Kap. 67 Die Probe
Ich fand das Bild unfassbar schön und habe die Erlaubnis, es hier einzufügen. Danke DerBlaueKeks
Pov Nasuada
Er begann also zu sprechen. Ich wusste, es gab keine Alternative, aber in dem Moment wünschte ich mir, ich hätte ihn nicht gebeten, zu sagen, was er wollte. „Wie die Götter es unseren Ahnen dereinst sagten, das wichtigste im Leben ist die Familie. Freunde verliert man. Partner verlassen einen. Hohe Positionen und wertvolle Gegenstände sind vergänglich, aber die Familie wird immer bei einem sein."
Ich stöhnte innerlich auf. Natürlich würde das Gespräch in diese Richtung laufen. Leider konnte ich ihn nicht jetzt schon abwürgen und mich wieder wichtigen Tätigkeiten widmen. Ich hoffte es trotzdem und ließ so zuerst eine Pause und fragte dann, in einem scheinheilige Freundlichkeit vortäuschenden Tonfall: „Mir sind die Lehren unseres Glaubens durchaus geläufig, Fadawar, warum erzählt Ihr mir das jetzt?"
Er schien erneut etwas verärgert. Dabei klimperten die Dutzenden Ringe an seinen Armen gegeneinander. Was hatte er denn erwartet? Das ich ihm, nur weil mein Vater und er einmal dem selben Stamm angehört hatten, augenblicklich meinen Thron frei machen würde? So naiv konnte doch kein Mensch sein. „Wir haben die Varden immer unterstützt, wenn sie Hilfe brauchten..." Mit einer strengen Geste brach ich ihm das Wort ab. „Ihr habt uns immer dann unterstützt, wenn wir keine Hilfe brauchten. Ihr habt erst dann Interesse an Bündnissen gezeigt, als wir uns von selbst aus dem nichts aufgebaut hatten. Ihr habt in dem Streit vor fast zwei Jahren, in dem Varden und Elfen sich so weit getrennt haben, keinen Finger gerührt um die Situation zu retten. Nicht einmal als wir in Surda saßen und es uns an nahezu allem fehlte, habt Ihr uns finanziell unterstützt, obwohl man Euch deutlich ansieht, dass es Euch nicht an solchem fehlt.
Sagt mir also, Fadawar, wann habt Ihr uns geholfen, als wir es gebraucht haben?" Ich genoss sein entsetztes Gesicht ein weiteres Mal. Er schien tatsächlich zu denken, nur weil ich jung und eine Frau war oder was auch immer, hätte ich keine Ahnung von Politik. Also bitte, ich habe meinem Vater bei Diskussionen über das nächste Drachenei zugehört, da konnte Fadawar seine Krone noch nichtmal anheben.
Sein nächster Anlauf klang, als wollte er sein gescheitertes Argument entweder übergehen oder einfach ignorieren, dass es gescheitert war. „Wie dem auch sei, Ihr könnt nicht leugnen, dass wir in jedem Fall von Wichtigkeit für Euch sind." In meinem Kopf rangen lachen, kotzen, widersprechen, ignorieren und exekutieren, na gut, letzteres nicht ganz, um die Kontrolle, aber ehe ich etwas sagen konnte, fuhr er einfach fort. „Wie könnt Ihr es dann vertreten, dass wir wie jeder andere behandelt werden und kaum mehr Entscheidungen treffen können als der Bauernjunge, der in Belatona fast unter dem Haus begraben wurde? Habt Ihr denn allen Glauben und jedes Ehrgefühl verloren?"
Mir schwirrte eine neue Frage im Kopf herum. Wie selbstverliebt kann ein einzelner Mensch sein? Ich entschied, dass es nun endgültig genug der Bezichtigungen war. Mit mehr als nur strengem Ton fiel ich ihm mit seiner Tirade ins Wort, ehe er sich mehr aufführen konnte. „Ich habe weder meinen Glauben noch mein Ehrgefühl verloren, seid Euch da sicher. Jetzt bin ich mal dran mit fragen.
