Kap. 86 Der dunkle Kult

Arya pov

Mir war sofort klar, wer dort sprechen musste. Abartige und über alle Maßen grausame Schriften an der Decke, vermodernder Gestank, Diener ohne Schmerz, Rituale in Katakomben, es passte alles zu meinem Bild vom wahnsinnigen Kult des Helgrind. Wenige Sekunden später wurde ich in dieser Spekulation bestätigt und weiter noch mit etwas verschändet, was sie vielleicht als Ehre wahrnahmen. Vier Novizen trugen auf einem goldenen Thron den Körper des Oberpriesters, oder das wenige, was davon noch übrig war. Verschändet daher, dass es für mich, Angehörige einer Art, die das Leben über alles schätzt, nichts schlimmeres gab, als das Verhalten dieser Geisteskranken.

Mein Volk aß kein Fleisch, weil dazu einem Tier Leid zugefügt werden musste und nutzte Magie, um den Bäumen die Kraft zu geben, Dinge nach unseren Vorstellungen hervorzubringen. Selbst zu früheren Zeiten, als wir noch nicht so langlebig und tief mit der Natur verbunden waren, hätte es fast einen Krieg gegeben, einzig und allein, weil die Menschen begonnen hatten, die Bäume Du Weldenvardens für ihre Zwecke zu fällen. Alleine durch die Vermittlung der Reiter war es zu einer Abmachung gekommen, dass den Menschen Abholzung am Rand gestattete, jedoch Vordringen in tiefere Gebiete des Waldes verbot.

Anders als in den Städten der Menschen liefen Wildtiere in Ellesméra frei auf den Wegen entlang, weil sie nichts zu befürchten hatten. Scheu blieben sie von Natur aus, aber keines von ihnen verhielt sich uns gegenüber ängstlicher als einem anderen Fluchttier gegenüber. Was hier jedoch geschah... Die Zwerge mochten lediglich die Realität aussperren, zumindest zum Teil, es hatte mein Weltbild gewaltig ins wackeln gebracht, als Percy und Annabeth uns von der Existenz der Götter berichtet und dabei Beweise vorgelegt hatten, sodass auch ich es nicht mehr als Schwachsinn abtun konnte. Trotzdem war die Darstellung der Zwerge nur ähnlich, nicht gleich der Realität.

Dies hier war jedoch eine vollkommen andere Art von Fanatismus. Die Jünger dieser Vergötzung von was auch immer brachten ohne annähernde Festigung anhand der Realität Menschenopfer, die bei lebendigem Leibe gefressen wurden und Schnitten sich selbst Körperteile ab, den Texten, die ich an der Decke des ersten Abzweigs gelesen hatte, zufolge machte sie das reiner in den Augen ihres dunklen Gottes. Was für ein Schwachsinn, wenn es irgendetwas tat, dann beschmutzte es die Seele und zeigte, dass man das Leben nicht respektierte.

Ich war stark dazu veranlagt, die Dinge, die ich nicht wahrnehmen oder verstehen konnte, ohne irgendeine Form von Verständnis als falsch und sinnlos abzutun, doch auch dabei waren nunmal Abstufungen möglich. Den Glauben der Zwerge verstand und respektierte ich nicht, aber ich konnte so viel Verständnis aufbringen, meinen Streit auf die Priester zu beschränken. Bei dieser Manie hier jedoch hielt ich jeden freiwilligen Anhänger von Grund auf für beschränkt. Es war schlichtweg abstoßend.

Die abscheuerregende Kreatur vor mir, deren Gesichts Proportionen zumindest annähernd ahnen ließen, dass es sich vielleicht um einen Mensch handeln könnte, begann nun zu sprechen. Ein Wunder, dass er seine Zunge nicht auch schon abgeschnitten hatte. Besser wäre es gewesen. In seiner rauen Stimme, vielleicht hatte er sich ja die Hälfte der Stimmbänder amputiert, krächzte er mit einem klar hörbaren Abscheu, der meinem eigenen ihm gegenüber nicht um viel nachstand, „Elfe, Reiter, welch ein hässlicher Besuch. Der König will euch lebend, doch nach allem, was ihr uns angetan habt, ganz besonders du, abtrünniger Sohn des Abtrünnigen, hast dich des schlimmsten Verbrechens schuldig gemacht, das man nur begehen kann, ist euer Tod wichtiger als die Gunst des Königs. Göttermord. Vielleicht wird euch ja Gnade gewährt werden, wenn ihr der ehrwürdigen Alten Nachwuchs zum Futter dienen werdet."

