Kap. 69 Knochenarbeit

Nasuada pov

Aufwachen tat ich, als etwas meine Nase kitzelte. Ich schlug die Augen auf und sah über mir eine schemenhafte Gestalt herumtollen. In der Erwartung, dass meine Augen mir entweder einen Streich spielten oder der pochende Schmerz meiner Arme meinen Blick trübte, versuchte ich mir in den Augen zu reiben. Das war vermutlich der größte Fehler, den ich an diesem Tag tun sollte. Als ich meine Arme anheben wollte, tanzten Flecken vor meinen Augen und vor Schmerz verlor ich fast wieder das Bewusstsein. Als ich es schaffte, meinen Körper wieder unter Kontrolle zu bringen, blickte ich in ein großes sorgenvolles paar Kulleraugen. Ob Luna mir meinen Schmerz angesehen hatte oder ihn über Gedanken gespürt hatte, wusste ich nicht.

Ich spürte, wie sich etwas dünnes unter meinen Rücken schob und dort zu einer Spirale zusammenrollte. Diese Spirale verfestigte sich und als ich zur Seite sah, erkannte ich, dass es sich bei diesem etwas um Lunas Schwanz handelte. Langsam drückte sie damit gegen meinen Rücken. Diesen Druck erhöhte sie vorsichtig, Stück für Stück, solange bis ich mit aufrechtem Oberkörper auf meinem Feldbett saß. Meine Arme hingen schlaff herab. Die Arbeit von Farica und Angela war so gut gewesen, dass zumindest das die Schmerzen nicht verschlimmerte. Trotzdem, es brannte schon jetzt wie Hölle, auch wenn es nur dann noch schlimmer wurde, wenn ich in irgendeiner Form versuchte, die Muskeln zu nutzen. Sei es den kleinen Finger krümmen, die daraus resultierende Qual ließ mich fast wieder die Besinnung verlieren.

Ich trug noch immer das blutbefleckte Leinenkleid, mit dem ich am Vortag herumgelaufen war, auch wenn ich da ein anderes, ordentliches drüber hatte. Selbiges lag auch über meinem Stuhl, einige Meter daneben, jedoch gab es ein, eigentlich sogar zwei Probleme. Das eine, kleinere, war, dass ich beim aufstehen nur eine Chance hätte. Würde ich zu viel Schwung nehmen, könnte ich das weder mit meinen Armen ausgleichen noch mich auffangen. Der Hauptpunkt war jedoch, selbst wenn es mir gelingen sollte, was würde es mir nützen? Ein Kleid anziehen ohne meine Arme zu benutzen? Das war bestenfalls unmöglich.

Meine kleine Begleiterin schien meine Zweifel zu spüren, denn mich erreichte überraschend ein fragender Gedanke, gefolgt von einem Bild und einigen Gefühlen. Die Art der Kommunikation erinnerte mich entfernt an etwas, das Saphira manchmal tat. Sie vermittelte eine Mischung aus Bildern und Gefühlen, um das zu ersetzen, was Namen für uns taten. Dinge und Personen genauer und persönlicher bezeichnen. Ich verstand oft nicht vollständig, was sie mir dann sagen wollte, aber ich vermute, dafür wäre einfach Übung notwendig.

Bei Luna schien es allerdings entweder grundsätzlich leichter verständlich zu sein oder sie nahm einfach auf meinen Zustand Rücksicht, denn die Dinge, die sie vermittelte, waren vergleichsweise verständlich. Zum einen ein Gefühl, dass ich als Zuversicht deutete und zum anderen eine Reihe von Bildern, in denen ein solches Szenario, in dem ich vorne über fiel, dargestellt wurde, ich jedoch auf halben Weg zum Boden stoppte und dann wieder in die aufrechte Stellung bewegt wurde. Wenn ich nicht grundlegend falsch liegen sollte, versicherte sie mir gerade, dass sie mich nicht stürzen lassen würde. Von ihr gingen Wellen der Zustimmung aus, was mich davon in meiner Annahme bekräftigte. Wie zur Bestätigung verstärkte sich das Gefühl weiter.