Ist Ehrgefühl für Euch vielleicht nur das, was Euch zugute kommt? Was hat das Eurer Ansicht nach mit Glauben zu tun? Wie könnt Ihr Euch anmaßen, mir zu unterstellen, ich würde Eure Mithilfe nicht schätzen, nur weil ich sie nicht höher werte als die von jedem anderen mit den selben, teilweise sogar höheren Leistungen? Und nur für Euer Verständnis, für mich sind Mitglieder des Stammes, in dem mein Vater früher war, keine Familie. Meine Familie sind die Varden. ALLE! Ich werde Euch nicht wegen Eures Geburtsstatusses besser oder schlechter behandeln, solange Ihr Euch die Position nicht mehr verdient als zum Beispiel Roran Hammerfaust, der von euch erwähnte Bauer, der alleine fast zweihundert Soldaten besiegt und damit seine Kameraden gerettet hat. Habt Ihr etwas vergleichbares im Angebot?" In diesem Moment war ich Roran wieder dankbar für sein Verhalten. Er gab mir nämlich gleichzeitig etwas in die Hand, mit dem ich hier punkten konnte.
Seine Miene verfinsterte sich erneut und er fragte: „Ihr lehnt also unseren Anspruch ab?" Überspitzt freundlich antwortete ich: „Richtig, ich werde Euch keine Führungspositionen geben, für die Ihr nicht qualifizierter seid als andere, nur weil Ihr meinen Vater recht gut gekannt habt. Ajihad hätte das nicht getan und ich werde es auch nicht. Habt Ihr noch weitere Anliegen?" Man musste ihm lassen, böse gucken konnte er wie kein zweiter... naja doch, ich kannte schon einige, die es um ein Vielfaches besser konnten, aber zumindest etwas überdurchschnittlich war er in diesem Punkt trotzdem, fragt sich nur, ob das eine anzustrebende Fähigkeit war...
Ich hatte nicht erwartet, dass er sich mit der Antwort von mir zufrieden geben würde, aber leider beinhaltete seine so ungefähr das ungünstigste mögliche: „Wenn Ihr uns nicht anerkennt, dann verschaffen wir uns eben Anerkennung. Hiermit fordere ich, Fadawar Inaphasunnas Sohn, Euch zur Probe der langen Messer heraus, Nasuada. Möge der Sieger die Herrschaft über die Varden übernehmen." Innerlich schrie ich. Es war die vielleicht grausamste Form der Entscheidung über die Herrschaft unter den Normaden. Die Konkurrenten müssen sich abwechselnd tiefe Schnitte im eigenen Arm zufügen und der Gewinner... „Das würde den Prinzipien der Probe widersprechen, man kämpft nicht um einen Stamm sondern um die Herrschaft über den des Herausfordernden und den des herausgeforderten. Wenn ich gewinne, gehört Euer Stamm direkt zu meinem Gefolge. Ich hoffe, dieser Teil ist Euch nicht entfallen."
Durch ein Zähneknirschen hindurch antwortete er: „Natürlich nicht!" Dabei versuchte er einen empörten Ton vorzubringen. Ich ignorierte diesen, drehte mich auch um und schlug die Plane hinter mir zurück. Der dahinter verdeckt liegende Teil des Zeltes bot Platz für sowohl Elva, als auch meine Magd, Farica, welcher ich sogleich den Auftrag gab: „Schick einen Boten, der Jörmundur und Orrin holt. Danach komm wieder hier her." - „Sehr wohl Herrin", kam es schnell als Antwort, gefolgt von einem kleinen Knicks. Ich war erleichtert, dass ihr die Probe der langen Messer scheinbar nicht bekannt war, denn wenn sie es wüsste, würde sie vermutlich wieder darum diskutieren, was ihr eigentlich verboten war.
Ich war mir grundsätzlich nicht sicher, wie ich dazu stand. Zum einen wollte ich, dass meine Untergebenen eigenständig dachten, selbst bei einer Magd, aber zum anderen musste ich erwarten können, dass meine Befehle nicht hinterfragt werden würden. In den meisten Fällen funktionierte das tadellos, doch ab und an gab es doch Zweifel aus ihrer Richtung. Es war alles weit von dem entfernt, was ich als Befehlsverweigerung betrachtete, doch rein rechtlich müsste es die selben Konsequenzen haben.
Ich trat wieder zurück in den Hauptteil des Zeltes und sprach zu Fadawar: „Wenn es Euer Begehr ist, mich herauszufordern, so ist es meine heilige Pflicht, diese zu akzeptieren, insofern Ihr ebenfalls einen Stamm hinter Euch habt. Da dies der Fall ist, nehme ich wohl an. Ich gehe davon aus, Eure beiden Zeugen stehen gerade hinter euch?" Er nickte stumm. Als er den Kopf hob, erwiderte ich diese Geste kurz und ergänzte dann: „Ich werde die beiden Ranghöchsten der Varden als die meinen nehmen. König Orrin von Surda und Jörmundur. Habt Ihr Einspruch gegen diese Wahl?" - „Nein, das habe ich nicht."