Meine benebelten und von Wut leicht verzerrten Gedanken brauchten eine Weile, um die Bestandteile dieses Satzes zusammenzusetzen. Ich konnte eine einzige gute Sache darin erkennen. Er glaubte immernoch, dass Eragon Morzans Sohn war. Das war's aber auch mit dem Guten und das Tempo, in dem es von da an abwärts ging, war leider beeindruckend. Galbatorix wollte uns lebendig, aber die Priester wollten unseren Tod. Noch nichts besonderes schlimmes, zwischen Tod nach Folter oder Versklavung nach Folter und direktem Tod unterschied ich in der Angenehmheit nicht mehr so genau. Göttermord jedoch. Bereits bei diesem Wort lief es mir kalt den Rücken hinunter und mein Unterbewusstsein begann zu realisieren, was meine eigenen Gedanken noch erfolgreich als Idee verweigerten. Als er jedoch zu Ende sprach, war klar, dass es keine andere Möglichkeit gab. Wen sollte Eragon getötet haben, den ich nicht getötet hatte? Seit Belatona hatte auch ich einen Schatten auf dem Gewissen, ausnahmsweise im positiven Sinne. Die einzigen Wesen, die Eragon bereits getötet hatte, ich aber nicht, waren Ra'zac. Die Wesen deren eigentlicher Existenzgrund das Morden von Menschen war.

Ich hatte mein Abscheu vorher schon für grenzenlos gehalten, doch es war beängstigend, um wie viel es jetzt noch stieg. Ich konnte nicht verstehen, wie sich soetwas durchsetzen sollte. Es ist schließlich eine Sache, wenn ein Mann den Verstand verliert und solche gemeingefährlichen Ideen bekommt, aber wie ist es möglich, dass es denkende Wesen gibt, die ihm folgen? Ich wurde von der kratzigen Stimme des Krüppels aus meinen inneren Hassreden gegen ihn gerissen. „Bringt sie herein!", rief er und augenblicklich traten aus dem Gang zwei Diener hervor. Sie waren so abscheulich wie eh und je. Sie hatten keine Zunge mehr, stattdessen aber Kuhglocken an ihrer Stelle. Die unzähligen Fragen, die ich mir dazu stellte, will ich garnicht erst nennen, da die Wahrscheinlichkeit, mich zu übergeben dadurch noch weiter steigen würde, als von allem, was ich vorher gesehen hatte. Sie trugen jedenfalls ein Tablett mit zwei schwarzen Kristallen herein und so sehr ich mir auch wünschte, es wäre anders, wusste ich sofort, was es waren. Ihr Äußeres glich fast genau dem von Saphiras Ei, außer dass sie kleiner und eben schwarz waren.

Der Hohepriester stieß ein rasselndes Lachen aus, was mich verdächtig an das Klappern der rostigen Ketten in Gil'ead erinnerte. Nun verband ich also diese beiden Dinge mit einander, was von beidem mich an das Schlimmere erinnerte, war jedoch schwer zu sagen. Beides hatte seine individuelle Grausamkeit.

„Nun, Bengel, du dachtest, du hättest die ehrwürdigen für immer ausgelöscht, doch du täuschst dich. Es gibt mehr, zwei davon hat der König uns nun überlassen und wenn sie schlüpfen, werden sie entzückt über ihren Willkommensschmaus sein." Sein hässliches Lachen fortführend gab er den Sänftenträgern ein Handzeichen, sein ebenso hässliches Gesicht aus dem Raum zu schaffen. Es dauerte eine Weile, bis es wieder vollkommen still war, doch als es schließlich soweit war, war die Atmosphäre nicht unbedingt besser. Dunkel, lauernd, furchterregend.

