Kap. 35 Es gibt Probleme. Meine schuld ist das nicht!
Percy pov
Seit Nasuada im Namen der Varden dem Bündnis mit den Urgals zugestimmt hatte, waren beide Seiten zuerst sehr misstrauisch. Die Urgals legten dies ab, nachdem ihr Anführer, Nar Garzvogh, ihnen offenbar klar gemacht hatte, dass sie sowieso nicht mehr tun konnten. Die Tatsache, dass in den ersten zwei Wochen keine Unfälle zu Stande kamen, sorgte dafür, dass das Misstrauen auch auf beiden Seiten schwand.
Bei den Menschen dauerte es jedoch viel länger. Sie hielten sich zwar an die von Nasuada festgelegten Regeln, aber wirklich vertrauen taten sie ihnen nicht. Sie hatten nunmal nicht gesehen, was Eragon gesehen hatte, und wussten nicht, was wir wussten.
In den gut zwei Wochen, die die Kull inzwischen direkt angrenzend an unser Lager kampierten, war ihre Anzahl deutlich gestiegen und es hatten sich auch normale Urgals dazu gesellt. An diesem Morgen wachte ich, wie immer, glücklicherweise, neben Annabeth auf und überlegte, ob an diesem Tag etwas wichtiges anstand. Leider geschah dieses Aufwachen nicht von selbst, sondern wegen irgendwelchem Geschimpfe im Lager. Offenbar gab es etwas wichtiges.
Ich stand auf und es stellte sich heraus, dass das eine gute Idee gewesen war. In meinen Augen eher eine Ausnahme, aber gut. Gerade als ich aus dem Zelt trat um mich ausgiebig zu strecken, kam einer dieser Botenjungen auf mich zu. Er verbeugte sich und ich rollte die Augen. Selbst wenn sie nicht wussten, dass ich eigentlich der Herrscher des Universums bin, komme ich nicht um sowas herum. Liebes Schicksal, was habe ich dir getan? Jedenfalls, als er wieder aufrecht stand, nickte ich ihm einmal zu und er rief eifrig: „Die Herrin bittet um eure Anwesenheit im Kommandozelt!"
Und mit diesen Worten drehte er sich auch schon um und lief in Richtung des Urgallagers. Ob das etwas mit dem Lärm zu tun hatte, der mich aufgeweckt und von dem ich im Schlaf gespürt hatte, dass er da war? Ich war noch zu müde um aktiv zu versuchen, es in Erfahrung zu bringen und drehte mich deshalb um, um ins Zelt zurück zu gehen.
Ich gab meinem Neunmalklug einen Kuss, der sie lächelnd aufwachen ließ, und gab ihr die Info des Boten weiter. Sie murrte etwas, stand aber ebenfalls auf. Hand in Hand liefen wir zur Mitte des Lagers, kamen allerdings nicht weit, denn es stellten sich uns eine Gruppe komisch aussehender Leute in den Weg.
Ein Blick auf gedanklicher Ebene verriet mir, dass es sich um die sich selbst für wahnsinnig mächtig haltenden Magier der Du Vrangr Gata handelte. Na toll. Damit durfte ich jetzt einige Sekunden oder Minuten meines kostbaren Lebens verschwenden, kein Kommentar über Unsterblichkeit. Merkt man wie ich mich freue? Sehr schön.
„Ich bin Trianna und möchte euch ein Angebot machen. Tretet unserer Magiergilde bei. Es ist für beide Seiten ein Gewinn." Annabeth versuchte ein Lachen zu unterdrücken und hakte nach: „Inwiefern?" Die Zauberin starrte sie scheinbar gekränkt an. „Ihr kennt einige Magie, von der wir nichts wissen. Im Gegenzug haben wir Erfahrung und hilfreiche Ratschläge, während ihr noch jung und unerfahren seid."