Farica betrat das Zelt wieder und teilte mir mit, dass der Bote unterwegs war. Ich beauftragte sie nicht weiter, da ich zu den Füßen eines von Fadawars Begleitern einen kleinen Koffer sah, in dem ich die Messer für die Prüfung vermutete. Natürlich, warum hatte ich das nicht gleich geahnt? Der Normade hätte auf die Prüfung bestanden, selbst wenn ich ihm den Oberbefehl über die Varden, welchen zur Zeit Jörmundur hatte, übertragen hätte.
Diese trockene Erkenntnis versetzte mich in eine kalte Sicherheit, das Richtige getan zu haben. Hätte ich ihm bereits die Macht gegeben, die er als erstes verlangt hatte, hätte er so gesehen weniger aufzusteigen und wäre damit selbst im Falle einer Niederlage nicht weit unter mir. Ich hätte ihn in diesem Fall auch nicht einfach degradieren können, da er sonst ein riesiges Aufheben darum machen würde, dass die Varden eine genauso imperialistische Organisation war, wie das Reich des verrückten Königs. Und das schlimmste wäre, dass er damit theoretisch nichtmal so unrecht hätte. Wie dem auch sei, es war besser, dass ich doppelt und dreifach abgelehnt hatte. So wäre es auch großzügig, wenn ich ihn danach überhaupt noch bei uns dulden würde. Aber immer der Reihe nach, noch hatte ich nicht gewonnen.
Ich hatte Glück mit dem Wetter. Es war vergleichsweise sehr warm für die Jahreszeit und ich trug heute ein ärmelloses Kleid. Das war in sofern von Vorteil, als dass ich so nicht für jeden Schnitt mein Kleid entweder hochkrempeln oder zerschneiden musste. Letzteres war ausgeschlossen, da wir immernoch nicht völlig finanziell sicher waren. Mit magischer Spitze konnten wir uns über Wasser halten, aber ein sicheres Einkommen war das nicht. Die Alternative, mich direkt vor Fadawar in Unterwäsche zu präsentieren, gefiel mir ebenso wenig. Es war also ein Glücklicher Zufall, falls es überhaupt Zufälle gibt. Kleinere Blutspritzer konnten durchaus noch das Kleid Verunreinigung, aber das sollte sich notfalls mit etwas Glück auswaschen oder mit Magie ausbleichen lassen.
Ich setzte mich also zurück auf meinen Stuhl und wartete bis seine Begleiter Fadawar geholfen hatten, die Tonnen Schmuck von den Armen zu bekommen. Er trug darunter keinen Stoff, was ich mir sehr unbequem vorstellte. Ich musterte diesen Prozess zuerst mit Neugierde, welche jedoch von einem Augenblick auf den anderen in Schrecken umschlug. Ich sah seine Arme. Auf dem einen waren fünf, auf dem anderen eine wulstige Narbe. Der Nomade hatte scheinbar bereits eine oder mehrere dieser Prüfungen hinter sich und schien auch nicht so, als habe er frühzeitig aufgegeben. Genau genommen hatte ich bisher immer höchstens in Geschichten von jemandem gehört, der sechs Schnitte in einem Wettkampf ertrug.
Während ich im Grübeln versank, dachte ich an Elva's Worte. Sie hatte gesagt, ich hätte... wie war das, den stärkeren Willen? Aber war der Wille hier entscheidend? Ging es nicht ab einem bestimmten Punkt darum, wer diese Schnitte körperlich verkraften konnte? Wenn man verbluten würde, wäre auch der eisernste Wille ohne Zweck. Aber zum anderen... Welcher Mensch wäre in der Lage sich so viele Schmerzen selbst zuzufügen, dass er daran sterben könnte? Selbst wenn es um die Führerschaft einer so enormen Armee ginge.
