Kap. 34 Charakterwandlungen

Arya pov

Was ist nun wieder los? Der schüchterne Bauernjunge, der nichtmal lesen kann, ist erstmal zu einem noch immer recht unsicheren jungen Drachenreiter geworden, der in Farthen Dûr trotzdem einen Schatten getötet hat. Auch wenn er verständlicherweise nicht im Mittelpunkt stehen mag und deshalb immer sagt, ohne meine und Saphiras Hilfe wäre das nicht möglich gewesen, war er es, der den tödlichen Schlag ausgeführt hat.

Als wir nach du Weldenvarden aufgebrochen sind, wurde er von Durzas Fluch heimgesucht. Trotzdem hat er sein bestes gegeben und weitergemacht. Weniger hatte man nicht von ihm erwartet, aber mehr hätte man auch nicht von ihm erwarten können.

Oromis und Percy haben ihn zu einem Krieger gemacht, der nicht kämpft, weil er will, sondern weil er muss. Eines der Dinge, die ich besonders an ihm schätzte. Auch lässt er, das geht damit Hand in Hand, Gnade walten, statt Rache und vorbeugenden Schutz. Ein anderer hätte die Bogenschützen, die uns bei unserer Ankunft beschossen haben, hinrichten lassen. In irgendeiner Form steckte schon jetzt die Liebe zu allem Leben in ihm.

Trotzdem fehlt es ihm häufig noch an Selbstvertrauen und Willenskraft. Dem Blick von anderen hoch gestellten Personen konnte er nie besonders lange stand halten und er gab sich häufig die Schuld für Dinge, mit denen er nichts zu tun hatte, nur weil er vielleicht in der Lage gewesen wäre, die Beteiligten zu retten. Der zweite Punkt ist immernoch so. Ich bezweifelte, dass er sich aktiv bearbeiten lässt.

Es ist ein fester Teil von ihm und lässt sich auch entsprechend schwer ändern. Dabei hilft nur Lebenserfahrung und im Vergleich zu ihm war selbst ich schon recht alt. Das erste Problem war zumindest besser geworden. Er hatte meinem fragenden Blick standgehalten. Zwar war er noch nicht so weit, dass er diesen erwidern könnte, es war jedoch ein großer Schritt in die richtige Richtung.

Jetzt folgte ich ihm in Richtung seines Zeltes. Es war eigentlich bereits abends, aber in solchen Situationen bin ich, für eine Elfe, doch recht neugierig. Ich wollte herausfinden, was auf seiner Reise passiert war, dass er eben nicht erzählt hatte. Er hatte sofort zugesagt, als ich ihn gefragt hatte. Es schien fast, als war es ihm wichtig, sich jemandem anzuvertrauen. Es versetzte mir einen warmen Stich in die Brust, dass ich dieser jemand war.

Das war einer der Punkte, die mir noch die meisten Probleme machten. Ich war gut fünf mal älter als er und nach Maßstäben meines Volkes noch ein Kind. Trotzdem war er für sein noch recht geringes Alter recht weit fortgeschritten. Vermutlich erwachsener als die meisten Menschen mit dem doppelten Alter oder auch viele aus meinem Volk mit über fünfzig Sommern. Aber es war trotzdem einfach weniger Zeit.

Ob das daran lag, dass in der Welt außerhalb des großen Waldes viel mehr in viel kürzerer Zeit passierte, oder ob es einfach daran lag, wie und wo er aufgewachsen war, konnte man wohl im Nachhinein nicht mehr feststellen. Es machte mir mein inneres Gefühlschaos nicht unbedingt einfacher. Nach außen hin konnte ich meine emotionslose Fassade annähernd immer aufrecht erhalten, darin waren die Elfen schon fast von Geburt an sehr geübt und seit meiner Zeit in Gil'ead hatte ich diese Fähigkeit bis an die Grenze getrieben, in mir tobte trotzdem ein Sturm.

Zu dem Altersunterschied kam aber eben auch noch, dass ich über Fäolins Tod auch nach fast zwei Jahren noch nicht ganz hinweg war. So ein Loch verheilt nicht so schnell, wie man sich wünschen würde. Vor allem wenn man sich mit diesen Gefühlen von den familiären Problemen abgekapselt hat.

Leider kümmerten sich meine Gefühle nur selten um logische Aspekte. Sooft ich mir auch gesagt hatte, er würde nicht zu mir passen, sooft hatte mein Herz mir auch einen Strich durch diese Rechnung gemacht. Das Gefühl war das selbe wie früher bei Fäolin. Ich hatte bereits beim Agaetí Blödhren eingesehen, dass es sinnlos war, mich selbst anzulügen, indem ich mir sagte, alles, was ich für den jungen Reiter empfand, wäre auf freundschaftlicher Basis aufgebaut. Aber ich war trotzdem noch nicht weit genug mit den Gefühlen fertig gewesen. Ich hatte schon oft festgestellt, dass es nur selten auch nur einen der Beteiligten glücklich stimmte, wenn man sich selbst etwas vormachte.

Er hatte mir damals alle Zeit versprochen, die ich brauchte, um mich zu sammeln. Wir hatten seit der Zeremonie nur einige wenige Male über diese drei Tage gesprochen und nie und in keinem dieser Fälle waren wir auf das ‚ich brauche Zeit' oder auf einen anderen Teil dieses Gesprächs zurück gekommen. Ich glaubte, er verstand wirklich, wie schwer diese Situation für mich war.

