Kap. 38 Kleine Rettungen sind auch wichtig
Percy pov
Früh am Morgen klopfte es an unserer Tür. Ich blinzelte durch das Dämmerlicht, welches unseren Raum erhellte. Annabeth stand neben mir auf und da sie es sonst übernommen hatte, tat ich es ihr gleich. Wir schnippten beide einmal mit den Fingern und waren sofort vollständig angezogen. Ich gab ihr schnell einen, von ihr erwiderten, Kuss und ließ es draußen Tag werden. Wir hätten auch die in der Helligkeit verstellbaren Laternen der Zwerge nehmen können, aber das wäre doch langweilig.
Weiter im Text. Ich kam meiner Verlobten beim Öffnen der Tür zuvor und stand dann einem noch recht jung aussehenden Zwerg gegenüber. „Grimstborith Orik schickt mich. Ich soll euch...", erst jetzt realisierte er, dass etwas hinter uns nicht stimmte. Ganz langsam und zögerlich fuhr er also trotzdem fort: „sowie Eragon Schattentöter abholen und in den Verhandlungsraum führen. Was ist mit eurem Zimmer passiert? Wir sind doch unter der Erde!"
Wir lächelten freundlich und taten auf unschuldig. „Ach, nur ein wenig Magie, um den Ort mehr an unsere Vorstellungen anzupassen", erwiderte Annabeth schulterzuckend. Er starrte uns mit großen Augen an. „Ihr wollt mich doch veräppeln!"
Oh, endlich mal wieder einer der Direkteren. Vielleicht auch nur seines Alters wegen. „Nein. Also doch. Wir wollen schon, aber in dem Fall ist es ernst. Das ist nicht mehr als ein wenig Magie." Er starrte immernoch fasziniert auf die Szenerie hinter uns. „Ich habe soetwas noch nie gesehen!" Na Überraschung, dachte ich trocken. So viele Leute konnten das ja auch nicht.
Ganz so direkt sagte ich das dann aber doch nicht. „Wir haben eine gewissen Begabung für Magie. Sonst wären wir vermutlich jetzt nicht als Eragons Begleitung hier." Er schüttelte sich. „Richtig, Eragon, verzeiht meine Unaufmerksamkeit." Ich winkte ab und er stolperte schnell zu der Tür direkt nebenan.
Eragon brauchte mehrere Minuten, ehe er verschlafen die Tür öffnete. Die Reise am Vortag hatte ihn wohl doch zumindest ein bisschen mitgenommen. Der Zwerg erklärte auch ihm seinen Auftrag und ging dann mit dem Satz, „Folgt mir!", los.
Er führte uns zur Ratshalle und als wir dort nach über zehn Minuten ankamen, erwartete uns Orik bereits. „Ah, schön dass ihr auch noch wach geworden seid. Eragon, bei dieser Versammlung werden wir unsere Sprache sprechen. Da du unsere Sprache nicht beherrscht, lasse ich dir gleich einen Übersetzer holen. Er kann auch gleichzeitig dein Führer durch diese Höhlen und Gänge sein."
Annabeth räusperte sich schnell und sagte dann: „Wenn ihr darauf besteht, ist das natürlich eine Lösung. Zumindest den ersten Teil könnten wir beziehungsweise ich übernehmen. Jemanden, der hier heimisch ist, könnten wir trotzdem brauchen. Percy und ich kennen zwar jeden Gang, aber wir können Eragon nur bedingt Empfehlungen aussprechen." Orik sah uns fragend an.
„Ihr beherrscht unsere Sprache? Dass ihr die eine oder andere Formalie kennt, habe ich schon bemerkt, aber gilt das für die gesamte Sprache?" Ich lächelte und versicherte ihm genau das in seiner Sprache: „Ja, Grimstborith Orik, wir sprechen die Sprache deines Volkes vollständig und fließend. Bitte fragt jetzt nicht, woher, und gebt Euch damit zufrieden. Außerdem kommen wir selbst aus Eragons Volk und können es ihm wahrscheinlich etwas besser begreiflich machen."
Er musterte uns mit neuem Interesse und Respekt. „Ich habe keine Einwände. Seit ewigen Zeiten beherrschen nur sehr wenige nicht-Knurla unsere Sprache. Wenn ihr meint, ihr würdet unsere Sprache zur Genüge beherrschen, können wir es für einen Tag versuchen und die Ergebnisse für sich sprechen lassen. Einen Führer durch unsere unterirdischen Hallen solltet ihr trotzdem bekommen, oder kennt ihr etwa auch alle unserer Tunnel auswendig?" wollte er scherzhaft wissen.
Ich feixte. „Das schon, aber es wäre besser, wenn das einer von euch übernehmen würde. Wir bringen vielen Dingen hier nicht die selbe Faszination entgegen wie ihr und können Eragon deshalb nur schwer begreiflich machen, warum ihr bestimmte Orte für wichtig und bedeutsam erachtet." Jetzt starrte er uns wahrhaft entgeistert an.
Mit deutlich hörbarem Unmut in der Stimme brummte der Zwerg dann: „Also schön, dann also einen Führer... Ich muss zum Mitteltisch. Die Versammlung beginnt." Und damit lief er zu besagtem... Stein. Viel mehr war es nicht. Eine Reihe Stühle um einen großen Steinblock. Die elfische Liebe zu Wald, Meer und Leben konnte ich gut nachvollziehen, aber die unfassbare Vernarrtheit der Zwerge in Stein war mir ein Mysterium.
Wir setzten uns auf die Bänke, die einige Meter weiter außen standen und den gesamten Raum bis auf die Ausgänge umschlossen. Wir setzten uns schräg gegenüber von Orik, damit er uns notfalls kleinere Signale geben konnte, und Annabeth begann zu übersetzen.
