Kap. 20 Rache ist schlecht, aber es gibt Ausnahmen
Percy pov
Ich spürte, wie die kalte Morgenluft um meine bloßen Arme und Beine floss. Es war noch sehr kalt, aber zum einen würde es über den Tag wärmer werden und zum anderen stand ein Kampf bevor. In einem Kampf muss man sich dauerhaft anstrengen und produziert damit so viel Hitze, dass die Lufttemperaturen egal waren. Mit diesem Wissen ließ ich mich also garnicht erst vom Wetter stören, sondern genoss für eine Weile die kühle Briese.
Die Schüler waren alle auf die eine oder andere Art auf ihrem Posten. Noch waren nur sehr wenige außerhalb der Mauern, aber ich hatte aus einigen Gesprächen mitgehört, dass viele darüber nachdachten oder irgendwann im Verlauf der Kämpfe dazu stoßen würden. Ich habe sie natürlich nicht belauscht, auch wenn ich das ebenfalls hätte tun können. Sie hatten einfach nur sehr laut geredet und ich hatte empfindliche Ohren.
Viele der Schüler hatten am Morgen nicht so richtig ausgeschlafen ausgesehen, aber ich hatte nicht den Eindruck, dass sie alle die ganze Nacht wach gelegen hatten. Möglicherweise lag das daran, dass sie einfach wieder erschöpft vom Vortag waren, vielleicht hatten aber auch Franks Fähigkeiten etwas damit zu tun. Er hatte ihnen nämlich als Gott von unter anderem Leben und Lebensenergie geholfen, schneller Ruhe zu finden.
Was auch immer es sein mochte, die verschlafenen Schüler durften sich noch nach Belieben erholen, solange bis das Signal kam, dass wir angegriffen wurden. Ob das jetzt schlafen, was ich in diesem Fall nicht für vernünftig hielt, oder sich zum wach werden etwas bewegen beinhaltete, war ihnen freigestellt.
Ich wusste auch, dass wir vielleicht noch eine Weile warten müssten, aber ich hatte die in diesem Fall sogar begründete Hoffnung, dass es nicht all zu lange dauern würde. Tartarus wollte schließlich Rache und ich hatte so meine Zweifel, dass er der erste Urgott wäre, den ich kennengelernt hätte, der sich in Mäßigung und Geduld geübt hatte.
Und ich sollte recht behalten. Es tat mir ein wenig für diejenigen leid, die jetzt wieder schlafen wollten, aber ihr Pech war dann wohl unumgänglich. Aus den Tiefen des Waldes erklang ein tiefes, extrem missklingendes Horn. Es klang einfach nur nicht richtig. Als wäre irgendetwas daran, das nicht aus dieser Welt sein sollte. Das konnte wirklich nur eins heißen.
„Es geht los!", flüsterten Annabeth an meinem Rücken und ich genau im gleichen Moment. Unser Feind war offenbar so siegessicher, dass er garnicht erst versuchte, uns zu überraschen.
Annabeth und ich blieben zusammen. Gegen die Monster wollten wir so kämpfen, als hätten wir keine göttlichen Fähigkeiten. Vielleicht machten wir uns ein wenig schneller und stärker, um den Unterschied, der von ihm selbst ausgelöst worden war, zu kompensieren, aber gegen sie wollten wir es wie in guten alten Zeiten haben. Es war eine Herausforderung und wir hatten so lange damit gelebt, dass die Kämpfe uns Spaß machten, wenn wir nichts zu verlieren hatten.
Und so erwarteten wir die Horden an Gegnern, die wir tiefer im Wald erspähten. Ein erster Höllenhund sprang mich an, ich hob mein Schwert und der erste Sprühregen aus goldenem Staub ergoss sich über uns.
Nicht lange und wir versanken in einem Rausch aus Staub und Tod. Eine Empusa schlug nach mir, ich zog mein Knie mit aller Gewalt hoch und zertrümmerte so ihren Arm. Als ich diesen anschließend zur Seite trat, flog er einer ihrer Schwestern ins Gesicht und ihre Klauen zerkratzten dieser das Gesicht. Drei tiefe Wunden, die jedoch wohl nicht tödlich waren, blieben zurück.
Es trat jedoch wieder einmal der Effekt ein, den wir schon oft bei diesen Monstern gesehen hatten. Nicht tödliche Wunden heilten binnen Sekunden. Hätten Menschen eine so gute Zellteilung wie dieser Abgrund, dann gäbe es keine Alterskrankheiten mehr.
Noch während sie auf Altgriechisch fluchte, ich solle doch zur Hölle gehen, war ich aber schon, verheilte die Wunde zu drei fetten Narben. Es half ihr aber nichts, da eine Sekunde später Annabeths Dolch in ihrer Brust steckte und sie zu goldenem Nebel zerstob.
Nicht viel später und ich erblickte einen alten Bekannten. „Hackfresse, immernoch nicht genug gestorben?", rief ich dem ehemals bekanntesten Monster der Welt entgegen.
Das umgekehrte Venussymbol mit den beiden Klammern nach außen glühte und ich wusste, auch dieses Mal stimmte meine alte Lebensphilosophie. Was dich nicht töten kann, macht sich stärker und versucht es dann nochmal.
Auch Annabeth hatte ihn nun gesehen. Sie lächelte. „Viel Spaß, ich halte die Stellung." Ich erwiderte den Ausdruck und rannte los. Ich brüllte mit Minotaur McStierkopf um die Wette, bis wir zusammenstießen. Also genau genommen stieß sein Dickschädel mit dem nächsten Baum zusammen, weil ich vorgesprungen war und mir seine Beine geschnappt hatte. Der Baum stürzte um, der Minotaurus hatte eine kleine Beule. Tja, der klügere gibt eben nach.
Ich sah jedoch eine Gelegenheit, die ich einfach nicht verstreichen lassen konnte. Bevor er sich aufrichten konnte, rannte ich zu seinem Kopf und trat ihm seitlich gegen die Schläfe. Mit Genugtuung sah ich, wie sich sein eines Horn, die Dinger wollen einfach nicht ab bleiben, bis zur Hälfte in einen Baum neben ihm bohrte.
So weit so gut. Nur wirklich schade, dass er einmal mit dem Kopf ruckte und sich anschließend aufrichtete, einen abgebrochenen Baumstamm am einen Horn tragend. Das waren jetzt eine gute und eine schlechte Nachricht, als Nächstes kommt wieder eine gute. Der Baum riss im nächsten Augenblick vom Horn los und schlug ihm auf den Kopf. Und jetzt wieder eine schlechte, er überlebte.
Um auf einer guten Nachricht zu enden, ich rammte ihm mein Schwert unter die Rippen und er löste sich auf. Ende gut, alles gut. Auch wenn es noch nicht das Ende war.
Ich hielt mich nicht lange damit auf. Im nächsten Moment war ich schon wieder schwer damit beschäftigt, ein Monster nach dem anderen in zwei Hälften zu teilen. Es war wirklich herausfordernd, da sie ja wie gesagt stärker und schneller waren, aber ich hatte mir der Fairness halber die Freiheit herausgenommen, meine Ausdauer unbeschränkt zu lassen.