Hervorragend! Abschweifen kann ich ganz offenbar besser als Gefühle. Als wir bei seinem Zelt ankamen, lag Saphira auf dem großen Platz davor und schien zu schlafen. Ob sie wirklich schlief oder nur hoffte, dass alle das glaubten, ließ sich schwer sagen. Im Falle von ersterem sollte man sie besser nicht wecken. Vermutlich auch im Falle von zweiterem. Ich bemühte mich also, noch leiser als normal durch die Plane zu kriechen, die ihr Reiter mir offen hielt.

„Schläft sie wirklich oder will sie nur, dass wir das glauben?" Fragte ich mit einem Kopfnicken in Saphiras Richtung, als wir beide auf seinem Bett im Zelt saßen. Er lächelte. „Guter Riecher. Sie will gerade schlafen,..." - „aber dadurch, dass permanent irgendwelche runde-und-spitze-Ohren-Zweibeiner in der Umgebung herumrennen, ist das garnicht so leicht", unterbrach die blaue Drachendame ihren Reiter mit einer Stimme, aus der sich ein ungeübter Hörer durchaus eine gewisse Genervtheit zusammenreimen konnte, Eragon und mich jedoch eindeutig darauf hinwies, dass es eigentlich vollkommen egal war.

Wir lachten einmal herzlich, was übrigens auch ein Zeichen für Verbundenheit ist. Außer Fäolin, dessen Namen ich viel zu oft nenne und mich so viel zu sehr an ihn zurück erinnere, hatte es in den letzten siebzig Jahren kaum jemand geschafft, mich zum Lachen zu bringen. Erst nachdem wir uns, teilweise aus Luftmangel, wieder beruhigt hatten, wurde ich wieder ernst. „Was hast du bei eurem Bericht ausgelassen? Und versuche lieber nicht, der Antwort wieder auszuweichen." Bei jedem anderen hätte er dies vermutlich als Beleidigung gesehen, ich hatte jedoch festgestellt, dass er von mir lieber so direkt angesprochen wurde. Zumindest ab und zu.

Er seufzte. „Muss das sein?" - „Ja! Was auch immer es ist, hattest du vor, es auf ewig in dich hinein zu fressen?" Das musste ich ja wohl gerade sagen. Aber langsam gefiel es mir auch, manchmal etwas direkter zu sein, als es bei meinem Volk üblich war. Einer der Gründe, aus denen ich Rhunön so gerne mochte. Ich musste bloß aufpassen, dass ich nicht aus versehen so mit jemand anderem aus du Weldenvarden sprechen würde. Dann wäre ich dort genauso unerwünscht wie bei meiner Mutter die letzten siebzig Jahre.

Während ich diesen Gedanken nachhing, schien der junge Reiter deutlich mit sich zu ringen. Letzten Endes stöhnte er resigniert. „Aus dem Soldatentrupp, der uns am Ende über den Weg gelaufen ist, haben sie einen losgeschickt um Verstärkung zu holen. Während sich die beiden anderen um die verbliebenen gekümmert haben, sollte ich den Fliehenden aufhalten. Als ich ihn eingeholt hatte, flehte er permanent um Gnade und nannte mich grausam, einen Mörder, ein Monster.

Die übliche Leier, aber ich hatte das Gefühl, jemanden zu töten, den man am Leben lassen hätte können. Oromis hat mir zwar die Gedanken beigebracht, wie ich für mich herausfinde, warum ich solche Kämpfe ausfechte und so, aber das macht es vielleicht einfacher, nicht aber einfach. Ich habe noch immer bei jedem Menschen, den ich töten muss, das Gefühl, etwas vollkommen Falsches zu tun. In einer Schlacht habe ich nicht die Zeit, mir darüber Gedanken zu machen, an diesem Tag jedoch schon."

Ich hatte aufmerksam zugehört. Bis dahin kam mir das noch sehr bekannt vor. Es war gut zu hören, dass er kein Vergnügen an sowas hatte. Ich hatte nicht erwartet, dass es ihm Spaß machen würde, aber es nochmals von ihm zu hören, half mir trotzdem. „Es ist zwar nicht praktisch oder angenehm, sorgt jedoch dafür, dass du niemals zu soetwas wie Galbatorix werden kannst. Aber das wäre eher ein Grund, noch mehr an Selbstsicherheit zu verlieren. Irgendetwas ist danach noch passiert!" Während meines ersten Satzes hatte er leicht die Stirn gerunzelt. Vielleicht war ein Vergleich mit dem wahnsinnigen König nicht die beste Idee gewesen.

Er ging jedoch nicht darauf ein, sondern beantwortete einfach meine zweite Aussage. Auch wenn es eigentlich noch keine direkte Frage gewesen war, forderte es trotzdem eine Antwort. „Ich darf Percy und Annabeth zum tausendsten mal danken. Sie haben mich auf einen Pfad von Gedanken geführt, der schlussendlich zu dem Ergebnis kommt, dass es nur dann schlecht und verwerflich ist, wenn ich es aus Freude tue, ohne dass es mir schlechter ergangen wäre, wenn ich diese Menschen am Leben gelassen hätte. Die Tatsache, dass ich überhaupt eine Chance habe, deinem Blick standzuhalten, kommt daher, dass ich schlicht einen Punkt weniger habe, den ich an mir bemängelt habe. Wenn du mir diesen Blick verpasst, habe ich das Gefühl, du blickst in das inneren meiner Seele. Und wenn dort dunkle Zweifel liegen, dann will ich das natürlich verhindern."