„Willkommen liebe Vertreter, ich bin Grimstborith Gannel vom Durgrimst Quan und mir gebührt heute die Ehre des Vorsitzes..." Von da an schaltete ich ab. Es interessiert mich überhaupt nicht. Leider bekam ich dafür nach einigen Minuten einen Stoß in die Rippen. Immerhin, besser als ein Judo-Flipp. Sie sah mich eindringlich an und meinte dann: „Du wurdest gerade vom Vorsitzenden und Anführer des Priester-Clans gefragt, warum wir hier sind."
Ich schaute erst in die Runde, ob irgendjemand meine Unaufmerksamkeit komisch fand und stellte fest, dass Annabeth offensichtlich kurz mal die Zeit gestoppt hatte um mir das so direkt zu sagen. „Dafür, dass du nicht zugehört hast, kannst du dir selber eine Ausrede überlegen." Ich sah sie entsetzt an. Während sie mir die Zunge rausstreckte, sagte ich: „Das kannst du nicht machen! Das läuft schief." Meine sonst so wundervolle Freundin ignorierte diesen Einwand und begann kalt von fünf runterzuzählen. „Zeit läuft weiter in fünf... vier... drei... zwei... eins..."
Ich seufzte und wandte mich dann dem Grimstbrötchen der Durgrims Schwan, sehr besondere Tiergattung anscheinend, zu. Leider durfte ich dabei nicht so reden, wie ich es gerne getan hätte, sondern musste höflich bleiben. Wieder in der Sprache der Zwerge erklärte ich also: „Wir begleiten Eragon als Leibwache. Wir möchten hier niemanden beleidigen und wir glauben auch nicht, dass jemand in diesem Raum ihn tatsächlich angreifen würde, aber wir haben Erfahrung mit solchen Situationen. Vorsicht ist besser als Nachsicht. Zum anderen sind wir Eragons Dolmetscher. Wie ihr sicher merkt, sprechen wir eure Sprache fließend.
Diese Aufgabe könnte theoretisch auch einer von seinen Clanbrüdern übernehmen, das würde allerdings das Verständnis etwas erschweren, da die Politik in unserem Volk etwas anders oder garnicht funktioniert. Würde das einer von euch machen, wäre das etwa so als würden wir versuchen euren Kindern eure Religion beizubringen. Theoretisch möglich aber nicht besonders gut verständlich." Beeindruckend, oder? Ich habe gerade eine Neunmalklug-reife Ausrede zusammengeschustert. Dafür will ich einen Keks. Zum kommentieren ermutigen: CHECK
Gannel antwortete schließlich: „Also schön. Solange ihr nur diese Aufgaben erfüllt, sollte eure Anwesenheit keine Probleme mit sich bringen." Natürlich musste er nochmals betonen, dass wir nichts zu sagen hätten. Wenn er wüsste, wie sehr er sich dabei irrte... Trotzdem tat ich als würde ich ihm recht geben. „Natürlich Grimst...borith Gannel. Es ist nicht unsere Absicht uns in eure Politik einzumischen." Er nickte nur, offenbar zufrieden, und fuhr dann mit dem eigentlichen Prozess fort.
Also schaltete ich ab, dieses Mal aber nur soweit, dass ich mitbekommen würde, falls jemand mich etwas fragte oder ähnliches. An diesem Punkt wurde meine regelmäßige Respektlosigkeit zu meinem Vorteil. Annabeth traute mir nicht zu, die Gespräche und Diskussionen neutral an unseren jungen Klienten zu vermitteln, also übernahm sie diese Rolle vollständig.
So vergingen die nächsten Tage. Wir begleiteten Eragon überallhin außer auf die Toilette und in sein Zimmer. Etwas Privatsphäre sollte er schließlich auch haben... Unser Tunnelguide, Hundfast führte uns, wenn wir nicht gerade in irgendwelchen Versammlungen waren, durch den unterirdischen Teil von Farthen Dûr.
Bereits am ersten Tag ließ sich Eragon zu dem riesigen Edelstein Isidar Mithrim führen. Das sternenförmige Juwel war von Arya und Saphira zerschmettert worden, um Durza von dem jungen Reiter abzulenken und diesem die Möglichkeit für einen tödlichen Stoß gab. Um den Zorn der Zwerge zu besänftigen, hatten er und Saphira ihnen versprochen, diesen Stolz des Zwergenvolkes wiederherzustellen. Nun arbeiteten die Zwerge tag und Nacht an dem Schmuckstück, um bis zur Krönung des neuen Königs alle Bruchstücke zusammengesetzt zu haben. Es war aber auch ein Kunstwerk gewesen, was die Mühe wert gewesen war.
Während Eragon sich mit dem Bauleiter unterhielt, sahen Annabeth und ich uns das Gebilde an. Zu zwei Dritteln war das gute Stück bereits fertig und die Oberfläche bildeten unglaublich scharfkantige Bruchstücke, welche diese Oberfläche so aussehen ließen, dass man gleich jeglichen Respekt vor einem Nagelteppich verlor. Ich bezweifle, dass man jemanden, der darauf stürzen würde, ohne die Hilfe von Will und Nico zusammen retten können würde.
Leider riskierten die Arbeiter das permanent. Gerade wurde einer von ihnen mit einer Pinzette, in der sich ein winziger Splitter befand, an einem Seil langsam auf den Stern herunter gelassen. Während er noch so hinab schwebte, bemerkte ich etwas und fluchte dann.
Ich griff den Bauleiter sofort an der Schulter und rief ihm dann der Effizienz des Verstehens wegen in seiner Sprache zu: „Holt diesen Zwerg sofort da weg! Das Seil ist an einer Stelle geschwächt und wenn ihr euch nicht beeilt, wird es reißen und er wird auf diese Stacheln stürzen."
Er blieb einen Augenblick lang wie angewurzelt stehen, fluchte dann lautstark und begann Befehle zu brüllen. Zum Glück hinterfragte er mich nicht. Sofort begann überall in der Halle hektisches Gewusel. Seilwinden wurden betätigt und kaum zehn Sekunden später begann das Seil mit dem Zwerg zur Seite zu schwenken.