Orrin und Jörmundur trafen gleichzeitig ein. Nach einer kurzen Begrüßung und einem unterschiedlich skeptischen Blick auf Fadawar wollten beide wissen, warum ich gerufen hatte. Dass es nichts bringen würde, um den eigentlichen Punkt herum zu reden, wusste ich bereits vorher, also erklärte ich schlichtweg Fadawars Herausforderungen. Ich fasste mich kurz, aber bereits nach zwei Sätzen wollten beide Einspruch erheben. Ich führte meine Erklärungen trotzdem bis zum Ende aus und wartete dann, wer sich zuerst beschweren würde. Orrin war es, wie sich herausstellen sollte.
„Seid Ihr wahnsinnig? Das kann ich nicht zulassen! Ich werde..." Ich unterbrach ihn sofort. „Garnichts werdet Ihr. Hütet Eure Zunge, Orrin. Ich weiß was diese Prüfung bedeutet. Ich weiß welche Chancen sie bietet, ich weiß welche Risiken sich dabei verstecken. Ich kann tun, was ich für die Varden für am besten halte." Es klang härter als es gemeint war, aber trotzdem schien es ihn nicht so wütend zu machen, wie mein Ton es sonst getan hätte. Ich wusste, dass es vermutlich keine gute Idee war, aber ich ergänzte trotzdem: „Schätzt Ihr meine Willenskraft so schlecht ein?"
Jörmundur schüttelte sofort den Kopf, setzte aber zu einer Erwiderung an, vorher schüttelte aber auch Orrin noch klugerweise den Kopf. Er widersprach mir oft an unnötigen Punkten, aber trotzdem griff er nahezu nie, außer wenn es um die Urgals ging, wirklich mich beziehungsweise meine Persönlichkeit an. Jörmundur ließ es sich dann jedoch trotzdem nicht nehmen, einzuwerfen: „Wir zweifeln Euch nicht an, Nasuada, aber selbst wenn Ihr gewinnt, werdet Ihr danach wochenlang schwer eingeschränkt sein. Wollt ihr wirklich dieses Risiko eingehen?"
Ich sah ernst zu ihm auf. „Ich weiß eure Sorge zu schätzen, aber meine Entscheidung steht." Und mit einem Seitenblick auf Fadawar fügte ich scharf an: „Ich würde es jedoch begrüßen, wenn ich nicht den ganzen Tag darauf warten müsste, bis mein Herausforderer seinen übertriebenen Schmuck abgelegt hat und bereit zum anfangen ist. Wenn Ihr schon plant, mich zu dieser Prüfung herauszufordern, dann erscheint doch auch bitte in einem Kleidungsstil, in dem Ihr zeitnah beginnen könnt." Ich hatte zuerst überlegt, ob ich trotz alledem freundlich bleiben sollen, aber hatte mich dagegen entschieden. Viel hatte ich ihm gegenüber nicht zu verlieren.
Ich hatte inzwischen festgestellt, dass ich diese Prüfung nicht machte, weil meine Religion es so verlangte. Sie würde auch verlangen, mindestens zweimal am Tag zu beten. Seit ich ein Kind war, hatte ich durchschnittlich zweimal im Monat gebetet. Es ging wie so oft darum, nach außen hin Stärke zu zeigen. Ob Fadawar danach schlecht auf mich zu sprechen war oder nicht, spielte keine Rolle. Dieser Sieg oder diese Niederlage wäre ein Symbol. Eines, was durchaus weitreichendere Folgen haben könnte.
Ich sah auf die Arme meines Konkurrenten. Es waren nur noch drei Ringe daran. Der Rest türmte sich auf dem Boden. Türmte im wortwörtlichsten Sinne. Der glitzernde Haufen reichte ihm fast bis ans Knie ... Was für eine Verschwendung. Als ich darüber nachdachte, wie einfach man mit diesem Reichtum unsere Finanzen aufstocken könnte, wurde ich mir noch sicherer, dass ich gewinnen musste. Mit der Übernahme der Führerschaft über seinen Stamm würde ich auch uneingeschränkten Zugriff auf deren Finanzen haben. Ich hatte nicht vor sie mehr auszubeuten als die Kasse der Varden, aber auch nicht weniger.
Der letzte Metallreif, ein mit vermutlich Diamanten besetzter goldener, in den Muster eingearbeitet waren, die den Verzierungen von Eragons Schwert fast Konkurrenz machten, Betonung auf fast, fiel auf den Boden und einer von Fadawars Handlangern schob den Koffer, in dem ich bereits die Messer erwartet hatte, nach vorne und öffnete ihn.