Ich lachte leise. „Das ist garnicht mal so weit von der Wahrheit entfernt. Man kann dadurch tatsächlich häufig einige Dinge über sein Gegenüber lernen." Er stimmte in das Lachen ein und fuhr dann fort. „Wie dem auch sei, ich hatte immer Angst, jemanden könnte diese Furcht in meinen Augen sehen und wollte deshalb verhindern, dass jemand intensiv danach sucht. Jetzt, wo ich dieses Zögern beziehungsweise diese Schwäche zumindest unter Kontrolle habe, weg ist sie noch lange nicht, kann ich solchen Blicken zumindest trotzen.

Ich fürchte nicht mehr, dass mein Gegenüber so eine Schwäche erkennen und ausnutzen kann. Bis ich dich oder deine Mutter in einem solchen Duell besiegen kann, wird es aber noch dauern, keine Sorge. Falls ich es überhaupt jemals schaffen sollte. Aber zumindest muss ich jetzt nicht mehr jedes Mal meinen Blick senken."

Puh. Das war fast so langatmig und detailliert gewesen, wie ich es von meinem Volk kennengelernt hatte. Dieser, fast noch Junge, lernt einfach viel schneller als jeder Elf, dem ich jemals begegnet war. Ich hatte schon bei einigen Menschen dieses Gefühl gehabt, dass sie einfach alles schneller als wir aufsaugten, aber in diesem Fall machte es meinen eigenen inneren Konflikt nur noch anstrengender. Jetzt erzählte nämlich ein Teil meiner Gedanken, dass der Altersunterschied dadurch immer schneller verschwinden würde.

„Verstehe. Ich hatte am Anfang ein ähnliches Problem. Wie du weißt, vermeidet mein Volk es unter allen Umständen, Leben auszulöschen. In einem der ersten Jahre, die ich als Botschafterin gedient habe, wurden wir von einer kleineren Gruppe Soldaten angegriffen. Von uns ist niemand verletzt worden, aber damals habe ich zum ersten Mal getötet. Die Gesichter dieser Toten haben mich nicht mehr losgelassen", eröffnete ich ihm schließlich mit einem leicht mulmigen Gefühl im Bauch.

„Genau wie bei mir..." murmelte er. „Ich habe mich damals gefragt, warum ich das ganze tue und bin, ähnlich wie du, zu dem Schluss gekommen, dass ich mir ein Ziel gesetzt habe und dieses verfolgen werde. Ich nahm mir vor, sowas nur zu tun, wenn es absolut unumgänglich ist, aber sollte dies der Fall sein, würde ich nicht davor zurückschrecken. Und daran halte ich mich seitdem." Es war lange her, dass ich zu jemandem so offen gewesen war. Der letzte war... ‚Nein, nicht darüber nachdenken!' Ermahnte ich mich.

Ich sah ihn wieder an und erkannte, dass der er verstand, was ich versuchte zu vermitteln. „Auch wenn unsere Ansätze dabei verschieden waren, ist der Kern, der dem ganzen zu Grunde liegt, der selbe. Wir töten, weil wir müssen, nicht weil wir wollen.", sagte er, mehr zu sich selber. „Es gibt nicht viele andere Möglichkeiten, mit soetwas umzugehen. Nur ein wahnsinniger tötet aus Lust oder ähnlichen Beweggründen." Er nickte nur, noch immer in Gedanken.

Wir redeten noch einige Minuten, wenn auch von da an über belanglosere Dinge, ich verließ sein Zelt jedoch recht früh, da er, auch wenn er das nie zugeben würde, ziemlich müde von der anstrengenden Reise war. Wenn wir angegriffen werden würden, wäre er nicht vollständig in der Lage zu kämpfen. Außerdem würde es auch ihm gut tun.

Als er die Zeltluke zur Seite zog, zögerte ich kurz. Schließlich entschied ich mich und beugte mich zu ihm herüber. Ich gab ihm einen leichten Kuss, der ihn dazu brachte, seine Augen vor Überraschung weit aufzureißen. Ehe ich jedoch überlegen konnte, ob es vielleicht ein Fehler gewesen war, erwiderte er sanft und ich hätte erleichtert aufgeatmet, wäre das möglich gewesen. Wir lösten uns zwar schnell wieder, aber nun drückte sein Gesicht aus, was ich fühlte. Ein unsicheres, aber glückliches, Lächeln. „Gute Nacht, Eragon." Er lächelte selig und erwiderte: „Gute Nacht, Sternenlicht" Ich lachte leise über diesen Spitznamen, kommentierte ihn aber nicht weiter, und verschwand dann leichtfüßig in die Nacht.

Ich lief an Saphira vorbei und konnte an ihren Lefzen etwas sehen, dass etwa einen schelmischen Grinsen bei anderen Völkern entsprach. Sagen tat sie jedoch nichts, vermutlich weil sie gerade mit ihrem Reiter sprach. Ich ließ den beiden ihren Austausch und lief zurück zu meinem eigenen Zelt.

Eragon pov

Ist das gestern Abend wirklich passiert, oder war es nur ein Wunschtraum. „Ersteres. Auch wenn du dich danach so verhalten hast, als wäre es ein Wunschtraum.", kam ein frecher Kommentar von Saphira. „Habe ich so laut gedacht?" - „Ja!" Na großartig. „Hat man nicht eine Sekunde seine Ruhe?", wollte ich in einem Tonfall wissen, der zwar streng klang, jedoch unmissverständlich klar machte, dass ich es nicht ernst meinte. Während ihrer Antwort machte sie ebenfalls einwandfrei klar, dass sie meine Ironie verstanden hatte. „Niemals! Dafür musst du schon weglaufen." „Das ist nicht schwer. Ich habe es ja schonmal geschafft."