Unglücklicherweise kann das Glück mich nicht leiden und der Zwerg stütze kaum einen Meter vom Rand entfernt auf die gezackte Oberfläche zu. Dieses Mal ließ ich das Fluchen weg, da ich nicht genug Zeit gehabt hätte, und schrie direkt: „Letta!", „Stopp" oder „anhalten" in der alten Sprachen. Kaum eine Hand breit über seinem Tod blieb er in der Luft hängen. Jetzt gestattete ich mir das vorher verwehrte Fluchen und sprang dann kurzerhand über das Geländer des Gerüsts, auf dem wir standen. Ich hätte ihn auch einfach mit einem Windstoß wegpusten können, aber dabei wären möglicherweise die bereits eingesetzten Stücke beschädigt worden.
Nun erwies sich eine meiner ersten Konzentrationsübungen auf OTC als hilfreich. Damals hatte ich die Luftfeuchtigkeit so stark gesammelt, dass sich an einem Punkt Wasser bildete. Dieses gefror ich und hielt es gleichzeitig in der Luft. Das alleine hatte schon viel Konzentration erfordert, es war aber der vergleichsweise leichte Part. Wirklich schwierig wurde es, als ich auf eine solche Platte springen sollte, nicht wegrutschen musste und dann eine neue erschaffen, ehe die erste unter meinem Fuß schmolz. Der letzte Schritt war der Sprung auf die nächste Eisscheibe.
Anfangs hatte ich kaum einen Wechsel geschafft, aber mit der Zeit war ich sicherer geworden. Nach etwa einem Jahr konnte ich das beliebig lange machen und nach weiteren drei Monaten war ich so weit, dass ich mich gleichzeitig auf andere Dinge konzentrieren konnte. Einige Übungskämpfe mit Jason habe ich permanent in der Luft verbracht.
Ich hätte natürlich auch einfach meine Flügel wachsen lassen können oder einfach schweben, aber ersteres hätte ich mal wieder erklären müssen und zweiteres sah einfach nicht so cool aus. Hatte ich bereits erwähnt, dass ich einen Hang zur Dramatik bekommen hatte?
So sprang ich nun von Scheibe zu Scheibe auf den Zwerg in der Luft zu. Außer meiner Freundin sahen alle wie gebannt zu und vergaßen vermutlich das Atmen. Was denn? Wie würdet ihr reagieren?
Sobald er in Reichweite kam, griff ich ihm an den Gürtel und zog ihn daran hinter mir her, über die bizarre Todesfalle hinweg. Erst danach ließ ich die Eisplatten weiter unten erscheinen und rannte schräg zum Boden eine Art Wendeltreppe hinab.
Als ich den Zwerg sanft auf dem Boden absetzte, keuchte er wie auch fast alle anderen im Raum auf, sag ich doch, sie haben die Luft angehalten, und fragte: „Danke, Herr, kann ich irgendetwas tun um Euch das zu entgelten?" Ich lächelte, hielt ihm die Hand hin und zog ihn daran hoch. „Nenn mich bitte einfach Percy. Ich kann Titel wie ‚Herr' nicht leiden. Es gibt nichts zu entgelten. Ich habe gerne geholfen, weil ich es nunmal kann und ich tue das nicht weil ich eine Belohnung dafür will."
Ehe jemand noch etwas weiteres sagen konnte, kam ein recht jung wirkender Zwerg auf uns zu gerannt und umarmte den, den ich gerade gerettet hatte. „Vater!" Ich lächelte. Somit war es wohl doppeltes Glück gewesen, dass ich anwesend gewesen war. Macht bedeutete Verantwortung, aber sie gab auch Möglichkeiten. Das Geschenk, anderen helfen zu können. Ich ließ Vater und Sohn zusammen und ging zu Eragon und Annabeth zurück. Ersterer schien noch immer von dieser Aktion geschockt zu sein.
Erst als Annabeth ihn darauf aufmerksam machte, dass es Zeit fürs Mittagessen und danach für weitere Besprechungen war, schüttelte er kurz den Kopf und sah dann wieder einigermaßen aufmerksam aus. Er bat Hundfast uns zur zentralen Küche von Tronjheim zu bringen. Da dieser etwa zeitgleich mit Eragon wieder wach geworden war, murmelte dieser nur ein „folgt mir" und ging dann los.
Auf irgendeine Weise hatte Orik bereits von meiner kleinen Rettungsaktion gehört, auch wenn er zu dem Zeitpunkt ganz sicher nicht in der Nähe des Sternjuwels gewesen war, denn er wartete bereits auf uns und hatte bereits eine schwer zu deutende Miene aufgesetzt. „Schön dass ihr da seid. Ich rede jetzt nicht um den heißen Brei herum...Was ist vorhin passiert? Mir wurde berichtet, es hätte einen Unfall bei Isidar Mithrim gegeben?" Okay, doch nicht. Er wusste, dass irgendetwas los gewesen war, mehr aber auch nicht.
„Ich erspare Percy jetzt einfach die Pflicht, sich selbst zu loben, und übernehme das erzählen, wenn ihr nichts dagegen habt...", bot Eragon an. Ich schmunzelte. „Du hast wohl das eine oder andere über mich gelernt. Gerne!" Auch Annabeth nickte zustimmend und so begann Eragon kurz die Ereignisse zu schildern. Bei allem nach meinem Sprung vom Gerüst war er detaillierter als mir lieb gewesen war. So klang es viel zu heldenhaft. Das würde Annabeth mir noch ewig unter die Nase reiben... na toll. Vielleicht war Macht doch nicht so toll.
„Na, da muss ich mich wohl bei dir bedanken. Der Knurla, den du gerettet hast ist ein direkter Verwandter des Grimstborithen eines der Clans, die noch auf der Kippe stehen. Mit dieser Aktion dürfte sich das Blatt in unsere Richtung wenden." Bitte was? Es geht um ein gerettetes Leben und er kümmert sich um irgendwelche politische Bündnisse?
