Kap. 85 Absicherung mit Rücksicht
Roran pov
Ich holte tief Luft, bevor ich anfing, von der Belagerung, oder zumindest dem Teil unter meinem Kommando, zu erzählen. Ich geriet ins Stocken, als es um Carns Tod ging, was eigentlich lächerlich ist, da auch andere gestorben waren, an die ich aber kaum noch einen Gedanken verschwendet hatte, etwas, womit ich mich später noch auseinandersetzen werden müsste, damit ich mit mir selbst leben könnte, und als ich schließlich zum Ende kam, schloss ich mit den Worten: „Ihr seht also, laut allen aktuellen Berichten ist die Stadt fast vollständig unter Kontrolle. Wir bestimmen, wer sie betritt und wer sie verlässt. Wir bestimmen, was in ihr vor sich geht und wir bestimmen, für was Gewalt zur Durchsetzung nötig ist. Auf letzteres ließ sich bisher jedoch in fast allen Fällen verzichten. Abschließend kann ich nur sagen, dass ich glaube, dass wir und damit meine ich auch jeden einzelnen Mann, der mitgekämpft hat und uns nun beim Wahren der Kontrolle hilft, Euren Auftrag und Euer Ultimatum in ganzer Linie erfüllen konnten."
Zuerst wollte ich noch eine Bemerkung über eine baldige Rückreise machen, aber um Streit zu vermeiden, wollte ich lieber darauf warten, dass sie dieses Thema von sich aus ansprach. Ich wusste, dass Nasuada eine gerechte Befehlshaberin war, aber sie hielt auch oft sehr direkt an Regeln fest und dass ich als Untergebener auf ihre Befehle zur Abreise zu warten hatte, statt dies selbst zu entscheiden, gehörte leider zu diesen Regeln.
Ich muss zugeben, es erfüllte mich mit einer gewissen Genugtuung, mit anzusehen, wie meine Vorgesetzte versuchte, ihre Überraschung zu verbergen, aber immer wieder ihre Fassade bröckeln zu sehen. Ich hoffte, dazu noch genauere Erklärungen zu bekommen, aber fürs erste war ich schon stolz, sie soweit aus der Fassung gebracht zu haben. Ich hatte nur ein oder zwei Male zuvor gesehen, dass sie nicht die volle Kontrolle über ihre Gesichtszüge hatte und eins davon, nur zum Vergleich, war, als Percy sich nach der Schlacht auf den brennenden Steppen vorgestellt hatte. Auch damals hatte sie nicht so recht fassen können, was sie gerade gehört hatte.
„Du erklärst mir also gerade", begann sie, offensichtlich noch nicht vollends sicher, was sie sagen würde, „dass ihr eine Stadt, die euch in der Anzahl um ein Vielfaches überlegen war und noch dazu einige der besten Mauern des Imperiums besitzt", erneut ließ sie eine kleine Pause zum Nachdenken oder Fassung zurückzugewinnen, „nahezu ohne Verluste übernommen habt, indem ihr mit Getreidebarken ihre Tore eingerammt habt? Dass du an mehr als nur einer Stelle quasi im Alleingang Taktiken ersonnen hast, mit denen ihr mit dieser Überzahl fertig geworden seid?" - „Den letzten Teil habe ich nicht gesagt", antwortete ich.
Nun lächelte sie und murmelte irgendwas über Bescheidenheit, ehe sie wieder an mich gerichtet sagte: „Aber ich habe es, von nun an Hauptmann Hammerfaust. Meinen Glückwunsch zur Beförderung, Ihr habt sie Euch mehr als nur verdient." Ich verbeugte mich vor dem Bild, stellte dann aber fest, dass das keine gute Idee war, als ich um ein Haar die Schale, in der ich Nasuadas Abbild vor mir hatte, von dem Nachttisch herunter schlug. Ich konnte sie jedoch gerade noch davon abhalten und blickte die Herrin der Varden entschuldigend an. Diese jedoch schmunzelte nur und sagte, „Na, das üben wir aber nochmal." - ‚Lieber nicht', dachte ich, nickte aber einfach stumm.