Ein heißer Wind blies die Planen meines Zeltes aus dem Weg und dahinter blitzte mich ein saphirblaues Auge an. Ob vor Wut oder Belustigung ließ sich schwer sagen. Vielleicht sollte ich lieber keine Witze auf diesem Gebiet machen. Ich seufzte resigniert. „Okay, tut mir leid, falsches Gebiet für Witze." - „Immerhin merkst du es selber." Also war sie mir nicht mehr böse. Zumindest nicht sehr.

Während diesem Wortwechsel hatte ich mich angezogen und mein Schwert umgeschnallt. Offenbar gerade rechtzeitig, denn Saphira teilte mir mit: „Vor deinem Zelt steht einer von euch Runde-Ohren-zwei-Beine und will offenbar mit dir sprechen. Es scheint dringend zu sein aber er traut sich nicht anzuklopfen." „Soso, ein schüchterner Bote.", sagte ich und gähnte einmal herzlich. „Wohl eher ein ängstlicher. Wie würdest du reagieren, wenn du an einer Tochter-des-Feuers-und-des-Himmels vorbei müsstest, weil du etwas von ihrem Seelenpartner willst?" Ich musste grinsen. Wäre ich kein Reiter, hätte ich mich vermutlich auch nicht getraut.

Ich schlug die Plane zur Seite und trat aus dem Zelt. Ich musste kurz wegen der hellen Morgensonne blinzeln. Ich sah den jungen Mann und er kam mir bekannt vor. „Jarscha, richtig?" Er fing, sichtlich erfreut, an zu sprechen. „Ja Herr, Nasuada verlangt dringend nach Eurer Anwesenheit." Ich fragte nicht weiter nach. Boten wussten selten mehr als sie übermitteln mussten. „Sag ihr bitte, dass ich mich sofort auf den Weg mache." Er nickte und lief los.

Hast du eine Ahnung, was so wichtig sein könnte, dass sie mich deshalb so früh aus dem Zelt holt?" Meine blaue Drachendame lachte grollend. „Es ist bereits fast Mittag, du hast geschlafen wie ein Bär im Winter. Aber nein, weiß ich nicht. Ich liege nur den ganzen Morgen hier herum." - „Na dann los. Ich vermute, was mich betrifft, betrifft auch dich." Sie ließ mich ihre Zustimmung spüren und streckte ein Vorderbein so aus, dass ich leichter aufspringen konnte. Kaum saß ich im Sattel, hob sie bereits ab und flog über die Zelte.

Jarscha war anscheinend sehr schnell gewesen, denn neben dem Pavillon, der das Herz des Lagers bildete, war bereits eine Fläche frei geworden, auf der ein Drache bequem landen konnte. Technisch gesehen hätte ein Drache auch direkt auf dem Pavillon landen können, aber das wäre vermutlich nicht so toll angekommen. Kaum setzte Saphira auf dem Boden auf, sprang ich von ihr herunter, rollte mich ab und ging dann, vermutlich etwas staubiger als beim Abflug, zügig in Richtung Zelt.

Die Wachen kreuzten unnötigerweise die Waffen. Sie wussten, dass ich es war, aber sie bestanden auf diese Formalität. „Herrin, Eragon Schattentöter begehrt Einlass!", rief der vorderste. Nachdem Nasuada aus dem Zelt völlig überraschend, „Lasst ihn eintreten", gerufen hatte, nahmen die sechs Nachtfalken ihre Lanzen zur Seite und ließen mich eintreten.

Percy, Annabeth, Jörmundur, Orrin, Orik und, wie ich zu meiner Freude feststellte, Arya, waren bereits da. Ich hatte erfahren, dass Orik eigentlich in den nächsten Tagen abreisen wollte, da die Zwerge ihren neuen Herrscher wählen mussten. Eigentlich schade, er war zumindest einer der wenigen, die über Oromis und Glaedr Bescheid wussten und mit denen man so darüber reden konnte. Anders als wir war er nicht durch die Luft sondern durch ein von Percy geschaffenes Portal zurück in den Süden von Alagaësia gekommen.

Sobald ich eingetreten war, sagte Nasuada: „Schön, dass du inzwischen auch wach bist und dich erholt hast, Eragon", dabei konnte man den etwas spöttischen Unterton nicht überhören. Etwas neutraler fuhr sie fort: „Es gilt eine wichtige Angelegenheit zu besprechen. Unsere Späher haben einige hundert Urgals in der Nähe des Lagers gesehen. Kull, um genau zu sein." Sofort wurde Lärm laut. Offensichtlich hatten die anderen auch noch nichts davon gewusst. Die einzigen, die ganz ruhig blieben, waren Percy und Annabeth.

Als es schließlich wieder ruhig wurde, versprach ich: „Ich kümmere mich darum. Ich kenne inzwischen einige sehr effektive Lösungen dafür." Während ich das sagte, stellte ich mir all die Dinge vor, die ich diesen Monstern antun könnte. Sie hatten ganz Yazuak ausgelöscht, Adjihad getötet und Murtagh zu Galbatorix zurück gebracht. Tief hinten in meinem Geist spürte ich Saphiras Unzufriedenheit mit diesen Gedanken, beachtete sie aber nicht weiter.

„Das geht leider nicht. Sie kommen unter der weißen Fahne. Ich werde nicht einfach die Vernichtung von über hundert Lebewesen befehlen, die unter dem Banner des Friedens zu uns kommen. Wenn ich das täte, wäre ich nicht besser als Galbatorix." Sagte sie. „Aber..." Sie unterbrach mich sofort. „Nichts aber. Wir werden sie nicht angreifen." Ich versuchte mich zu beruhigen.

