Kap. 72 Gedanken
Roran pov
Während die Angreifer scheinbar schon so nah waren, dass man das Getrampel ihrer Pferde bereits durch den Boden spürte, gab ich mir alle Mühe, nach Möglichkeit gelassen zu wirken. Ich warf die Knochen, deren Herkunft mir mehr als nur ein wenig seltsam vorkam, in die Luft und versuchte möglichst viele mit der Handoberseite und dem Arm wieder aufzufangen. Von insgesamt zehn Knochen erwischte ich immerhin sechs. Auch wenn Garrow meistens alleine gespielt hatte, hatte ich in den Fällen, wo er dies nicht tat, eine Menge von ihm gelernt. Er selbst hatte häufig acht, neun oder in einigen vereinzelt auftretenden Fällen sogar alle zehn fangen können, ein Kunststück, dessen Gelingen für mich noch in weiter Ferne lag.
Gegen das anschwellende Vibrieren des Bodens spielte ich weiter. Aus genanntem Grund wurde es von Mal zu Mal schwieriger und so gelang mir nicht ein einziger Durchgang, der wieder zumindest die Hälfte eines perfekten Ergebnisses beinhaltet hätte.
Ich musste mich stark konzentrieren, um nicht in Panik zu verfallen, als ich die Reiter näher kommen sah. Ich blickte nie direkt auf sie, aber im Hintergrund waren sie trotzdem immer zu sehen. Im Kopf schätzte ich die etwaige Distanz ab. Ich kam auf etwas über hundert Meter. Entsprechend schlecht war auch mein Wurf. Gerade mal zwei Knochen fielen nicht zu Boden. Auch wenn es möglicherweise keinen Unterschied mehr machen würde, hob ich sie auf.
Mein Leben könnte in wenigen Sekunden vorbei sein. Ich hätte vielleicht die Liebe meines Lebens aus der Gefangenschaft und mein Dorf vor der vollständigen Vernichtung gerettet und vielleicht auch viele, die bei den Varden an meiner Seite kämpften, vor dem Tod bewahrt. Auch wenn ich das alles geschafft hatte, stand ich nun an einem Punkt, an dem ich vielleicht niemals mehr die Gelegenheit haben würde, die Schönheit des Bewahrten zu genießen. Eigentlich ein trauriger Gedanke doch er machte mir keine Angst. Nichts machte mir in dem Moment Angst. Der Tod machte mir keine Angst.
Trotz des Umstandes, dass ich vielleicht im nächsten Moment nicht mehr da wäre, wollte ich nichts tun. Sollte ich sterben, wäre das zwar mehr als nur grotesk, in Anbetracht des unverschämten Glücks, dass ich in den vergangenen Wochen und Monaten gehabt hatte, aber ich täte es immerhin für etwas Gutes. Bei dem Versuch, meinen Kameraden mit einem, zugegebenermaßen, wahnsinnigen Plan aus der Klemme zu helfen. Ich würde ihn entweder zu Ende ausführen oder bei dem Versuch sterben. Es gab keinen Zwischenweg, selbst wenn ich es gewollt hätte. Wow, klischeehafter geht ja wohl kaum. Ist mir auch schon aufgefallen, danke. Außerdem, wie würdest du das denn schreiben, ohne es klischeehaft wirken zu lassen? Keine Antwort, anders oder garnicht sind keine zulässigen Reaktionen!
Mit neuer Entschlossenheit, die ich nach außen hin in Form von Gelassenheit wiederzugeben versuchte, setzte ich mich mit den Knochen in der Hand auf und setzte erneut zum Wurf an. In dem Moment, in dem ich sie los ließ, rief jemand vor mir mit lauter, befehlsgewohnter Stimme: „Stooooop!" Das Ergebnis bestand aus vielfachen „brrrr"-Rufen, Wiehern und dem Geräusch von einer großen Zahl Pferde, die durch den sandigen Boden rutschten und dabei versuchten zu bremsen. Der Schatten des wenige Meter vor mir zum Stehen gekommenen Pferdes lag nun auf mir.