„Nun denn", setzte sie ein weiteres Mal an. „Da du nun der Oberste in der Rangfolge Vorort bist, möchte ich dich fragen, wie du weiter mit der Stadt verfahren möchtest. Technisch gesehen bleibt es natürlich meine Entscheidung, aber ich schätze dein Urteilsvermögen recht gut ein und noch dazu bist du Vorort besser mit der Situation vertraut." Ich hatte schon in einem gewissen Maße mit dieser Frage gerechnet und mir dementsprechend auch in etwa eine Idee zurechtgelegt.
„Wie Ihr bereits gehört habt, stehen auch in Aroughs nicht alle geschlossen hinter dem Imperium. Aus diesem Grund denke ich, ist ein Rat recht sinnvoll. Diesen möchte ich aus vier Teilen bestehen lassen. Zum einen würde ich den ehemaligen Hauptmann Brigman als Vertreter der Offiziere der Varden einsetzen. Ich mag Probleme mit ihm gehabt haben, aber er ist nicht unfähig. Außerdem würde ich eine Partei aus dem Dreiergespann der hiesigen Führung bilden. Ein Trio aus lokalen Soldaten oder Arbeitern, an diesem Punkt bin ich noch nicht sicher, bildet den dritten Teil und weitere drei Soldaten von uns machen die temporäre Regierung komplett. Damit eine Entscheidung getroffen werden kann, müssen mindestens beide Vertreter der Varden und eine der beiden Parteien aus der Stadt einverstanden sein. Sollten sich nur zwei finden, wird entweder keine Entscheidung getroffen, oder eine Rückfrage zu entweder Euch als oberster Führung oder mir als Hauptmann erfolgen. Ich habe eine Weile darüber nachgedacht und bin zu dem Schluss gekommen, dass wir so am meisten Rücksicht auf das Volk nehmen können, ohne unsere Vormacht Position in Gefahr bringen zu müssen."
Man konnte ihrem Gesicht ansehen, dass sie meinen Vorschlag überdachte. Schließlich sprach sie die für die Bewohner dieser Stadt entscheidenden Worte: „So sei es." Direkt im Anschluss ergänzte sie aber auch: „Mir gefällt diese Art, die Macht aufzuteilen. Ich würde dir jedoch raten, noch zwei Dinge zu bedenken. Zum einen natürlich zur Vertretung der Bürger, ich denke, dass sie der entscheidende Teil sind. Vor allem im Hinblick, wie sie entschieden werden, musst du Klarheit schaffen. Zum anderen würde ich dir raten, diese Rückfrage etwas einzuschränken oder der Vertretung der Stadt klarzumachen, nur bei grundlegenden Widersprüchen Einspruch gegen die Entscheidungen zu erheben. Anderenfalls wirst du unzählige Male Streit schlichten müssen und vermutlich mehr damit beschäftigt sein, als mit deinen Pflichten als Hauptmann. Ich bin bereit, mich ebenfalls in solchen Situationen zu Rate ziehen zu lassen, aber nur bei wichtigen Entscheidungen mit weitreichenden Folgen."
Ich nickte und bekräftigte dann: „Ich werde Euren Rat beherzigen." Sie nickte schnell und sagte dann: „Gut gut, dann bleibt noch eine Sache zu klären, ehe auf mich noch meine nächste Verpflichtung zukommt. Du hast leider ein Zeitfenster gewählt, in dem meine Zeit ganz und garnicht flexibel ist. Ich muss jetzt König Orrin erklären, dass alles gut gehen wird und die Verspätung von Eragon, Arya und Hazel wirklich nur das ist, eine Verspätung, es ihnen aber immernoch gut geht. Eine Verspätung meinerseits zu diesem Treffen wäre vor allem unter dem gegebenen Gesichtspunkt nicht ratsam. Deshalb, du hast deine Aufgabe gut gemacht und hast dir etwas Erholung verdient, nichtsdestotrotz würde ich dich bitten, möglichst zeitnah zurückzukehren, sobald dein körperlicher Zustand es erlaubt. Du musst nicht so ein Tempo an den Tag legen, wie auf dem Hinweg, denn die nächste anstehende Schlacht ist Dras-Leona, und dazu wirst du nicht mehr da sein, wie dem auch sei, falls wir danach angegriffen werden sollten, ist es besser, einen Hauptmann mehr zu haben."