Ich spaltete einer Dracaene den Kopf, ohne mich nach ihr umzudrehen rutschte ich unter einem Höllenhund hindurch und schlitzte ihm den Bauch auf, ich kletterte einem riesigen Zyklopen auf den Rücken und rammte ihm mein Schwert ins Auge. Die Monster fielen wirklich in Massen, während ich mich wieder zu Annabeth zurück durchkämpfte. Zusammen war es nicht nur einfacher, es fühlte sich außerdem noch besser an.
Kurz bevor ich sie erreichte, sprang mich eine weitere Empusa an. Sie versuchte nicht mal, mich um den Finger zu wickeln, sondern hieb direkt nach meinem Hals. Ich blockte und beförderte sie mit einem Fußtritt zur Seite auf den Boden. Kurz bevor Annabeths Dolch wie aus dem Nichts aufblitzte und sie in Staub verwandelte, sah ich drei fette Narben in ihrem Gesicht. Es war schon jetzt die selbe, die ich wenige Minuten zuvor bereits zurück dorthin, wo sie hergekommen war, geschickt hatte.
Ein Seitenblick verriet mir, dass auch Annabeth es gesehen hatte. Aber was sollten wir tun, außer zu warten, dass Tartarus sich zeigte? Tatsächlich gäbe es da eine Menge an Dingen, die wir tun konnten, aber das wäre erstens keine so gute Rache und zweitens wäre es wieder ein Fall von Sonderregelungen, was die Einmische betraf.
Ich sah mich kurz um, unter Verwendung von mehr als nur den klassischen fünf Sinnen. Nein, lieber Psychologie-Lehrer, ich sehe nicht ein, dass es zehn geben soll, man findet im Internet alles zwischen drei und dreiundzwanzig, aber keine zehn. Ich bleibe bei fünf, der Rest ist untergeordnet. Dabei versuchte ich vor allem sicherzugehen, dass die Schüler sich um die Monster kümmern konnten, die wir nicht erwischten.
Das konnten sie eindeutig. Der gesamte Palast des Poseidon, inklusive Einwohner, war nicht so bizarr und vielfältig wie die Kreaturen, die sich in der Todeszone aufhielten, aber sie taten ihre Aufgaben. Ein Monster nach dem anderen wurde zu Staub zermalmt. Ältere Schüler rannten um das Schloss herum und ließen eine Sprengung nach der anderen auf die Monster los. Vom Dach hagelte es Pfeile und Steine, letztere kamen allein von Schülern.
So faszinierend diese Massenvernichtung auch war, ich wand mich zurück zu dem vorliegenden Problem. Der Tanz aus Tod und Staub begann von Neuem, unsere Camp Half-Blood T-Shirts funkelten schon golden und von der Kälte, die ich am Anfang noch gespürt hatte, war nichts mehr übrig.
Als wir weiterkämpften, kam um uns herum etwas Nebel auf und es wurde windig. Wie von Geisterhand bewegten sich Luft und Wolken immer mit unseren Bewegungen. Den Bewegungen von uns beiden. So sehr waren wir inzwischen im Kämpfen aufeinander abgestimmt.
Den Monstern schien dieser Wind wirklich einiges auszumachen, deshalb ließ ich ihn weiter wirbeln. Wir schlugen uns Minuten lang durch die feindlichen Reihen und richteten Zerstörung an, die sich Kronos und Gaia zu ihrer Zeit gewünscht hätten.
Annabeth pov
Es sah soweit alles gut aus. Die Schüler konnten sich verteidigen, Thalia und Calypso schützten sie in den wenigen Notfällen von einzeln durchbrechenden Monstern und Percy und ich kämpften uns wieder Rücken an Rücken durch die Monsterhorden, wie in den guten alten Zeiten. Nur waren die definitiv nicht besser als die jetzt.
Als die Luft um uns herum anfing zu wirbeln, Regen nahezu waagerecht flog und Nebel die Sicht auf wenige Meter einschränkte, war ich doch etwas überrascht. Die Natur so mit seinen Halbgottfähigkeiten kontrollierend hatte ich ihn erst zwei mal gesehen. Einmal in Manhattan, als er im Central Park Hyperion bekämpft hatte, einmal als er sich durch Gaias Reihen geschlagen hatte, um mich vor ihr zu schützen.
Er hatte erzählt, dass er beide Male nicht gemerkt hatte, was er da tat. Fast als wäre diese Kraft intuitiv. Von außen sah ich jedoch sehr deutlich, wie gewaltig seine Fähigkeiten und seine Kontrolle waren. Hätte ich es nicht besser gewusst, hätte ich ihn beide Male bisher für einen Gott gehalten. Vielleicht Poseidon oder Aeolus persönlich, aber er war nur ein sechzehnjähriger Junge, der das Herz und die Kräfte eines Wesens der Ewigkeit besaß.
Er war oft ein Trottel, zum Beispiel wenn er mich nach einem solchen Auftritt fragte, warum ihn alle anstarrten, aber er war mein Trottel und das würde er für immer bleiben. Ich wusste nicht, womit ich das verdient hatte, aber wenn ich ein Geschenk benennen müsste, wofür ich dem Schicksal dankbar war, dann wäre es ohne Zweifel dieses.
Ich genoss unseren gemeinsamen Kampf, auch als nach über fünfzehn Minuten Chaos in den feindlichen Truppen eine Welle der Kälte über uns alle herein brach, deren Bedeutung mir sofort klar war.
Er war da!
Der Sturm um uns herum verflog und wir sprinteten durch das Unterholz. Wir schlitzten auf dem Weg noch Monster auf, doch sie waren nicht mehr unser Hauptziel.
Die Kälte und Bosheit pulsierte, etwa wie die Anwesenheit von Kronos nach Percys Kampf gegen Ares in seinem ersten Jahr im Camp, nur dass es sich immer wieder wiederholte. Es war fast, als ob die Welt um uns immer wieder etwas grauer und dann wieder normal wurde, jedoch war diese Erholung nie so gut wie die vorige Zerstörung.
Und wir taten natürlich das, was Percy immer tat, mit dem einen Unterschied, dass ich ihm dieses Mal frei-, bereit- und gutwillig folgte. Wir rannten direkt auf die Gefahr zu. Gutwillig Percy gegenüber, wenn es ein Wesen gab, dem gegenüber ich nicht gutwillig war, dann ja wohl diesem Abschaum aus der Grube.
Und dann sahen wir ihn nach mehreren Minuten des Rennens. Fast genau wie eingefroren in dem Moment, als wir ihn das letzte Mal gesehen hatten. Nur dass er leider nicht eingefroren war. Er ragte vermutlich bis zur Spitze der hohen Bäume, trug eine schwarze Rüstung, die von golden glänzenden Linien verziert waren. Unter dem Metall, vermutlich stygisches Eisen oder etwas noch widerwärtigeres, wölbten sich schwarz und lila Muskeln.
Er trug keine Waffe, aber das machte seine Gestalt nicht weniger furchteinflößend. Aus dem Zentrum seiner Brustplatte ragten immer andere Monster hervor. Viele davon hatte ich noch nie gesehen, ein rasend wütender Grizzlybär war noch das harmloseste davon.