Ich konnte mich nicht halten und prustete los. Annabeth wollte mir einen strengen Blick zuwerfen, scheiterte aber und fing ebenfalls an, loszuprusten. Die schon zuvor unzufriedene Miene der Geisterbeschwörerin wurde noch beleidigter. „Darf man erfahren, was so komisch ist?" Annabeth bekam sich als erste wieder in den Griff und antwortete, wenn auch unter gelegentlichem prusten, „Wir haben deutlich mehr Erfahrungen, als ihr denkt." Diese Worte schienen sie ziemlich aufmerksam zu machen.
Dann begingen sie einen großen Fehler. Sie versuchten in unseren Geist einzudringen. Wie schon bei Eragon landeten sie in einzelnen voneinander abgeschotteten Blasen. Ich vermutete, dass sie gerade versuchten, ihre Geister zu befreien, sollte das allerdings der Fall sein, waren ihre Angriffe so schwach, dass ich es nicht mitbekam. Bei Eragon hatte ich zumindest mitbekommen, dass er versuchte sich freizukämpfen, auch wenn er keine Chance gehabt hatte.
Annabeth grinste mich an. Offensichtlich war bei ihr genau das selbe passiert. Dann nickte sie aufmunternd und ich warf die wie angewurzelt dastehenden Kasper aus den Blasen. Sofort sackten sie in sich zusammen und keuchten auf. „Was war das? Ihr hattet doch garkeine Schutzwälle!" Fragte einer von ihnen verwirrt. „Nicht jeder zeigt seine Schutzmaßnahmen so offen wie ihr. Wie schon gesagt, Erfahrung. Versucht ihr das nochmal, lassen wir euch das nächste Mal erst später oder garnicht raus. Verstanden?"
Sie nickten hastig und zerstreuten sich schnell. „Na das war mal ein Spaß", brummte ich und wir gingen weiter zu Nasuadas Zelt. Langsam wurde wirklich klar, warum die Varden so dringend Magier brauchten.
Arya, Eragon, Jörmundur, Orrin, Glandallin, einer der wenigen Zwerge, die noch im Lager geblieben waren, Nar Garzvogh und natürlich Nasuada selbst waren bereits vertreten. „Wo habt ihr so lange gesteckt?" War ihre höfliche Begrüßung. „Tut uns leid, aber wir wurden etwas aufgehalten. Eure Magier dachten, sie könnten einfach in unseren Geist eindringen um neue Zauber zu lernen und wir mussten sie höflich darauf hinweisen, dass das keine gute Idee ist", rechtfertigte sich Annabeth und malte mit den Fingern Anführungszeichen um das Wort ‚höflich' in die Luft. Auf diese Information hin grinste Eragon und auch Arya's Mundwinkel zuckten verdächtig. Vermutlich hatte Eragon ihr erzählt, wie sein Versuch damals verlaufen war.
Jetzt klang Die Anführerin der Varden etwas besorgt. „Aber es wird keine dauerhaften Schäden geben, oder?" Jetzt lachten wir vier und ich meinte nur: „Nicht in die Richtung, die ihr meint. Sie werden es nur nicht nochmal versuchen, so naiv sind sie nun auch wieder nicht. Körperlich haben wir ihnen aber nichts getan, auch wenn sie es verdient hätten." Sie nickte zum Zeichen, dass sie verstanden hatte und es billigte.
„Ich habe euch aus zwei Gründen gerufen", wechselte sie ohne viel Übergangsgerede das Thema, „Der erste ist der, dass die Zwerge inzwischen mit den Verhandlungen über ihren neuen König begonnen haben. Dafür möchte ich dich, Eragon, bitten, nach Farthen Dûr zu reisen und der Versammlung beizuwohnen. Wir können es uns nicht leisten, die Zwerge als Verbündete zu verlieren.
