Kap. 91 Streit und Schutz

Eragon pov

Hatte ich nach der von Percy aufgezeigten Möglichkeit wieder Hoffnung? Ich wusste es nicht so genau. Blankes Entsetzen war inzwischen einer Ungewissheit gewichen, von der ich noch nicht so wirklich einschätzen konnte, wie sehr sie mir im Weg stand. Dann hatte Angela mich zusätzlich noch daran erinnerte, dass Nasuada mehrfach ziemlich eindeutig klargemacht hatte, dass ich im Falle ihrer Abwesenheit, sei es durch Tod oder Gefangennahme, die Führung der Varden übernehmen sollte. Vielleicht die Tatsache, die mich am meisten beunruhigte.

Bis zu diesem Tag war mir immer etwas vorgegeben worden, was ich tun sollte. Fast immer stand das in Einklang mit meinen Interessen, aber nur sehr selten musste ich mir selbst überlegen, was der beste Weg zum Erreichen meiner Interessen wäre. Vielleicht war das eine einseitige Sichtweise, aber es war nunmal ein Fakt, dass es immer jemanden gegeben hatte, dir mir eine gute Option vorgeschlagen hatte. Noch dazu waren es eigentlich wenn überhaupt Entscheidungen über mich. Nun musste ich von einem Tag auf den anderen die Verantwortung der Entscheidungen für mehrere Tausend tragen. Spätestens unter diesem Gesichtspunkt verlor die neu gewonnene Entscheidungsfreiheit fast ihren ganzen Reiz für mich.

Saphira war noch auf dem Rückflug, aber Arya sah mir ganz eindeutig an, wie ich mich fühlte. Vielleicht spürte sie es auch, Fakt ist jedenfalls, dass sie ihre Hand auf meinen Unterarm legte und mich in ihre Richtung umdrehte, während sie leise sagte: „Du schaffst das schon. Egal wie viel es scheint, du weißt, dass es verschiedene erfahrenere Leute hier gibt, die gerne bereit sind dir zu helfen. Seien es Orik, Jörmundur, Percy und Annabeth oder wenn du möchtest auch ich. Der eigentliche Unterschied ist mehr, dass du jetzt entscheiden musst, wessen Rat und Begründung dir am vernünftigsten erscheint. Du solltest inzwischen erkannt haben, dass du mit deinem Verstand ziemlich weit kommen kannst. Such dir die Hilfe, die du brauchst, aber denk nichtmal daran, dich davon einschüchtern zu lassen. Hast du verstanden?"

Ich seufzte. Alleine ihre Berührung beruhigte mich schon ein wenig. So war es immer und so sollte es, wenn es nach mir ginge, auch immer bleiben. Ihre Worte halfen auch etwas, aber auch das primär wegen ihrem ziemlich direkten Angebot zur Hilfe. Dieses Gefühl, nicht alleine zu sein, war schon mehr wert, als es jeder Rat alleine sein könnte.

Dann tat sie etwas unerwartetes. Sie zog mich in eine Umarmung. Zuneigungsbekundungen waren aus ihrer Richtung sowieso extrem rar gesäht, aber sie noch dazu in aller Öffentlichkeit und so klar zu bekommen, war bisher ein solcher Einzelfall, dass ich im ersten Augenblick garnicht realisierte, dass das tatsächlich geschehen war. Als ich es dann doch begriffen hatte und mir sicher war, dass das kein Traum sondern real war, erwiderte ich diese mir angebotene Geste nur zu gerne. Ich lehnte meinen Kopf ein klein wenig gegen ihren und genoss für den Moment einfach ihre Anwesenheit, alle Sorgen und Probleme wenigstens für ein paar viel zu kurze Sekunden ausblendend.

Durch unsere erleichterte geistige Verbindung ließ ich sie meine Dankbarkeit spüren und wusste, dass sie es verstand. Bestimmt eine Minute blieben wir einfach so stehen, bis sie das Gefühl hatte, dass es mir soviel wie möglich geholfen hatte, und noch einige Momente darüber hinaus. Über die Verbindung konnte ich spüren, dass meine Angst diese Situation zwar hervorgeführt hatte, sie diese Geste der Zuneigung jedoch nicht einfach kalkulierend als Mittel zum Zweck einsetzte, sondern dass sie es wirklich so meinte. Auch das war eine Gewissheit, die mir sehr sehr viel bedeutete. Schließlich lösten wir uns wieder von einander und mit einem geflüsterten „Danke!" meinerseits setzten wir uns wieder in Bewegung zu Nasuadas Zelt, wo wir uns die Chancen auf ein Zusammentreffen mit Jörmundur als am höchsten ausmalten.