Meine Zehenspitzen hingen etwa zehn Zentimeter über dem Boden, zu weit entfernt, als dass ich jemals auch nur mit einem Fuß dort ankommen könnte. Nicht dass mir das groß etwas nützen würde. Zugegebenermaßen, ich könnte meine Arme und Schultern entspannen, was wirklich verlockend war, da sie sich langsam so anfühlten, als würden sie wirklich gleich ausgerissen werden, aber frei wäre ich trotzdem nicht und dann würde ich trotzdem gefressen werden. Großartige Aussichten.

Dann fiel mir meine Idee von vorhin wieder ein. Habe ich Idee gesagt? Ich meinte Akt der puren Verzweiflung. Wenn es nicht mit Magie wieder rückgängig zu machen wäre, würde mir vermutlich für diesen Plan ein Platz unter den Priestern frei gemacht werden. Ich brachte meine Daumen in die entsprechenden Positionen, sodass der Hebel möglichst gut war, und zog mich mit letzter Kraft ein Stück nach oben. Ich atmete tief ein und aus. Wenn das hier schief gehen würde, wären mir vor meinem Tode wirklich noch Stunden der Folter beschert, dieses Mal aber selbstverschuldete. Würde es klappen, würde der Schmerz nur geringfügig weniger schrecklich sein, aber wir wären frei und vielleicht könnte ich sie irgendwann heilen oder zumindest den Teil mit dem Tod streichen. Wer wusste, was sein konnte, erst musste ich den Mut und die Disziplin aufbringen, dieses Risiko und damit den letzten Schritt zu gehen.

Ich ließ los und zog meine Arme noch hinterher, um wirklich die größtmögliche Kraft auszuüben. Es funktionierte. Zumindest soweit, wie das möglich war. Ein brennender Schmerz, der wirklich fast an den aus meiner Tortur in Gil'ead heran reichte, raste von meinen Handgelenken durch meinen ganzen Körper. Ich spürte Sehnen reißen, Knorpel bersten und Haut zu Fetzen zerreißen. Es funktionierte jedoch. Meine Daumen hingen jetzt vermutlich in einem Winkel, den ich, selbst wenn ich könnte, nicht sehen wollte, vor oder hinter dem eigentlichen Teil meiner Hand, sodass meine Hände an fast keinem Punkt mehr breiter als mein Unterarm kurz davor waren. Entsprechend glitt ich ich durch die eisernen Ringe auf den Boden. Ich versuchte mich auf den Füßen abzufangen, aber der Schmerz betäubte mich so sehr, dass mein Körper nicht mehr auf meinen Willen reagierte. Ich stürzte zu Boden und schlug mit dem Kopf auf dem Boden auf. Die letzten Gedanken, die durch meinen Kopf kreisten, ehe ich schon wieder das Bewusstsein verlor, waren die ironische Erkenntnis, dass ich mich damit den neu schlüpfenden Mistkäfern auf zwei Beinen nur noch mehr anbot. Der andere Gedanke war schlichtweg die Frage, wie ich auf eine solche Schnapsidee gekommen war. Vor meinen Augen wurde alles noch schwärzer, als es bereits war und ich erwartete nicht mehr, noch einmal aufzuwachen und etwas anderes wahrzunehmen. Meine letzte Empfindung sollte wohl höllischer, selbstverschuldeter Schmerz sein.

Eragon pov

Als der Krüppel, den wir auch schon am Helgrind auf dieser Trage gesehen hatten und den ich für den Obersten ihres Schreckenskultes hielt, hinausgetragen wurde, glätteten sich auch in Aryas Gesicht die Zornesfalten. Ich wusste genug über sie, um mir ein gutes Bild davon machen zu können, wie sehr sie alles hier verabscheuen musste. Da wir weder in der Lage waren, über unsere Gedanken zu kommunizieren, noch uns verbal oder wenigstens mit Gesten auszutauschen, letzteres vielleicht im Ansatz, aber nicht genug um einen Plan zu schmieden, ich überlegte, ob es irgendwas gab, was ich hier tun konnte. Mir wollte einfach nichts einfallen und nach einer Weile wurden meine Überlegungen von einem lauten Klirren unterbrochen. Da die einzigen Objekte im Raum, die solche Geräusche machen könnten, unsere Ketten waren, ging ich davon aus, dass es von Arya kam und drehte meinen Kopf zur Seite.