„Und was habt ihr dann vor?" Es fiel mir zunehmend schwer, mich zu beherrschen. „Sie sprechen lassen. Ein Abgesandter kann ihr Anliegen vortragen." Der Tumult, der daraufhin ausbrach, war noch größer als der erste.

Schließlich setzte sich Jörmundur durch. „Ihr wollt Euch mit einem Urgal treffen? Das ist viel zu gefährlich." - „Während eine ganze Armee, eine Elfe, ein Drachenreiter und eine Gilde von Kampfgeschulten Magiern auf mich aufpassen? Ihr übertreibt!", stellte sie fest.

Die nächsten Minuten gingen damit durch, dass fast alle Anwesenden, mich eingeschlossen, versuchten sie vom Gegenteil zu überzeugen. Arya verhielt sich neutral. Schließlich waren Percy und Annabeth die letzten, die noch nichts dazu gesagt hatten. Annabeth begann. „Wir sind der Meinung, Eure Entscheidung ist richtig Nasuada." Als wir gerade mit protestieren anfingen, stampfe Percy einmal auf, es schien als würde die Erde buchstäblich beben und schlagartig wurde es wieder ruhig.

Annabeth fuhr fort. „Ihr mögt die Urgals als Feinde, vielleicht sogar Monster ansehen, bedenkt aber: erstens, Feinde können Freunde werden. Manchmal müssen sie sogar und manchmal müssen sie es für eine Chance auf einen Sieg. Ich spreche aus Erfahrung. Zweitens, ihr kennt nur ihre Kämpfer, ihre schlechteste Seite. Oder war irgendjemand schonmal in einem ihrer Dörfer und hat den normalen Alltag dort gesehen?

Was denkt ihr, hättet ihr für einen Eindruck von einem Volk, von dem ihr nur die Krieger auf dem Schlachtfeld seht, nicht aber seine Bauern und Handwerk. Dieses Gespräch kann nur zu unserem Vorteil ausgehen. Entweder werden sie ein für uns günstiges Angebot machen, oder wir schicken sie weg. Wenn sie angreifen sollten, sind wir deutlich stärker und würden vermutlich nichtmal einen Mann verlieren." - „Besser hätte ich es nicht sagen können", bemerkten Arya und Percy gleichzeitig.

„Und aus etwa diesen Gründen habe ich mich dafür entschieden. Seid ihr jetzt einverstanden?", fragte Nasuada. Mehrere murrten, aber niemand sprach sich mehr direkt dagegen aus. „Sehr schön. Ich schicke einige Boten durchs Lager, die verkünden sollen, dass jeder, der die Kull angreift, ehe ich es befehle, die gleiche Strafe erhält, als hätte er einen Menschen angegriffen. Es ist eine friedliche Verhandlung. Nach dieser Verkündung werden wir ihren Abgesandten ins Lager lassen."

ENDLICH!!! Ich dachte schon, ich komme nie wieder dran. Auch wenn es jetzt nur eine läppische Stunde ist, besser als nichts. Also, kurz gefasst: die Boten haben die Varden vor unaufgeforderten Angriff gewarnt, die Urgals haben die Genehmigung zum Betreten des Lagers erhalten und einer von ihnen... Wer wohl? Der einzige wirklich wichtige Urgal in der gesamten Geschichte. Jaja, kann ja nicht jeder wissen. Wie war das mit einfach mal nett und hilfsbereit sein? Jedenfalls, einer von ihnen darf jetzt ins Lager.

Nasuada hatte den Varden aufgetragen, eine Gasse zu bilden, die breit genug war, um den Urgal ohne Probleme hindurch laufen zu lassen ohne den Menschen so nahe zu kommen, dass sie im Falle eines Ausfalls auf Seiten des Gehörnten noch reagieren können. Ein thronähnlicher Stuhl stand vor dem Pavillon. Ich hatte mich auf der einen Seite des Thrones positioniert, direkt neben Jörmundur, auf der anderen stand Percy. Direkt hinter dem Thron stand Elva. Die Zeltplanen verdeckten sie, ermöglichten ihr jedoch, sich vor einem anbahnenden Unglück rechtzeitig einzuschalten.

Wir waren informiert worden, dass der Name des Kull, der seine Artgenossen vertreten würde, Nar Garzvogh war. Man sah ihn von weitem, da er die meisten unser Krieger um mehr als die Hälfte ihrer eigenen Körpergröße überragte. Er lief durch die Schneise und schien die bösen Blicke, die die Varden ihm zuwarfen, entweder nicht zu bemerken oder zu ignorieren. Auch ich sah ihm ziemlich finster entgegen. Ich konnte noch so viele Texte über das Leben der Gehörnten gelesen haben und noch so oft darüber belehrt worden sein, für mich waren sie immernoch niedere und gewaltlüsterne Kreaturen.

Als er etwas mehr als fünf Meter vor uns stand, blieb er stehen. Er legte den Kopf in den Nacken und stieß ein Brüllen aus, das dem von Saphira in kaum etwas nachstand, auch wenn sie das bestreiten würde. Augenblicklich waren über ein Dutzend Speere auf den Kull gerichtet. Dieser ließ sich davon nicht beeindrucken und brüllte weiter, bis seine Lunge leer war. Dann sah er wieder nach vorne und fragte: „Brachen die Menschen ihre Versprechen so schnell? Mir wurde sicheres Geleit versichert."

Ehe ich etwas sagen konnte, sagte Jörmundur: „Wir sollten ihm den gebärenden Respekt einbläuen. Danach kann er sein Anliegen immernoch vortragen." Ich seufzte innerlich auf. Ich wusste, dass es meine Pflicht war, dieses Missverständnis aufzuklären. Ehe ich jedoch etwas sagen konnte, begann Percy zu sprechen. Es war ganz offenkundig die Sprache der gehörnten.