Zum Vorschein kamen zwei Dolche, denen man auf Anhieb ansehen konnte, dass sie nicht für einen Kampf gemacht waren. Ihre Klinge war so dünn und scharf geschliffen, dass man sie vermutlich mit der Hand zerbrechen könnte, wenn man von der Seite darauf schlug, sie jedoch mit ihrer einseitigen Schneide vermutlich alles weichere als Stahl ohne Probleme zerschneiden könnten. Das würde die Schnitte zwar einfacher machen, jedoch auch die Gefahr eröffnen, durch ein ungünstiges Zucken den Arm mindestens bis auf den Knochen zu zerstören, was weitaus tiefer war, als für die eigentliche Prüfung relevant wäre, und noch dazu spät oder nie von selbst heilen würde.
Ich sah keinen Grund weiter zu warten und so sagte ich: „Nun, Ihr seid der Herausforderer, also obliegt es Euch, den ersten Schnitt zu tun." Er musterte mich abschätzend, als er die Klinge ansetzte. Ich erwiderte mit einem möglichst durchdringenden Blick. Wenn ich mir jetzt etwas nicht leisten konnte, dann ein Zeichen von Schwäche. Bei dieser Probe war, so weit stimmte ich Elva inzwischen zu, Willenskraft so ziemlich das wichtigste und nichts gibt einem Gegner mehr davon, als ein Zeichen von Schwäche des Konkurrenten.
So, ab hier wird es teilweise sehr ausführliche, teilweise graphische Beschreibungen zu den Verletzungen geben. Deswegen hier eine Warnung, wer das nicht lesen kann oder will, sollte einfach zum nächsten springen.
Nach einem Moment der Spannung, in dem wir beide versuchten, uns mit Blicken zu zeigen, dass wir nicht nachgeben würden, machte Fadawar schließlich den ersten Schnitt. Dabei kniff er kurz die Augen zusammen, sagte aber nichts und stieß auch keinen Laut des Schmerzes aus. Aus der Wunde floss nahezu sofort Blut hervor. Ich wusste bereits aus Erzählungen, dass man den Arm von nun an unter keinen Umständen stark anspannen durfte, da sich dieser sonst verkrampfen und noch mehr Blut nach außen drücken würde.
Ich schloss kurz die Augen und schickte ein stummes Gebet gen Himmel. Das bereits dritte diesen Monat. Schwere, anstrengende Zeiten. An wen genau es gerichtet war, wusste ich danach allerdings nicht mehr. Ich weiß nur noch, dass ich es nicht an Percy oder Annabeth schicken wollte, da ich meine Situation nicht für so relevant einschätzte, dass die beiden dafür persönlich um Hilfe gebeten werden mussten. Ich griff mit der ganzen Hand um den Griff und setzte die Klinge an den Arm. Auch ohne zuzudrücken spürte ich das kalte, scharfe Metall. Dann zog ich.
Es war ein merkwürdiges Gefühl. Mein Arm fühlte sich an als würde er zugleich brennen und in eiskaltes Wasser getaucht. Jedoch war das vorherrschende Gefühl nicht der Schmerz, wie ich erwartet hatte. Es war ein Gefühl, welches Eragon mir einmal aus einem Kampf geschildert hatte. Eine berauschende Klarheit, die alle Sorgen erstickte und meine Aufmerksamkeit so sehr hoch schraubte, wie sie nichtmal wenn ich ausgeschlafen und hoch konzentriert war so umfangreich erschien. Das hervorquellende Blut nahm ich nur am Rande wahr. In dem gleichen Ausmaß, in dem ich auch die sich sträubenden Haare auf meinem Handgelenk, die Reflexion der Sonne auf Fadawars Schmuck und die feine Naht wenige Zentimeter neben dem Eingang des Zeltes wahrnahm. Wie gesagt, eine Klarheit. Alles war da, nichts schien wichtiger als etwas anderes.
Herausfordernd sah ich zu Fadawar auf. Er hatte eine steinerne Maske der Beherrschung über sein Gesicht gelegt und zeigte keinerlei Emotion anlässlich meines Schnitts. Er hob nur erneut sein Messer, setzte an und der zweite Streifen war auf seinem Arm. Dieses Mal sah ich ein leichtes Glitzern in seinen Augen. Es konnte auch gespielt sein, aber mir gab es bereits etwas Zuversicht. Auch ich hob meinen Dolch und schnitt erneut über meinen Arm. Es hatte nicht mehr diese berauschende Wirkung wie das erste Mal, aber auch diese war noch nicht verflogen und so sah ich erneut durchdringend auf meinen Widersacher.