Ich nickte verstehend, wollte dann allerdings besorgt nachfragen, was diese Andeutung mit Eragon zu bedeuten gehabt hatte, doch leider war ich dazu zu langsam. „Es freut mich fast so sehr, dich gesprochen zu haben, wie die Nachrichten es tun, die du überbracht hast, doch ich muss jetzt los. Wenn noch etwas ist, denke ich, dass deine Freunde und Mitreisenden dir vielleicht weiterhelfen könnten, wenn du verstehst, was ich meine." Tat ich, aber ich hätte fast trotzdem noch versucht, weiter nachzufragen. Stattdessen verabschiedete ich mich ebenfalls kurz und das Bild wurde dunkel, ehe das Wasser dann wieder seine natürliche Klarheit annahm. Ich sah zu dem im Türrahmen stehenden Frank. Er hatte wohl die ganze Zeit zugehört.
„Es ist mir eine Ehre, Hauptmann Hammerfaust", sagte er, den Titel extra betonend. „Soll ich raten, was der erste Satz ist, den Ihr, abgesehen von der Antwort auf diese Frage, in Eurem neuen Amt sprechen werdet?" Ich rollte mit den Augen, ein klein wenig genervt über den absichtlich ironischen und förmlichen Tonfall, den er anschlug.
„Das kannst du tun, aber da du zugehört hast, solltest du inhaltlich sowieso wissen, was ich sagen werde, und noch dazu kannst du sowieso Gedanken lesen, also brauchst du nicht raten. Bitte erspar mir den Titel!" Er grinste. „Endlich mal wieder jemand anderes, der versteht, wie wir uns fühlen. Titel sind echt was anstrengendes. Wie dem auch sei, ich muss kurz Nachforschungen anstellen, um deine Fragen beantworten zu können. Könnte etwas dauern." Er schloss die Augen und riss sie sofort wieder auf.
„Könnte etwas dauern?", wiederholte ich seine letzte Aussage, jedoch als Frage betont. „Ja, was denn? Für meine Verhältnisse ist das langsam." Erneut konnte ich mir ein Augenrollen nicht verkneifen. Was sollte das jetzt schon wieder heißen, geht es überhaupt noch schneller? „Wie dem auch sei", wechselte ich total unauffällig das Thema zurück dahin, wo ich es haben wollte, „Was kannst du mir über meinen Bruder sagen?"
Er zog unzufrieden einen Mundwinkel nach unten. „Nahezu nichts. Genau das ist das Problem. Er ist zusammen mit seiner baldigen Fr... in Begleitung von Arya, Angela und Hazel in einem unterirdischen Gang verschwunden, der hinter die Stadtmauern von Dras-Leona führen soll. Das war abgesprochen und ist jetzt einen Tag her. Seitdem hat niemand etwas von ihnen gehört, abgesehen von Percy, der ein ganz schwaches Signal empfangen konnte, dass dort irgendwas sehr großes passiert ist, zu schwach jedoch um genaueres zu sagen. Mehr dürfte in diesem gesamten Multiversum niemandem bekannt sein." Von all den Dingen, die ich nachfragen hätte können, von dem abgebrochenen Satz über eine baldige irgendwas bis hin zu der Aussage, dass Percy als einziger mehr wusste, wählte ich ausgerechnet in einem dummen Ton das nachäffen des Wortes Multiversum. Was sollte das auch sein?