Das sprach ich auch mehr oder weniger so direkt aus und glücklicherweise schien es ihm etwas peinlich zu sein. „Tut mir leid, natürlich bedanke ich mich auf für die Rettung des Lebens eines Angehörigen meines Volkes und natürlich ist es schön, dass wir keine Toten im eigenen Land zu verantworten haben. Ich bin nur zur Zeit so tief in diesem politischen Wirrwarr verstrickt, dass ich ab und zu diese ethischen Aspekte vergesse."
Nur der Punkt, dass er dabei ehrlich klang, hielt mich von einer sehr bissigen Antwort ab. „Schön. Pass auf, dass es sich dabei wirklich nur um einen temporären Effekt handelt." Er nickte und wir schwiegen die restliche Mahlzeit.
Frank pov
Nach Percy und Annabeth Abreise habe ich zusammen mit Thalia so mehr oder weniger das Kommando übernommen. Auch wenn es mir nicht wirklich gefiel, wir waren in den Camps am ehesten in Führungspositionen gewesen. Natürlich hatte Jason mehr Erfahrung, aber er lehnte diese Aufgabe des Anführens konsequent ab. Thalia und ich waren jetzt an stelle von Percy und Annabeth bei annähernd jeder Besprechung anwesend. Sollte es einmal ernstere Komplikationen geben, die Allwissenheit, Intelligenz oder Vernunft erfordern, könnten wir uns auch an sie wenden, aber das wollten wir lieber vermeiden. Ich hatte das Gefühl, als Urgott, ich verstehe immernoch nicht, warum sie uns das angeboten haben, sollte man auch alleine zurecht kommen können. Selbst wenn man noch nicht so besonders lange in diesem Amt war.
Heute stand glücklicherweise nur eine Besprechung an. Percy hatte vollkommen recht gehabt: ‚Ein Großteil geht mit unnötigen Formalitäten drauf und den Rest verschwendet der surdanische König, indem der Zwischenfragen stellt, die komplett überflüssig sind, und das nur, weil er uns nicht leiden kann. Wir haben ihm einmal widersprochen und lassen uns weder von ihm beeinflussen noch kontrollieren, also dürfen wir scheinbar keine Ruhe mehr haben.' Wirklich eine sehr schöne Beschreibung dieser Debatten.
Nach der ersten, überflüssigen, Formalität, dem Einlass, betrat Thalia vor mir das Zelt. Anwesend waren bereits ein Stellvertreter der Zwerge, Arya, Nar Garzvogh, Nasuada und zu unserem Leidwesen Orrin. Alle begrüßten uns mit einem Kopfnicken und Nasuada begann von den aktuellen Ereignissen zu erzählen. Langweilig! Für die interessanten Dinge musste man nicht allwissend sein.
Wir wussten bereits über Rorans ‚Rebellion'. Der Kerl hatte meinen Respekt. Mit seinen menschlichen Kräften fast zweihundert Gegner mit den gleichen Grundvoraussetzungen besiegen. Beeindruckend. Und dafür hatte er die Peitsche bekommen, weil er den Kampf vernünftig angegangen war und sich damit seinem Hauptmann widersetzt hatte. Eine Entscheidung gegen die wir nur nicht protestiert hatten, da die Gefahr, dass andere Varden sich das zum Vorbild nehmen könnten, zu groß gewesen wäre und unsere Autorität durch Widerspruch in solchen Angelegenheiten eher noch weiter schwinden würde. Für die meisten waren wir ja noch immer Fremde.
Den zweiten Punkt, dass seit dem Zwischenfall mit den drei ermordeten Urgals das Verhältnis zwischen ihnen und den Menschen immer schlechter geworden war, hätte selbst ich ohne meine neuen Fähigkeiten bemerkt. Als Nasuada schließlich, nach über einer halben weiteren Stunde verschwendeter Lebenszeit, zu einem Vorschlag für das weitere Handeln begann, fing ich wieder an zuzuhören. Das war dann nämlich der interessante Teil.
„Ich schlage vor, wir mischen den nächsten Einsatztrupp. Menschen und Urgals gemeinsam. Den Oberbefehl bei dieser Aktion würde ich bevorzugt Roran Hammerfaust geben. Inzwischen kennt jeder im Lager seine Taten und wenn sie hören, er ist mit Euren Leuten, Garzvogh, auf einen Einsatz gegangen und erfolgreich zurückgekehrt, könnte das unser Verhältnis wieder stabilisieren. Gibt es Einwände?" Nach einigen Sekunden des Schweigens ergriff Arya das Wort. „Keine Einwände. Es ist ein guter Vorschlag und ich schätze die Wahrscheinlichkeit auf Erfolg überaus hoch ein."
Danach meldete sich der riesige Kull zu Wort. „Ich habe keine Einwände, Nachtjägerin. Ich möchte jedoch vorschlagen, dass wir unsere Leute erst nach genauem Bedenken auswählen sollten. Selbst meine Gehörnten respektieren Hammerfausts Taten zum größten Teil, sollte diese Mission jedoch scheitern, wäre unser Volk dem Untergang geweiht. Wenn es dabei zu einem größeren Unfall kommt, wird unser Bündnis garantiert nicht mehr zu retten sein." Recht hatte er wohl. Mehr Misstrauen als gegenwärtig vorhanden wäre wirklich schwer zu zerstreuen.
Dazu schaltete sich als erstes Thalia ein. „Ich stimme Euch zu. Wir sollten die Leute wirklich speziell dafür auswählen. Ich könnte im übrigen anbieten, dass einige von uns euch begleiten. Im allergrößten Notfall können wir die Situation wahrscheinlich noch retten." Unser verehrter König von Surda, nicht, musste natürlich noch seine komplett überflüssige Frage stellen. „Warum denkt ihr, ihr könntet die Urgals besser ruhig halten als einer von uns?" Die Verachtung in seiner Stimme war unverkennbar. Die in meiner Stimme aber wohl genauso wenig: „Es geht hier nicht nur um die Gehörnten sondern auch um Eure Leute. Vergesst nicht, der letzte völkerübergreifende Mord war von einem aus Eurem Volk. Außerdem haben wir, anders als Ihr, sowohl einige recht brauchbare diplomatische Fähigkeiten und auch im Notfall die Möglichkeiten, hart durchzugreifen."