Das wird aber passieren, wenn ein Herrscher gewählt wird, der uns nicht so wohlgesonnen ist. Ihr, Percy und Annabeth, habt euch bereit erklärt, für Eragon die Leibgarde zu stellen. Wenn möglich sollten bitte zwei von euch unseren Reiter hier begleiten. Es gibt unter den Zwergen durchaus einige, die die Reiter soweit hassen, dass sie zu Angriffen oder ähnlichem voranschreiten würden. Wie leider in eigentlich jedem Volk. Soweit ich das mitbekommen habe, seid ihr so gut im Kämpfen, dass ihr das relativ sicher übernehmen könnt."
Ich blickte Annabeth einmal an und wusste, dass wir der selben Meinung waren. „Klar. Wir haben hier sonst sowieso nichts zu tun." - „Sehr schön. Leider kann Saphira nicht mitkommen. Wir brauchen sie hier um das Lager zu verteidigen, sollten Murtagh und Dorn oder die Truppen des Königs uns angreifen. Es tut mir leid, Eragon, aber es geht nicht anders." Von draußen ertönte ein wütendes Brüllen. Saphira schien nicht einverstanden zu sein.
Die nächsten Minuten schaltete ich ab, da sie nur damit verstrichen, Saphira davon zu überzeugen, dass es notwendig sei, nichts passieren würde und ebenfalls eine wichtige Erfahrung für Drache und Reiter ist. Ich schnitt das genaue Gespräch erst wieder mit, als Saphira schließlich in unser aller Gedanken ein ergebenes Seufzen ausstieß, noch für uns hörbar, und sagte, „Es gefällt mir trotzdem nicht, aber wenn ihr es für zwingend nötig haltet, werde ich mich nicht weiter dagegen äußern, als ich es bisher getan habe." - „Danke, das weiß ich zu schätzen. Jetzt, wo das geklärt wäre, kommen wir zu unserem zweiten Punkt", fuhr Nasuada ohne Pause fort und ihr Gesicht verdüsterte sich. Beides Anzeichen für Stress und somit ein heikles Thema.
„Vielleicht habt ihr es mitbekommen. Es gab einige Probleme mit den Urgals. Heute Nacht hat sich einer unserer Leute in ihr Lager geschlichen und drei von ihnen getötet. Heute Morgen hat er sich dann damit gebrüstet, als hätte er eine Heldentat vollbracht. Eure Leute, Garzvogh, sind darüber verständlicherweise wütend. Bei einer Befragung hat dieser Mann, Othmund, ausgesagt, er hasse euch Kull, euch Urgals, euch alle. Auf die Frage warum hat er nicht mehr geantwortet als dass sie das sind, was sie sind. Urgals."
Während alle über dieses Thema nachdachten, sagte Garzvogh: „Drajil!", Madenbrut in unserer Sprache, „Wären wir an dem Verlust eines seiner Angehörigen schuld, könnten wir soetwas verstehen. Rache ist uns kein fremdes Gefühl. So aber... Meine Leute werden ihn nicht ungeschoren davon komme lassen. Da können so viel sagen, wie Ihr wollt." - „Ihr habt recht Garzvogh. Wenn es eine Racheaktion gewesen wäre, wäre es nachvollziehbar, wenn auch nicht schön. Was gedenkt ihr zu tun, Nasuada?", fragte ich. „Du kannst ja sogar höflich sein. Beeindruckend", bemerkte Annabeth spitz in meinen Gedanken.
Nasuada hob das Kinn. „Ich werde das durchsetzen, was ich am Anfang angedroht habe. Ich kann und ich werde es nicht tolerieren, dass jemand sich so verhält, als würden ihn Regeln nicht betreffen. Othmund erwartet der Galgen." Ich wusste, dass sie recht hatte und schwieg. „Ihr stellt das Leben eines unsere Krieger über die Urgals?" beschwerte sich Orrin.