Ich brauchte einen Moment, bis ich das sich mir darbietende Bild verstand. Sie hing nicht wie ein totes Tier ohne jede Körperspannung von der Decke, so wie ich es tat, sondern sie hatte sich ein kleines Stück nach oben gezogen. Irgendwie waren ihre Daumen nicht an der Stelle, wo sie von den metallenden Ringen hingedrückt werden würden, aber bevor sich mir der Sinn erschloss, war es zu spät. Ich stieß einen Schrei aus, von dem nicht mehr als ein Stöhnen durch meinen Knebel kam. Sie fiel und als sie voll ausgestreckt war, sah es fast so aus, als würden ihre Daumen von den Händen gerissen werden. Sie rutschte tatsächlich aus den Fesseln heraus und fiel zu Boden doch statt dort zu landen, gaben ihre Beine nach und sie schlug mit dem Kopf auf. Ich versuchte nochmal zu schreien, als sie nicht wieder aufstand, doch wieder nahm der schmutzige Lappen in meinem Mund das meiste auf.

Ich zappelte in meinen Ketten, auch wenn das einzige, was ich damit bewirkte, war, dass ich meine Handgelenke aufscheuerte. In meiner Verzweiflung war ich kurz davor, es ihr gleichzutun, nur ein Funken Verstand hielt mich gerade noch davon ab. Wenn sie sich so schwer verletzt hatte, würde ich es vermutlich garnicht schaffen, da ihre Arme ein wenig dünner waren als meine. Dazu kam noch, dass wenn sie von den Schmerzen in Ohnmacht gefallen war, meine Chancen nicht besser standen. Sie hatte schließlich die größere Disziplin und meiner Einschätzung nach auch das größere Durchhaltevermögen von uns beiden. Und dann hörte ich ein Klopfen. Ich horchte auf und wenige Sekunden später kam bereits ein Knacksen. Sofort war mir klar, was das bedeuten würde.

Unser Ende war gekommen und ich musste einem Szenario bewohnen, das meine schlimmsten Albträume um Längen in den Schatten stellte. Ich musste zusehen, wie die Frau, die ich liebte, von zwei Monstern bei lebendigem Leibe aufgefressen wurde und ich würde wissen, dass ich nichts tun konnte und als Nächstes dran wäre. In dem schwarzen Ei bildeten sich Risse und es verging nicht viel Zeit, bis ein Teil herausbrach. Aus dem Loch steckte sich ein Schnabel hervor und schlug an verschiedenen Stellen gegen den schwarzen Kristall. Als schließlich der gesamte Rest in sich zusammen brach, strampelte sich daraus ein Wesen hervor, was etwa so aussah wie das Krähenküken, was einige Jahre zuvor erfroren aus dem Nest gefallen und von irgendeinem Tier mit Hufen zertrampelt worden war und nun gerade von Mistkäfern aufgefressen wurde.

Es blickte sich um und stieß ein widerliches Kreischen aus. Es war nicht der schreckliche Schrei der Lethrblaka, zu denen sie später einmal werden würden, wenn nicht jemand der Welt den Gefallen erweisen würde, sie vorher zu ermorden, aber auch bei diesem Geräusch hätte mein Trommelfell bereits gerne Selbstmord begangen. Dieses Etwas kroch aus den Überresten des Eis und dann in unsere Richtung. Die Finsternis war für ihre Augen, das wusste ich aus Oromis Unterricht, etwa so wie für uns, wenn Wolken vor die Sonne zogen. Es ließ sie besser sehen, weil sie nicht geblendet wurden. Das galt allem Anschein nach auch für neugeborene oder neu geschlüpfte Ra'zac. Als es an der Kante des Tisches angekommen war, sprang es ohne auch nur nachzudenken hinab auf den Boden. Ich hoffte irgendein aufmunterndes Geräusch zu hören, ein Knacken wäre gut oder vielleicht das, was zu Boden fallender Brei machen würde, aber ich wurde enttäuscht. Es war nur ein leises Klacken von Krallen, warum hatten diese Monster schon im Ei Krallen, zu hören und als ich mit meinem Kopf hinterher gekommen war, meine Halsmuskeln spielten nach den anscheinend Stunden des Herumhängens nicht mehr so gut mit, wie sie es sollten, stand es dort auf zwei Beinen.