Selbiger bewegte gerade langsam seinen Arm um zu verhindern, dass es darin zu Schäden käme, weil die Verletzung so still lag. Zuerst versuchte er einige Sekunden lang meinem Blick zu trotzen. Das gelang ihm zwar, allerdings konnte er nicht zurückschlagen und so setzte er ein weiteres Mal das scharfe Metall an seinen Arm. Erneut zögerte ich nicht lange. Noch hatte die Präsenz der Klarheit einen abschwächenden Einfluss auf die Schmerzen, aber dieser nahm stetig ab. Ich bezweifelte, dass ich beim nächsten Schnitt noch diesen Vorteil haben würde.
Ich schnitt zum dritten Mal durch das Fleisch und sah auf die drei roten Rinnsale, die meinen Arm in Richtung Ellenbogen flossen. Vielleicht, dachte ich, war Willen doch nicht das einzige. Wenn das so weiter gehen würde, würden wir beide verbluten. Erst einen Moment später merkte ich, dass diese Zweifel fatal waren. Ich musste mich leicht schütteln und noch mehr Blut spritzte. Jeder letzte Rest von der anfänglichen Klarheit verflog und ich war wieder völlig ich selbst mit einem höllisch schmerzenden linken Arm.
Trotzdem setzte ich, nachdem ich gemerkt hatte, dass Fadawar seinen Schnitt bereits gemacht hatte, wieder mein Messer an. Ich zitterte jedoch und es kam was kommen musste. Ich schnitt zu weit und zu tief. An der Tatsache, dass ich zum einen noch meine Finger bewegen konnte und zum anderen noch den Schmerz spürte, schloss ich, dass trotzdem nichts essenzielles verletzt worden war. Trotzdem war es weitaus schmerzhafter, ich verlor viel mehr Blut an der Stelle und es war ein erstes Zeichen von Schwäche. Hätte ich die Möglichkeit, wäre jetzt der Moment, an dem ich neu starten würde. Ich stieß zwischen zusammen gebissenen Lippen einen Fluch aus, der Worte aus drei bekannten und mindestens genauso vielen unbekannten Sprachen beinhaltete und sah dann wieder auf zu Fadawar.
Ein hämisches Lächeln, welches ich ihm, gereizt wie ich bereits war, am liebsten aus der Visage geprügelt hätte, ob ich dazu noch im Stande war oder nicht, glitt über seine Lippen. Mit dem selben Gesichtsausdruck setzte er sein Messer erneut an seinen Arm. Dabei machte wiederum er einen schweren Fehler. Er sah nicht wirklich auf die Spitze und statt das Metall an seiner Haut zu platzieren, stach er hinein. Es war eindeutig keine Absicht, denn er zuckte zusammen, was zum einen die neue Wunde erweiterte und zum anderen seinen Arm anspannte. Letzteres sorgte dafür, dass noch mehr Blut als ohnehin schon hervorströmte.
Voller Unglaube blickte er auf die neue Verletzung, welche trotzdem nicht als neuer Schnitt gezählt werden konnte, fuhr jedoch zu meinem Leidwesen fort, nachdem er übermäßig kräftig die Zähne auf einander biss. Damit war er nun bei fünf Schnitten an einem Arm. Das bedeutet, er müsste als nächstes den Arm wechseln, da zum Schutz der Kontrahenten die Regel bestand, nicht mehr als vier Schnitte an einem Arm zu machen. Vorher musste ich allerdings ausgleichen.
Hätte er nicht mit seiner torhaften Übermut sich selbst geschwächt, wäre es vielleicht schon um meinen Willen geschehen. So aber hielt ich meine Hoffnung aufrecht und ohne ihm viel Zeit zu geben, machte auch ich den fünften und letzten Schnitt auf meinen linken Arm. Ich rutschte dieses Mal nicht ab, aber mein Vertrauen in den Sieg war verloren. Ich hatte das Gefühl, einen weiteren Schnitt würde ich nicht schaffen.