Dieser Idiot war immernoch starrsinnig und rief: „Beweise es!" Fehler! Ganz dicker Fehler. Eine blitzartige Bewegung folgte und Orrin hatte plötzlich sein eigenes Schwert an der Kehle und einen gespannten Bogen auf sein Herz gerichtet. Da sie eine Hand fürs Schwert brauchte, hielt Thalia den Pfeil mit den Zähnen fest. Diese Position hielt sie für einen Augenblick, bevor sie in einer absurd schnellen Abfolge den Mund öffnete, ihren Griff am Bogen veränderte und den abgeschossenen Pfeil nur Millimeter vor Orrins Gesicht mit der selben Hand fing, die vorher den Bogen gehalten hatte. Die Spitze knisterte zwischen seinen Augen.
Er schluckte schwer und Thalia sagte in tödlich ruhigem Ton: „War das Beweis genug, Euer Majestät?" In dem letzten Wort lag mehr Verachtung als ich für möglich gehalten hatte.
Erst als Orrin mit schwacher Stimme aufgab, senkte sie die beiden tödlichen Waffen. Thalia wartete noch einige Momente und steckte dann das Schwert des Königs zurück in dessen Scheide. „Gibt es sonst noch Probleme?", wollte sie angriffslustig wissen. Sie kannten Thalia nicht, sonst hätten sie ihr auch beim ersten Mal nicht widersprochen, aber sie waren nicht so blöd, es nochmals zu tun. Sonst wären sie vermutlich gegrillt worden und dann hätte meine liebe Freundin ihre Erinnerungen manipulieren und Will und Nico den Unglückseligen reanimieren dürfen. Keine guten Aussichten. Somit hatten wohl alle Beteiligten Glück gehabt.
Nasuada räusperte sich. „Wenn es keine weiteren Einwände gibt, dann würde ich es hiermit als beschlossen festhalten." - „Doch, einen kleinen Einwand habe ich. Ihr habt Roran vor nichtmal zwei Tagen an die Schwelle zum Tode gepeitscht. Wie genau stellt Ihr Euch seine Teilnahme dabei vor?", sprang ich doch nochmal ein, denn auch wenn ich Wege darum herum wusste, war es mir lieber, wenn wir das Thema einmal offen besprachen.
„Wir sind auf einem Feldzug! Hier kann nicht jeder immer voll und ganz in bester Verfassung sein!", empörte sich Orrin, der scheinbar seinen Mut und seine Arroganz wiedergefunden hatte, über meine Frage. Offensichtlich stand auch Roran auf seiner Abschussliste.
Das gefiel aber jemand anderen neben mir so garnicht. Ein weiteres Mal. Obwohl Thalia vollkommen ruhig sprach, spürte ich, wie sich ein metallischer Geschmack, wie vor einem Gewitter, auf meiner Zunge bildete. „Das mag stimmen, Hoheit, aber erstens geht es hier nicht um beste Verfassung sondern um die Fähigkeit, sich selbstständig zu bewegen, und zweitens, sollte ihm etwas geschehen, ist nicht nur der Auftrag gescheitert und schadet so der Beziehung zwischen Menschen und Urgals noch weiter, nein, obendrein verliert ihr auch noch einen eurer willensstärksten Kämpfer. Wir alle wissen, er hat seine Bestrafung bekommen, weil er zweihundert Soldaten alleine getötet hat. Zweihundert!"
Bevor ein Streit entstehen konnte, trat Nasuada zwischen die beiden. „Ich verstehe deine Bedenken, Thalia, aber was schlägst du vor? Er ist doch trotzdem der geeignetste Mann." Die schnaubte. „Das ist er, aber nicht in dieser Verfassung. Lasst ihn wenigstens soweit heilen, dass er in der Lage ist, sich zu verteidigen und selbst mitzuhelfen!"
Sie musterte uns scharf. „Na schön, er hatte die richtige Motivation hinter seinem Handeln. Ich werde Angela auftragen, seinen Heilprozess etwas zu beschleunigen. Noch etwas?" Sie sah in die Runde und dieses Mal schwiegen alle.
„Garzvogh, wählt Eure Leute für den Einsatz aus. Fünfzehn wäre eine gute Anzahl. Ich werde mich persönlich um unsere Leute kümmern. Frank, Thalia, da bei unserem Bündnis größte Eile geboten ist, wird der Trupp in zwei Tagen aufbrechen. Wisst ihr schon, wer von euch diesen Auftrag begleiten wird?"
Ich wechselte einen Blick mit Thalia. Sie hatte ein elektrisches Funkeln in den Augen und ich wusste, dass sie keine Lust mehr hatte, ständig nur graue Zelltwände zu sehen. Ich dachte nach, wer als zweites mitkommen sollte. Zu Piper würde sowas einfach nicht passen, Jason war zur Zeit das genaue Gegenteil seiner Schwester, es gefiel ihm an diesem Ort, Hazel musste sich um eine Illusion von Eragon kümmern, Will war ein Heiler, Nico und Leo konnten sich nicht gut genug beherrschen, gut, Thalia auch nicht immer, aber das konnte ich jetzt nicht sagen, und für Kalypso galt das selbe wie für Piper. Es passte nicht zu ihr. Ich seufzte. „Thalia und ich werden euch begleiten. Wir schlafen allerdings gerne aus und werden vermutlich erst einige Meilen außerhalb des Lagers zu eurer Truppe stoßen."
Sie blickte uns zweifelnd an zuckte dann aber mit den Schultern und meinte: „Na wenn ihr meint. Ich gehe davon aus, Pferde braucht ihr nicht?" Thalia grinst zuerst und bemerkte dann: „Sehr richtig. Endlich lernt hier mal jemand simple Mustererkennung." Die Ironie tropfte aus jeder Silbe.