Ich blickte auf und versuchte einen überraschten Gesichtsausdruck zu mimen, als habe ich die Ankömmlinge erst wegen dem plötzlichen Schatten bemerkt. Im Sattel des Pferdes saß ein Mann, der durch seinen Bart und seine geringe Körpergröße ich habe ver-DAMM-te zwanzig Minuten nach diesen Informationen gesucht! durchaus optische Ähnlichkeiten mit einem Zwerg hatte. Er schwang sich aus dem Sattel, landete sicher auf den Füßen und zog ein Schwert. „Wer seid Ihr und was macht Ihr hier?" Jetzt begann der Teil, wo meine Schauspielkünste gefragt waren. Nun gut, wäre nicht das erste, wo ich mich ohne Übung bewähren musste.
Bemüht unbeeindruckt wirkend antwortete ich trocken: „Mein Name ist Roran Hammerfaust und das gleiche könnte ich Euch fragen. Wer seid Ihr und was macht Ihr hier?" Ich hoffte während ich sprach, dass mein Ruf bereits so weit durchgedrungen war. Der in sein Gesicht steigenden Blässe zufolge war er das. Leicht panisch warf er einen hastigen Blick über die Schulter zu einem anderen Reiter, der statt einer Rüstung nur ein langes lilafarbenenes Gewand mit Kapuze truge. Vermutlich sein persönlicher Magier.
„Tharos der Flinke ist mein Name, Captain der Stadtwache. Sagt, ist es wahr, dass ihr in dem Ort Deldarad Hierfür ist mindestens genauso viel Aufwand zur Recherche nötig gewesen, wie für die ver-DAMM-te Statur (und den Namen) von Tharos, nur dass ich hier aufgeben musste und die Aufgabe weitergegeben habe. Ich müsste mir echt mal die Bücher aus Papier anschaffen. Bekomme ich vielleicht einen Keks und ein vote für diese unglaubliche Mühe, die ich hier auf mich genommen habe? über zweihundert Krieger bezwungen habt?"
Erneut in versucht gleichgültig klingendem Tonfall erwiderte ich: „Bitte, es waren nur einhundertdreiundneunzig." Im wörtlichen wie übertragenen Sinne weiteten sich seine Augen und die Kinnlade fiel ihm herunter. „N... nur Hund..." Er rang sichtlich mit seiner Fassung und als er sie schließlich wiedererlangt hatte, schüttelte er verwirrt den Kopf und fragte er, sichtlich um Autorität bemüht: „Wieso sollten wir Euch das glauben? Jeder könnte das behaupten."
Ohne dabei meine aufgesetzt lässige Fassade bröckeln zu lassen, griff ich mit meiner rechten Hand zu meinem dort liegenden Hammer und ließ ihn mit größtmöglicher Kraft auf den vor mir stehenden Tisch niedersausen. Obwohl ich acht gab, dass man mir nicht ansah, dass das der stärkste Schlag war, den ich aufbringen konnte, brach das Holzgestell vor mir entzweit.
Durch eine sehr brüchige Fassade, hinter der man Unsicherheit, wenn nicht sogar Angst sehen konnte, hindurch erklärte er dann: „Dann werden wir wohl zusätzlich zu der erfolgreichen Verteidigung unserer Stadt auch noch über die Gefangennahme eines der größten Dornen in den Augen des Königs berichten können, wenn Ihr endgültig scheitert. Seid versichert, bis König Galbatorix Eure Hinrichtung befehligen wird, wird Euch bei uns kein Leid geschehen." Mit einem freundlichen Lächeln erwiderte ich: „Danke für die Informationen, das schätze ich sehr, aber ich habe erstmal nicht vor zu scheitern. Das liegt mir nicht."