Irgendwas in mir sagte mir, dass es besser wäre, ihr einfach zu vertrauen. Ich hatte ein halbes Dutzend Ideen, woran das liegen könnte, die alle aufzuzählen sich nicht lohnen würde. Sagen wir, es reichte von Vertrauen in die verschiedensten Instanzen bis zu eventueller Manipulation von einigen davon, sodass ich einfach nicht wusste, woran ich glauben sollte. Aber ich hatte auch einfach nicht viele Alternativen, die mir einen besseren Weg weisen würden.

Wie auch immer, ich nahm alle Konzentration zusammen, die ich aufbieten konnte, nahm mit meinen Beinen Schwung und nutzte ihn um auf die Füße zu kommen. Es gelang mir gut und auch das Gleichgewicht konnte ich halten. Leider gab es ein anderes Problem. Bei der plötzlichen Belastung gaben meine Beine nach. Ich stürzte vorne über dem Boden entgegen. Es war an sich kein Wunder, denn auch wenn sie nicht direkt verletzt worden waren, so war mein gesamter Körper vermutlich gerade damit beschäftigt, meine zerstörten Arme zu regenerieren. Auf so plötzliche Aufwände in den Beinen war er nicht vorbereitet.

Ich schloss, bereit zum Aufschlag, die Augen doch er kam nicht. Stattdessen landete ich auf einer Art Netz, die mich abfederte und wieder auf die Beine brachte. Ich brauchte mich garnicht umschauen um zu wissen, dass das wieder Lunas Schwanz gewesen war. Trotzdem blickte ich zu ihr und lächelte dankbar. Ich glaube, in Zukunft ist sie nicht mehr meine kleine Begleiterin, sondern meine kleine Beschützerin. Erheiterung schwappte durch meinen Geist und ich hegte die wage Vermutung, dass sie nicht oder nicht nur von mir kam.

So, herzlichen Glückwunsch Nasuada, nach fast zehn Minuten und drei Nahetoderfahrungen, hast du es geschafft aufzustehen. Mehr als nur ein bisschen sarkastisch klopfte ich mir innerlich sarkastisch auf die Schulter. Es mag sein, dass die Probe der langen Messer meine Position bei den Varden gefestigt hatte, aber meine Position auf meinen eigenen Beinen hätte man vermutlich mit einem Finger umstoßen können.

Gleichzeitig ging mir auf, dass das noch nur ein Teil meiner Probleme war. Ich hatte immernoch ein blutverschmiertes Unterkleid an, in dem es keine gute Idee wäre, durch das Lager zu laufen. Damit würde ich vermutlich jede Autorität wieder verlieren, die ich am Vortag erlangt hatte. Klar, mein Kleid lag neben mir, aber wie schon gesagt, was sollte das nützen, wenn ich es weder anheben noch überstreifen oder schließen könnte? Garnichts.

Auch dieses Mal tauchten in meinem Kopf wieder Bilder auf. Ich hoffte, ich bekäme keine Halluzinationen, dieses Mal waren es nämlich wirklich ausschließlich Bilderabfolgen, allesamt aus meinem Zelt. Das Kleid, wie es sich auflöste, gefolgt von den Blutflecken auf meinem jetzigen, die über mehrere Eindrücke hinweg verblassten, und zum Schluss das selbe Kleid, was jetzt noch neben mir lag und sich schimmernd wieder an meinem Körper materialisierte. Es waren Bilder, deshalb war das Schimmern nicht all zu deutlich, aber irgendwie leuchtete es im Umfeld davon stärker als normal.

Wenn sie mir damit sagen wollte, dass sie es an meinen Leib zaubern könnte, würde ich das zum einen zwar begrüßen, aber zum anderen würde ich mich auch wundern. Klar, Luna konnte unsichtbar werden, aber das war eine ganz andere Stufe von Magie. Ich glaubte mich zu erinnern, dass dies auch für Eragon und Arya kein leichter Zauber war. Hatte Eragon nicht einmal erzählt, dass bereits das Erschaffen einer Hand voll Wasser ihn fast umgebracht hätte? Oder verwechselte ich da etwas? Wenn ich das richtig erfasste, wäre das hier jedenfalls das selbe in einem viel größeren Rahmen.