Tatsächlich stand er dort auch nur ein paar dutzend Meter abseits, als wir an ihrem Pavillon ankamen, und blickte gedankenverloren in die Richtung, in der über hundert Meilen weit entfernt Urû'baen und damit verbunden unser letztes Ziel lag. Die Stadt zu erreichen und zu erobern war am heutigen Abend noch um ein Vielfaches bedeutsamer geworden. Wir hatten eine Anführerin, ein Symbol und eine Freundin verloren, die wir nur mit einem endgültigen Sieg retten könnten.

Leider stand auf dem Weg dorthin auch Orrin, der allem Anschein nach nur auf uns gewartet hatte. Auch wenn es mir besser ging, war ich nicht ansatzweise so gefasst wie sonst und ich befürchtete, dass er mich mal wieder mit seiner Art aufregen würde und ich dieses Mal nicht die Nerven hätte, das mit kühler Höflichkeit zu überspielen. Ich versuchte trotzdem auf Nasuadas nächsten Berater zuzugehen, vielleicht wäre ich ja schneller bei ihm als Orrin bei mir.

War ich natürlich nicht. „Schattentöter!", rief er. Ihn zu ignorieren wäre eine grobe Beleidigung gewesen und auch wenn ich groben Beleidigungen grundsätzlich nicht abgeneigt wäre, wollte ich es vorerst diplomatisch und formal versuchen. „Ja, Hoheit?", antwortete ich. Schon dieser Titel widerstrebte mir, mit ‚Eure Hoheit' wäre es allerdings noch schlimmer gewesen. „Wo wart Ihr, Euer Drache und Eure Freunde während des Angriffs? In jeder Schlacht wart Ihr unsere wichtigsten Kämpfer, bis zum heutigen Tag. Warum heute nicht?"

Bemüht höflich meinte ich: „Saphira war auf der Jagd, sie sollte bald wieder da sein, um Ihnen das zu bestätigen. Wir anderen hatten wichtige Dinge zu besprechen, an einem ungestörten Ort, wo wir diese Katastrophe erst bemerkten, als es zu spät war." - „Was für ein Ort?", hakte er nach. Das magisch erweiterte und geschützte Zelt konnte ich ihm wohl kaum erklären. Unglücklicherweise fielen weder mir noch Arya auf die Schnelle eine wasserdichte Ausrede ein und so sagte ich ihm einfach genau das ins Gesicht. „Das kann ich Euch leider nicht sagen." Während in seinem Kopf vermutlich gerade dieser Satz verarbeitet wurde, was ob des für ihn ungewöhnlichen Inhalts überdurchschnittlich lange dauerte, hielt ich Blickkontakt. Darin ließ ich ganz klar durchblicken, dass ich mich nicht versprochen hatte und sehr wohl auf dieser Aussage bestehen würde.

„Wieso? Was für einen geheimzuhaltenden Ort sollte es in einem Zeltlager geben?", fragte er zurück, bereits einigermaßen beleidigt klingend. „Es gibt da durchaus eine Menge Möglichkeiten, die ich alle aus verschiedenen Gründen nicht aufzählen kann", antwortete ich schlicht, wohl wissend, dass er sich nicht mit dieser Antwort zufrieden geben würde.

„Ihr könnt nicht oder Ihr wollt nicht, Drachenreiter?", unterstellte er. „Beides!", gab ich schlicht zurück. „Ich kann nicht, weil es gefährliches Wissen ist, was ich nicht ohne Erlaubnis teilen darf, und ich will dieses Verbot nicht brechen, da ich den befugten darin zustimme, dass es zu gefährlich wäre, es mehr Leuten als nötig zu verraten." - „Nichteinmal Euren wichtigsten Verbündeten?" Man konnte ihm förmlich ansehen, wie er sich in Rage redete. In einem letzten Versuch, Eskalation zu vermeiden, erklärte ich ihm nicht, dass er selbst in den obersten fünfzehn meiner wichtigsten Verbündeten keinen Platz hatte, sondern ich versuchte beschwichtigend zu erklären: „Es gibt Dinge, die dürfen nicht allgemein bekannt werden. Viele Dinge genau genommen und das ist eines davon. Es wurde uns zurecht verboten."