„Nein, Garzvogh, sie sind nur nicht mit euren Traditionen vertraut!", rief Percy in einer Sprache, die ich nicht verstand, die aber dem Klang nach vermutlich die der Urgals war. Der Kull schien genauso verwirrt wie ich, dass Percy offenbar seine Sprache beherrschte.

Dann sprach ich laut, „Es ist bei den Urgals die sittliche Begrüßung", und danach leiser zu Nasuada, „Die entblößte Kehle ist ein Zeichen der Ergebenheit, denn sie macht ihn verwundbar. Ein gesenkter Kopf wäre eine Drohung. Die Antwort darauf wäre normalerweise, seinen Kopf gegen den seines Gegenübers zu rammen, aber das lassen wir wohl lieber."

Sie nickte und wandte sich dann wieder dem Kull zu. „Solange Ihr Euch an die Gebote des Friedens haltet, habt Ihr nichts vor uns zu befürchten. Nun nennt Euren Namen und tragt Euer Anliegen vor!" Der Angesprochene nickte. „Mein Name lautet Nar Garzvogh, wir vereinigen selten freiwillig mehrere Stämme, doch für diese Zeit bin ich der Anführer der Gehörnten! Wir möchten uns euch anschließen. Der schwarze König hasst uns mehr als alles andere. Sollte er weiter herrschen, wird er unser Volk auslöschen. Außerdem sind wir es eurem Reiter schuldig."

Das ließ mich aufhorchen. „Inwiefern? Ich habe Dutzende oder Hunderte von euch getötet." - „Das mag sein,", erwiderte er, „aber du hast uns von dem Einfluss dieses Dämonen befreit. Es ist nicht die Art unseres Volkes, dass alle Stämme unter einem Banner kämpfen. Als wir nach der Schlacht im hohlen Berg unseren Lohn vom König holen wollten, hat er uns ignoriert. Meine Gefährtin ist in die Stadt gegangen, um unseren versprochenen Lohn einzuholen, doch nie ist sie wiedergekehrt."

Nasuada schaute nachdenklich drein. „Das tut mir leid, Nar Garzvogh, aber ich denke, wir verstehen diese Erklärung. Falls wir annehmen, was wollt ihr dafür?" - „Das Blut des Verräters. Des Weiteren einen Streifen Land in und in der Nähe des Buckels, in dem wir keine Angriffe auf unser Volk fürchten müssen."

Nasuadas nachdenkliche Mine verstärkte sich noch, gewann aber auch etwas an Schärfe. „Seid ihr nicht diejenigen, die unsere Dörfer angreifen?" Er schüttelte den Kopf. „Nein! Dafür ist das Imperium verantwortlich. Es drängt uns immer weiter zurück, bis wir nichtmal mehr in unseren eigenen Tälern sicher sind."

Nasuada überlegte kurz, kam aber wohl schnell zu dem Schluss, dass jedes hier gesprochene Urteil voreilig wäre. „Gebt uns Zeit, dieses Angebot zu überdenken. Erwartet unsere Antwort heute Abend. Selbst wenn wir ablehnen sollten, könnt ihr frei ziehen, solange ihr euch an die weiße Flagge haltet. Wer euch ohne vorangegangenem Angriff in eurem Lager angreift, bekommt die selbe Strafe, die er für den Angriff eines Menschen in unserem Lager bekommen hätte." Der gehörnte nickte und sagte: „Ich danke euch, Nachtjägerin." Mit diesen Worten drehte sich Garzvogh um, Schritt aufrecht durch die selbe Gasse zurück, durch die er gekommen war, und ließ uns in rätseln, was dieser Name für Nasuada bedeuten sollte.

Kaum zehn Minuten später standen wir wieder in Nasuadas Zelt und durften uns das Gemecker von Orrin anhören, der sich beschwerte, dass der Kull nur mit Nasuada gesprochen hatte. Schließlich unterbrach sie seine Tirade indem sie sagte: „Die Urgals wollen ein militärisches Bündnis mit uns schließen. Vor der Schlacht auf den brennenden Steppen habt Ihr mir den Oberbefehl für die Armee erteilt. Dadurch bin ich es, die solche Verhandlungen zu führen hat. Seid Ihr da etwa anderer Meinung?"

Man sah ihm an, wie gerne er widersprochen hätte, er wusste allerdings, dass sie recht hatte. Ich lächelte in mich hinein. Ich mochte den Monarchen nicht besonders und hier kam er an seine Grenzen. Er hielt sich selbst für wichtiger als andere, weil er das Glück einer königlichen Geburt hatte und verhielt sich so, als wäre jeder, der nicht nach seiner Pfeife tanzte und ihn bei allem um Erlaubnis fragte, ein Verbrecher, der eine Strafe verdiente, weil er seine Ehre beleidigt hätte. Vielleicht übertreibe ich etwas, aber es kam meinem Gefühl nach jeden Tag bei den Varden der Realität näher.

Nun, da Orrin nicht geantwortet hatte, stellte meine Lehnsherrin offen in den Raum: „Ich halte es für sinnvoll, dieses Bündnis anzunehmen." Ehe sie weiterreden konnte, begann Surdas König schon wieder zu meckern. „Seid Ihr von allen guten Geistern verlassen? Wir sollen Seite an Seite mit diesen Ungeheuern kämpfen?"