Ich wollte nicht sehen, was passieren würde, ich wollte meine Augen schließen und die Welt ausblenden. Leider gehorchte mir mein Körper nicht und ich musste mir ansehen, wie der hässliche geschnäbelte Mistkäfer Stück für Stück in Richtung Arya stakste. Und noch mehr kämpfte mein Geist gegen meinen Körper. Der Geist wollte nicht sehen, wie die Frau, die er liebte, von einem Monster aufgefressen wurde, aber der Körper weigerte sich vor Angst, diesem Willen Folge zu leisten. Noch dazu wusste ich leider, dass das Schließen der Augen nicht ausreichen würde. In meinem derzeitigen Zustand, unter Drogen gesetzt, war ich auch nicht in der Lage, einen einzelnen Sinn oder auch alle zusammen auszublenden. Ich würde trotzdem den Geruch von noch mehr frischem Blut, als er jetzt schon von ihren Händen kam, wahrnehmen müssen und um die Tonkulisse käme ich erstrecht nicht herum. Wenn der zweite Ra'zac schlüpfen und sich mich vornehmen würde, würde ich wirklich mit allen Sinnen gefoltert werden. Zu streiten ob jetzt mein trockener Mund und der schmutzige Knebel als Tortur für meinen Geschmack zählte, hielt ich für Haarspalterei.

Mit schreckensweiten Augen sah ich, wie sich das Biest vorbeugte und den Kopf in den Nacken legte, um ihn mit vollem Schwung in Aryas Hals schlagen zu können. Wäre die Situation nicht so schrecklich, hätte ich über den folgenden Anblick gelacht. Laufen schien in den Instinkten dieser Spezies von Geburt an vertreten zu sein, nicht jedoch ein guter Gleichgewichtssinn. Er fiel nach hinten um und brauchte mehrere Sekunden um sich wieder aufzurappeln. Unglücklicherweise hatte er gelernt. Er legte den Kopf nur ein klein wenig in den Nacken. Dieses Mal würde er nicht stürzen.

Als sein Kopf sich gerade in Bewegung setzte, in die Richtung in der ich ihn am aller wenigsten haben wollte, fuhr ein hellbrauner Blitz durch mein Sichtfeld und zerstörte meinen Fokus auf das Geschehen. Ich fragte mich, ob die Angst mich so weit getrieben hatte, das ich jetzt schon halluzinierte. Hektisch suchte ich mit den Augen den Raum ab, als ich ein Knacken von der Wand von meiner linken, dem Tunnel gegenüberliegenden Seite hörte. Ich starrte dorthin und sah an den Steinen einen schwarzen Haufen kleben. Darunter auf dem Boden saß: „Solembum!", schrie ich in meinen Knebel. Was er hörte, könnte vermutlich auch ‚Rinderwurst' geheißen haben, aber zumindest brachte es ihn dazu, mich anzusehen. Die gelben Augen waren in der Finsternis wie Scheinwerfer. Er sprang zu mir hoch und hieb mit seiner Tatze nach meinem Gesicht. Zuerst dachte ich, er würde mich angreifen und wollte ausweichen, doch dann spürte ich, wie der Druck an meinen Mundwinkeln nachließ. Ich kämpfte einige Sekunden mit meiner Zunge, bis es mir schließlich gelang, den Knebel auszuspucken.

Während ich die neue Möglichkeit nutzte und meinen Mundraum wieder mit Spucke befeuchtete, trat auch noch eine menschliche Gestalt aus dem Gang. Sie trug eine Kapuze, aber ich war mir recht sicher, dass es sich um Angela handelte. Irgendwie passte ihre Ausstrahlung und das wenige, was ich von ihrer Art zu gehen sah, recht gut zu ihr. Dazu kam natürlich, dass sie auch die einzige Verbündete war, die wir hier unten noch hatten, und wenn Solembum in der Nähe war, war da auch quasi immer entweder sie oder eine hübsche andere Werkatze. Da ich letzteres irgendwie gerade für unwahrscheinlich hielt, lag der Verdacht nahe.