Alles um uns herum schien zu ihm hin gesaugt zu werden. Nein, es schien nicht nur so. Gras, Laub, kleine Steine und Äste rutschten über den Boden zu seinen Füßen hin. Er schien uns bemerkt zu haben und dann erklang wieder seine schreckliche Stimme. Wie schon seine Erscheinung hatte auch sie eine Art Sog nach innen. „Sieh an, sieh an, die kleinen Helden im völlig hilflosen Versuch, mich aufzuhalten. Ganz schön mutig, das muss ich euch lassen!"
Und dann nahm ich meinen Mut zusammen und sah nach oben. Nach oben in sein grauenvolles Gesicht. Ein Wirbel aus purer Finsternis, nach innen gewandt und in der Lage, alles zu verschlingen. Glück, Hoffnung, Monster und Titanen. Nichts hatte ihn bisher aufhalten können.
„Ihr mögt mir vielleicht einmal entwischt sein. Ihr mögt vielleicht meine Geliebte geschlagen haben, doch das ändert nichts an eurem Schicksal. Das einzige, was ihr erreicht habt, ist Zorn! Meinen Zorn! Und diesen werdet ihr bis in alle Ewigkeiten spüren. Spürt die Rache des Tartarus!" Und während diesen letzten Worten versuchte ein Gesicht aus seiner Brust hervor zu brechen.
„Bob!", flüsterte ich entsetzt und stolperte rückwärts. „Ja, Kind der Athene. Euer kleiner Freund wird euch nicht mehr helfen können. Und ihr werdet die nächsten sein!" Er stampfte einmal mit einem seiner riesigen Füße auf den Boden und die Erde zitterte.
Ich wollte schon versuchen, trotz der Situation durch Gerede abzulenken, wie ich es schon immer getan hatte, doch Percy war schneller. Ich sah ein grünes Leuchten neben mir und als ich mich umdrehte, waren es seine Augen.
„Nein!", Ein leises Flüstern, das doch jeder klar und deutlich verstehen konnte, kalt, drohend und absolut entschlossen, kam aus seinem Mund. „Du wirst niemandem mehr etwas tun. Nicht ihr, nicht mir, nicht irgendeinem anderen Wesen in diesem Universum!" Ich war mir sicher, vor diesem Jungen, der jetzt vor mir stand, hätten selbst Lupa, Chiron und Hades Angst gehabt.
Und ich hielt ihn dieses Mal nicht davon ab. Einige Dinge sollten nicht beherrscht werden, das hatte ich damals gedacht, doch kaum eine Stunde später hatte dieses Monstrum die einzigen guten Wesen, denen wir auf unserer Reise durch diesen Teil der Unterwelt begegnet waren, in sich aufgesaugt und auf ewig vernichtet. Das hatte meine Sicht auf diese ganze Sache sehr verändert.
Aus der Luft sammelte sich Feuchtigkeit zu Wasser. Zu so viel Wasser, dass die vollständige Gestalt der Verkörperung der Grube darin eingehüllt war. Das Wasser gefror, noch bevor er auch nur eine einzige Klaue bewegen konnte, und er erstarrte genau wie ich es mir zuvor gewünscht hatte. Das war wohl kaum Zufall.
Percy ließ einen wüsten, rohen Schrei los und das Eis explodierte in Millionen winzige Kristalle, die überall durch die Umgebung schossen, nur mich um Haaresbreite verfehlten. Sie blieben tief im Holz mehrerer uralter Bäume stecken, durch einige schlugen sie glatt hindurch. Das selbe passierte mit Rüstung und Fleisch unseres Gegners.
Er schrie auf, doch gerade als er das tat, sammelte sich das Wasser erneut. Ich konnte nicht genau erkennen, was geschah, doch als ich es dann über mein Gespür für Materie herausfand, schüchterte mich diese unbändige Kraft doch ein.
Nicht nur war jeder einzelne winzige Tunnel, den die Eiskristalle vorher geschlagen hatten, wieder von Eis gefüllt, selbst innere Organe und dergleichen mehr waren von Flüssigkeiten gefüllt. Und dann gefroren sie alle wieder. Alle!
Wasser, Ichor, Gifte, sie alle gefroren fest zu Kristallen. Nun entfuhr Percys Rachen ein weiteres Brüllen, das so ursprünglich klang, dass es mir in Mark und Bein fuhr. Milliarden von kleinen Eissplittern verschiedener Art schossen in alle Richtungen. Durchlöcherten alles außer dem wirbelnden Kreisel der Dunkelheit dort, wo der Kopf sein müsste, und verwandelten seinen Körper in ein Sieb.
Das Ganze wiederholte sich noch ein weiteres Mal, obwohl in der kurzen Pause schon Ichor in alle Richtungen gespritzt hatte, doch statt wie zuvor den massiven Eisblock in winzige Projektile zu zerschießen, gab es dieses Mal einfach nur eine gewaltige Detonation und sein Körper, oder was davon übrig war, explodierte in unzählige winzige Fetzen. Der schwarze Wirbel verflog wie eine winzige Rauchwolke und für einen Augenblick sah es aus, als wäre alles vorbei.
Ich spürte, dass Percy in diesem Kampf ausschließlich auf seine Kräfte als Halbgott zurückgegriffen hatte. Diese waren nun restlos erschöpft, aber er hatte alleine mit diesen Fähigkeiten den Herr der Hölle in Stücke gesprengt und vertrieben.
Für einen Moment... Eine plötzliche Druckwelle riss unsere beiden physischen Gestalten von den Füßen und ließ uns gegen den nächsten Baum krachen. Dieser bekam einen Knacks und drohte fast umzukippen.
„Törichte Helden! Merkt ihr nicht, dass ihr es nur schlimmer für euch macht? Die Menschen haben mich für ein Monster gehalten. Also funktioniert meine Existenz wie die eines Monsters. Ihr könnt meinen Körper so oft und so gewaltvoll zerstören, wie ihr wollt. Ich werde in den Tartarus zurückkehren und in meiner Heimat binnen einem Sekundenbruchteil heilen. Ihr werdet mich nie besiegen können, selbst wenn ihr bis in alle Ewigkeiten kämpft. Nicht das ihr schwachen Halbblute das könntet, aber keine Sorge...", jetzt klang er fast gütig, würde nicht alles von ihm das Gegenteil der Güte zeigen.
„Ihr werdet bis in alle Ewigkeiten mit anderen Dingen beschäftigt sein. Endlose Qualen, die selbst die der kleinen Hexe wie einen kleinen Kratzer beim Spielen aussehen lassen werden. Endlose Qualen erdacht von der Hölle selbst, denn das bin ich!" Ich hörte, wie Percy nach diesen Worten extra laut ausatmete.
„Ein sehr verlockendes Angebot", kam er zu seiner typisch für Feinde und manchmal auch Verbündete nervigen Art zurück, „aber ich glaube, ich habe einen besseren Vorschlag. Du verschwindest jetzt sofort mit all deinen Monstern auf ewig in deinem Loch, kommst nie wieder hervor, schickst nie wieder eines deiner Monster in unsere Welt und dafür vernichten wir dich nicht vollständig. Wie klingt das?"