Das Zelt leerte sich danach sehr schnell, da sowohl Nar Garzvogh als auch Nasuada selbst sich darum bemühen wollten, den Einsatztrupp so schnell wie möglich auf die Beine zu stellen. Thalia und ich gingen zu unserer Zeltgruppe zurück und auf dem Weg fragte sie mich: „Warum willst du mitkommen?"
„Bei allen anderen gibt es mehr oder weniger triftige Gründe dagegen. Ich habe nichts dagegen und das reicht. Dir konnte man es ziemlich deutlich ansehen. Du hältst es zwischen diesen grauen Zeltwänden nicht mehr aus. Ich tippe mal, das kommt von den Jägerinnen, wo du jeden Tag irgendwelche beeindruckenden Landschaften gesehen hast? Dafür ist es dir hier zu eintönig."
Sie blickte mich hinterhältig an. „Das auch. Ich konnte auch vorher nicht gut damit leben, dass alles so gleich ist. Ich bin nicht an Eintönigkeit gewöhnen und das darf auch so bleiben. Du weißt, dass ich von zuhause weggelaufen bin?" Ich nickte, auch wenn ich keine Ahnung hatte, worauf sie hinaus wollte.
„Schon seit ich sprechen kann habe ich mich immer wieder mit meiner Mutter gestritten. Klingt erstmal sehr gleichförmig, aber der Grund war jeden Tag ein anderer. Irgendetwas neues gab es immer. Als ich mit Annabeth und... Luke durchs Land gereist oder eher geflohen bin, gab es auch jeden Tag andere Probleme. Dann war ich ein Baum", sie zog eine Grimasse und fuhr dann fort.
„In diesem Zeitraum habe ich meine Umgebung nicht wirklich wahrgenommen. Dann kam der Teil mit den Jägerinnen. Dabei hattest du recht. Kaum langweilige Minuten. Mit Percy und Annabeth waren wir zehn Jahre lang auf diesem Planeten, aber die beiden können gut unterrichten und somit war auch das abwechslungsreich. Hogwarts. Jeden Tag andere Probleme mit anderen nervtötenden Kindern. Aber hier... In diesem Elfenwald gab es ja wenigstens einige Dinge zu erkunden aber dieses Lager ist einfach nicht..." - „Es bewegt sich nichts?", probierte ich weiterzuhelfen.
Sie schien nachzudenken. „Ja, irgendwie schon. Für mich ist das quasi eine neue Erfahrung. Ich komme nicht gut mit Langeweile klar. Ihr habt ja alle eure Freundin beziehungsweise euren Freund und damit ist es einfacher auszuhalten. Für mich war... Luke das früher, aber er hat sich mit Kronos verbündet und ich bin Artemis Jüngerinnen beigetreten. Ich bereue diese Entscheidung nicht wirklich, aber... manchmal fehlt mir diese Zuneigung einfach."
Ich überlegte einige Minuten, wohl wissend, wie viel sie mir gerade so schnell über sich verraten hatte, ohne dass es einen großen Aufhänger gab, und wie selten sie eigentlich überhaupt über ihre eigenen Gedanken sprach. Das klingt trotzdem sehr lange aber ich merkte, wie wichtig Thalia dieses Thema war. Eine unbedachte Antwort könnte sie zu dem machen, was Nico am Anfang gewesen war, nur dass es bei ihr vermutlich nicht mehr veränderbar gewesen wäre.
Schließlich antwortete ich: „Thalia, du weißt, dass wir alle zusammen halten wie eine große Familie. Wenn du jemanden findest, der für dich etwas wie Luke damals ist, wird Artemis sicher bereit sein, dich von deinem Schwur zu lösen. Das hat sie schonmal für jemanden getan. Selbst wenn das nicht so wäre, könntest du es dir inzwischen einfach nehmen... egal. Wenn du nach privater Zuneigung suchst, über unsere große Familie hinaus, und dabei Artemis Lehren, dass alle Lebewesen meines Geschlechts, Percy ausgeschlossen, Schweine sind, ein wenig aufweichen kannst, wirst du auch welche finden. Vielleicht nicht unbedingt dort, wo du sie erwartest, das ist ja selten so, schau dir nur Nico an, aber du wirst welche finden, wenn du danach suchst." Wow, hatte der tollpatschige Frank Zhang gerade einem Mädchen Beziehungstipps gegeben, obwohl er selbst im Übersehen von Gefühlen fast so gut war wie Percy?
Thalia schien in Gedanken zu versinken, lächelte dann aber schließlich, wenn auch etwas unsicher. „Mal sehen. Ich kann es zumindest mal versuchen. Besonders stark schaden kann es ja nicht." Und mit einem gemeinen Grinsen ergänzte sie: „Zumindest nicht mir!" Ich sah sie etwas ehrfürchtig an. Ich möchte ganz sicher nicht in der Rolle des Freundes, der vielleicht mal den Fehler macht, sie sitzen zu lassen, stecken.
Ich nahm all meinen Mut zusammen und stellte die Frage, die in den letzten fünf Jahren vermutlich niemand hätte stellen können, ohne danach mittelschwer verletzt zu sein. „Weißt du denn, in welcher Form du diese Zuneigung haben wollen würdest?"
Ich sah ihr an, dass sie mir tatsächlich gerne eine gescheuert hätte, aber zu meiner halben Überraschung tat sie es nicht. Sie zögerte lange, aber schließlich erklärte sie: „Nein. Nicht wirklich. Ich habe es einmal in Betracht gezogen, damals hatte ich so viel mit Luke erlebt und naja. Vielleicht hatte ich einen Crush auf ihn. Aber dann war ich ein Baum und als ich danach erfahren habe, dass er auf Kronos Seite war, habe ich ihn im Kampf über eine Klippe gedrängt und auf spitze Steine stürzen lassen. Selbst nachdem er sich für uns geopfert hat, weiß ich nicht, ob ich ihm verzeihen könnte oder ob er noch das gleiche für mich wäre. Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Aber seitdem habe ich nie wieder über irgendjemanden so nachgedacht." Ich wusste nicht so richtig, was ich dazu sagen sollte, aber sie schien auch nicht wirklich eine Reaktion zu erwarten.