Um meine äußere Erscheinung noch mehr davon zu kennzeichnen, dass ich mich selbstsicher fühlte, warf ich erneut die Knochen in die Luft und versuchte sie über dem Sperrholz, das mal ein Tisch gewesen war, aufzufangen. Ich erwischte acht doch drei fielen direkt wieder, was mir einen lautstarken Fluch entlockte. Ich griff zu dem Kelch mit dem Met der Zwerge, trank einen großen Schluck und konnte mich gerade so beherrschen, das Gesicht zu verziehen, vor dem intensiven Geschmack. Wäre es nicht irgendwie auch Teil des Plans, würde ich niemals freiwillig einen so bitteren Wein trinken. Ich konnte den Impuls noch zurückhalten und, als wäre nichts gewesen, hielt ich Tharos den Kelch hin. „Möchtet Ihr einen Schluck?"
Er inspizierte mich argwöhnisch, als wittere er eine Falle. „Keine sorge, der ist nicht vergiftet. Wenn ich Euch hier loswerden wollen würde, hätte ich Euch nichts zu trinken angeboten", beschwichtigte ich seelenruhig. Als könnte das Gefäß explodieren, nahm er mein Angebot entgegen und setzte es vorsichtig an den Mund. Kaum hatte ein kleiner Tropfen des orangefarbenen Getränks seine Lippen überquert, machte sein Gesicht dieselbe Wandlung durch, die ich zu vermeiden versucht hatte. „Was ist das für ein Teufelszeug?", wollte er mit schlecht versteckter Abscheu, die auch durch die entsprechende Bezeichnung unterstrichen wurde, wissen.
Meine erste Eingebung wäre gewesen, ihm einfach zuzustimmen, aber das wäre in der gegebenen Situation kontraproduktiv. Stattdessen fragte ich scheinbar überrascht: „Schmeckt es Euch nicht?" Seine ablehnende Antwort hätte man ihm auch vorher vom Gesicht ablesen können. „Nein, solch barbarisches Gebräu... wieso verschwendet jemand seine Zeit mit der Herstellung davon und wieso trinkt Ihr es freiwillig?" Ich zuckte nur gelassen mit den Schultern. „Für mich ist das sanft wie Muttermilch." Als er diese Antwort hörte, drehte er sich mit leicht gehetzt wirkenden Blick zu seinem Magier um. Dieser hatte schon zuvor so ausgesehen, als wäre Sonnenlicht nichts, mit dem er besonders oft Kontakt hätte, jetzt jedoch war seine Haut so blass, dass er, sollte es in dieser Gegend jemals Schnee geben, aufgefallen wäre, weil der Schnee um ihn herum so dunkel gewirkt hätte.
Diese Beobachtung schien auch der Hauptmann gemacht zu haben. Er schien zu wissen, dass es entweder in den nächsten Tagen schneien würde und der Magier dann im Nachteil wäre, was er möglicherweise für unfair halten könnte, oder dass er gesundheitlich nicht auf der Höhe war. Was auch immer der Grund war, er versteckte seine Unsicherheit mehr schlecht als recht hinter aufgesetzter Freundlichkeit, als er sagte: „Bei unserem nächsten Treffen, Hammerfaust, werde ich Euch eine Kostprobe von dem wundervollen Wein unserer Felder geben und das wird Euch ein für alle Mal von diesem barbarischen Gesöff abbringen."
Er drehte sich um und stieg wieder auf sein Ross. „Wir reiten zurück!", rief er seinen Leuten zu, die daraufhin ihre Pferde wendeten und eine Gasse bildeten, durch die ihr Anführer die Führung übernehmen konnte. Während sie noch den Hügel herab ritten, blieb ich noch aufmerksam sitzen, für den Fall, dass sie doch umdrehen würden, aber nichts dergleichen passierte.