Arya brachte ihn mit einem vernichtenden Blick zum Schweigen, dem wohl kaum jemand stand gehalten hätte, und nickte dann Nasuada zu, weiterzusprechen. „Ich werde keine potentiellen Verbündeten ablehnen, solange wir derart in der Unterzahl sind. Auch wenn wir in der Vergangenheit schlechte Erfahrungen mit ihnen gemacht haben, müssen wir jetzt lernen, mit ihnen zusammenzuarbeiten. Und vor jedem Widerwort bedenkt, ihr alle hasst sie, aber wenn jemand einen wirklichen Grund dazu hat, dann bin ich das. Sie haben meinen Vater getötet. Jeder Anführer von ihnen wird seinen Geist überprüfen lassen müssen und sie werden am Rand des Lagers ihr eigenes aufschlagen. Wenn jemand logisch begründete Einwände hat, kann er sie jetzt vorbeibringen."

Es war eindeutig, dass außer Arya, Annabeth und Percy jeder gerne Einwände genannt hätte, aber die meisten, nein, alle, waren leider nicht logisch erklärbar. Als offenkundig wurde, dass wir keine Wahl hatten und uns ihrer Entscheidung beugen mussten. Also sagte ich: „Ich werde die Kontrolle bei einigen von ihnen übernehmen. Wenn ich schon mit ihnen zusammen kämpfen muss, will ich sie auch verstehen."

Percy lachte. „Da hat dir... da hast du wohl was gelernt. Vielleicht bist du dann auch endlich in der Lage, einzusehen, dass die Urgals zwar anders leben und eine andere Kultur haben, im Kern aber nicht viel schlechter als die Menschen sind." Er hatte sich fast verplappert und die Namen unserer Lehrmeister genannt. Glücklicherweise hatte er sich so schnell gebremst, dass keiner von denen, die es noch nicht wussten, seinen kleinen Versprecher bemerkt zu haben schien.

Es wurden noch einige Minuten Einzelheiten besprochen, hauptsächlich die Frage, wie man die Menschen davon abhalten konnte, die Urgals anzugreifen. So kindisch es klang, es gab genug Männer unter den Varden, die am liebsten sofort ihr Schwert gezogen und versucht hätten, die Gehörnten zu töten oder zu verletzen. Das Ergebnis war letztendlich das selbe, wie am Morgen. Was Strafen anging, würden sie wie Menschen behandelt werden. Wer einen Urgal umbrachte, ohne das dieser ihn nachweislich angegriffen hatte, bekam dafür die selbe Strafe, die er für Mord an einem anderen Menschen erhalten hätte. Todesstrafe.

Danach wurde über Dinge wie die Frage, wem die Urgals unterstellt wären, gestritten. Dieses Thema interessierte mich herzlich wenig und ich verließ das Zelt. Alle anderen blieben noch. Da sie entweder dabei mitreden wollten, oder einfach ein wenig aufpassen mussten, dass sich der Rest nicht die Köpfe einschlug. Für diesen Teil waren vermutlich Percy und Annabeth verantwortlich.

Am Abend war dann bereits ein Bote bei den Zelten gewesen und hatte den Urgals eine schriftliche Ausführung der Bedingungen gegeben. Diese hatten den gleichen Boten mit der Nachricht zurückgeschickt, sie würden bei Sonnenuntergang am Rand des Lagers sein.

Es war eine recht kleine Truppe und ich übernahm die Kontrolle von Garzvogh und zwei weiteren. Was ich dabei sah, überraschte mich. Percy hatte absolut recht gehabt. Die Urgals lebten zwar nach anderen Sitten und Denkmustern, weshalb ich am Anfang wirklich lange brauchte, um mich zurecht zu finden, aber das Ergebnis lohnte sich, gegen allen Widerstand meinerseits.

Ich begann wirklich vom Anfang an. Sah, wie der Junge Garzvogh in seiner Familie aufwuchs. Schon bald zeigte sich, dass er, wie es bei ihnen hieß, das alte Blut in sich trug. Das hieß, dass er ein Kull war, die meisten seiner Artgenossen also um mehrere Köpfe überragen würde. Er lernte ihre Traditionen und Bräuche, die nach den Werten der Urgals, die vor allem um Stärke orientiert waren, garnicht so schlimm schienen, wie ich erwartet hätte.

Schließlich kam dann bereits in seinem vierzehnten Lebensjahr sein erster Rivalenkampf, der einzig dem Zweck diente, Stärke zu beweisen und ansehen zu gewinnen. Er schlug seinen Gegner, wenn auch noch mit viel Mühe, und gelangte so das erste Mal in die Aufmerksamkeit der älteren und erfahreneren Krieger.

Von da an ging sein Aufstieg rasch voran. Er gewann ein Duell nach dem anderen und war so bei mehr als fünfzehn als er das Mannesalter erreichte. Schon das war mehr als die meisten in ihrem ganzen Leben erreichten.

Dann gab es die Prüfung, in dem jeder Heranwachsende einmal seinen Mut, seine Stärke und sein Geschick beweisen musste. Sie mussten in der freien Natur ein Tier jagen, hatten keine Rückendeckung und keine Waffen. Je größer das Risiko, welches man einging, desto größer am Ende das gewonnene Ansehen.

Als eine große Herausforderung galt normalerweise das Erlegen eines großen Wolfes, die Shrrgn, die gigantischen Wölfe im Beor-Gebirge gab es bei ihnen nicht. Doch Garzvogh hatte größeres im Kopf. Er nahm sich einen Höhlenbären vor.

Auch hier, diese Kreaturen waren nicht ganz so gigantisch wie die Beorn in den Bergen der Zwerge, aber nichts desto trotz überragten sie selbst den gigantischen Kull um mehr als vier Fuß. Und, wie man wohl schon aus dem Umstand, dass er jetzt vor mir stand, vermuten konnte, hatte er Erfolg gehabt und hatte so den Titel des „Nar" gewonnen.