Und damit begann die Aufgabenteilung, die uns von Anfang an durch jede Situation gebracht hatte. Er lenkte die Feinde auf unbestimmte Zeit ab, indem er sie solange volltextete, dass sie sich nur noch auf ihn konzentrierten und ich dachte mir derweil einen Plan aus.
„Du Tor!", bevor er weiter drohen konnte, grätschte Percy ein. „Wieso? Ist das so viel zu gnädig? Ich hätte nicht gedacht, dass dich das stören würde, Grubi, aber gut, wie du willst. Ich schlage dir so oft mit deiner eigenen Faust ins Gesicht, bis du für ein paar Jahre ohnmächtig bist, binde dich wie den Schwiegervater von Annabeths Cousin an deinen eigenen Gedärmen in deinem eigenen Leib fest, töte alle deine Monster und flute die Unterwelt, sodass dort nie wieder jemand frei laufen kann. Wie klingt das?"
„Du wagst es?" - „Aber natürlich, gestatten Percy Jackson, größter Idiot der Weltgeschichte. Was kann ich für Sie tun? Ich werde es mit Sicherheit falsch machen. Und das nur zur Hälfte mit Absicht." Ich musste mir ein Grinsen verkneifen. Es konnte oft wirklich lustig sein, ihm dabei zuzuhören, wie er die mächtigsten Wesen der Erde rasend machte.
Derweil dachte ich aber auch fieberhaft nach. Ich war wieder in meinem Element und damit war auch mein Anflug von Panik vor unserem Gegner verflogen. Es gab keine zeit- und krafteffiziente Art, seine Regenerationsprozesse so zu steuern, dass sie ihn immer wieder töten, zerstreuen oder gefangen halten würden. Also fiel das raus.
Allgemein war die Drohung, ihn in irgendeiner Form gefangen zu halten, eine ziemlich absurde Behauptung, denn alles in allem war er immernoch eine ursprüngliche Gottheit. Wir konnten ihn nicht loswerden, solange er sich in seinem eigenen Herrschaftsgebiet regenerieren konnte. Also...
Und da fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Die Lösung war so banal, dass ich nie im ersten Gedanken darauf gekommen wäre. Percy schon eher, aber das lag vielleicht daran, dass er Probleme oft deutlich pragmatischer und draufgängerischer anging.
„Wenn wir ihn nicht besiegen können, solange er sich in seinem Territorium heilen kann, dann gibt es nur einen Weg. Wir müssen sein Territorium dem Erdboden gleich machen, bis es nicht mehr seins ist", flüsterte ich. Es war wirklich nicht meine typische Vorgehensweise, aber sie schien mir wirksam und wie schon gesagt, meine Hemmschwelle ihm gegenüber war in der Ohnmacht, die wir nach den Toren des Todes durchlebt hatten, restlos verschwunden. Restlos!
Ich wusste, dass Percy mich gehört hatte, als sich seine Mundwinkel leicht nach oben zogen und sein nächster Kommentar sich inhaltlich direkt darauf bezog. „Zeit ist abgelaufen. Du willst nicht nach unseren Bedingungen spielen, also brechen wir das Spiel ab. Wo willst du dich regenerieren, wenn es deine Grube nicht mehr gibt?"
Für einen Augenblick erstarrten seine... nun ja, nicht Gesichtszüge, der Wirbel, der anstelle seines Gesichts da war, nur um dann um ein Vielfaches schneller weiterzuwirbeln. Es war das klassische Motiv, in dem jemand versuchte, die Idee eines anderen auszulachen und zu verspotten, um zu überdecken, wie sehr er sich davor fürchtete.
„Wie wollt ihr das anstellen? Wollt ihr einen der ältesten und mit Abstand den mächtigsten Ort einfach in die Luft sprengen? Dazu hätten nichtmal alle Olympier zusammen die nötige Macht. Wie also wollen zwei ihrer mickrigen Sprösslinge das anstellen? Der Abgrund ist ewig. Nichts steht in eurer Macht, was euch irgendwie weiterhelfen würde."
Und dann lachte er, aber irgendwie unsicher. Es klang noch immer wie ein entzwei brechender Berg, aber der Riss schien nicht durch das ganze Massiv hindurch zu dringen, sondern nur die oberste Schicht zu betreffen.
Ich stellte mich neben Percy und nahm seine Hand. Die Aufgabenteilung war durch, jetzt war die endgültige Lösung an der Reihe. „Wollen wir?", er sah mich mit seinem klassischen, schiefen Lächeln an.
Und ich erwiderte mit einem Ausdruck, den ich immer verwendete, wenn ich Leute wie ihn, Jason oder Leo von der Leine ließ und die Folgen bereitwillig in Kauf nahm. Er hatte mir mal erzählt, dass dieser Ausdruck ihm und oft unseren Feinden mehr Angst machte, als Percys gesamte Stärke es könnte. Außerdem war es dieses Mal anders. Ich besaß inzwischen auch ein umfassendes Arsenal an Möglichkeiten zur Zerstörung und ich hatte vor, dieses auch zu benutzen.
Wir teleportierten zuerst uns und unseren Gegner in den Abgrund selbst, was ein riesiges Gewirr aus grauenhaften Erinnerungen losließ, aber ich schob sie zur Seite. Später! „Wie...?", fragte er verwirrt. Ich grinste böse.
„Wir sind nicht mehr die mickrigen Halbblute, die nur mit Mühe und Not entkommen sind. Jetzt ist der Spieß umgedreht. Egal wo du bist, du bist in unserem Hoheitsgebiet und müsstest versuchen zu fliehen. Die schlechte Nachricht, du kannst nirgendwohin. Nirgendwo!" Mit diesen Worten begannen wir die Vorbereitungen.
Wir konnten diese zerklüftete Hölle nicht an Ort und Stelle nicht von Grund auf vernichten, ohne auch den Rest von Erebus in Schutt und Asche zu legen. Die Lösung? Die Höhle, der Körper dieses Monsters wurde aus den Tiefen der Erde hinausgetrennt und ins ewige All verschoben, tausende von Lichtjahren vom nächsten Stern entfernt. Ein hypothetisches Portal wurde an den jeweiligen Ausgängen geschaffen, welches die Eingänge über den Hades, die Welt der sterblichen und die Flüsse der Unterwelt mit diesem fernen Ort verband. Selbstredend nur in eine Richtung, sodass nichts mehr hinaus käme.
„Willkommen im Untergang, alter Freund", lächelte Percy und ich konnte mit Sicherheit sagen, vor diesem Lächeln hätte selbst Crusty, der Wasserbettpsycho, Todesangst gehabt. Ich jedoch folgte einfach seinen Emotionen. Dieses eine Mal war Rache und Aufgabe der Beherrschung bis zu einem gewissen Grad in Ordnung.
Natürlich nicht vollständig, sonst würden selbst Milliarden von Lichtjahre nichts daran ändern, dass wir alles Leben im Universum ausgelöscht hätten, aber eben doch genug, um so massiven Schaden anzurichten.