In dem Moment, in dem sich das Nordtor von Aroughs hinter ihnen schloss, gab ich jedoch auch diese Haltung auf, sprang auf und rief durchs Lager: „Ihr könnt rauskommen, die sind weg!" Dann ließ ich mich einfach ins Gras fallen, meine Nerven waren strapaziert genug. Es folgte ein Augenblick der Ruhe, ehe aus den Eingängen von nahezu jedem Zelt Männer heraus kamen. Aus einem der nächsten kam Carn. Man konnte ihm ansehen, dass er mehrere Minuten lang ein Lachen unterdrückt hatte, welches jetzt herausbrach. „Dieser Idiot, der bei denen scheinbar die Rolle eines Magiers einnimmt, hat permanent versucht, die nicht vorhandene Illusion hinter dem Flimmern aufzudecken und dabei seine gesamte Kraft verbraucht. Eine Minute mehr, und er wäre vom Pferd gekippt. Ich mag vielleicht nicht der stärkste Magier sein, aber dafür ist er mit Sicherheit der dümmste, den ich bisher getroffen habe."
Wenn auch nicht so inhaltlich, so kamen von den meisten Soldaten ebenfalls Schmähungen des Feindes und gleichzeitig Jubelrufe auf uns. Die allermeisten hatten in den letzten Wochen einzig und allein die grundlegenden Methoden einer jeden Belagerung durchgeführt, ohne jeglichen kreativen Elemente, und waren nach meiner Wahrnehmung sehr ausgelassen, weil eine solche Abwechslung auch noch funktioniert hatte. Ich musste zugeben, dass auch ich reichlich stolz auf diesen Erfolg war. Ich mochte keine Angst vor dem Tod gehabt haben, aber das bedeutet nicht, dass ich nicht gerne unter den Lebenden weilen wollte.
Als sich der Jubel nach über einer Viertelstunde weitestgehend gelegt hatte, sah ich, dass Thalia und Frank zu mir herüber kamen. Letzterer raunte mir halblaut zu: „Gute Arbeit, Hammerfaust. Auch wenn eine Absicherung immer gut ist, wenn es irgendjemanden gibt, der sie nicht braucht, dann bist du es. Du hast inzwischen schon mehrfach bewiesen, dass du erfolgreich sein kannst. Das einzige, was du noch lernen musst, ist, die Motivation, die du an deine Leute mit Erfolg weitergibst, auch für dich selbst zu nutzen. Arroganz mag fatal sein, aber Selbstzweifel sind es in deiner Position auch. Weissagungen sind nicht gerade meine Stärke und eigentlich mag ich sie auch nicht, aber ich kann dir folgendes versprechen: Wenn du Selbstzweifel und Selbstbewusstsein noch etwas mehr ins Gleichgewicht bringst, wirst du für die Menschen ein noch größerer Held, als es der war, der dich zur Wahl des Hammers als Waffe bewegt hat. Euch verbindet insbesondere eine Sache. Ein gutes Herz und einen so eisernen Willen, dass er alleine euch nahezu immer zum Ziel führt."
Obwohl seine Worte reichlich nebulös klangen, hatte ich das Gefühl, die dem zugrunde liegende Botschaft verstanden zu haben. Etwas so tiefgreifendes zu beherzigen ist schwieriger, aber ich hatte inzwischen das Gefühl, einen Rat von Frank oder eigentlich allen von ... ihnen, ich weiß nicht, wie ich es besser sagen soll, sollte man besser annehmen, da es den Anschein hatte, als hätten sie sowieso immer recht.
Entsprechend nickte ich ihm dankbar zu und hoffte, dass das nicht wirkte, als nähme ich es für selbstverständlich. Seiner Körpersprache zufolge war das glücklicherweise nicht der Fall. Brigman sah ich an diesem Tag nicht mehr. Tatsächlich war mir das in diesem Fall lieber, da ich zu sehr mit eigenen Gedanken und der Hochstimmung des Erfolges beschäftigt war, um jetzt noch einen Streit zu führen. Getreu dem sich neu entwickelten Hierarchie-Verhältnis hier im Lager wäre es vermutlich kein Streit sondern meine Autorität, die den Ton vorgeben würde und wie schon gesagt, in diesem Moment würde nahezu jeder der Anwesenden versuchen, mein Risiko und meinen Plan mit Loyalität zu entlohnen. Im Idealfall funktionierte genau so jede Rangordnung. Menschen sollten nicht der Person folgen, die den höchsten Rang hat, sondern der Person, der die zutrauen, sie zu führen, bestenfalls waren das ein und die selbe.