In einem unglaublich scharfen Ton, der selbst Annabeth fast Konkurrenz machte, kam Nasuada dem anwesenden Kull zuvor. „Haltet euch zurück, Orrin. Erstens stelle ich sie nicht über unsere Krieger sondern gleich mit ihnen. Zweitens habe ich den Urgals versprochen, dass wir zusammenarbeiten. Mord ist keine Zusammenarbeit. Wir brauchen Eure Leute, Garzvogh, und wenn wir Othmund davonkommen lassen, wird soetwas immer häufiger vorkommen. Habt ihr einen sinnvoll begründbaren Einwand?"
Man sah dem Monarchen an, wie gerne er etwas gesagt hätte, aber der sinnvoll-Teil nahm ihm den Wind aus den Segeln. Deshalb gab er sich mit grummeln zufrieden. Die Anführerin der Varden sah herausfordernd in die Runde und als keiner mehr etwas vorzubringen hatte, nickte sie und wechselte wieder das Thema. „Hoffen wir, dass das reicht.
Was eure Reise angeht, ihr werdet bereits heute loslaufen. Dass ihr solche Strecken bewältigen könnt, habt ihr bereits bewiesen. Es wäre von Vorteil, wenn ihr irgendwie verstecken würdet, dass Eragon nicht bei uns sein wird. Sonst könnten sie versuchen, uns anzugreifen." - „Sollten sie es doch versuchen", murmelte ich in meinen nicht vorhandenen Bart und kassierte dafür einen Hieb mit dem Ellenbogen in die Rippen.
Ehe jemand nachfragen konnte, ergänzte ich: „Hazel kennt sich hervorragend mit Illusionen und ähnlichem aus. Es dürfte nicht allzu schwer werden, ein überzeugendes Trugbild zu erzeugen. Inklusive einer vorgetäuschten Materie und Geist."
Jetzt starrten uns immernoch und noch mehr als zuvor alle an. Offensichtlich hatte jeder von ihnen zumindest theoretische Grundkenntnisse in der Magie. Erst da fiel mir ein, dass es schon schwer war, überhaupt eine Illusion zu erschaffen. Je mehr Details sie haben sollte, desto anstrengender wäre es. Auch wenn wir nur Saphira darstellen mussten, waren Kleidung und körperliche Details, besonders bei Lebewesen, sehr schwierig.
Materie zu imitieren ist noch viel schwerer. Selbst Eragon könnte das nur in einem sehr kleinen Ausmaß. Der letzte Teil, einen eigenen Geist mit Persönlichkeit, war in dieser Welt eigentlich unmöglich. Nicht einmal Galbatorix könnte soetwas. Aber wir waren eben nicht Galbatorix.
Neben mir schlug sich Annabeth vor die Stirn und danach mir erneut gegen die Rippen. „Erfolgreich gescheitert, Algenhirn. Wir wollten zumindest nur begrenzt auffallen, aber du musst es mal wieder übertreiben."
Apropos scheitern, ich scheiterte an einem unschuldigen Lächeln, sowohl weil ich absolut nicht unschuldig war, als auch weil Annabeth ziemlich fest zugestoßen hatte. Arya und Eragon murmelten gleichzeitig etwas von: „Warum bin ich immernoch überrascht von sowas? Ich sollte es doch inzwischen besser wissen."
Der Zwerg, Glandallin, murmelte etwas, dass nach meinem Lebensmotto klang: „Einfach nicht darüber nachdenken." Alle anderen sagten nichts, bis Nasuada schließlich sagte: „Nun gut, da wir alle wissen, dass ihr sowieso nichts erklären werdet, können wir es auch einfach dabei belassen." Ich vermute, sie wollte noch etwas sagen, aber unser ach so verehrter König unterbrach sie. „Warum eigentlich? Warum, wenn ihr angeblich unsere Verbündeten seid, haltet ihr so viel Geheimnisse vor uns zurück?"
Was genau hatten wir ihm eigentlich getan, dass er das Ziel seiner Regentschaft in unsere Genervtheit gesetzt hatte? Also außer ihm in jedem zweiten Satz zu widersprechen. Ich wusste, dass man bei dem Blick, den ich ihm jetzt verpasste, das Gefühl hatte, man würde gedanklich durchbohrt werden. Annabeth hatte es mir einmal nebenbei gesagt, den Wolfsblick hatte sie es genannt, und Eragon nach einer Dummheit seinerseits. Er war dabei noch von einem leichten Zitteranfall geschüttelt worden.