Das erste, was geschah, war eine gigantische Explosion, die den grauen Wald, in dem die Arai mir vermutlich die schrecklichste Erinnerung meines Lebens verpasst hatten, nämlich im aller entscheidendsten Moment das Gefühl zu haben, alleine und verlassen zu sein, völlig in die Luft jagte und nur noch ein Krater übrig ließ.
„Was ist passiert?", knurrte er, klingend wie ein Erdbeben. Ich ballte meine Hand zur Faust und eine Druckwelle fegte über die Gefilde der Hölle. Sie ebnete absolut alles, was ihr in den Weg kam. „Du hast dich mit den falschen angelegt. Und nicht nur einmal. Du magst ein Urgott sein, doch uns wurde ein Geschenk zuteil, wie es dieser Art kein zweites gibt. Vielleicht hast du die hier ja mal gesehen?"
Und mit diesen Worten wischte Percy einmal vor seinen Augen durch die Luft und hinterließ eine Spur der Magie, die unseren selbst geschaffenen Supernebel aufhob. Und so standen wir wieder in der Form da, die wir zum Ende der finalen Krönung gehabt hatten. Schwarze Umhänge hingen über unseren Camp Half-Blood T-Shirts, die dunklen Flügel ragten Meter weit nach hinten hervor und ganz leicht spürte ich wieder die Form meines silbernen Reifs auf meiner Stirn und meinen Haaren liegen.
Er stolperte im wahrsten Sinne des Klischees rückwärts und rief aus: „Das kann nicht sein! Er war seit Anbeginn der Schöpfung nicht mehr auf der Erde." Ich lachte. „Und das glaubst du woher zu wissen?"
Er stieß ein Fauchen aus, im Vergleich zu dem zerreißendes Obsidian einen wahren Wohlklang bildete. „Warum sollte er jämmerliche Kinder wie euch bei sich aufnehmen?"
„Weil Percy sich um das Leben in der Welt kümmern wird, statt wahllos Leben auszulöschen oder wegen einem angeknacksten Ego die Schranken zwischen Leben und Tod aufzuheben." - „Und Annabeth ist wahlweise das Engelchen oder Teufelchen auf meiner Schulter, meine zweite für Logik verantwortliche Hälfte oder eine ausgezeichnete Anführerin. Sag etwas gegen sie und ich werde nichtmal Mitleid mit der haben, wenn sie dir die Nase bricht."
Abgesehen davon, dass Percy mal wieder völlig vom Thema abgekommen war, sah ich das durchaus als eine recht schmeichelhafte Beschreibung unserer Beziehung an. Tartarus schien sie nicht zu gefallen. Oder er wollte nicht, dass ich ihm die Nase blutig schlug.
„Ihr werdet sterben. Alle beide!" Knurrte er und aus dem Boden wuchs eine riesige schwarze Klinge hervor. „Klar doch, genau wie wir gestorben sind, als wir über Tage hinweg in die Hölle gestürzt sind, als wir Nyx oder dir das letzte Mal gegenüber standen oder als Gaia versucht hat, Annabeth zu erstechen", bemerkte er. Es war wirklich eine Gratwanderung zwischen Panik und Verfolgungswahn vor diesen Erinnerungen und sich darüber lustig machen, wie viel Glück wir gehabt hatten.
Aber das war ja vor allem bei Percy eine standardmäßige Verarbeitungsmethode. Alles, wovor er Angst hatte, so lange reizen und in Grund und Boden beleidigen, bis er keine Zeit mehr vor Angst hatte und seine Instinkte ihn durch die daraus entstandene lebensgefährliche Situation brachten. Keine Methode, die ich sehr befürwortete, aber ich konnte nicht leugnen, dass sie funktionierte.
Er stampfte auf uns zu und, trainiert im Schwertkampf, wie die Ursprünglichen nunmal waren, hob sein Schwert über den Kopf. Wir sprangen im letzten Moment in entgegengesetzte Richtungen aus dem Weg und mit einem Schlag unserer Flügel waren wir in der Luft.
Wir schossen um ihn herum und wann immer er sich in eine Richtung drehte, stach der andere an irgendeiner kleinen Stelle zwischen die Platten seiner Rüstung und ließ ihn aufbrüllen. Das Ganze ging so lange, bis Percy ihm die Achillessehne an einem Fuß durch die Panzerung hindurch zertrennte und er auf ein Knie fiel. Wir rasten beide hoch in die Luft und setzten dann zu einem Sturzflug in Richtung seines Halses an.
Unsere Waffen drangen durch das schwere Metall und versanken bis zum Griff, mein Dolch sogar inklusive diesem. Wir hatten den Kampf nun zwei Male gewonnen, es war Zeit für das große Finale.
Die meiste Kraft verwendeten wir gemeinsam auf das Abschirmen nach außen. Egal wie weit weg, es war nicht genug. Wir hatten einfach eine unendliche Reichweite, wenn wir sie nicht selbst einschränkten.
Sobald das geschehen war, ließen wir uns jedoch selbst freien Lauf. Wir spürten nur noch den Kraftfluss direkt und der Rest wurde vom passiven Teil unseres Bewusstseins übernommen. Auch wenn das Gegenteil ebenfalls nur etwas unangenehm gewesen wäre, war ich doch froh, dass mein und Percys Unterbewusstsein automatisch die Angriffe um den jeweils anderen herum lenkten. Irgendwie hatte dieser Moment dadurch auch auf einer zwischenmenschlichen Ebene eine große Bedeutung.
Von dem Ort, an dem sich unsere jeweilige physische Form befand jedoch einmal abgesehen, ging von da an alles drunter und drüber. Die Kräfte der Natur schienen aufgehoben, oben und unten wechselte alle paar Sekunden, die Gase in der Luft wurden zu einer festen grauen Masse und der Boden wurde waberig. Die Flüsse der Unterwelt wurden zu Blitzen, die Geister der Mörder im Acheron gefroren zu Eis und der triste Sumpf des Drakon wurde von einem so gleissenden Licht erfüllt, dass man noch rückwärts durch den Kopf hindurch blind davon werden würde.
Alles floss zu einem gemeinsamen Zentrum hin, egal ob fest, flüssig, gasförmig oder Strom, und dieses Zentrum war die Verkörperung dieses Ortes selbst. Das Ganze wurde zu einem Wirbel, gleich dem in seinem Gesicht, aber dieses Mal in allen Farben des Regenbogens und noch viel mehr. Er zog sich immer weiter zusammen, bis die einzelnen Elementarteilchen keinen Platz mehr hatten und noch weiter, bis diese kleinsten aller Massen ineinander steckten und so jedem Gesetz, welches sich die Natur je überlegt hatte, vollends trotzte.
Immer abwechselnd kühlten wir diesen einen Punkt auf die Minimaltemperatur herunter, etwas, das ich schon immer mal hatte tun wollen, und erhitzten ihn so sehr, dass das Innere der größten Supernovae im Vergleich dunkel und kalt gewirkt hätte.