Frank winkte ab und murmelte: „Vergiss es, du würdest es eh nicht verstehen können, soll keine Beleidigung sein." Anstatt meiner Verwirrung abzuhelfen, machte diese Antwort sie eher schlimmer. Für gewöhnlich bekam ich von ihm zumindest einen Hinweis, ob ich den dann verstand, war eine andere Frage. „Na wenn du meinst", gab ich zögernd zurück. „Wie dem auch sei, du hast es vermutlich gehört, Nasuada hat uns mehr oder weniger den Aufbruch befohlen." Ergänzte ich noch nach meiner zuvor gestellten, aber viel weniger zielführenden Frage.
Er nickte, sagte dann aber: „Ja, das ist richtig, aber erst", er schob mich wieder auf das Bett, auf dessen Kante ich saß und schon fast im Begriff war, aufzustehen. „Wenn dein Körper sich wieder soweit erholt hat, dass du wieder normal laufen kannst, dass du dich normal bewegen kannst und nicht bei jedem Schritt einen brennenden Schmerz verspürst. Ich habe ein wenig nachgeholfen und deshalb werden die Ränder der Wunde von selbst wieder aufeinander zu arbeiten und sich irgendwann in den nächsten Tagen verbinden, aber dieser Prozess ist keine Heilung in dem Sinne, es hilft deinem Körper nur, sich selbst auf die richtige Weise zu heilen. Wir brauchen einen gesunden Roran Hammerfaust und damit wir den bekommen, muss er sich gefälligst ausruhen.
Ich bin kein Arzt, aber ich kann dir trotzdem Bettruhe verordnen. Vor der Tür steht von jetzt an permanent eine Wache, die logischerweise von dir Befehle entgegen nimmt. Wenn du nicht damit leben kannst, zwei Tage lang nichts zu tun, kannst du meinetwegen von deinem Krankenbett aus die zukünftig Führung dieser Stadt zusammenbasteln, aber nur von dort aus. Ist das angekommen?" Ich nickte, verdrehte aber erneut leicht lächelnd die Augen. Wie oft hatte ich es jetzt schon gesehen, dass sich die Verletzten weniger Sorgen machten und sich weniger kümmerten, als es die Gesunden taten.
„Würde der mysteriöse Begleiter, über den sein Hauptmann noch immer nahezu nichts weiß, sich dann die Mühe machen, mir Ex-Hauptmann Brigman, die zwei Soldaten, die mich beim inneren Tor begleitet haben, einen weiteren Soldaten seiner Wahl, Tharos, Galiana und Jardin, sowie drei von letzterem als aufrichtig und verantwortungsbewusst beschriebene Bürger der Stadt her zu schicken?" In dem gleichen sarkastischen Tonfall, den ich genutzt hatte, um ihn nachzuahmen, ahmte er nun mich nach. „Nein, das würde er natürlich nicht, mein Gebieter, auch wenn Ihr weder mein Gebieter noch mein Hauptmann seid, da ich aus freien Stücken und bestenfalls auf Bitte hin hier bin." Was auch immer so viel sagte, spätestens ab dem zweiten Teilsatz hatte ich aufgehört zuzuhören und mich einfach hingelegt, um mich vorher noch einmal zu erholen.
Arya pov
Ich blinzelte. Alles um mich herum schien dunkel, hatte ich meine Sehfähigkeit verloren oder war es wirklich so stockfinster, dass selbst die verbesserten Augen meines Volkes nichts halfen? Nein, war es beides nicht, meine Augen brauchten nur unglaublich lange, bis ich die Realität wahrnehmen konnte und sie sich daran gewöhnten, wie dunkel es war. Zumindest war es das, was meine Augen meinem Gehirn vermittelten.