Das wäre der Weg weg von einem Streit gewesen, aber Orrin nahm ihn nicht wahr. „Das glaube ich nicht." An diesem Punkt wusste ich nicht mehr weiter. Was sollte man darauf höflich erwidern? Arya spürte wohl meine Hilflosigkeit, denn sie übernahm die Reaktion, ließ dabei jedoch den Teil mit dem höflich ein wenig außer Acht, wie es ihr von Hazel nur drei Tage zuvor geraten worden war. „Das ist überaus schade, ich sehe aber nicht, wie wir das ändern sollen. Wenn Ihr uns jetzt entschuldigen würdet, wir müssen mit Jörmundur einige Dinge besprechen." Nach diesen Worten drehte sie sich auf dem Absatz von ihm weg und lief in die Richtung, wo besagter Mann stand. Mich zog sie dabei ein wenig hinterher, jedoch so, dass Orrin es nicht sah, damit er kein Theater machen konnte, dass ich gefälligst für mich selbst entscheiden sollte.

Er blieb wie angewurzelt stehen und das zeigte mal wieder, dass viel zu selten so mit ihm gesprochen wurde. König oder nicht, nein heißt nein. Als er sich wieder in Bewegung setzte, waren wir schon fast an unserem Ziel angekommen. Kurz bevor wir ihn erreichten, bemerkte Jörmundur uns und nickte uns grüßend zu. Wir erwiderten die Geste und er kam sofort zur Sache. „Habt ihr Neuigkeiten?" Sofort verschwand meine steinerne Maske, die ich bei Orrin aufgesetzt hatte und sie wurde von einer weitaus düstereren Miene ersetzt. „Ja, leider. Der vermutlich für jeden von uns schlimmste Fall ist eingetreten. Sie ist verschleppt worden und inzwischen vermutlich in Urû'baen. Wir waren zu spät, um noch etwas auszurichten." Er nickte traurig und nachdenklich zugleich.

„Das bringt mich gleich zu meiner anderen Frage", fuhr er fort, „Wo wart ihr? Ich habe Saphira nicht gesehen und auch ihr, Schattentöter, Schattentöterin und eure Freunde seid in einem Gefecht für gewöhnlich leicht auszumachen. Ich habe keine Spur von euch allen entdecken können." Wir erklärten auch ihm, dass wir bei einer wichtigen Besprechung abgeschirmt von der Außenwelt gewesen waren. Anders als der König von Surda ließ er diese Tatsache auf sich beruhen und fragte stattdessen vorsichtig, aber mit besorgten Ausdruck nach: „Und ihr seid euch absolut sicher, dass das nicht ein Ablenkungsmanöver war um euch vom Schauplatz der Schlacht fernzuhalten? Bitte versteht das nicht als eine Anschuldigung, aber es ist in meinen Aufgaben mit inbegriffen, jede potentielle Bedrohung zu erkennen und abzusichern, ob es sich wirklich um eine handelt."

Ich nickte schnell und sagte dann: „Absolut sicher. Soetwas würden sie niemals tun und davon einmal abgesehen war diese Besprechung ebenso gerechtfertigt wie dringend." Während ich sprach, bemerkte ich nicht, wie sich Orrin uns wieder anschloss und sich sogleich einmischte: „Wenn sie soetwas wirklich niemals tun würden, dann würde das bedeuten, dass sie Verbündete sind und als solche auch mit uns zusammenarbeiten würden, statt sich an einem geheimen Ort zu verschanzen."

Wut. Das war alles, was ich in diesem Augenblick in Aryas Augen lesen konnte. Kaum jemand schätzte Geheimnisse so sehr, wie sie das tat und das paarte sich vermutlich gerade mit ihrer grundlegenden Abneigung gegen Vorwürfe ohne das dazu benötigte Wissen und gegen den Monarchen an sich. Mit kalter, schneidender Stimme sprach sie: „Schweigt! Ihr wisst nicht wovon Ihr sprecht. Schweigt!" Vielleicht die deutlichste Art, sich auszudrücken, die ich jemals von ihr gehört hatte, und ich konnte es ihr absolut nicht verübeln. Wenn wir ihn und seine Staatsgeheimnisse so behandeln und in Frage stellen würden, hätte er vermutlich schon unsere Hinrichtung befohlen.