„Weil, wie ich Euch schonmal gesagt habe, keiner Eurer Magier, vermutlich nichtmal Galbatorix, etwas mit dieser Form der Macht anfangen könnte. Des Weiteren könnt Ihr nicht ernsthaft erwarten, dass wir jedem, dem wir zufällig über den Weg laufen, jedes Geheimnis erzählen, dass wir kennen. Deshalb und aus dem Grund, dass es Euch auch nichts angeht, was wir warum können. War das Begründung genug?"
Meine Worte hatten eindeutig die gewünschte Wirkung erzielt. Der König machte sich klein, nickte und wirkte bei weitem nicht mehr so selbstsicher wie am Anfang. Man musste nur etwas Selbstvertrauen und Macht in die Worte legen und schon ging alles viel leichter. Ich brummte etwas, von dem ich selbst nicht wusste, was es bedeutete, und wandte mich dann wieder völlig freundlich an Nasuada. „Wolltet Ihr noch etwas sagen, ehe Orrin unsere Motive in Frage gestellt hat?"
Sie schüttelte den Kopf, klar überrascht von dem Wechsel, den meine Ausstrahlung jetzt zwei mal durchlaufen hatte. „Gut, dann würde ich gerne einmal mit Eurer kleinen Seherin sprechen. Unter vier beziehungsweise sechs Augen."
Sie blickte mich verwirrt an, nickte dann aber und drehte sich zu dem Vorhang hinter ihr um. Offenbar war auch sie von der Magie der Sprache ein wenig verwirrt worden, so schnell gestattete sie selten Dinge. Sie zog ihn zur Seite und dank meiner geschärften Sinne konnte ich folgendes hören: „Elva, die beiden wollen irgendwas von dir. Hättest du ein Problem damit, wenn sie alleine mit dir sprechen wollen?"
„Nein, ich habe selbst diese oder andere Frage an sie", die traurige und trotzdem kalte Stimme von dahinter. Kurz konnte ich das Drachenmal und die lilanen Augen aufblitzen sehen. Ich bin ver-DAMM-t sicher, dass ich früher Angst vor ihr gehabt hätte. In unserer Welt wäre das immer der Anfang einer Falle gewesen. Sie war schlicht unheimlich, sodass alle meine Sinne Alarm schlugen. Nicht auf diese Art, auf die Ares unheimlich war, relativ stark, brutal und unberechenbar, sondern in irgendeiner Art eher wie Chaos. Man wusste, dass sie mächtig war und undenkbare Gaben hatte, aber von außen sah sie nicht so aus. Sie vermittelte lediglich das entsprechende Gefühl.
Während die andern, Nasuada eingeschlossen, das Zelt verließen, gingen Annabeth und ich in den hinteren Teil. Annabeth wirkte schnell einige Zauber, die verhinderten, dass uns jemand belauschen könnte. Danach setzten wir uns vor die kleine. Sie sah aus wie etwas über acht Jahre, war aber in Wirklichkeit kaum zwei.
Sie war als kleines Kind in Farthen Dûr von ihrer Amme zu Eragon gebracht worden, mit der Bitte, er möge sie segnen. Eragon hatte damals nicht wirklich gewusst, was das bedeutete und so war sein grammatisch leicht fehlerhafter Satz nur den Worten gefolgt. Statt dass das Leid ihr fern bliebe, folgte ihr nun das Leid Aller. Sie spürte immer, teilweise bevor es geschah, wenn irgendwo Schmerzen oder Leiden verursacht wurden. Woher es auch kommen mochte, die fehlgeschlagene Segnung hatte noch dazu den Nebeneffekt, dass ihr ein enormer Zwang auferlegt war, jedem zu helfen, von dem sie solche Dinge spürte.