Andererseits... wenn sie so direkt mit den mächtigsten Wesen überhaupt zusammenhängt, ist davon auszugehen, dass auch sie davon beeinflusst wurde, vermutlich sogar absichtlich. Wenn Drachen schon auf Menschen den Effekt haben, dass sich all ihre körperlichen Eigenschaften immer mehr in Richtung der Elfen entwickelt, wieso sollte es dann bei der Präsenz von Percy und Annabeth anders sein? Ich bezweifelte stark, dass das der Auslöser gewesen war, die beiden wirkten nicht so, als würde in ihrer Gegenwart irgendetwas ungewolltes passieren, aber vielleicht war es ja der Grund dafür, dass ihre Kräfte so stark für ein so kleines Wesen waren. Wer weiß?... Ich zumindest nicht.

Ich versuchte jedenfalls in irgendeiner Form, von Gedanken bis Gesichtszügen, was im Nachhinein ziemlich überflüssig erschien, Zustimmung auszustrahlen. Das ganze endete sicherlich in einer ganzen Reihe origineller Grimassen, aber die Botschaft schien anzukommen. Die roten Flecken verblassten zur gleichen Zeit wie mein richtiges Kleid, nur das letzteres kaum eine Sekunde später wieder an meinem Körper erschien. Es fühlte sich irgendwie komisch an, wie von einem Moment zum anderen überall an meinem Körper doppelt so viel Stoff wie vorher nach unten zog. Gleichzeitig kamen, schon wieder, bei dem plötzlichen Druck auf meinen Armen, alle körperlichen Probleme zurück, die ich in den letzten vierundzwanzig Stunden gehabt hatte. Kurz gesagt, für mehrere Sekunden durchzuckte mich erneut dieser brennende Schmerz, als würden meine Knochen schmelzen.

Nach einigen Sekunden schien sich mein Körper aber wieder daran zu gewöhnen und es wurde besser. Nicht gut, aber wenigstens besser. Ich beschloss für mich, dass diese scheußlichen Wunden, an denen ich zugegebenermaßen fast allein schuld war, mir bereits mehr als genug meiner kostbaren Zeit geraubt hatten. Ich atmete noch einmal tief durch, ehe ich sehr vorsichtig den ersten Schritt machte. Mein Bein wollte wieder nachgeben, aber ich konnte es gerade noch verhindern. Gleichzeitig spürte ich, wie sich Lunas Schwanz erneut um meine Taille legte. Es war ein beruhigendes Gefühl, zu wissen, dass sie mich auffangen würde, egal was passieren sollte.

Da ich es für am sinnvollsten hielt, zuerst Jörmundur und Orrin Bescheid zu sagen, dass ich wieder wach war, einen Boten befand ich in dieser Situation für überflüssig, versuchte ich einfach einen fragenden Gedanken an meine kleine Beschützerin zu schicken. Vielleicht sah sie meinen Gedanken ja gerade zu und wusste, wo die beiden waren. Zu meiner tiefsten Überraschung blieb es nicht direkt bei diesem Gedanken. Ganz schwach fühlte ich meine kleine Begleitung neben mir und so gelang es mir, nach einem Moment der Verwunderung, ihr direkt diese Frage zu stellen, indem ich versuchte, ihr die Wörter und Bilder zu den Personen direkt durch Denken zu übermitteln.

Es ist nicht leicht zu beschreiben, da mir diese Erfahrung zum einen zu neu war, um zu verstehen, was passiert war, und zum anderen war ich diese Kommunikation mit Bildern nicht gewohnt. Trotzdem hatte ich irgendwie das Gefühl, als wäre es angekommen, egal ob sie nun in meinen Gedanken war oder nicht und egal ob sie meine kläglichen Versuche, das kleine Wörtchen ‚wo' auszudrücken, hatte nachvollziehen können.

Davon neugierig geworden, versuchte ich auch mit dem nächsten Wesen in meiner Umgebung, was glücklicherweise Elva war, auf diese Weise zu kommunizieren. Ich spürte jedoch rein garnichts. Auch als ich es mit weiteren Leuten in der Nähe meines Zeltes probierte, hatte ich keinen Erfolg und wusste nicht, ob ich enttäuscht oder erleichtert sein sollte. Ganz augenscheinlich war es irgendeine spezielle Form von Verbindung zu Luna, die scheinbar besser mit der Magie umgehen konnte als die meisten, wenn nicht alle Elfen. Natürlich hätte es viele große Vorteile, sich einfach so in Gedanken mit jedem absprechen zu können, ohne das alle anderen im Raum davon erfuhren, aber an sich war ich trotzdem eine weltliche Herrscherin, die Magie quasi nur zum Schutz gegen feindliche und für den Aufbau von sonst unmöglichen Dingen nutzen wollte. Auf dieser Ebene war es definitiv etwas Gutes.