Aber ich musste. Erst in dem Moment wurde mir das wirklich bewusst. Reichlich früh, nachdem ich meinen einen Arm vollkommen zerstückelt hatte. Wenn ich verlieren sollte, wäre der Anführer der Varden einer, dem es nur nebensächlich um den Sieg über Galbatorix ginge. Ich glaubte zwar nicht, dass Percy oder Annabeth zulassen würden, dass er einfach den Feldzug abbrechen würde, ich war nichtmal sicher, ob er das tun würde, aber mit ihm als Anführer würde es mit dem Zusammenhalt den Bach runter gehen. Selbst wenn wir dann auf Basis unserer göttlichen Freunde, wenn man das so sagen kann, gewinnen würden, würde es wohl kaum Zwerge, Urgals und Menschen unter dem Banner der Varden geben, die mit einander kämpften.
Das wäre wieder Nährboden für massive Konflikte. Ein vom Krieg gebeuteltes Land, dass sich nochmals kämpferisch um Gebiete streiten müsste, könnte ich nicht ertragen. Mit diesen Worten im Kopf festigte ich meinen Willen so weit, dass ich zuversichtlich war, den nächsten, möglicherweise sogar die nächsten beiden Verletzungen zu ertragen.
Und ich musste sie ertragen. Während ich mir Gedanken gemacht hatte, hatte Fadawar die Hand gewechselt und hielt mit seinem verletzten Arm das Messer über den gesunden. Zum ersten Mal zeigte er wirklich eine Regung, die mit dem Schmerz des Schnitts zu tun hatte. Er biss die Zähne dabei zusammen und stieß einen leisen Fluch aus. Von diesem bestärkt wollte auch ich gerade die Hand wechseln, als Orrin auf mich zu kam und rief: „Das reicht jetzt! Ich kann das nicht weiter zulassen!" Ich stieß mit dem Dolch in seine Richtung und fauchte: „Mischt Euch nicht ein!" Meine Nerven lagen sowohl physisch, als auch psychisch bereits völlig blank und ich durfte unter keinen Umständen zulassen, dass die Probe seinetwegen ungültig werden würde. Unter anderen Umständen hätte ich nach einer politischeren Lösung gesucht.
Als er sich dann doch zurückzog, wechselte ich doch mein Messer in die andere Hand. Ich versuchte es nach Umständen, aber es war natürlich nicht vollständig möglich, meinen zerstörten Arm garnicht anzuspannen. Es quoll noch mehr Blut hervor, sodass der Griff glitschig wurde. Noch ein erschwerender Faktor. Langsam fragte ich mich, wieviele Teilnehmer bei dieser Probe verblutet waren. Diesen Gedanken verdrängte ich jedoch schnell wieder und stattdessen zog ich das Messer über meinen anderen Arm.
Dreierlei Dinge fielen mir auf. Zuerst dass sich erneut dieses leichte Rauschgefühl vom Anfang einstellte. Nicht so stark wie beim ersten Mal, aber es war wieder da. Dann, dass ich den Schmerz dieses neuen Schnittes nicht mehr so stark wahrnahm wie den der ersten. Als letztes bemerkte ich, dass ich trotz dieser beiden eigentlich eher förderlichen Punkte ein wenig in die Knie gesackt war. So schnell wie nur irgendwie möglich, ohne meine Arme anzuspannen, richtete ich mich wieder auf und blickte ein weiteres Mal Fadawar ins Gesicht. In den Augen des Nomaden spiegelte sich jetzt bereits ein erstes Zeichen von Furcht wieder. Wir waren nun an dem Punkt angekommen, an dem er seine höchste Leistung überbieten musste.
Ich wusste jedoch, dass ich so noch nicht gewinnen konnte. Zu einem einzelnen Schnitt konnte er sich vermutlich noch lange überreden. Was hatte Elva gesagt? Du hast den stärkeren Willen? Wenn sie sich damit auf die Probe bezogen hatte, bedeutete das, dass ich entweder gewinnen könnte oder sie mich anlog. Letzteres war nicht ihre Art, deshalb hoffte ich auf ersteres. Tatsächlich kam mir eine Idee, die mich vermutlich zum Sieg bringen würde, wenn ich meinen Willen wirklich so stark diszipliniert halten konnte, dass ich es durchzuziehen vermögen würde. Aber immer der Reihe nach.