Das so vermutlich noch niemand jemals mit ihm gesprochen hatte, musste wohl nicht erklärt werden. „Wie könnt Ihr...", setzte er an, wurde jedoch sofort unterbrochen. „Bitte, verlegt eure Streitigkeiten auf freien und bestenfalls friedlichen Zeiten, wenn ihr niemandem damit schadet. Es gibt gerade wichtigeres. Unsere Anführerin ist entführt worden und nach meinem Kenntnisstand liegen die Chancen auf eine Rettung in naher Zukunft nicht besonders gut. Daher brauchen wir einen Nachfolger und wir wissen alle, dass Nasuadas Wünsche dafür sehr konkret waren. Auch wenn du diese Position bereits einmal abgelehnt hast, bist du nun unser gewünschter Anführer, Eragon. Da wir im Krieg sind, lässt sich das nach ihrem verschwinden durchaus als ihr letzter Wunsch deklarieren und aus dem selben Grund ist keine Abstimmung dafür nötig. Wenn du annimmst, wirst du per Feldbeförderung mit sofortiger Wirkung zum Anführer der Varden und solange sich kein Verbündeter dagegen weigert, erhältst du damit auch umgehend den Oberbefehl über unsere gesamten Streitkräfte." Nachdem er seine Rede beendet hatte, wurde ich von ihm und Arya erwartungsvoll und von Orrin wütend und abfällig beäugt.

Wüsste ich nicht, dass es sich hier mehr um eine Formalie als um eine wirkliche Entscheidung meinerseits handelte, hätte ich einfach sofort laut ‚Nein' gerufen und gebeten, dass Jörmundur an meiner statt diese Privilegien und Pflichten erhielt. Es war aber keine Entscheidung oder wenn, dann eine gelenkte. Mein Ziel war noch immer das gleiche, nur um eine Facette reicher, und dementsprechend auch meine Entscheidung. „Ich habe nie nach Macht gestrebt, aber wenn Nasuada das wünscht, dann werde ich nicht davor weglaufen." Ajihads frühere rechte Hand nickte zufrieden. „Nun denn, Herr, ich werde in der Armee die traurige Kunde von Nasuadas Entführung und die glückliche, Euch als ihren Nachfolger zu haben, verkünden. Wenn ich meinen Pflichten als Berater weiter nachkommen soll, lasst bitte nach mir schicken." Er zwinkerte mir zu, während er sich verbeugte, und ging dann davon.

Somit waren wir wieder zu dritt, aber die Karten waren weitaus günstiger gegeben, wenn man einen Moment nachdachte. Was Orrin allem Anschein nach nicht getan hatte. „Ich bestehe weiterhin darauf, mehr zu erfahren, Drachenreiter." Ich gestattete mir ein kleines selbstgefälliges Lächeln. „Ihr seid nicht in der Position, etwas derartiges zu fordern. Diese Geheimnisse und dieses Wissen sind nicht die Euren. Es tut mir leid, Euch enttäuschen zu müssen, aber wenn Ihr mehr wissen wollt, müsst Ihr mit denen sprechen, von denen dieses Wissen stammt." Percy würde mir den Hals umdrehen, dafür, dass ich diese Nervensäge zu ihm geschickt hatte, dann war es jedoch schon zu spät und er müsste sich damit herumschlagen oder von seiner mir weit überlegenen Autorität und Selbstsicherheit Gebrauch machen und das Problem auf seine Weise lösen.

„Verhaften werde ich sie." Knurrte der König. Jetzt drehte er wohl vollständig am Rad. Arya lachte nur und gab trocken zurück: „Für was denn bitte, dafür, dass sie anderen Leuten nicht gestatten, ihre Geheimnisse zu verbreiten?" Hass in den Augen starrte er sie an. „Ich brauche keine Gründe, ich bin König und mein Wort reicht als Grund." Die Elfe feixte immernoch. „Dann haben sie aber vielleicht keine Gründe, warum sie sich Euch ergeben sollten", gab sie zu bedenken. Orrin hörte ihr jedoch schon nicht mehr zu und stolzierte davon.