In dem Moment konnte ich mir genauso gut vorstellen, dass nur meine Welt hinter einem finsteren Schleier lag und es eigentlich taghell war. Mehrere Sekunden, nachdem meine Fähigkeit zu sehen wieder aus der Vergessenheit zurückgekehrt war, nahm ich auch mit meinen anderen Sinnen wieder wahr. Ich ging jeden einzelnen von ihnen durch, aber kein einziger gefiel mir. Ich schmeckte Blut, ich sah einen dunklen Raum vor mir, in dem nur ein leerer Tisch stand, ich roch den gleichen leicht modrigen und definitiv verwesenden Gestank, der uns schon die ganze Zeit gefolgt war und der schlimmer geworden war, je näher wir der Stadt gekommen waren. Der einzige, der nicht direkt unangenehm war, war das hören. Ich hörte bloß meinen eigenen Atem und noch einen anderen, hoffentlich Eragon, von meiner rechten Seite.
Dieser neutrale Eindruck wurde jedoch vollständig ausradiert, als ich mich auf meinen letzten Sinn konzentrierte. Ich spürte meine Beine nicht, soweit der beste Teil, und wenn das der Beste ist, ist wohl klar, was das für den Rest bedeutet. Mein Kopf pochte unangenehm schmerzhaft, aber auch das war nicht das schlimmste. Das schlimmste war das schreckliche Gefühl, als würden meine Arme nach oben hin ausgerissen werden. Ich legte meinen Kopf in den Nacken und blickte nach oben. Was ich sah, brachte mich dazu, einen lauten Fluch auszustoßen.
Oder zumindest die Handlungen mit meinem Körper durchzuführen, die normalerweise in einem Fluch bewirkt hätten. Erst dabei merkte ich nämlich, dass ich eine Wahrnehmung noch nicht bemerkt hatte. Mein Mund war vollkommen ausgetrocknet, da ein ziemlich dreckiger Stofffetzen darin steckte und jede Flüssigkeit heraus zog. Großartig, ich war geknebelt.
Leider ergab das Sinn, im Zusammenhang mit dem, was ich über mir gesehen hatte. Meine Hände waren in eisernen, nicht gepolsterten Handschellen, die an fast einen Meter langen Ketten von der Decke hingen. Die Kanten bohrten sich bereits jetzt unangenehm in mein Fleisch. Wäre mein Körper als Elfe nicht von Natur aus widerstandsfähiger, hätte ich mir wohl bereits irreparable Schäden in meinen Hand- und Schultergelenken zugezogen.
Nachdem ich etwa fünf mal gründlicher als notwendig meine Lage analysiert hatte, kam mir nun der geniale Einfall, dass es nicht die Lage war, in der ich mich gerne befinden wollte, und ich begann über einen Ausweg nachzusinnen. Mir kam als erstes natürlich die naheliegendste und naivste Idee in den Kopf. Magie leistete mir oft gute Dienste, warum also nicht hier. Ich konzentrierte mich und suchte in meinem Geist nach der Quelle meiner magischen Kraft. Der filigrane Turm, durch den der Strom der Macht für gewöhnlich floss, sah jedoch anders aus. Er war verfallen, mit Unkraut überwuchert und vermodert. So sehr ich auch seine Tiefen ergründete, ich fand nicht einen Hauch meiner Kraft. Das war die selbe Droge, die sie mir damals in Gil'ead gegeben hatten. Sie brauchte meistens über einen Tag um abzuklingen, zumindest bei Elfen, bei schwächeren Wesen vermutlich noch länger. In dieser Zeit war wortwörtlich alles, was einem blieb, der eigene Körper, denn sie versiegelte den eigenen Geist obendrein noch von außen nach innen. Ich könnte meine Gedanken nicht mehr aussenden und so waren weder Magie, noch Kampf im Geist eine Möglichkeit.