Arya pov
Aufwachen tat ich auf dem Boden liegend in der Nähe des Hockers, auf dem ich eingeschlafen war und mit einem merkwürdigen Ziehen im Gesicht. War eingeschlafen das richtige Wort? Ich denke schon. Im Normalfall gab es bei uns Elfen keinen Schlaf. Der Wachschlaf, der bei uns an diese Stelle trat, beinhaltete normalerweise die Fähigkeit, auch in dieser Phase der Erholung selbstständig zu denken. Nicht so jedoch dieses Mal. Der letzte bewusste Gedanke vorher hatte der Vollendung des Zaubers vom Vorabend gegolten. Als wäre das nicht schon genug, gab es noch etwas viel offensichtlicheres, woran ich hätte erkennen müssen, dass es sich eher um normalen, menschlichen Schlaf gehandelt hatte, als die passive Anwesenheit meines Volkes.
Wie auch unseren Geist und unsere Gedanken, so konnten wir eigentlich auch unsere Haltung im Schlaf halten. Ich lag jedoch, wie eingangs schon erwähnt, quer über den Boden des Zeltes ausgestreckt, anstatt auf dem Faltschemel zu sitzen, auf dem ich das Bewusstsein verloren hatte. Das war wohl auch der Grund für dieses unangenehme Ziehen. Ich war schlichtweg aufs Gesicht gefallen. Nicht sonderlich elegant vermutlich.
Hektisch blickte ich mich um. Aus naheliegenden Gründen machte es mich immer nervös und schreckhaft, wenn ich nicht wusste, ob etwas, und wenn ja, was um mich herum passiert war. Das war schon immer so gewesen, aber seit Gil'ead noch um ein Vielfaches schlimmer.
Das gesamte Zelt schien unverändert. Die wenigen Möbel waren weiterhin an ihrem Platz und Eragon war scheinbar zeitgleich mit mir in Ohnmacht gefallen, hatte jedoch etwas mehr Glück mit der Landung gehabt. Auch wenn seine Beine irgendwie quer über dem Boden ausgestreckt lagen, so befanden sich zumindest sein Oberkörper und Kopf weitestgehend auf dem Bett, auf welchem er gesessen hatte.
Ich stand auf und setzte mich wieder hin. Es kam mir nicht wie eine gute Idee vor, Eragon alleine in meinem Zelt aufwachen zu lassen. Deshalb nutzte ich die Zeit um über... naja, alles, was es so gab, nachzudenken. Das ging von Politik über Taktik bis hin zu Gefühlen, einer der seltensten Gedankengänge bei mir. Es war jeden Morgen Teil meiner Routine, Ordnung in meine Gedanken zu bringen. Übung macht den Meister, für gewöhnlich dauerte das inzwischen kaum mehr als eine Minute. In Anbetracht der Ereignisse des letzten Tages war das Chaos in meinem Kopf zu umfangreich, um es mit zwei Routinehandgriffen zu sortieren.
Letzten Endes ist es so, wie wenn in der riesigen Bibliothek Tronjheims Bücher nicht zurück ins Regal geordnet werden. Wenn es sich dabei um drei Bücher handelt, kann jemand, der das Konstrukt gut kennt, ohne Probleme sehr schnell alle wieder an ihre Stelle schaffen. Liegt jedoch der halbe Bücherbestand kreuz und quer, so kann man sich noch so gut auskennen, die stupide Sortierarbeit dauert extrem lange. Das war jedoch nicht weiter schlimm, da Eragon ja noch schlief und ich dementsprechend nichts besseres zu tun hatte.