„Was ist denn plötzlich los mit ihm?", fragte ich, nicht wirklich eine Antwort erwartend. Ich bekam sie trotzdem. „Das frage ich mich auch. Früher war er nicht so. Ein ernstzunehmender Mann war er nie, aber meistens mehr, weil er sich seiner Verantwortung gerne entzog und in seinem Labor verbarrikadierte. Die für ihn am positivsten endende Theorie ist vermutlich, dass er an dem Druck zerbricht, den der Krieg auf seine Schultern ausübt, seit er nicht mehr vor der Verantwortung davon laufen kann. Vielleicht ist es aber auch nicht ganz so leicht. Vielleicht sollten wir die anderen mal danach fragen, sobald sie damit fertig sind, sich darüber zu beschweren, dass wir ihn zu ihnen weitergeleitet haben."

N'Abend, Zeitsprung Manfred ist zurück und schickt euch zu einem nicht genau bekannten Ort an eine nicht genau bekannte Zeit zu einer sehr genau bekannten Person.

Nasuada pov

Meine Wahrnehmung kehrte nicht schlagartig zurück. Vermutlich hatte Murtagh mit Magie abgesichert, dass ich nicht zu früh aufwachen würde. Es war mir neu, dass Magie eine Abklingphase hatte, aber ich war auch die letzte, die sich damit auskannte. Eragon und Arya hatten mir beide unabhängig von einander von einer Droge erzählt, die den Verstand benebelte und primär der vorbeuge vor magischen Attacken und geistigen Angriffen diente, aber auch das Denkvermögen etwas beeinflusste. Soweit ich das beurteilen konnte, war ich nicht als auf diese Weise gefährlich eingestuft worden und hatte somit meinen Verstand für mich. Nur das Brummen meines Schädels, was wohl immernoch von dem Treffer am Kopf herrührte. Treffer war wohl eine euphemistische Beschreibung.

Wie dem auch sei, ich blickte mich um. Ich war in einem kleinen Raum, hell erleuchtet ohne eine sichtbare Lichtquelle. Ich wollte mich zur Seite drehen, aber es ging nicht. Ich spürte, dass mein Körper an vielen Stellen fixiert war. Mehrfach an den Beinen, mehrfach an den Armen, um die Hüfte, um den Hals und um die Stirn. Auch wenn ich es nicht sehen konnte, spürte ich, dass ich keine Schuhe trug. Ich spürte, dass all die Riemen, die mich fest hielten, zumindest im Ansatz gepolstert waren, sodass ich lange Zeit darin liegen könnte, ohne nennenswerte Schäden an den entsprechenden Stellen zu nehmen. Ich trug ein dünnes Nachthemd samt Hose aus Leinen, dass sich so anfühlte, als könnte es selbst die einjährige Elva ohne weiteres in der Mitte durch reißen.

Es war natürlich möglich, dass ich hier zurückgelassen worden war, um zu verdursten und den gesamten Prozess der Qual aushalten zu müssen, ohne etwas dagegen tun zu können, doch daran hatte ich meine Zweifel. Dann hätte man sich nicht die Mühe gemacht, mich neu einzukleiden oder zu fesseln. Wahrscheinlich war eher, dass dies einer der Folterräume des wahnsinnigen Königs war. Das oder zumindest etwas in der Art. Jedenfalls eine Zelle, in der ich sehr lange würde leben müssen.

Ich suchte den Raum nun zumindest mit den Augen ab, bis diese am Rande meines Blickfeldes schmerzten. Ich konnte am Boden einen hölzernen Schemel und direkt daneben eine metallene Schale mit erloschenen Kohlen darin ausmachen. Es gab eine mit Metall verstärkte Tür ohne Gitter und ansonsten war der Raum so karg, dass man das Gefühl hatte, in einem der Gräber der Zwerge zu stehen.

Gerade als ich begann mich zu fragen, wie lange ich hier wohl ausharren müsste, spürte ich ein schwaches Gewicht auf meinem Bauch, was sich langsam aufwärts in Richtung meiner Brust bewegte. Als es dort ankam, machte es kurz halt und verharrte. Die Luft flimmerte vor mir und ich flüsterte fast ungläubig: „Luna?" Sie schnurrte zufrieden und rieb sich an meiner Wange. Ich freute mich so sehr, dass ich sie gerne erst umarmt und dann gestreichelt hätte, aber leider konnte ich mich nicht bewegen. „Bist du nur hergekommen, um bei mir zu sein?", wollte ich wissen.