Er versteckte in keinem Fall, wie gewalttätig und blutig einige der Kämpfe ausgingen. Nichtmal dass er in insgesamt drei Raubüberfällen, die mit vielen Toten endeten, auf menschliche Dörfer in der Nähe des Buckels begleitet oder sogar angeführt hatte, verheimlichte oder beschönigte er. Und trotzdem, wenn ich zurück dachte, was ich Menschen an verschiedensten Orten hatte tun sehen, vom Schlachtfeld bis hin zur Prozession der Priester des Helgrinds, dann war es schwer, ihn für seine Kämpfe weiter zu verteufeln.

Und nicht nur das, es war obendrein klar, dass Garzvoghs Leben den wohl brutalsten und somit aus unserer Sicht schlimmsten Verlauf genommen hatte, der nur ging, und trotzdem war es nicht schlimmer als das, was einige von uns vielleicht getan hatten. Und wenn ich auf viele derjenigen sah, die in den kleinen Bergdörfern lebten, dann schienen auch sie nicht wirklich anders zu sein, als die Bauern in Carvahall. Zumindest in den Grundzügen waren sie nicht so anders, wie ich gedacht hatte, auch wenn Ansehen bei ihnen von Kampferfolg bestimmt wurde, nicht von Geburtsrang und Besitz.

Als ich Percy darauf ansprach lächelte er und erwiderte: „Es ist gut, dass du das eingesehen hast. Nicht alles ist, wie es scheint. Erinnere dich daran, was die anderen in deinem Dorf gemacht haben, als du abgehauen bist. Während du zu einem der besten Krieger des Landes geworden bist, sind sie weiterhin Handwerker, Bauern oder Wirte geblieben. Zumindest solange sie konnten.

Es mag viele Urgals geben, die schon grausame Dinge getan haben, aber ist das bei den Menschen anders? Schau dir die Zwillinge oder den dreimalverfluchten König persönlich an. Sie gehören zum selben Volk wie eure Bauern, haben aber schon hunderte und tausende Menschen getötet. Du darfst nicht alle in einen Topf stecken. Ganz besonders du.

Mir hat es einmal das Leben gerettet, dass jemand aus einem Volk, um es mit euren Begriffen zu sagen, dass eigentlich nur existiert, um meines umzubringen, sich dazu entschieden hat, seine Ansicht zu überdenken und sich letztlich für Annabeth und mich geopfert hat. Damals habe ich mir geschworen, niemals wieder diesen Fehler zu machen. Vertrau mir. Vorurteile und Hass bringen dich nicht weiter!" Übrigens eine Einstellung, die ich nur teilen und unterstützen kann.

Ich nickte langsam und wandte mich dann den beiden anderen Kull zu, die ich ebenfalls überprüfen sollte. Ihre Erinnerungen deckten sich fast durchgehend mit denen ihres Anführers. Keiner der drei hatte versucht zu verstecken, dass sie gekämpft und getötet hatten, aber sie hatten immer einen Grund.

Auch wenn es in unserer Gesellschaft anders war, bei ihnen war es nunmal Gang und Gebe, dass man solche Dinge tun musste, um einen Frau zu bekommen. Vielleicht nicht die beste Tradition, aber dieses Urteil von unserem Volk aus zu treffen, wäre schon sehr abgehoben gewesen. Ihre Taten waren nicht schlimmer als die einiger Varden.

Zum Schluss musste ich mir eingestehen, dass ich mich wirklich vollkommen geirrt hatte. Nachdem ich ihre Erinnerungen und ihre Lebensweise gesehen hatte, konnte ich sie nicht mehr einfach als schreckliche, wertlose Monster abstempeln, sondern sah ein, das sie uns Menschen tatsächlich recht ähnlich waren auch wenn sich viel Details unterschieden.

Als ich fertig war, teilte ich Nasuada meine neuen Informationen mit. Die Urgals, die Monster, für die ich sie gehalten habe. Sie wollen in dieser Sache tatsächlich helfen.

Nar Garzvogh, der nur einige Meter entfernt stand, kam auf mich zu und knurrte in seiner tiefen, rauen Stimme: „Danke, dass du das einsiehst, Schattentöter. Wir können uns nicht noch einen weiteren Reiter leisten, der niemals sterben wird und die Urgralgra hasst." - „Ich kann meine Augen nicht vor der Wahrheit verschließen, Garzvogh. Ich habe mich, zumindest teilweise in deinem Volk getäuscht. Ihr liebt den Krieg, aber ihr seid nicht die Monster, für die euch die meisten halten." Er lachte grollend und sagte: „Gut getroffen. Diese Formulierung muss ich mir merken."

Von diesem Abend an schlugen die Gehörnten ihr eigenes Lager tagtäglich direkt am Rande des Vardenlagers auf. Die meisten misstrauten ihnen immernoch, hatten aber genug Vertrauen in mein und Nasuadas Urteilsvermögen. Am nächsten Tag wurde unser eigenes Lager dann etwas leerer, da Orik und alle anderen Zwerge, die noch hier waren, zurück nach Farthen Dûr reisten, um ihren neuen Herrscher zu wählen. Wir konnten nur hoffen, dass wir sie für diese Zeit nicht im Kampf brauchen würden und sie sich rechtzeitig entscheiden würden, ehe der gesamte Krieg vorbei wäre.

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5896 Wörter

Vielen Dank fürs Lesen. Ich hoffe, es hat euch gefallen. Unabhängig davon freue ich mich über jeden Vorschlag zur Verbesserung.


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