Kap. 119 Eine letzte Träne

Katrina pov

Es war noch tief in der Nacht, als die Wachen durch die Zeltreihen liefen, um alle zu wecken. Jeder musste wach sein und sich auf das bevorstehende vorbereiten. Dieses Mal wurde auch ich davon wach und so half ich Roran von da an wortlos, seine Ausrüstung vorzubereiten.

Viel sprechen konnte dabei keiner von uns, denn auch wenn ich versuchte es zu verstecken, um die Last auf ihm nicht noch schwerer zu machen, wir wussten beide, dass er vielleicht das Morgen nicht mehr erleben würde. Dieser Gedanke brach mir immer und immer wieder das Herz.

Ich erinnerte mich zurück an den Abend, bevor er nach Aroughs ausgezogen war. Die Zeichen über seinem Kettenhemd, die wohl angeblich bedeutet haben sollten, dass dieses funkelnde Ding unzerstörbar war. Wir wussten es nicht mit Gewissheit, denn niemand von uns hatte einen Grund gesehen, es genauer auszuprobieren, aber allein die Möglichkeit war genug, um ihm genau dieses überzustreifen. Für einen Moment blieb mein Blick daran hängen und ich sah, wie fein, detailliert und sogar kunstvoll verziert es war. Auch rasselte es nicht so laut, wenn man sich bewegte. Natürlich machte das aufeinandertreffen der Ringe immer wieder ein Geräusch, aber das Ganze klang eher wie ein dumpfes Rauschen, als wie das gewöhnliche Rasseln, was man normalerweise hörte.

Die metallnen Platten, die seine Schienbeine, Ellenbogen, Knie und Unterarme schützten, überprüfte und rückte ich so oft zurecht, dass mein Geliebter bereits sichtlich genervt davon war, aber er wusste genau, dass ich darauf bestehen würde. Zumindest alles, worauf ich Einfluss haben konnte, sollte ihn bestmöglich vorbereiten. Als ich gerade die Panzerhandschuhe in die Hand nahm, fiel mir noch etwas anderes ein. Die Kette und der Armreif, die wir damals ebenfalls zu unserer Hochzeit bekommen hatten. Bis zum heutigen Tag hatte keiner von uns verstanden, wie sie funktionierten, aber wenn wir auf das Kettenhemd vertrauen wollten, dann gab es keinen Grund, nicht auch ihnen eine Chance zu geben.

Und so verschloss ich die filigranen Teilstücke in seinem Nacken und warf einen letzten Blick auf das Schmuckstück selbst. Darauf sah man einen Mann, der kampfbereit und mit erhobenen Schwert da stand. Hinter ihm stand eine weibliche Gestalt, die einen Arm ausgestreckt auf seinem Rücken liegen hatte. Es war fast wie Hazel mir damals erzählt hatte. Nicht jeder muss kämpfen, manche helfen den Kämpfern auf andere Art und Weise. Ich nahm meinen Reif von der Stirn und bei genauerer Inspektion sah ich, dass in dem dunkelblauen Juwel, das für mich die Vorderseite des Schmuckstücks markierte, Formen zu erkennen waren. Im Inneren waren kleine Hohlräume geschaffen worden. Ich sah genauer hin und glaubte, eine Gestalt mit Rüstung am Boden liegen zu sehen, über der eine andere Gestalt kniete. Es konnten durchaus die selben sein, die auch auf der Kette abgebildet waren.

Die kniende Frau hatte wieder ihre Hand auf den Arm des Kriegers gelegt und als ich die Augen zusammen kniff, glaubte ich dort ein schwaches gelbes Leuchten zu sehen, ganz wie die Bilder von Heilmagiern oft in Geschichten dargestellt wurden.