Sie zog ein Schwert aus der an ihrer Seite hängenden Scheide und schlug damit gegen die Ketten über mir. Ich konnte mir schlecht vorstellen, wie sie mit einer Hand so viel Kraft aufwenden sollte, aber allem Anschein nach funktionierte es. Ein metallisches Klirren und ich fiel. Meine Beine drohten nachzugeben, aber ich konnte gerade so noch auf den Füßen bleiben. Ihre Kapuze war bei dem Schlag verrutscht und ich sah, dass es tatsächlich Angela war. Eine Welle der Erleichterung durchflutete mich. Zumindest eins der zwei verlorenen Mitglieder unserer Gruppe war wieder da. Der Umkehrschluss reichte allerdings fast vollständig als Gegengewicht, sodass ich wieder traurig war.

„Hände!", sagte die Kräuterhexe. Ich wollte widersprechen und sagen, dass sie sich erst um Arya kümmern sollte, aber als ich gerade den Mund öffnen wollte, schnitt sie mir das noch nichtmal erhobene Wort ab. „Ein Problem nach dem anderen. Sie ist bewusstlos und ob jetzt fünf Sekunden früher oder später die Wunden geheilt sind macht in dem Zustand keinen Unterschied. Bei dir hingegen können wir dafür sorgen, dass wir uns nicht mehr weiter um dich kümmern müssen und uns auf ein Problem konzentrieren können. Hände!" Ergeben hielt ich ihr die ausgestreckten Arme hin. Wie präzise sie schlagen müsste, damit das Metall zerstört werden würde, ohne mir den Arm abzutrennen.

Sie fuhr mit der Klinge in einer schnellen Bewegung einmal oben und einmal unten über meinen Arm. In keinem Fall spürte ich sie jedoch. Es klirrte und zu meinen Füßen lagen zwei Metallstücken, auf der mir zugewandten Seite absolut glatt. Danach drückte sie von der Seite einmal gegen meine Arme und an den Schnittstellen verrutschte das Eisen. Es zeigte sich, dass sie auf den Unterseiten tatsächlich das Metall perfekt geschnitten hatte, sodass dort eine Öffnung entstanden, auf der Oberseite jedoch ein kleiner Rest an der dünnsten Stelle verblieben war, wenn auch nicht dicker als ein Blatt Pergament. Sie griff nun an beiden Seiten an das Metall und bog es so weit auseinander, dass meine Unterarme hindurch passten. Der verbogene Überrest fiel klirrend zu Boden und ich massierte mir die inzwischen empfindlich wund geriebene Haut.

Dann sah ich auf Arya. Dass ich keine Magie einsetzen konnte, vermutlich wegen einer Droge, hatte ich bereits gemerkt, deswegen bat ich Angela: „Kannst du sie heilen? Ich kann keine Magie einsetzen." Sie nickte und während sie zu Arya in die Knie ging, murmelte sie deutlich hörbar: „Wozu hat man denn so ein tolles Schwert, wenn niemand einem die Gelegenheit zum angeben lässt?" - „Ich hätte dich danach gefragt und ich bin sehr wohl gespannt auf die Geschichte dahinter, aber im Augenblick setze ich Prioritäten." Gab ich trocken zurück. „Jaja, schon gut", kam es zurück, ehe sie in einen leisen Singsang verfiel und ich vollkommen in den Bann gezogen beobachtete, wie die Finger wieder an ihre Stellen rutschten und sich die Haut darüber schloss. Als es vollbracht war, blieb sie noch für einen Moment da hocken und tat vermutlich irgendetwas ohne von Worten geleitete Magie, ehe sie sich wieder aufrichtete. Arya keuchte im selben Moment auf und öffnete die Augen. Sie blinzelte mehrfach, vielleicht in der Hoffnung, dass es dadurch heller werden würde, und blickte sich dann panisch um. Etwas weniger panisch als sie sah, dass wir zwei beziehungsweise mit dem neben der Kräuterhexe liegenden Kater drei vor ihr standen. „Möchte ich wissen, was passiert ist?"

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3374 Wörter

Vielen Dank fürs Lesen. Ich hoffe, es hat euch gefallen. Unabhängig davon freue ich mich über jeden Vorschlag zur Verbesserung.

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