So schwiegen wir, bis wir uns unseren Zelten näherten und ihr Gesichtsausdruck wurde nochmal streng. „Zu deiner eigenen Sicherheit rate ich dir daran zu denken, dass ich entscheide, wer von diesem Gespräch erfährt." Das war zu erwarten gewesen. „Die liebe Thalia hat Angst, dass jemand von dem Gefühlschaos in ihr erfährt?" Sie funkelte mich böse an, ich nahm es jedoch als gutes Zeichen, dass meine Nase noch ganz geblieben war. Solche Scherze gegenüber ihr können durchaus schmerzhaft enden... und das ganz sicher nicht für sie. „Ja klar. Ich will ganz sicher nicht von dir gegrillt werden." Sie lächelte zufrieden und wir trennten uns.
Ich möchte mich hier vorbeugend nochmal entschuldigen. Das ist nicht die Art, wie ich Thalia aus heutiger Sicht weiterspinnen würde, aber leider kann ich nichts mehr daran ändern, weil ich zu viele Kapitel mit dieser Variante geschrieben habe.
Thalia pov
Ich wurde von einem Klopfen geweckt. Ich brauchte einige Augenblicke um zu realisieren, dass wir heute dieses Lager, Hail Zeus pinke Unterhose, für einige Tage verlassen könnten. Also zog ich mich schnell an, legte meine Waffen, wenn man diese Armreifen so nennen konnte, an und trat aus dem Zelt. Zuerst blinzelte ich von dem grellen Sonnenlicht geblendet, dann sah ich Frank vor mir stehen. Er hatte sich offenbar bereits verabschiedet, zumindest waren seine Wangen etwas gerötet und es gab eine Stelle, an der es noch deutlicher war.
Das erinnerte mich wieder an unser Gespräch vom Vortag. Es hatte mir gut getan, mit jemandem darüber zu reden und Frank schien mich auch zu verstehen. Ich hätte mich natürlich auch an Piper wenden können, aber die Wahrscheinlichkeit, dass es morgen noch jemanden im Lager gab, der nichts davon wusste, dass auch Punk-Thalia sich nach Nähe von Anderen sehnte, wäre mir bei weitem zu gering gewesen. Auch wenn ich es mir nicht gut tat, ich dachte häufig an Luke. Ob ich ihn noch immer liebte, konnte ich nicht sagen, aber genau darüber dachte ich noch sehr viel nach. Antworten hatte ich trotzdem noch nicht gefunden.
Ich versuchte diese Gedanken zu verdrängen und wandte mich wieder der Realität zu. Ich versuchte zu ergründen, wie Frank diese Klopf-Geräusch gemacht hatte und mein Blick fiel auf einen Holzklotz in seiner Hand. Er hatte sich eindeutig viel Mühe gegeben, nicht mein Zelt betreten zu müssen während ich schlief. Auch wenn ich vermutete, dass das größtenteils aus Selbstschutz geschehen war, war ich ihm dankbar für diese Geste. Er vermutlich auch... Nein, ich bin nicht tot... wirklich, mich gibts noch und ich bin am Leben. Und du hast recht, Thals, Frank hat nicht gerne eine Delle im Gesicht...
Er sagte mir, Hazel würde den anderen Bescheid geben. Was mich wieder zu... AUFHÖREN! Wir gingen durch das Lager zum Nordrand, in diese Richtung lag unsere erste Mission, und sahen von dort aus über die flache Umgebung. Unsere Missionen wären an sich nicht schwierig. Es ging nur um ein paar Versorgungskonvois, die wir überfallen sollten, damit das Imperium weniger Nachschub bekäme. Das Problem würde einzig und allein darin bestehen, Menschen und Urgals zur Zusammenarbeit zu bewegen.
Ein Blick gen Himmel verriet mir, dass bereits fast Mittag war. Rorans Trupp hatte also gut drei Stunden Vorsprung, zu Pferden. Ich warf ihm einen fragenden Blick zu, er nickte und wir liefen los. Gepäck hatten wir uns gänzlich gespart, da wir auch ohne klar kamen und es sich bequemer reiste, wenn man keinen Lederbeutel über dem Rücken hat. Solche praktischen Exemplare, die genau für den Rücken einstellbar waren, gab es hier nicht und wir durften ja nicht auffallen. Kann mich mal, nur deshalb darf ich die ganzen Idioten hier nicht rösten.
Nach gut einer Stunde, die wir fast im Vollsprint rannten, konnten wir am Horizont eine Staubwolke ausmachen. Vermutlich die Gruppe nach der wir suchten. Als Jägerin hatte ich gelernt, wie man von solchen Zeichen die ungefähre Anzahl an Monstern oder in diesem Fall Reitern ausmachen konnte. Sehr nützlich und die Anzahl passte in diesem Fall zufällig ungefähr zu den gut dreißig Mann, die auf diesen Einsatz gehen sollten.
Nach einer weiteren Stunde waren wir noch kaum eine Meile entfernt. Da könnt ihr euch mal unser Tempo vorstellen. Wir hatten zu Fuß in zwei Stunden eine Entfernung zurückgelegt, für die ein Tross Reiter fünf Stunden brauchte... und wir waren nicht nennenswert außer Atem.
Roran ritt zum Glück am Ende der Gruppe und so konnten wir ihm zuerst Bescheid sagen, dass wir jetzt auch da waren, und uns dann der Gruppe anschließen. Mit ihm verstand ich mich recht gut. Er hatte das selbe Interesse an politischer Höflichkeit und war genauso bereit wie ich, Idioten, die es übertrieben, eins auf die Zwölf zu verpassen.