Ich zeigte Roran meinen Fund und er kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. Das brachte mich trotz der Situation, in der wir uns gerade befanden, zum Lachen. „Wie ist das möglich?", murmelte er. „Magie, vermute ich", war meine schlichte Antwort. Schlussendlich hing nahezu alles, was wir uns nicht erklären konnten, mit Magie zusammen. Ich steckte ihm seine Kette sicher unter das Kettenhemd, sodass sie ihn nicht stören könnte und er sie nicht verlieren würde. Eine Stimme in meinem Kopf, von der ich nicht wusste, ob sie nur durch Hoffnung erfunden war, oder ob sie wirklich existierte, versprach mir, dass diese Kette noch wichtig werden würde. Ich wollte mir garnicht vorstellen, was damit gemeint sein konnte.

Und dann war seine Ausrüstung auch schon fertig zusammengestellt. Ich seufzte einmal traurig und blickte an ihm herab. Egal wie edel seine Rüstungsteile nunmehr aussahen, für mich blieb er der liebe Junge, mit dem ich mich seit so vielen Jahren in den Wald geschlichen und in den ich mich mit der Zeit immer mehr verliebt hatte. Erst einen Moment später merkte ich, dass diese Erinnerung ein Fehler gewesen war und eine einzelne Träne lief mir die Wange runter. Warum musste das alles hier passieren? Warum?

Er sah sofort, was mir durch den Kopf ging und nahm mich in den Arm. Ich zog ihn fest an mich und legte meinen Kopf an seinen. Wie sehr ich mir wünschte, dass es einfach immer so bleiben würde. „Komm zu mir zurück!", flüsterte ich, als ich ihn schließlich mit einem letzten Kuss losließ. Ich wusste, dass es nicht fair war, ihn zu bitten, mir genau das zu versprechen, aber ich konnte nicht anders, als ihn zumindest darum zu bitten. Ich hoffte im Nachhinein nur, dass er sich nicht davon ablenken lassen würde, sondern daraus neue Kraft ziehen konnte. Ansonsten hätte ich damit vermutlich gerade das genaue Gegenteil von dem erreicht, was ich erreichen wollte.

Ein letztes Mal trafen sich unsere Blicke, dann drehte er sich um und schlüpfte aus dem Zelt. Lange, zu lange blickte ich ihm nach und wünschte mir, er würde wieder rein kommen, doch ich wusste, das würde nicht geschehen, denn käme er einmal zurück, würde er wieder und wieder rückfällig werden und das war in seiner Position unmöglich.

Roran pov

Ich verließ das Zelt schweren Herzens. Mit jedem Schritt wollte ich mehr einfach umdrehen und mich dort in Sicherheit gewiegt wissen. Leider war diese Sicherheit eine Illusion. Wir waren zu weit gekommen um noch in Sicherheit sein zu können. Die Trauer konnte dieses Wissen jedoch nicht beseitigen und eine einzelne Träne lief meine Wange hinab.

Ich lief zu dem Ort, an dem die Anführer vereinbart hatten, sich vorab zu treffen, und sofort sah ich auch schon die Krieger wach und in Reih und Glied stehen. Sehr viele von ihnen, zu viele, sahen aus, als sein sie deshalb so schnell hier, weil sie die Nacht zu wenig oder garnicht geschlafen hatten. Wer konnte es ihnen verübeln?

Während ich vorbei lief, erkannte ich zwei verschiedene Verhaltensmuster. Die einen waren völlig in sich gekehrt und sprachen kein einziges Wort oder antworteten nur einsilbig, die anderen waren übermäßig redselig und erzählten jedem, der es hören wollte, alles über ihr Leben und ihre Familie. Ich verstand sie. Meine Methode war meistens die erstere gewesen, doch der Impuls, einfach alles mitzuteilen, für den Fall, dass man danach nie wieder die Gelegenheit dazu bekäme, war mir ebenfalls nicht unbekannt.

Als ich die anderen dann erreichte, sie standen etwas erhöht auf einem kleinen Hügel, hörte ich gerade noch, wie Annabeth ihnen in einem ziemlich ironisch angehauchten Ton erklärte: „Ich fürchte, der ist dauerhaft verhindert, weil er ein paar grundlegende Benimmregeln vergessen hat. Man greift seine Verbündeten nicht aus dem Rücken an." Es war sofort klar, worüber sie sprach. Die Ereignisse des vorigen Tages.