Diese Fähigkeiten machten sie auf der einen Seite unglaublich wertvoll und nützlich, ob gleich eigentlich kaum mehr als zwei Jahre alt, aber auf der anderen machte es sie gefährlich, wie schon gesagt, unheimlich und nicht selten kam es vor, dass sie „Hexenkind" genannt wurde. Eine Bezeichnung, die ich für absolut ungeeignet hielt.
„Elva, richtig?" Sie nickte bestätigend. „Percy und Annabeth, wenn ich das aus diesen Gesprächen",sie deutete hinter uns, „richtig mitbekommen habe. Ihr und eure Freunde seid die einzigen, bei denen mein Fluch nicht so einfach funktioniert." Nun unterbrach Annabeth sie. „Eragon hat den Teil, der sich zwingt, jedem Verletzten zu helfen, doch entfernt..." Sie erntete Zustimmung.
„Gut, dann hör auf es als Fluch zu sehen. Sieh es als Gabe. Kaum jemand kann auf diese Weise Gefühle lesen und die Zukunft sehen. Wenn du es nicht mehr als Strafe sondern als das siehst, was es ursprünglich hatte sein sollen, einen Segen, kannst du erstens besser damit leben und zweitens den Groll ablegen, den du trotz der Entfernung des Zwangs durch Eragon noch in dir trägst."
Sie musterte uns abschätzend. „Du weißt wovon du sprichst", stellte sie trocken fest. Ich stieß ein wenig amüsiertes Husten aus. „Wir haben etwas, dass sich mit der missglückten Segnung vergleichen lässt von Geburt an gehabt. Das hat unsere Lebenserfahrung auf fünfzehn gesenkt, auch wenn die meisten in unserer Welt über siebzig Jahre alt werden." Sie musterte uns zweifelnd. „Mit solchen Schmerzen?"
Ich schüttelte den Kopf. „Nicht mit allen auf einmal. Dafür ging es jedes Mal um uns selbst oder unsere Freude, nicht um Fremde." Die Kleine legte den Kopf schief und bedeutete uns mit einer Hand, zum Thema zu kommen. Offenbar wollte sie nicht weiter darüber reden.
Und so folgten wir dieser Aufforderung. „Die Art, auf die Eragon seinen Zauber gewirkt hat, macht es dir vielleicht sogar möglich, das deine Gabe auch bei uns funktioniert. Wenn wir wollen, könne wir das verhindern, aber es kann immer passieren, dass wir nicht daran denken. Das jetzt ist keine Drohung sondern ein Tipp. Versuch es erst garnicht. Was du sehen würdest...", ihre Stimme versagte, wie so oft, wenn einer von uns an den Tartarus dachte.
Ich sprang schnell ein. „...was du sehen würdest, wären Schmerzen, wie du sie selbst während der Schlacht auf den Steppen nicht gespürt hast. Vielleicht nicht mehr als du insgesamt erleiden musstest, aber weit mehr als selbst du in einem Moment ertragen könntest." Mein Neunmalklug hatte offenbar ihre Stimme wiedergefunden. „Du würdest vermutlich entweder wahnsinnig werden oder von innen zerrissen werden, bis dein Geist dem Druck von innen nicht mehr stand hält. Selbst wenn du weitestgehend ohne dauerhaft Schäden durchkommst, wird das dir jegliche Verbleibende Lebensfreude nehmen. Deshalb, versuch es erst garnicht. Um deiner und um unseres Willen", führte Annabeth unseren Gedankengang aus.
Sie sah uns an, erkannte jedoch, dass wir es ernst meinten. „Schön. Ich glaube euch den zweiten Teil lieber. Ich bezweifle trotzdem, dass es etwas geben kann, das schlimmer ist, als das Leid hunderter, tausender oder zehntausender Krieger zur selben Zeit." Annabeths trockene Antwort kam sofort danach.