Um ehrlich zu sein, konnte ich mir problemlos vorstellen, dass diese Verbindung einzig und allein auf den Wunsch von ihr zurückzuführen war. Ich wusste zwar, dass es ein riesiger Unterschied zwischen dem Auflösen und Erschaffen eines Kleides und dem Knüpfen einer geistigen Bindung gab, doch irgendwie glaubte ich trotzdem daran.

Meine ungelenkten Gedanken wurden von zwei Bildern durchbrochen, die einmal Jörmundur am Trainingsplatz und Orrin in seinem Zelt zeigten. Natürlich, Luna wusste nicht nur wo sie waren sondern hatte auch sofort Bilder parat. Vielleicht waren solche Dinge der Grund, warum ich ihr so viel mehr zutraute.

Ich beschloss, Jörmundur höhere Priorität zu geben, auch wenn ich es eigentlich anders herum zu tun hätte. Während ich langsam lief, bemerkte ich, wie mir aus verschiedenen Richtungen bewundernde und/oder ungläubige Blicke zugeworfen wurden. Ich versuchte jedoch, dies alles auszublenden und stattdessen erneut Luna zu kontaktieren. Tatsächlich funktionierte es bereits besser als beim ersten Mal. Ich konnte ihr mit nur wenigem Stocken Gefühle und einige Empfindungen übermitteln, die sie hoffentlich als Frage auffassen würde. Die Frage, ob sie mir helfen könnte, meinen geistigen Schutz weiter zu stärken. Das war wohl das einzige, was ich im Bereich der Magie wirklich üben konnte und es wäre sicherlich überaus nützlich. Auch wenn ich nicht erwartete, dass es mich vor wirklich übermächtigen Gegnern schützen würde, so doch zumindest zuverlässiger gegen alles unterhalb von Galbatorix und Murtagh.

Fast augenblicklich erhielt ich eine Welle der Zustimmung zurück gefolgt von gedämmtem Optimismus, die mit einigen Eindrücken über Murtagh und in irgendeiner schwer verständlichen Form auch über Galbatorix im Zusammenhang standen. Wenn Luna mir gerade wirklich erklären wollte, dass ich mich vielleicht sogar mental gegen diese verteidigen könnte, wäre sie spätestens an diesem Punkt meine wichtigste private Unterstützung für diesen Krieg.

Roran pov

Brigman war anzusehen, dass er sich widersetzen wollte, offenbar hatte ich bereits am Vorabend einen vollständigen, unveränderlichen Eindruck bei ihm hinterlassen, aber trotzdem begann er zu erklären, wie es stand. „Der König hat gewusst, dass wir angreifen werden. Unsere Späher sind getäuscht worden und so sind in der Stadt nicht nur nicht genauso viele wie wir, sondern das Vierfache an Soldaten, wir können sie auch nicht aushungern, weil sie in der Stadt mehr gehortet haben als im gesamten Umland in einem Jahr wächst. Die Stadt hat vier Zugänge. Im Norden, Westen und Süden massiv hölzerne mit Stahl beschlagene Tore, die auf dem Landweg die einzigen Zugänge zu der Stadt bilden. Wir haben bereits versucht sie zu durchbrechen doch seit wir angekommen sind, haben wir kaum eine Delle in auch nur einem der Tore hinterlassen.

Der letzte befindet sich im Osten in Form von zwei Kanälen. Dort wird normalerweise Getreide zu nahe gelegenen Mühle und zurück transportiert. Bei unserer Ankunft wurden die dazu dienenden Kähne bei der Mühle liegen gelassen und das Tor geschlossen. Stahlgitter, die einzelnen Streben sind fast einen Fuß dick. Die Stadt ist von außen mit einer Mauer aus reinem Granit geschützt, von dem es hier im Umland ungeheuer viel gibt. Der Wall wurde von Zwergen erbaut, weißt keine noch so kleinen Fugen auf und geht mindestens drei Meter tief in die Erde, vermutlich mehr. Selbst wenn man diese Mauer überwinden könnte, wird der wichtige Teil der Stadt von einer weiteren Mauer geschützt, hinter der alle bedeutenden Personen leben. Das einzig Gute, was sich vielleicht berichten lässt, ist, dass Aroughs nur einen einzigen sehr unfähigen Magier hat. Alles was ihm bisher gelungen ist, ist unseren Rammbock anzukohlen. Das war's aber auch. Von unseren ursprünglichen tausend Leuten sind rund siebenhundert noch kampffähig, gestorben ist noch niemand. Unsere Vorräte reichen mit etwas Glück noch eine Woche."