Ich war zum Glück nicht der letzte, denn wie ich feststellte fehlte noch Orik. Tatsächlich passte das recht gut zu meiner Einschätzung, denn ich glaubte mich zu erinnern, dass er ebenfalls Familie hatte, von der er sich zur Sicherheit verabschiedete. Sie war nicht im Lager, aber dafür gab es Magie. Gerade während er angeritten kam, hörte man plötzlich ein lautes Krachen und Klirren aus der Stadt, wie wenn etwas Großes zu Boden fällt.

Sofort lagen alle Augen auf der in den Hügel eingebetteten Zitadelle. Qualvolle Sekunden geschah nichts doch dann ertönte das Geräusch nochmal. Und nochmal. Und nochmal. Vier scholl das Klirren zu uns herüber, dann herrscht wieder absolute Stille. Und zwar tatsächlich absolute Stille, denn selbst diejenigen aus den Truppen, die von der Angst die am meisten gelockerte Zunge bekommen hatten, wagten jetzt aus dem selben Grund keinen Laut mehr von sich zu geben.

Und dann geschah es, wie in einem Albtraum stieg aus dem Berg ein riesiger, schwarzer Schatten auf, den man fast nur an den Sternen, die er hinter sich verdeckte, erkennen konnte. Niemand in dieser gesamten Armee musste fragen, wer das war. Shruikan, Galbatorix Monster. Ich sah zu Saphira und Glaedr, die in Saphiras Fall weiter diesen und in Glaedrs den Nachbarshügel hinab lagen, beide auf der Urû'baen abgewandten Seite natürlich, und keiner der beiden schien wirklich Angst zu haben, aber hochfliegen und die eigene Stärke beweisen wollten sie verständlicherweise auch beide nicht, auch wenn das unter Drachen oft so üblich wäre, wie mir erzählt worden war.

Shruikan öffnete sein gigantisches Maul und stieß ein ohrenbetäubendes Brüllen aus, bevor ein blauer und orangener Flammenstrahl den Himmel erhellte. Die Hitze war bis zu uns zu spüren. Spätestens damit war es schwierig, den Giganten als Illusion anzunehmen, auch wenn das für die Zuversicht sicherlich bedeutend besser wäre. Auch wenn seine Größe ihn unwirklich scheinen ließ, nach allem Wissen über Magie, was ich in den vergangenen Monaten angesammelt hatte, wäre das Erzeugen dieser Hitze auf eine so enorme Distanz viel zu kraftaufwendig.

Dann hörte ich ein Flüstern neben mir: „Der Imperator will damit Einschüchterung spielen? Na schön, soll er haben." Und mit diesen Worten streckte Hazel Zeige- und Mittelfinger gerade in den Himmel und sie begannen zu glühen. Ein dunkelblauer Gigant, der Shruikan in nichts außer den roten Augen nach stand, brach aus ihren Fingern hervor und brüllte dem Schwarzen entgegen.

Selbst aus der Entfernung und ohne mehr als ein paar mal direkt mit einem Drachen zu tun gehabt zu haben, konnte ich erkennen, dass das ganz sicher nicht das gewesen war, was der Schwarze erwartet hatte. Über eine Minute lang schwebten die beiden Riesen über uns und obwohl es wohl anscheinend nur ein Bild aus Lichtern war, spürte man den Wind bei jedem Flügelschlag. Laut, teilweise sogar in den Ohren dröhnend.

Das ganze Schauspiel endete darin, dass

Shruikan langsam zurück dorthin sank, wo er hergekommen war. Man hörte wieder vier mal in recht kurzen zeitlichen Abständen das Klirren der anscheinend riesigen Ketten und dann war es wieder ruhig. Sofort hörte ich selbst von der eigentlich einige Dutzend Meter entfernt wartenden Hauptstreitmacht das Flüstern. Keine einzelne Stimme war zu erkennen, aber es waren insgesamt so viele, dass ich doch etwas hörte.