Diesen einzelnen Punkt der Singularität beschossen wir mit einem Energieblitz, der ihn schlichtweg pulverisierte. Die vielleicht größte Druckwelle seit der Schöpfung selbst war die Folge und wo vorher der hochkomprimierte Körper und Geist der Grube war, war jetzt nur noch ein über Billiarden von Kubikmetern verteiltes Gemisch aus Verwirrung und verunstalteten Teilen seiner Seele. Die Streuung hörte erst dann auf, als sie die äußerste Grenze, die wir dafür noch immer hielten, erreicht hatte.
Besser konnte man ihn buchstäblich nicht zerstören und so war es wirklich sicher, dass er sich nie wieder zusammenformen könnte. Nicht das Nie von Kronos Einzelteilen, ein Nie, welches selbst für Chaos auf ewig galt.
Und damit ging noch etwas weiteres einher. Die meisten Monster regenerierten sich im Tartarus. Es gab Ausnahmen, beispielsweise den in vielen verschiedenen Geschichten vorkommenden Manticore, aber die meisten Monster würden sich nicht mehr oder viel, viel langsamer neu formen können. Vielleicht würde jetzt endlich eine Zeit anbrechen, in der das Leben eines Halbblutes mehr Vorteile als Leiden brachte.
Als wir zur Erde zurückkehrten, fühlte sich die Welt um uns herum irgendwie nicht mehr so ganz wirklich an. Ich konnte irgendwie nicht so richtig fassen, dass er... dass Tartarus, der Grund, aus dem wir in den meisten Fällen nicht gut schlafen konnten, wenn wir getrennt waren, fort war. Für immer. Der Grund dafür dass Percy zeitweise einen Teil seines Humors und seines alten selbst verloren hatte. Der Grund für so viel Angst und Schmerz. Es war alles vorbei.
Über eine Verbindung, von der ich zuvor nichtmal gemerkt hatte, dass sie da war, spürte ich, dass ähnliche Gefühle in Percy vor sich gingen. Einer vielleicht daraus resultierenden Intuition folgend fiel ich ihm einfach um den Hals. Es war irgendwie eine Mischung aus Überwältigung, Glück und gleichzeitig diesem Gefühl von Unglauben, Unwirklichkeit.
Er nahm mich in eine feste Umarmung und wir hielten uns beide aneinander fest bis die Welt und meine Gedanken dazu sich nicht mehr drehten. Als ich schließlich meinen Griff etwas lockerte, flüsterte er sanft: „Bereit, weises Mädchen?"
Ich musste schmunzeln. Es war einer dieser Spitznamen, die ich nur von ihm dulden würde. Ein Lächeln schlich sich auf meine Lippen. „Natürlich, Algenhirn. Lass uns noch etwas Spaß haben."
Er grinste und wir rannten zurück in die Richtung der Schule. Eben noch im Weltraum, jetzt zurück in die Schule. Aber wir wollten uns eben noch ein bisschen durch unsere Körper austoben.
Die Monster sahen uns nicht kommen. Natürlich, wir fielen ihnen ja auch wortwörtlich in den Rücken. Eines nach dem anderen wurde auf die eine oder andere Art aufgespießt und in die ewige Leere geschickt. Vielleicht hatten sie Glück und würden sich irgendwann wieder zusammenformen, aber das war auf jeden Fall nicht mehr so zuverlässig wie die Jahrtausende zuvor.
Aber es war natürlich nicht unsere Art, sich von hinten anzuschleichen und dann kurzen Prozess zu machen. Wir rannten an vielen von ihnen vorbei, bis wir vollends umzingelt waren, und dann begann der goldene Regen. Also Wassertröpfchen von Percy gesteuert mit den goldenen Staubpartikeln darin, die sie bis zum Gehtnichtmehr funkeln und glitzern ließen.
Wären nicht jede Minute mehrere Monster darin umgekommen, hätte man es vielleicht für eine Kunstaufführung halten können, wie Rachel sie gerne als goldene Statue für gemeinnützige Zwecke gehalten hatte. Nur dass unser Schauspiel natürlich unendlich viel schöner und beeindruckender war... und außerdem mehr Leuten half.
Wie schon immer stellten wir uns entweder gegenseitig ein Bein oder hielten uns den Rücken frei. Ersteres allerdings selten während Kämpfen.
Und so ging es Minute für Minute weiter und ich hatte irgendwann keine Lust mehr auf Zählen. Ich wusste nur, dass die gesichtsvernarbte Empusa vom Anfang des Kampf noch ein weiteres Mal erdolcht werden wollte und dass Percy ein weiteres Mal die Hackfresse fertig machte.
Wir merkten, dass sich die Kämpfe dem Ende entgegen neigten, als der Ansturm von Monstern immer geringer wurde. Man könnte meinen, sie wären langsam vernünftig geworden und würden uns als stärkere Gegner meiden, aber wenn sie das die letzten zweieinhalb Jahrtausende nicht getan hatten, warum dann jetzt?
Nicht lange und die Masse vor uns hatte sich so sehr ausgedünnt, dass wir nichtmal mehr so tun brauchten, als würden wir uns verteidigen. Wir trennten uns auf und gingen nun selbst auf Jagd nach den Überlebenden im Umkreis. Also den überlebenden Monstern.
Ich sprintete durch das halbdunkel des Waldes. Das Blätterdach war so dicht, dass es selbst am frühen Nachmittag das meiste Licht aufhielt. An manchen Stellen war der Boden kniehoch in Monsterstaub eingedeckt, an anderen lagen nur ein paar Flocken herum, die der Wind dorthin geweht hatte. Ersteres waren vermutlich die Bereiche, in denen entweder ein mächtiger Zauber der Schüler eine Schneise geschlagen hatte oder in denen einer der anderen gekämpft hatte.
Aus dem Augenwinkel sah ich mehrfach einzelne von ihnen, aber ich hielt nicht an. Erst alles zu Ende bringen, dann feiern. Das hatte ich aus Leos zeitweisem Verschwinden gelernt.
Ich sprang ein Monster nach dem anderen an, teilweise aus Metern Entfernung, und reinigte den Wald so sehr schnell. Die anderen halfen auch mit, aber ich denke schon, dass der größere Teil von mir kam. Ich nahm es nämlich immernoch ernst.
Als ich auf der exakt entgegengesetzten Seite des Schlosses, von wo wir gestartet waren, ankam und mich mit Percy wiedertraf, lächelten wir beide zufrieden und blickten dann in die Richtung des Schlosses.
Ich wusste nicht, wie lange man brauchte, um einen Rasen so sehr zu pflegen, wie dieser es vor der Schlacht gewesen war, aber wenn Professor Sprout nicht irgendein Wundermittel besaß, würde sich Hogwarts bald einen Gärtner leisten müssen. Der Boden war von Kratern übersät und das verbleibende Gras schwelte zu großen Teilen vor sich hin. Das passierte, wenn man einem Haufen von Jugendlichen erlaubte, alle Zerstörung rauszulassen, die sie zu bieten hatten.
Ich ließ meinen Blick, genau wie meinen Realitätssinn durch die Gegend schweifen und fand genau das, was ich gehofft hatte. Nichts. Also zumindest keine leblosen Körper. Ich konnte es fast nicht glauben, aber es war vielleicht wirklich möglich, dass dieses eine mal niemand in einem Kampf von diesem Ausmaß gefallen war.
