen zu nutzen und möglicherweise endlich einmal Ordnung in das Gefühlsgewirr zu bringen. Erst in das in meinem eigenen Kopf und anschließen das zwischen uns beiden.
Sehr vorsichtig hob ich stattdessen ein Bein über Eragons Kopf, sodass ich seitlich auf dem Sattel saß und meine Beine auf einer Seite waren. Um mein Gleichgewicht zu halten, rutschte ich mit meinem Schwerpunkt etwas nach hinten. Es war definitiv nicht so bequem, aber so konnte ich von weit oben beobachten, wie die Sonne langsam am Horizont versank, ohne mir dabei den Hals zu verdrehen. Das ist vielleicht übertrieben, aber ich hatte jedenfalls das Gefühl, dass es so besser ging. Gerade wurde sie von ein paar Wolken verdeckt, so dass man ihre Umrisse nur erahnen konnte, aber dafür eben direkt dorthin starren konnte, ohne geblendet zu werden. Beim Sonnenuntergang war das sowieso weniger der Fall als am helllichten Tag, aber so war es trotzdem noch besser.
Ich saß so lange so da, bis der feurige rote Ball vollständig verschwunden war und auch die Art, wie er die Wolken anleuchtete, immer schwächer wurde. Irgendwie war es merkwürdig und zeigte mir einmal mehr, dass meine Mutter doch zumindest zum Teil recht gehabt hatte. Ich wusste wirklich noch nichts von den Schönheiten der Welt. Dass ich das sehr wohl tat, stand für mich seitdem außer Frage, aber mit der Zeit hatte ich festgestellt, dass sie leider doch zumindest in einigen Gesichtspunkten nicht falsch lagen. Reisen an malerische Orte um Wundervolles zu sehen, waren mir weder jemals vergönnt gewesen, noch waren sie mir wichtig erschienen. Auch wenn ich durchs Land zog, um das blaue Drachenei von einem Bündnispartner zum nächsten zu bringen, hatte ich recht wenig auf die Schönheit meiner Umgebung gegeben.
Wenn ich es wirklich darauf angelegt hätte, hätte ich von Aberon aus vermutlich an einem Tag zum Meer und an einem weiteren zurück schaffen können, vielleicht ohne dass jemand meine Abwesenheit bemerkte oder zumindest ohne dass sie zum Problem werden würde, aber es hatte mich eben nie gereizt. Ich hatte nicht gewusst, was ich verpasse und so traurig es war, wirklich verstanden, dass Pflicht zwar wichtig war, aber nicht der einzige Bestandteil meines gesamten Lebens, hatte ich erst nach mehreren Monaten Folter in Gil'ead. Es war traurig, dass ich so lange dafür brauchte und noch dazu diese Veränderungen erst jetzt erkannte, als wir weniger als zwei Wochen vor der letzten Schlacht standen, von der wirklich niemand wusste, was sie mit sich bringen würde.
Dieser Gedanke verdunkelte das traumhaft schöne Bild vor mir um ein ganzes Stück. Gedanken an eine letzte Schlacht hatten meistens diese Wirkung. Aus diesem Grund versuchte ich, sie herauszuzögern und möglichst lange zu ignorieren. Es würde nicht einfacher werden, nur weil ich mir das Glück und Vergnügen aus meinem Leben mit Angst vor der Zukunft raubte. Ab und an schlichen sie sich trotzdem ein und dann brauchte ich meistens ein paar Minuten, um sie wieder vollends zu verbannen. Manchmal gelang es mir sehr schnell, das war für gewöhnlich, wenn ich es schaffte, mir selbst überzeugend einzureden, dass alles gut werden würde und wir alle lebend zurück kehren würden. Manchmal jedoch, wenn gerade ein erschwerender Faktor dazu kam zum Beispiel, kämpfte ich über eine Stunde dagegen an. Dieser Glaube an Schlechtes gehorchte nicht der Person, die ihn dachte. Er kam und ging, wann er wollte, und das einzige, was wir tun konnten, war, ihm seinen Aufenthalt in unseren Gedanken so unangenehm zu machen, dass er sich dort nur möglichst selten einnistete.
Das tat ich nun auch, indem ich mir seine Konkurrenz möglichst bildlich vorstellte. Die wundervolle Landschaft und den paradiesischen Sonnenuntergang. Diese märchenhaften Bilder für mein inneres Auge und die neu zu Bewusstsein gelangte Erkenntnis, erlangt hatte ich sie wohl schon lange, aber nie so bewusst realisiert, waren bisher vielleicht das stärkste Arsenal, was ich gegen traurige und qualvolle Erinnerungen von Durzas Taten während meiner Gefangenschaft und der Angst vor Urû'baen und damit einhergehend vor der Konfrontation mit Galbatorix persönlich aufzubieten hatte.
Vielleicht spielte auch die Tatsache, dass ich, als die grausamen Erinnerungen hochgekommen waren, mich mit meiner Schulter an Eragons Rücken lehnen und meinen Kopf darauf ablegen konnte, zum Teil mit in das glückliche Ergebnis hinein, dass ich binnen kürzester Zeit die schwer auf meinen Schultern lastenden Gedanken abschütteln konnte. Das Hier und Jetzt war wichtiger und das Hier und Jetzt war idyllisch und friedlich. Lieber wollte ich das genießen, als mich vor dem zu fürchten, was noch kommen mochte.