Der blaue Drache über uns fiel in sich zusammen, schrumpfte und verschwand dort wo er hergekommen war. An Hazels Fingerspitzen. Jetzt hatten die Leute noch viel mehr zum Flüstern. Und ich hatte ganz offensichtlich jetzt die Aufgabe, all das, was sie gerade gesehen hatten, richtig bei ihnen ankommen zu lassen, damit es Zuversicht und nicht Furcht auslösen würde.

Bevor ich jedoch zu ihnen lief, blickte ich noch einmal zu Eragon. „Ihr erledigt euren Teil, ich sorge dafür, dass wir unseren übernehmen. Heute Abend feiern wir unseren Sieg!" Und ich hielt ihm die Hand hin. Er hielt den Blickkontakt aufrecht, während er antwortete: „Abgemacht!" Er ergriff meine Hand und der Griff wurde fest, auch wenn ich leider wusste, dass er gewinnen würde, wenn er es wirklich darauf anlegte. Früher war das noch andersrum gewesen. Die guten alten Zeiten.

Und mit diesem Versprechen im Rücken wandte ich mich ab und lief zur Spitze des bereit stehenden Heeres. Je mehr ich Abschied nehmen würde, desto geringer wäre der Überlebenswille und desto abgelenkter wäre ich für die folgenden Stunden. Ich musste mir einfach selbst einreden, dass es auch nicht mehr war, als eine gewöhnliche Schlacht. Erfolg konnte durch Einsatz erzielt werden und aufgeben war keine Option. Nichts neues dabei.

Als ich mich der vordersten Linie näherte, sah ich am Rand einige ältere Männer teils stehen, teils sitzen, die vor oder neben sich Schleifsteine stehen hatten. Offenbar waren sie zu alt fürs Kämpfen, wollten aber auch ihren Beitrag leisten, indem sie den Jüngeren halfen, ihre Waffen zu schärfen. Einen von ihnen, der sehr weit vorne stand und seinen breiten Schemel scheinbar nicht brauchte, fragte ich: „Darf ich mir den kurz einmal ausleihen?", während ich auf das Holzgestell deutete. Ohne Zögern oder genauer hinzusehen nickte er und so griff ich mit einer Hand zu und schleifte es einige Meter hinter mir her, bis ich ganz vorne stand. Er war nur knapp zwei Fuß hoch, aber mehr brauchte und wollte ich sowieso nicht.

Ich stellte die kleine Erhöhung ab und teste versuchsweise, ob sie sicher stand und mich tragen würde. Unter den neugierigen Blicken derjenigen, die wohl als erste die Mauer erreichen würden, sprang ich auf den Hocker und blickte über die Köpfe hinweg. Ich stand vor ihnen allen, gerade hoch genug um alle sehen zu können und damit die meisten mich sehen konnten, aber nicht so hoch, dass ich wirklich von oben auf sie herab geblickt hätte. Auch das war mir nur recht.

Ich wartete, bis es langsam still wurde und alle Blicke ein weiteres Mal auf mir hafteten. Ich atmete einmal tief durch und schob den Gedanken, wie einflussreich meine Worte jetzt wohl sein würden, erstaunlich erfolgreich davon.

„Ein letzter Kampf!", rief ich, laut genug damit jeder es hören konnte, aber nicht so laut, dass es wie gebrüllte Befehle klingen könnte. „Heute haben wir in der Hand, wie die aller Zukunft aussehen wird. Und es geht nicht nur um uns, die heute kämpfen werden. Wir kämpfen für uns, aber stellvertretend auch für alle, die das nicht tun können. Die Weiber in unserer Heimat, unsere Kinder bei ihnen, die Jungen, die noch nicht alt genug für den Kampf sind, uns aber dennoch nach Möglichkeit unterstützen, die Alten, die trotz der frühen Stunde hier bei uns sind und uns mit den letzten Vorbereitungen helfen. Es geht um unsere Zukunft. Die von uns allen.