Dafür hatte er schon in seinem Dorf damals, Carvahall, den Namen ‚Hammerfaust' bekommen und hier so sehr bestätigt, dass selbst die Urgals ihn damit anredeten. Jetzt saß er allerdings sehr vorsichtig auf seinem Pferd, da seine, eigentlich absolut unverdiente, Strafe nur wenige Tage her war. Er hielt sich allerdings wacker und das nicht nur wegen dem bisschen Extrabehandlung, das wir von Nasuada rausgehandelt hatten. Ich bezweifle, dass es, von Perce einmal abgesehen, viel menschliche Wesen gab, die nach fünfzig ver-DAMM-ten Peitschenhieben bereits einige Tage später wieder aufrecht sitzen geschweige denn reiten könnten.
Er begrüßte uns mit einem Kopfnicken und einem grimmigen Lächeln. Dann wandte er sich wieder nach vorne. Zum Hades... nein, auf den flucht man nicht, bei Zeus und Hera verflucht noch mal, er hatte diese Strafe nicht verdient. Ich konnte nicht so gut heilen wie Will aber seit ich eine Urgöttin war, konnte ich zumindest die Grundlagen. Ich wirkte einen schwachen Heilzauber, der die Wundheilung beschleunigt. Mir doch egal, ob ich das durfte oder nicht. Die Striemen durften eigentlich nicht geheilt werden, aber ich sagte mir, eigentlich hätte er sie garnicht erst bekommen sollen und ich half lediglich seinem Körper, damit fertig zu werden.
Als wir am Abend Rast machten, traf ich einen kleinen Entschluss. Ich würde auf diesem Einsatz üben, ohne Schlaf auszukommen. Theoretisch brauchte ich ihn nicht und so konnte ich auch verhindern, dass einer der Soldaten auf dumme Ideen käme. Als alle um das Lagerfeuer saßen, rief ich deshalb in die Runde: „Ich übernehme die Nachtwache für diese Nacht... Vollständig!"
Daraufhin wurde zuerst einiger Protest laut. Es kostete mich einige Konzentration, nicht jedem, der den Satz, „Sie ist nur eine Frau, als könnte sie wirklich aufpassen", brachte, mindestens fünf Knochen zu brechen. Schädeldecke, Genick, Rechter Arm, Beide Beine, nicht so was einfaches wie die Nase. Zum Glück, für die Soldaten, stoppte Roran diese Geduldsprobe nach einigen Sekunden. „Die meisten von euch habe sie auf dem Schlachtfeld der brennenden Steppen gesehen. Auch habt ihr gesehen, dass sie uns zu Fuß eingeholt hat. Denkt ihr wirklich, ihr könntet besser Wache halten als Thalia?" Auf seine raue und strenge Stimme folgte betretenes Schweigen. Das war Antwort genug.
Am Abend setze ich mich auf einen flachen Stein, der am Rand des Lagers lag, und sah in die Nacht. Ich konnte auch in solcher Dunkelheit problemlos sehen. Das Nachtlager bestand eigentlich aus dreißig Männern, welche sich ein Wams oder ähnliches unter den Kopf geschoben hatten. Frank legte sich ebenfalls hin, schlug seinen Schlafplatz aber etwas abseits auf, da er hoffte, so würde niemandem auffallen, dass das Wams unter seinem Kopf in Wirklichkeit ein Daunenkissen war. Bequemlichkeit geht vor!
Ich machte mir die ganze Nacht Gedanken über ein Thema, welches ich eigentlich ignorieren wollte. Leider gelang es mir nicht. Percy, und eigentlich auch die anderen Jungen in unserer Gruppe, Leo mit einem großen Fragezeichen dahinter, hatten mir bereits gezeigt, dass Männer nicht immer nur schlecht sind und so dachte ich weiterhin hauptsächlich über Luke nach. Ich hatte außer ihm nie einen einigermaßen freundlichen, von der anfänglichen Ergebenheit gegenüber Kronos einmal abgesehen, Jugendlichen getroffen, der nicht inzwischen glücklich in einer Beziehung war.
Leider oder zum Glück wurden meine Überlegungen irgendwann Von einem leisen Klirren unterbrochen. Ich fluchte in mich hinein. Ich hatte während meiner Überlegungen meine Umgebung vergessen. Ich spähte in die Dunkelheit und erkannte etwa ein Dutzend Männer in Rüstungen, welche Galbatorix Wappen auf der Brust trugen. Großartig. Offenbar waren wir etwa so lange unentdeckt geblieben, wie wir freundliche Worte ausgetauscht hatten. Garnicht!
Ich seufzte und ließ meinen Bogen dann erscheinen. Dabei gab ich mir alle Mühe, das silbrige Funkeln, welches er normalerweise absonderte, zu unterdrücken. Ich wollte ihnen nicht zeigen, dass ich sie entdeckt hatte. Wenn die Ziele wild umher rennen, ist es schwerer, mehrere auf einmal zu treffen. Ich ließ einen Hydra-Pfeil an der Sehne erscheinen und schoss. Lautlos wurden die Soldaten gefesselt und ehe sie rufen konnten auch geknebelt und dann von den magischen Schnüren in eine gerade Reihe aufgestellt. So konnte ich Pfeile sparen.
Dieses Mal ließ ich einen besonders schweren Pfeil an der Sehne erscheinen und schoss mit extra viel Kraft. Der Pfeil durchbohrte elegant alle zwölf Brustkörbe, wie blöd muss man auch sein, in einer solchen Reihe zu stehen, und fiel mit einem dumpfen Rumms in die Erde dahinter. Man merkt vielleicht, dass ich zur Zeit etwas direkter zur Sache gehe, wenn ich es mit Männern zu tun habe.
Ich drehte mich wieder um und blickte über die schlafenden Krieger. Meine Gedanken kehrten, auch wenn ich versuchte es zu verhindern, zu Luke zurück. Trotzdem kam ich zu keinem Ergebnis. Meine Gefühle Luke gegenüber waren so komplex, dass es mehr als eine Nacht brauchen würde, ehe ich sie durchblickt hätte.
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6282 Wörter
Vielen Dank fürs Lesen. Ich hoffe, es hat euch gefallen. Unabhängig davon freue ich mich über jeden Vorschlag zur Verbesserung.
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