Sie drückte leicht gegen meine geistigen Mauern und ich gab sofort nach. Sie übermittelte mir eine Reihe von Bildern und Gefühlen, wie das bei ihr üblich war, und ich gab mir noch mehr Mühe, diese zu verstehen, als sonst. Sie würden für die nächsten Tage, Wochen oder Monate die einzige erwünschte Gesellschaft sein, die ich hatte und je besser ich sie verstehen würde, desto besser. Das erste, was ich spürte, war tatsächlich eine Entschuldigung, dass sie mich nicht bereits im Lager vor Murtagh beschützt hatte. Dies erklärte sie mir jedoch mit einem komplizierten Gefühl, in dem sich die Abneigung von Gewalt und dem Zufügen von Schaden widerspiegelte. Tatsächlich etwas, was mir vollkommen einleuchtete. Sie war das wohl reinste Wesen, was ich je gesehen hatte und es war damit kein Wunder, dass sie eine strikte Abneigung dagegen hatte, irgendetwas zu schaden. Ich verzieh ihr dies sofort. Nicht nur war der Grund vollkommen gerechtfertigt, ich hatte in dem Moment auch nichtmal daran gedacht, dass sie mit ihren Fähigkeiten vermutlich Murtagh in die Schranken weisen konnte.

Danach hellte sich ihr Stimmungsbild jedoch spürbar auf und sie zeigte mir die Reise nach Urû'baen aus ihrem Blickpunkt, wie sie auf meinem Rücken gesessen und ganz meinem Wunsch entsprechend über mich gewacht hatte. Anschließend zeigte sie mir, wie sie ohne Zweifel bei mir geblieben war, obwohl sie wusste, dass sie von dort keinen Ausgang hatte. „Du bist hier her gekommen und hast dein friedliches, freies Leben aufgegeben, nur um es mir leichter zu machen?", fragte ich flüsternd. Erneut rieb sich Luna mit einem zufriedenen Schnurren an meiner Wange. Eine sehr angenehme Art der Zustimmung.

Zum Schluss vermittelte sie mir jedoch noch etwas, was mich im ersten Augenblick verunsicherte. Den Blick eines leidenden Wesens. Bevor ich fragen konnte, spürte ich dieses Etwas aufgrund von klar nach außen hin sichtbaren Wunden leiden. Anschließend linderten sich die Leiden, ohne dass man von außen irgendeine Form der Besserung sehen konnte. Ein fragender Gedanke erreichte mich, aber ich brauchte fast eine Minute um zu verstehen, was sie mir gerade anbot. „Du bietest mir an, mein physisches Schmerzempfinden herunterzufahren?", wollte ich wissen. Auch nach langer Zeit des Übens fühlte ich mich noch nicht sicher in der aus Emotionen und Eindrücken bestehenden Sprache meines Schutzengels, aber ich arbeitete daran und im Gegenzug konnte sie vollständig verstehen, was ich in meiner Sprache von mir gab. Sie schien das nicht zu stören.

Auf ihre sehr angenehme Weise bestätigte sie mir, dass ich mit meiner Vermutung über ihr Angebot richtig lag, und wartete dann auf eine Antwort. Ich musste nicht lange überlegen. In jedem anderen Fall würde ich den Verlust von Schmerz nicht als Stärke sondern als Gefahr wahrnehmen, aber kontrolliert von Luna während mir vermutlich nichts als Folter und Befragungen bevorstanden, erschien es mir dann doch mehr als praktisch und so teilte ich ihr mit Dankbarkeit unterlegt mit, wie sehr sie mir helfen würde, wenn sie jeden Schmerz auf ein aushaltbares Niveau herab setzte. Luna gab mit sofort erfreut ihre Zustimmung und versprach auf ihre Weise, dass sie das tun würde. Ein Herz für Luna bitte! Danke!

Von da an saß ich nur noch die Zeit ab, bis etwas geschehen würde. In der Zwischenzeit genoss ich entweder ihre Anwesenheit, sie hatte es sich auf meinem Bauch bequem gemacht, oder übte weiter mit ihr die reibungslose Kommunikation, in der wir schnell Fortschritte machten.

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3421 Wörter

Vielen Dank fürs Lesen. Ich hoffe, es hat euch gefallen. Unabhängig davon freue ich mich über jeden Vorschlag zur Verbesserung.

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