Nach meinen früheren Erfahrungen grenzte das wirklich an ein Wunder. Wir liefen deshalb zuversichtlich zum Schloss zurück. Am Tor erwartete uns eine Traube von Schülern.
Auf den schnell anschwellenden Rausch von Fragen, was jetzt passieren würde, erwiderte Percy einfach: „Es ist vorbei. Es sah so aus, als würden keine weiteren Monster mehr auftauchen." - „Gibt es noch irgendjemanden, der Hilfe braucht und aus dem einen oder anderen Grund nicht bei Will in der großen Halle ist?", setzte ich allerdings sofort nach, bevor Jubel laut werden konnte.
„Oben im siebten Stock!", rief die Stimme eines Mädchens, die ich auf die Schnelle nicht zuordnen konnte. „Mace Dupidity ist bei einem Zusammenstoß gegen eine Statue gestolpert und hat sich dabei am Kopf und am Ellenbogen so sehr verletzt, dass ein Transport zu schmerzhaft gewesen wäre. Kalypso hat sich notdürftig darum gekümmert, aber das hält sie eher stabil, als dass es sie heilt", erklärte sie weiter.
Ich nickte, auch wenn ich nicht sicher war, ob sie mich sehen konnte. „Wir kümmern uns darum, ihr habt damit den restlichen Tag frei und könnt machen, was ihr wollt. Vielleicht könnten einige von euch sich in dieser Zeit auch an dem Rasen versuchen, es würde der Freizeit von euch allen vermutlich sehr gut tun."
Meine letzten Worte gingen im Jubel unter, aber ich glaubte, dass genug Leute sie gehört hatten, damit sich dort irgendetwas tun würde. Erfahrungsgemäß waren Aufräumarbeiten nach einem großen Kampf oder einer Katastrophe einer der Zeitpunkte, in denen man das sozialste und hilfsbereiteste Verhalten bei Menschen beobachten konnte.
Ich griff mir Percys Hand und wir drängten uns durch die feiernde Menge. Im Treppenhaus der unnötigen Gefahren übten wir ein wenig Parcours, indem wir einander durch Räuberleitern Schwung nach oben gaben und dann den jeweils anderen hoch zogen. Man hätte auf anderem Weg auch noch mehr Zeit sparen können, aber wir wollten uns noch ein wenig austoben. Wenn Mace in stabiler Lage war, sollte das akute Schmerzen ausschließen.
Wir fanden sie dann auch recht schnell und ich musste zugeben, wenn man betrachtete, wie viel Pech sie bei ihrem Sturz gehabt hatte, hatte sie sich tapfer geschlagen. Ihr Arm schien ungünstig gegen eine Kante einer Statue geschlagen zu sein und was genau die Platzwunde an ihrem Kopf verursacht hatte, wollte ich garnicht so genau wissen. Letztere war ordnungsgemäß verbunden und ihr Arm lag so an ihrer Seite, dass der gesplitterte Knochen ruhig da lag und sich nicht so leicht bewegte.
Wir eilten schnell zu ihrer Hilfe. Hier hatte ich mal wieder Glück, dass ADHS mir half, mich auf mehrere Dinge gleichzeitig zu konzentrieren. Ich redete ihr zur gleichen Zeit gut zu, wie ich die Fragmente ihres Knochens magisch an die richtigen Stellen zurück schob und diese wieder miteinander verband.
Funktionierendes Körpergewebe kontrolliert wiederherzustellen war vielleicht eine der schwersten Aufgaben, die es gab, daher nutzte ich nur ein sehr ähnliches Material, was leicht abbaubar war. Es wäre nicht ganz so stabil, würde sich aber in ein paar Tagen wieder normalisieren.
Percy hatte sich währenddessen ihre Wunde vorgenommen und dieser geholfen, sich vollständig wieder zu schließen. Ich erklärte Mace den Zustand ihres Armes, wofür sie sich trotzdem sehr bedankte, und bot ihr dann meine Hand an, um sie wieder auf die Beine zu ziehen.
Sie ergriff diese und nachdem sie bei ihrem ersten Schritt fast gestolpert wäre, lief sie wieder halbwegs sicher auf den eigenen Füßen. Wir gaben Kalypso, die sicherheitshalber neben dem Mädchen gewartet hatte, einen Daumen nach oben und sie lächelte, bevor sie in die entgegengesetzte Richtung verschwand.
Wir folgten sicherheitshalber der eben noch verletzten in angemessenem Abstand, nur für den Fall, dass sie sich doch mehr getan hatte, als wir ursprünglich behandelt hatten, aber es schien nicht so. Wir begleiteten sie bis zu den bronzenen Türen des Ravenclaw-Turms, ihrem Haus, in dem sie sich ausruhen könnte. Von da an verließen wir sie allerdings, ich glaubte nämlich nicht, dass ein sechzehnjähriges Mädchen sich jetzt so sehr über Aufpasser oder Ähnliches gefreut hätte.
Wir haben wenig Zeit, also auf in die große Halle. Wir haben wenig Zeit? Nein, du!
Es hatten sich wieder alle Häuser versammelt. Die Tische standen wieder an ihren alten Plätzen, denn Will hatte sein temporäres Lazarett wieder geschlossen, nachdem er seine Patienten durchbehandelt hatte. Es war tatsächlich dabei geblieben, dass es weder Tote noch dauerhaft verletzte gegeben hatte.
Einige vor allem männliche Siebtklässler hatten sich zu weit vom Schloss weggewagt und waren dann von einer Explosion oder einem großen Stein getroffen worden. Sie trugen jetzt meist einen Gips, da Will verständlicherweise meinte, sie sollten nicht lernen, dass jede Verletzung irrelevant ist und man nicht aufpassen brauchte. In den schlimmeren Fällen hatte er die Knochen so an die richtige Stelle gerückt, wie ich das mit Mace gemacht hatte, damit zumindest alles wieder ordentlich heilen konnte, aber bis das geschah mussten sie einen Gips tragen. Selbst wenn es ihre Zauberstabhand war.
Aber selbst diese gegenwärtig etwas eingeschränkten Schüler waren in ausgelassener Stimmung. Der Sieg trug sicher einiges dazu bei, aber ich war mir sicher, die Null-Prozent-Mortalität hatte einen genauso großen Einfluss.
Der Umstand, dass nach dem Ende des Gefechts Ron wieder aufgetaucht war, schwer verwirrt und ziemlich fertig, aber ganz klar wieder der alte er, sorgte dafür, dass von den Gryffindors die meiste Ausgelassenheit ausgestrahlt wurde. Für die meisten war er eben in irgendeiner Form ein Freund oder Kamerad gewesen, den man lieber nicht verlieren wollte.
Wir standen vorne auf dem Lehrerpodium und schmunzelten über die lebhafte Stimmung. Allein dadurch, dass wir vorne standen, kehrte aber langsam Ruhe in der Halle ein. Wir hatten es tatsächlich auch hier geschafft, dass die Schüler uns selbst als Autoritäten ansahen, denen sie zuhörten und folgten, ohne dass sie dabei ihre Eigenheiten aufgaben oder es erzwungen wirkte.