Ich brauchte einen Moment, um das sacken zu lassen, was ich gerade erfahren hatte. Die unmögliche Aufgabe, wie Nasuada es genannt hatte, war noch eine Beschönigung der Umstände. Mit dem zehnfachen der Soldaten und Saphira könnte ich vielleicht einen zuverlässigen Plan schmieden, so jedoch... unmöglich. „Gibt es sonst noch irgendwelche relevanten Dinge in der Umgebung?" Wollte ich von Brigmann wissen. Er schüttelte den Kopf. „Einen alten Steinbruch zwei Meilen westlich von hier und einige leere Adelshäuser, mehr nicht." Ich konnte einen leisen Fluch nicht unterdrücken, doch ich wusste, wenn ich mich jetzt aufregen würde, könnte ich auch gleich aufgeben.

Ich murmelte irgendwas in Richtung danke und ging dann zurück zu meinem Zelt. Auf dem Weg war ich so in Gedanken versunken, dass ich in Thalia reingerannt wäre, wenn sie nicht aufgepasst und mich rechtzeitig gestoppt hätte. „Da ist wohl jemand ganz wo anders mit den Gedanken", schmunzelte sie. Ich zuckte mit den Schultern. „Was erwartest du denn? Diese unmögliche Mission ist jetzt meine Aufgabe und irgendwas muss ich mir doch überlegen. Wir sind zu wenige für einen Sturm, wir können die Mauern nicht zerstören und das Tor ist zu massiv, um es zu durchbrechen..."

Sie hob eine Hand zum Zeichen, dass ich meine Tirade abbrechen sollte. „Roran, wenn sich diese Stadt mit einer dieser Methoden einnehmen ließe, warum hätte Brigman es dann noch nicht getan? Wenn es so einfach wäre, hätte Nasuada dich nicht als Test hier her geschickt. Hier ist es an der Zeit, zu zeigen, wie es genau dir gelingen konnte, einhundertdreiundneunzig Soldaten mit eigener Hand zu töten. Ja, ich kenne die Zahl und ich würde es auch ohne Magie, so schnell wie es sich herum gesprochen hat. Und um ehrlich zu sein, ich glaube das du zu den Menschen gehörst, die die besten Chancen haben, Roran Hammerfaust, also überleg dir einen wahnwitzigen Plan statt dich selbst zu bemitleiden!" Danach ergänzte sie leise: „Wow, ich hätte nicht gedacht, dass ich mal Motivationsrednerin werden würde."

Ich wollte mich gerade bedanken, aber sie hatte sich bereits auf dem Absatz umgedreht und war in die entgegengesetzte Richtung meines Zeltes davon gegangen. Also ging ich, noch verwirrter, aber nicht mehr ganz so ratlos, selbst zu meinem Zelt.

Im Inneren setzte ich mich auf meine Pritsche und stützte den Kopf in die Hände. Nachdem Thalia gesagt hatte, gewöhnliche Pläne würden nichts helfen, verwarf ich schonmal alles, was mit stürmen der Mauern oder Tore zu tun hatte. Dazu kam, dass wir weder fliegen noch besonders gut graben konnten. Somit fiel auch das raus. Das brachte mich zu dem Schluss, dass das Wassertor unser einziger Eingang war, wenn überhaupt. Schwimmen konnten wir nicht, wir wären Schützen im unterirdischen Hafen auf Gedeih und, worauf es hinaus lief, Verderb ausgeliefert. Erst recht, da wir vorher tauchen müssten.

Dabei kam mir der Ansatz einer Idee. Ich bezweifelte, dass Thalia das Wort wahnwitzig versehentlich benutzt hatte. Sie wusste wohl eine Lösung, die scheinbar sehr weit hergeholt war. Der Plan, der sich langsam aber Stück für Stück in meinem Kopf formte, war so verrückt, dass er vielleicht tatsächlich unter ihre Auffassung von wahnwitzig fallen könnte. Dafür war aber einige Vorbereitung nötig.