Tatsächlich hätte ich es zeitlich nicht besser abpassen können. Gerade als ich die letzten Gedanken, Erinnerungen und Eindrücke in ihren entsprechenden Schubladen in der Hauptstadt meines Geistes verstaute, regte sich der junge Reiter auf dem Boden allmählich. Schlussendlich wachte er auf, blinzelte erst verschlafen und schien dann zu bemerken, dass bereits etwas anders war als in seiner gewöhnlichen Morgenroutine. Er riss die Augen auf, als Stände er vor einem Bogen Pergament, auf dem die Lösung auf alle Fragen stand, und wäre gerade im Begriff, diese zu verstehen. Parallel dazu versuchte er sich in scheinbar jede Richtung schnellstmöglich umzuschauen. Das brachte jedoch primär zwei Probleme mit sich. Zum einen verdrehte er seinen Kopf dabei mehr, als eine Eule, die sich am Rimgar versuchte, und zum anderen merkte er dabei scheinbar nicht, dass etwa ein Drittel des Sichtfeldes, für das er sich den Hals verdrehte, einzig und alleine aus dem Stoff von Bett und Zelt bestand.
Er brauchte mehrere Sekunden, um sich nach dem Schock, nicht in seinem eigenen Zelt aufzuwachen, nachdem er in einem anderen eingeschlafen war, zu beruhigen. Sein Blick blieb schließlich auf mir haften. „Was ist... habe ich irgendwas von gestern verge..." Ich winkte entspannt ab. „Alles in Ordnung. Ich habe nur die Kraft falsch eingeschätzt, die für diese Magie nötig war." Anschließend klatschte ich einmal in die Hände und sagte: „Dann mal los, es ist bestimmt schon spät. Wir wollen ja nicht zu spät zum Training kommen." Zustimmend nickte er und setzte sich aufrecht hin.
Ich bedeutete ihm vorzugehen und wartete, bis er durch die Zeltluke geklettert war. Ich stand ebenfalls auf und folgte ihm nach draußen. Kaum bewegte ich mich durch die Stoffplanen, die den Innenraum eines Zeltes zu einem halbwegs privaten Bereich machten, stieß ich gegen, wie sich einen Moment später herausstellen sollte, Eragon. Er war wie angewurzelt stehen geblieben und starrte in den Himmel. Kein Wunder, es war noch mitten in der Nacht.
Im Nachhinein hätte ich das eigentlich schon vorher merken sollen. Die Wände meines Zeltes waren dick genug, um Sonnenlicht nicht direkt hindurchfallen zu lassen, aber eigentlich merkte man den Unterschied für gewöhnlich schon. Spätestens als er vor mir den Innenraum verlassen hatte, hätte mir auffallen müssen, dass kein Licht durch den entstandenen Spalt gefallen war. „Naja, vielleicht kommen wir doch nicht ganz zu spät", bemerkte ich trocken.
Zustimmend, aber dennoch nachdenklich nickte er. Ich wollte mich schon umdrehen und wieder ins Zelt gehen, da sagte, schon fast flüsterte er: „Warte..." Ich horchte auf. „Auch wenn es mitten in der Nacht ist..." - „Ja?", hakte ich nach. „Der Sternenhimmel ist gerade so schön. Wollen wir nicht noch eine Weile hier draußen sitzen bleiben?", fragte er. Selbst ein Tauber von hinten hätte die Unsicherheit in seiner Stimme hören können, die jedoch vollkommen unbegründet war. Ich hatte keineswegs vor, ihn wieder ins Leere laufen zu lassen. Ich hätte vielleicht sogar einen ähnlichen Vorschlag gemacht, jedoch war das beobachten des Himmels bei meinem Volk von Geburt an nicht so verbreitet wie unsere natürliche Liebe für das Leben und das Meer.