„Liebe Schüler, liebe Lehrer, ihr habt heute großartig gekämpft. Ich kann aus Erfahrung sagen, es ist eine ganz schöne Leistung, so große Horden aufzuhalten. Auch wenn mehr als hundert Zauberstäbe samt Besitzer sich dafür einsetzen, diese Wesen zurückzuschlagen ist eine schwere Aufgabe, die ihr hervorragend gemeistert habt. Also bitte einen Applaus für euch selber." Ohrenbetäubender Lärm, von Klatschen bis Johlen, füllte die Halle unter den Kerzen und dem dunkelblauen Sternenhimmel.
Nach mir ergriff nun auch Percy das Wort. „Annabeth hat recht, immer, ihr habt großartig gekämpft und ich glaube es ist gerecht zu sagen, die meisten von euch konnten das Schloss nur deshalb so gut verteidigen, weil ihr euch in jeder einzelnen Unterrichtsstunde so sehr angestrengt habt, mit dem einen Ziel, besser und besser zu werden. Wir bedanken uns für diese Mitarbeit." Und erneut toste uns Applaus und Jubel entgegen.
Ich sah aus dem Augenwinkel, wie sich Dumbledore von seinem Stuhl am Lehrertisch erhob und um diesen herum zu uns schritt. „Percy, Annabeth und selbstverständlich alle eure Freunde gleichermaßen, ich denke, ich spreche für alle, wenn ich sage, dass wir sehr dankbar für eure Hilfe sind und vermutlich ohne euch nicht mehr vollzählig hier wären." Das war ziemlich sicher. Tartarus war vermutlich kein gerechter Gegner.
Nachdem der Schulleiter eine kurze Pause gelassen hatte, erklärte er weiter: „Auch wenn das der Grund war, aus dem ihr ursprünglich hergekommen seid, haben sich wohl hier in dieser Zeit einige Freundschaften gebildet. Ihr könnt natürlich sofort wieder nach Hause fahren, aber wenn ihr möchtet, wäret ihr auch für den Rest des Schuljahres hier willkommen."
Percy und ich sahen uns an und blickten danach in die Gesichter von unseren Freunden. Die Antwort war klar. „Es wäre uns eine Freude", erwiderten Percy und ich unisono.
Er nickte erfreut und ein drittes Mal erfüllte Applaus die Halle. Auch ich freute mich wirklich darüber, denn einige der Leute hier waren wirklich nett, mit vielen Ravenclaw konnte man tatsächlich vernünftig reden und es konnte ja nun wirklich nicht sein, dass mein nächster Ausflug nach Europa nicht nur wieder einen Besuch im Tartarus mit sich führte, sondern nach einem großen Kampf auch wieder aus und vorbei war.
Hallöchen, hier ist Manfred. Wisst ihr was ich jetzt mache? Nein, aber deinem Gesicht nach möchte ich es auch wirklich nicht wissen. Oh doch, ich zeige euch, wie mächtig ich bin. Nix restliches Jahr in Hogwarts hier, ab gehts an den Bahnhof auf dem Weg zurück! Dein Ernst, wozu sind sie denn dann noch da? Kannst du dir überlegen, aber heute wird nichts über Erlebnisse in diesem Jahr erzählt. Das war's, Gehalt für heute ist gestrichen. Keine Kekse! Dann wird eben ein andermal von dieser Zeit erzählt. Warte was, meine Kekse? Das kannst du nicht machen! Doch ich kann. Irgendein Druckmittel muss ich doch auch haben. Also schön, dann kriegst du deinen Streit. Die Zeit wird trotzdem übersprungen.
Percy pov
Ein bisschen traurig blickte ich auf das Schloss hinter uns zurück, bevor ich den Schritt in den Zug setzte. Wir hatten über den Verlauf des letzten Schuljahres hinweg so viele verschiedene und wertvolle Erinnerungen, man konnte tatsächlich sogar sagen, nochmal einen ganz anderen Blick auf die Welt und darauf, wie sie laufen konnte, gewonnen.
Camp Half-Blood war das beste, was man aus grauenvollen Voraussetzungen machen konnte. Zumindest in meinen Augen. Hogwarts war ein Ort, an dem die Jugendlichen eigentlich sehr schöne Voraussetzungen hatten. Ich glaubte jedenfalls nicht, dass viele Zauberer vor dem Spiegel stehen und ehrlich sagen würden: „Echt, ich habe nicht darum gebeten, als Zauberer auf die Welt zu kommen!"
Und trotz der damit verbundenen Gefahr war ich froh, im Camp gelebt zu haben. Vielleicht lag das an mir, aber der Unterricht von Hogwarts schien mir bei den meisten Lehrern, selbst bei denen, die ich eigentlich für recht fähig hielt, zu altmodisch zu sein. Die Art, wie mit Schülern umgegangen wurde, nahm einfach den Geist dieser sonst so buchstäblich magischen Welt.
Ich merkte, dass ich bei den Erinnerungen stehengeblieben war und auf meine Füße gestarrt hatte. Ich hob schnell wieder den Blick. Vor mir lag mal wieder der schönste Anblick, den ich mir vorstellen konnte. Annabeth stand da in einem orangenen Shirt vom Camp, lächelte und streckte einen Arm aus. Ich riss mich aus den Gedanken los und stieg in den Zug.
Sie führte mich zu einem Abteil, in dem bisher nur Hermine saß. Auf Nachfrage erklärte sie, dass Harry und Ron, welcher sich inzwischen auch mit Draco vertrug, zusammen mit Ginny in ein Abteil gesetzt hatte und sie nicht wollte, dass wir „an unserem letzten Tag in der Welt der Zauberer alleine waren". An sich hätten wir uns sehr wohl auch zu zweit auf den letzten Platz quetschen können, aber das schien mir für eine so lange Fahrt irgendwie nicht all zu verlockend.
Wir freuten uns jedenfalls über ihre Geselligkeit und auf irgendeine Weise blieb so für die gesamte Dauer der Fahrt fast von selbst ein Gespräch am laufen. Die Felder und Wälder zogen an uns vorbei, die Sonne stieg erst immer weiter auf und sank dann irgendwann bis zum Horizont hinab.
Ich genoss diese Zeit wirklich. Hermine war auf jeden Fall nette Gesellschaft. Aber gleichzeitig fühlte es sich auch an wie ein Abschied und ich mochte Abschiede nicht.
Stimmt schon, wenn wir unbedingt wollten, konnten wir vielleicht einmal zurückkehren und unsere Freunde aus diesem Jahr wiedersehen, aber ich hatte irgendwie nicht das Gefühl, dass das besonders oft geschehen würde. Man musste allerdings auch dazu sagen, bis dahin würde es viele andere wundervolle Dinge geben, die wir noch tun konnten und wollten. Und eine davon erwartete uns, so meine Mutter, bereits eine Woche nach unserer Heimkehr.
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7697 Wörter
Vielen Dank fürs Lesen. Ich hoffe, es hat euch gefallen. Unabhängig davon freue ich mich über jeden Vorschlag zur Verbesserung.
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