Mein Konkurrent brauchte fast eine Minute, zumindest fühlte es sich wie eine Stunde an und somit schloss ich, dass es zumindest in Richtung einer Minute gehen musste. Alle dreizehn Minuten vergeht am Montag eine Minute. An sich witzig, aber was hältst du davon, wenn du dir das nächste Mal eine zumindest ein klein wenig weniger unpassende Stelle für Flachwitze aussuchst? Ja, das war eine rhetorische Frage! Schließlich hob er erneut den Dolch und nach erneutem Zögern schnitt er. Von dem nach außen stark wirken war nichts mehr zu sehen.
Ich schloss die Augen und sandte ein weiteres stummes Gebet gen Himmel. Dieses Mal war mir absolut egal, wen es erreichen würde, solange es mir Kraft geben würde. Ich setzte den Dolch an und zog ihn nach erneutem Zögern über den Arm. Dabei gab ich mir keine Mühe mehr, den sich anbahnenden Fluch zu unterdrücken. Erneut knickte ich etwas ein doch ich raffte mich schnell wieder ein. Meine Arme brannten beide wie Hölle doch dann trat für einige Sekunden wieder die kalte Klarheit ein. Ich setzte erneut an und zeichnete eine weitere rote Linie auf meinen Arm.
Ich sank auf ein Knie hinab, aber in meinem Kopf kämpfte ein Nebel aus Schmerz, der die Klarheit verdrängte, gegen Dankbarkeit für meinen Willen an. Es sah aber nicht danach aus, als würde die Dankbarkeit zeitnah gewinnen können. Nach einer gefühlt unendlich langen Zeit, die ich so da kniete, fand ich wieder die Kraft, mich hochzustoßen und fast triumphierend auf Fadawar zu sehen, der mich ungläubig anstarrte. „Macht mir...", eine Schmerzattacke schüttelte mich und hinderte mich am Reden, „... macht mir das erstmal nach."
Ich zitterte am ganzen Leib, aber das störte mich nicht mehr. Wenn er es tatsächlich schaffen würde, sich zwei mal zu schneiden, hätte ich verloren. Der achte Schnitt hatte mich alles an Beherrschung gekostet. Ich war auch nur ein Mensch und dementsprechend beschränkt. Einen weiteren Schnitt hätte ich nicht geschafft. Ich sah wie Blut in Strömen meine Arme herab rann, aber in dem Moment merkte ich kaum, was dieses scheinbar absurde Bild bedeutete. Der Nebel aus Schmerz hatte mein Bewusstsein soweit verdunkelt, dass ich nahezu keinen Selbsterhaltungstrieb mehr hatte. Mein Blick war starr auf Fadawar gerichtet. Es lag nun an ihm, ob er sich zwei Schnitte zutrauen würde.
Er wechselte mindestens drei Mal, kann auch sein, dass ich was nicht gesehen habe, wie schon erwähnt, ich war mental nicht mehr auf der Höhe, den Griff um seine Waffe und setzte sie an den Arm. Auch über seine Arme flossen rote Ströme, die man in diesem Ausmaß selbst bei Gefallenen in der Schlacht nur selten sah.
Schließlich, nach einer weiteren gefühlten Ewigkeit rutschte ihm der Dolch aus den Händen. Er fiel zu Boden, doch Fadawar machte keine Anstalten ihn aufzuheben. Stattdessen flüsterte er: „Ich kann nicht. Ihr habt gewonnen... Herrin!" Ich nickte nur und trat langsam zwei Schritte zurück und ließ mich ebenso langsam in meinen Thron zurücksinken. Von dort aus rief ich Jörmundur zu: „Bring mir schnellstmöglich Angela und sag ihr, womit sie konfrontiert werden wird." Auch wenn ich gerufen hatte, war meine Stimme zu schwach, als das sie lauter als normalerweise Zimmerlautstärke wäre. Nachdem Jörmundur davongeeilte war, drehte ich meinen Kopf und rief in Richtung der Zeltrückseite: „Farica, es gibt etwas zu nähen!"
Ich lehnte mich nach hinten, nachdem ich ihr dann eindeutige Anweisungen gegeben hatte, lehnte mich an und schloss die Augen. Das letzte, was ich noch wahrnahm, ehe ich das Bewusstsein verlor und in tiefen Schlaf fiel, war wie Fadawar sich gestützt von einem seiner beiden Begleitern hinaus schleppte. Dann war alles dunkel.
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4626 Wörter
Vielen Dank fürs Lesen. Ich hoffe, es hat euch gefallen. Unabhängig davon freue ich mich über jeden Vorschlag zur Verbesserung.
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