Tatsächlich hatte Eragon sich, nach dem überraschten Gesicht über meinen letzten Satz garnicht mehr die Mühe gemacht, für mich ersichtlich darauf zu reagieren, dass ich mich ein bisschen an ihn als Lehne gekuschelt hatte. Irgendwie war ich dafür dankbar, denn wie schon gesagt, ich hatte nicht das Gefühl, in einem Gespräch über Gefühle gerade gut abschneiden zu können. Dazu ging zu viel in mir vor. Als ich mich wieder aufrecht hinsetzte, lächelte er mir auch nur einmal zu und deutete dann nach vorne.
Erneut sah ich ihm über die Schulter und es bot sich ein anderer, atemberaubender Anblick. Ein paar Meilen vor uns hörte das Land plötzlich auf und dahinter war nur noch der weite Ozean, so weit das Auge reicht. Ich blickte mich weiter in der Umgebung um und es gab viele auffällig Dinge. Percy und Annabeth flogen noch immer neben uns her. Letztere musterte mich gerade recht eingehend, soweit ich das beurteilen konnte, aber aus dem Sternenhimmel ihrer Augen ihre Blickrichtung zu erraten, war wahrlich eine unmögliche Aufgabe. Gleichzeitig, wer sagt denn, dass sie soetwas wie eine Blickrichtung hatte? Vielleicht sah sie ja auch alles in Reichweite ihrer Augen oder überhaupt alles, auch durch ihren Kopf durch auf der Rückseite. So ähnlich wie wir, wenn wir die Welt nicht mit den normalen fünf Sinnen sondern mit unserem Geist beobachteten.
Ihr Percy schien gerade reichlich wenig Interesse an uns zu haben. Er flog Saltos, Schrauben, Überschläge und noch viel mehr Manöver, die ich entweder noch nie gesehen hatte, oder deren Namen mir inzwischen wieder entfallen waren. Ich hatte die meisten davon entweder in Büchern gefunden oder von Eragon erklärt bekommen. Manchmal auch von Saphira, aber wenn, dann eher sehr viele auf einmal, so dass ich mir nur die Hälfte merken konnte. Ich versuchte seinen Flügen zu folgen, aber das ging nie länger als ein paar Sekunden. Seine Flugbahn sah etwa so aus, wie wenn man einem Kind bei den Zwergen das erste mal ein Stück Kohle in die Hand drückt, mit dem es malen durfte oder sollte. Es waren einfach wild hingekritzelte Linien quer übers Blatt. Nur er selbst wusste, was ihm gerade diesen motivierten Bewegungsdrang gegeben hatte... und vielleicht wusste es Annabeth auch. Vermutlich.
Das letzte, was ich sah, war ein bisschen furchteinflößender. Naja, von Annabeth gemustert werden kann auch furchteinflößend sein, aber das ist etwas anderes. Am Horizont genau voraus konnte ich ausmachen, wie die Wolken immer weiter aufstiegen. Sie begannen teilweise auf etwa der Höhe, auf der wir gerade flogen, endeten jedoch nicht ein paar Dutzend oder hundert Meter höher sondern ragten Meilen in den Himmel. Ich hatte bereits vor langer Zeit vornehmlich auf die harte Tour gelernt, was das bedeutete. Ein Gewitter war im Anmarsch.
Verwirrend war jedoch, dass sich scheinbar niemand sonst dafür zu interessieren schien. Ich stellte die Frage laut und Annabeth lachte, ohne dass sich dabei ihr Schnabel bewegte. Das hätte vermutlich ziemlich komisch geklungen, eine Eule beim Lachen. Es war jedoch ihre normale Stimme. „Ach Arya, du warst gerade wirklich in deiner eigenen Welt, oder? Wir haben bereits darüber gesprochen. Die kurze Zusammenfassung, Eragon hat in seinem Unterricht bei Oromis gelernt, dass dieser Teil des Meeres stark zu Gewittern neigt, die meistens sehr weit nordsüdlich ausgedehnt sind und sich damit kaum vermeiden lassen. Der alte Elf hat wirklich gewusst, wovon er redet. Auch wenn man es von hier nicht sieht, um es südlich zu umfliegen, müssten wir fast zurück bis nach Kuasta und nach Norden erstreckt es sich bis fast zweihundert Meilen nördlich von Narda. Wir können ihm nicht ausweichen, waren uns aber einig, dass umdrehen und mit leeren Händen zurückkehren, ohne es wirklich versucht zu haben, ziemlich genau das Gegenteil von unserem Plan war."
Ich wurde ein klein wenig rot. Ja, ich war in meiner eigenen Welt gewesen, aber ich hatte nicht gedacht so tief, dass ich die reale Welt dadurch nicht erfassen würde. Trotzdem sagte ich schnell: „Tut mir leid, aber ja, ihr habt schon recht. Es wäre mit aufgeben, ohne es zu versuchen, gleichzusetzen und das machen wir nicht." - „Alles gut, ich hoffe nur, es stört dich nicht, dass wir diese Entscheidung über deinen Kopf hinweg getroffen haben." Ich winkte nur ab. Schließlich war es ja meine Entscheidung gewesen, mich so sehr in Gedanken versinken zu lassen, dass ich nichts mehr mitbekam. Nun denn, dann würden wir eben durch ein Gewitter fliegen müssen.
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3274 Wörter
Vielen Dank fürs Lesen. Ich hoffe, es hat euch gefallen. Unabhängig davon freue ich mich über jeden Vorschlag zur Verbesserung.
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