Nichtsdestotrotz stimmte ich zu und erst setzte, dann legte ich mich neben ihm ins Gras. Einen Moment, in dem sein Gesicht eine Emotion widerspiegelte, die zum einen Freude, aber zum anderen auch Überraschung deutlicher machte, als habe er fest mit einer Absage gerechnet. Trotzdem ließ er sich fast hektisch neben mir auf den Boden sinken und machte es sich anschließend ebenfalls im Gras bequem. Er faltete seine Hände vor dem Bauch, so dass die Ellenbogen auf dem weichen Grund daneben zum Liegen kamen.
Von da an sprach keiner von uns mehr ein Wort. Stattdessen blickten wir beide ins unendliche Blau, nur gelegentlich von hellen weißen Punkten unterbrochen. Nach mehreren Minuten völliger Ruhe spürte ich plötzlich, wie meinen Geist Empfindungen und Wahrnehmungen erreichten, die ganz eindeutig nicht von mir stammten. Viel eher kamen sie von dem jungen Reiter neben mir, der sie mir über unsere neue gedankliche Verbindung übermittelte. Ob das Absicht war, konnte ich nichtmal mit Sicherheit sagen. Diese Bilder und Gefühle stellten fast schon einen Prozess der gedanklichen Entwicklung dar.
Es begann alles mit dem Himmel, wie ich ihn wahrnahm. Er war blau und weiß. Er war da. Und er sah in irgendeiner Form schön aus. Bald jedoch wichen die Eindrücke jedoch immer weiter ab. Die Bilder blieben letztendlich die selben, aber dahinter standen nun Fragen. ‚Was mache ich hier?' - ‚Wie bin ich hier her gekommen?' - ‚Warum bin ich der geworden, der ich jetzt bin?' und ‚Bin ich damit zufrieden?', um nur einige Beispiele zu nennen.
Schlussendlich näherten sich die übergehenden Gedanken alle einem Gefühl. Immer mehr kondensierten sich die Überlegungen heraus, wie die Situation, in der wir uns momentan befanden, von Grund auf entstanden war. Die Antwort darauf waren jedoch nicht gut getroffene Entscheidungen sondern Glück. Diese Emotionen blieb als ein so tiefreichendes Bild hängen, wie ich nie erwartet hätte, von einem bloßen Blick nach oben zu erhalten. Auch wenn wir in massiver Unterzahl gegen einen bösen Tyrannen kämpften, der seit fast hundert Jahren uneingeschränkt im Land die Regeln der Ausbeute diktierte, war alleine der Umstand, dass wir am Leben waren, dass wir wir waren und dass wir in der Lage waren, unser Leben in irgendeiner Form zu leben ein solches Glück, dass es für den Moment berauschend war. Natürlich machte es alleine nicht nachhaltig glücklich, aber es gab einem ein gutes Grundgerüst für den Aufbau weiterer positiver Emotionen.
Ganz zum Schluss dieser Flut rang sich dann noch eine Empfindung aus den vielen hervor. Der Wille, das Gedachte zu teilen und das Bewusstsein über dieses grundlegende Glück mit jemandem zu teilen. Spätestens daran erkannte ich, dass er diesen Gedankenstrom nicht willentlich ausgelöst hatte. Vielleicht war es sein Unterbewusstsein, das sich bei dieser Sehnsucht nach einem Ziel ausgestreckt hatte. Es war wohl vielleicht kein Zufall gewesen war, dass ich die Person war, nach der es gegriffen hatte, unabhängig von dem neu gebildeten, erleichterten Zugang zu meinen Gedanken.
Vorsichtig, in der Hoffnung nichts Falsches zu tun, legte ich deshalb meine Hand auf seinen mir näher liegenden Ellenbogen und flüsterte sanft und leise: „Du musst auf deine Gedanken aufpassen, Shurtugal. Sie verraten dich."
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3593 Wörter
Vielen Dank fürs Lesen. Ich hoffe, es hat euch gefallen. Unabhängig davon freue ich mich über jeden Vorschlag zur Verbesserung.
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