Als ich mit einer fertigen Idee das Zelt verließ, stand die Sonne bereits tief am Horizont. Ich war zwar erst spät aufgestanden, doch ich hätte nicht erwartet, dass ich so lange über diesen Plan nachgegrübelt hätte. Ich hielt eine Gruppe vorbeigehender Krieger an und trug ihnen auf, alle kampf- und arbeitsfähigen Leute zu versammeln. Sie taten es ohne Nachfrage, was ich für ein gutes Zeichen bezüglich Loyalität und Moral hielt. Wenigstens etwas, wenn man unsere sonstige Situation bedachte.

Ich wusste nicht genau, welchen Ruf man mir nachsagte, doch es musste schon ein ganz schön Beeindruckender sein, denn die Energie, mit denen die, denen ich den Auftrag erteilt hatte, ihrer Aufgabe nachgingen, wirkte schon fast als würde ich sie bestrafen für jede Sekunde, die ich wartete.

Dementsprechend waren auch nach wenigen Minuten mehrere hundert Soldaten auf einem großen Platz in der Mitte des Lagers angetreten. Alle sahen mich erwartungsvoll an. Ich sprang auf einen Stein, einige Meter daneben. Diese zwei Fuß Höhenunterschied gaben mir einen guten Blick über die Menge, aber schienen nicht zu unnatürlich. Ich war nie ein großer Redner oder Erzähler gewesen, aber es gab immer mal wieder die Fälle, in denen mir einfach die richtigen Worte in den Mund fielen.

„Kameraden, nachdem es euch unter Hauptmann Brigman zu lange nicht gelungen ist, diese Stadt einzunehmen, meinte Nasuada, dass ich diese Aufgabe übernehmen sollte." An diesem Punkt hielt ich kurz inne und sah mir die Gesichter der Anwesenden an. An vielen Stellen sah ich Angst und Unsicherheit. Schon wieder, was dachten sie von mir zu befürchten zu haben? „Ich habe mir angesehen was ihr bisher versucht habt und auf welche Probleme ihr gestoßen seid. Nach allem was ich feststellen konnte, trifft niemanden hier wirklich schuld an den bisherigen Misserfolgen. Zweifelsohne ist vieles nicht perfekt gelaufen, doch zu erwarten, dass ihr unter diesen Umständen erfolgreich gewesen wärt, wäre sehr hoch gegriffen. Zu hoch vielleicht.

Dies löst jedoch nicht das Problem, mit dem wir weiterhin konfrontiert sind. Wir können keine Stadt in unserem Rücken in feindes Hand lassen. Ich sehe nur zwei Möglichkeiten, damit umzugehen. Entweder wir machen weiter wie bisher, kriechen mit eingezogenem Schwanz zurück, sobald uns die Ressourcen ausgehen und erklären Nasuada, dass wir gescheitert sind oder..." Ich musterte meine Zuhörer erneut. Es war offenkundig, dass niemand sich dieses Ende wünschte. „Oder wir drehen unsere Strategie vollkommen um und wagen etwas Riskantes. Etwas womit unser Feind unter keinen Umständen rechnet und womit wir mit ein wenig Glück als ruhmreiche Helden zurückkehren können. Ich habe einen Plan, aber dabei müssen wir viel aufs Spiel setzen, müssen alle zusammen arbeiten und alle alles geben. Ich für meinen Teil werde das tun. Also frage ich jetzt euch, seid ihr dabei und erobert diese Stadt an meiner Seite?"

Ich wusste, dass Hoffnung stark war, ich hatte jedoch nicht erwartet, so viel Hoffnung zu schüren, dass ich eine so enthusiastische Zustimmung erhielt, wie es hier der Fall war. Zweifel waren nicht von den Gesichtern verschwunden, aber trotzdem wurde sie über weite Strecken von Hoffnung übertroffen.

„Dann los!" rief ich. „Zeigen wir, dass unser Wille um unsere Freiheit stärker ist, als diese Mauern, und uns zum Sieg führen wird!"

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3374 Wörter

Vielen Dank fürs Lesen. Ich hoffe, es hat euch gefallen. Unabhängig davon freue ich mich über jeden Vorschlag zur Verbesserung.

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