„Stell dir die Hölle vor. So schlimm wie nur irgend möglich. Multipliziere diese Schrecken mit hundert und du erhältst einen groben Ansatz davon, was wir über mehr als eine Woche hinweg ertragen mussten." Es war offenkundig, dass das kleine Mädchen gerne nachgefragt hätte, aber Annabeths düstere Gesichtszüge genügten, um sie davon abzuhalten. Selbst so viel Schmerz hatte sie nicht so sehr abgestumpft, dass sie keine Empathie mehr empfinden konnte, ein Umstand, der durchaus einiges an Respekt verdiente. Die Leiden aus dem Tartarus waren nämlich noch immer klar wie am ersten Tag. Seit der Schlacht um die Zauberschule hatten wir etwas emotionalen Abstand gewonnen, aber der Schmerz blieb.
„wie ihr wollt, ich versuche es nicht. Ihr klingt sowieso, als würde überhaupt der Versuch zu anstrengend werden, selbst wenn ihr nicht aufpassen solltet. Es kostet schon genug Kraft, bei all dem Leid in diesem Lager nicht vollends zusammenzubrechen. Das ist auch der Haupt-, nein, der einzige Grund, der mich überhaupt noch hier hält. Ich will, dass dieser Krieg endet." - „Viel mehr wollen wir auch nicht. Vielleicht noch, dass der König am Ende tot ist, aber sonst genauso."
Danach kamen wir auf einfachere Dinge zu sprechen. Wir wollten das Mädchen mit dem Drachenmal besser kennenlernen und sie hielt die Neugier fest.
Es war im Prinzip so, wenn wir wollten, hätten wir die gleichen Dinge wahrnehmen können, wie sie, aber sie war dazu gezwungen. Wir konnten dies willentlich ein- und ausschalten, sie wurde permanent von diesem Leid verfolgt. Nur dieser Umstand, keine Wahl zu haben, war es, der ihr so viele Schmerzen bereitete.
Offenbar waren unsere Worte vom Anfang aber nicht völlig wertlos gewesen, selbst wenn sie uns abgewürgt hatte. Am Ende meinte sie nämlich trotzdem: „Vielleicht habt ihr recht. Es ist nicht nur ein Fluch. Ich mag dazu gezwungen sein, alles Leid um mich herum wahrzunehmen, aber es hat auch seine Vorteile. Niemand kann mich zu irgendetwas zwingen, ohne dass ich seine Seele binnen Sekunden in den Boden stampfen kann. Ich gehöre zu den wenigen Frauen in unserem Volk, die ihr Schicksal selbst in der Hand haben und werde mein bestes geben, das in Zukunft im Hinterkopf zu behalten."
Annabeth schmunzelt. „Nicht schlecht, kleine Seherin. Du lernst schnell, aus dir kann mal was werden." Die kleine grinste schelmisch und einen Moment lang sah man wieder, dass sie eigentlich noch ein kleines Kind war.
Danach verabschiedeten wir uns auch wieder, da wir eine halbe Stunde später mit Eragon zu den Zwergen loslaufen wollten. Knackiger Zeitplan eben. Ein Glück, dass wir nichts packen mussten. Trotzdem warfen wir uns zwei mittelalterlich aussehende Rucksäcke über den Rücken, denn ich hatte keine Lust, Eragons Fragen zu beantworten, wenn wir plötzlich andere Kleidung anhatten oder Eier und Nudeln aus dem nichts erschufen. Zuerst gingen wir allerdings zu Hazel. Auch wenn wir es selbst tun hätten können, aber es wäre eine Respektlosigkeit ihr gegenüber gewesen. Der Nebel gehört in ihren Machtbereich und somit sollten wir uns damit auch an sie wenden, sofern das keine zu großen Umstände machte.
---------------------------
3532 Wörter
Vielen Dank fürs Lesen. Ich hoffe, es hat euch gefallen. Unabhängig davon freue ich mich über jeden Vorschlag zur Verbesserung.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top