Unglücklicherweise wusste ich, dass selbst Eisen, das noch nicht zu Stahl gehärtet war, stärker war als jeder Muskel eines Wesens mit einer mir annähernd ähnlichen Statur. Ein Drache mochte sie vielleicht zerschlagen können wie Schilfrohre, aber weder Mensch noch Elf oder Zwerg waren Eisen gewachsen. Ob die Kull in der Lage wären, sich mit ihren aus reiner Muskelmasse bestehenden Körpern alleine durch ihre Stärke zu befreien, war schwer einzuschätzen, denn sie hatten nochmal etwas mehr Kraft als mein Volk. Niemand wäre jedoch so dumm, einen von ihnen so schwach zu sichern. Ihr bloßes Gewicht würde vermutlich die Ketten von der Decke reißen. Wie genau bin ich jetzt nochmal zu diesen Gedanken gekommen? Egal.
Bevor ich jedenfalls weiter überlegte, wie ich hier rauskäme, sah ich mich genauer um. Tatsächlich baumelte zu meiner Rechten Eragon in exakt der selben misslichen Lage, in der auch ich hing. Nochmal rechts vor ihm schien es ein klein wenig weniger dunkel zu sein, vielleicht war das ein Gang nach draußen, denn ansonsten konnte ich keinen anderen finden. Selbst wenn einige von ihnen durch Wände laufen könnten, was nach all meinem Vorwissen über die lokale Magie sehr unwahrscheinlich war musste es doch einen normalen Ausweg geben, denn auf irgendeine Weise mussten wir hergekommen sein. Wenn überhaupt gab es wieder Gänge in den Wänden, aber vielleicht war diese etwas hellere Stelle auch schlicht und ergreifend der Weg nach draußen. Auf letzteres hoffte ich ein klein wenig, denn anderenfalls wären wir hier für immer gefangen. Niemals wären wir in der Lage, bei magisch geschützten Wänden eine gut versteckte Tür zu finden.
Neben mir sah ich, wie Eragon sich nun auch rührte. Immerhin etwas. Wenn wir nun kommunizieren wollten, mussten wir es mit Gesichtsausdrücken und Blicken machen, da unsere Geister benebelt und unsere Münder geknebelt waren. Dazu müsste man natürlich eine Idee haben, die man kommunizieren wollen müsste. Ob es gelingen würde, wäre erst später ein Problem. Es dauerte allerdings noch mehrere qualvolle Minuten, bis mir schlussendliche eine Idee kam. Ein purer Akt der Verzweiflung zugegebenermaßen, aber zum einen nichts, was man nicht mit Magie heilen könnte, und zum anderen war Verzweiflung bis zu einem gewissen Maße durchaus angemessen.
Trotzdem wollte ich Vorsicht walten lassen und dachte mehrere Minuten über unsere Chancen nach. Alleine in diesen Positionen würden wir verhungern, aber leider wäre wahrhaft ein Wunder nötig, um uns durch äußeren Einfluss zu befreien. Das Wunder wahr wurden, war mir seit wir Percy und seine Freunde getroffen hatten, schon fast zur Gewohnheit geworden, aber leider war das Wunder, was heute schon passiert war, das bisher einzige, was uns nicht in die Karten spielte, und die Wahrscheinlichkeit, dass, nachdem Hazel durchbohrt worden war, das nächste Wunder in dieser Situation uns helfen würde, erschien mir irgendwie nicht so hoch, wie ich sie gerne hätte.
Gerade, als ich mich für unseren drastischen Plan zum Entkommen entscheiden wollte, hörte ich leise Stimmen. Es war in diesem Raum so totenstill, dass mein übernatürliches Gehör so hellhörig war, dass ich selbst das leiseste Geräusch vollständig und bewusst wahrnehmen konnte. Ich hörte, dass über Rituale gesprochen wurde und mit jeder Sekunde versank ich mehr in Hoffnungslosigkeit, da ich schon ein sehr genaues Bild davon hatte, was auf uns zu kommen würde.
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3105 Wörter
Vielen Dank fürs Lesen. Ich hoffe, es hat euch gefallen. Unabhängig davon freue ich mich über jeden Vorschlag zur Verbesserung.
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