Aus diesem Grund spreche ich auch von hier vorne zu euch, denn wie ich schon erklärt habe, ich bin kein Krieger oder Feldherr. Ich bin ein gewöhnlicher Bauer, der ein Ziel vor Augen hat, für das es sich zu kämpfen lohnt. Ich werde mich nicht über irgendjemanden hier stellen. Wenn jemand der Meinung sein sollte, er könne diese Aufgabe besser übernehmen und die Mehrheit hier stimmt ihm zu, werde ich ohne ein Widerwort ihm die Führung überlassen."

Diese Worte ließ ich einen Moment sinken und war tatsächlich fast ein wenig überrascht, dass niemand etwas sagte, nichteinmal solche, die ähnlich wie die Adeligen Surdas davon ausgingen, dass die Geburt über den Stand entschied. „Dann fühle ich mich hiermit geehrt, diese Verantwortung zu tragen. Jeder von euch hat etwas gefunden, für das er kämpfen möchte, sonst wäret ihr jetzt nicht hier. Erinnert euch immer daran, wenn euch die Erschöpfung einholt oder wenn es aussichtslos scheint. Hoffnung ist erst dann verloren, wenn wir aufgeben. Wir haben nun schon ein halbes Dutzend Schlachten in riesiger Unterzahl gewonnen und diese wird sich nur dadurch unterscheiden, dass sie die Letzte ist. Heute werden wir allen zeigen, aus welchem Holz wir geschnitzt, aus welchem Stein geschlagen, aus welchem Wunder wir geboren sind.

Wir alle haben gesehen, dass Galbatorix Monster in der verfluchten Zitadelle von Urû'baen lebt, doch ich kann euch versichern, wir werden uns nicht damit rumschlagen müssen. Wir werden die Stadt sichern, während Drachen und Reiter die Kämpfe ausfechten, für die man vom Schicksal auserwählt worden sein muss. Wir werden vorrangig gegen bewaffnete Krieger antreten, Mann gegen Mann, wie schon bei unseren bisherigen Siegen. Die brennenden Steppen. Feinster, Belatona und Dras-Leona. Urû'baen wird sich in diese Folge einreihen.

Lasst uns nun, alle freien Völker Alagaësias gemeinsam, die letzte und größte Schlacht bestreiten. Lasst uns kämpfen, dass noch in hundert Jahren von unserem heldenhaften Sieg berichtet wird. Lasst fliehen, wer sich rechtzeitig ergibt, denn nicht alle unsere Feinde kämpfen aus freien Stücken. Anders als wir haben sie nichts, wofür sie kämpfen sollten, und das wird sich in der Moral und am Ende im Ergebnis zeigen. Auf zum Sieg, bringen wir diesem Land nach einem vollen Jahrhundert voll Planung und Vorbereitung wieder seinen Frieden. Vergesst nie wofür wir kämpfen. Für das Schicksal Alagaësias, für eine gerechte Welt, für unsere Familien, für die, die wir lieben, für jeden Einzelnen, für uns selbst, für das Leben. Alle vereint für diese gemeinsamen Ziele!"

Und mit diesen Worten zog ich meinen Hammer und streckte ihn gen Himmel. Für einen Augenblick war es vollkommen still, doch bevor ich mich fragen konnte, ob ich vielleicht doch etwas falsches gesagt hatte, hoben alle fast zur selben Zeit ihre Waffen, doch niemand sprach ein Wort. Nur das Rascheln der Kleidung war zu hören. Offenbar waren die einzelnen Befehlshaber deutlich gewesen, dass Lärm vermieden werden sollte, um möglichst lange den Überraschungseffekt auf unserer Seite halten zu können. Auf diese Weise wurde aus einer Rede für einen Krieg schon fast ein andachtsvoller Moment, in dem sich jeder erinnerte, was er verloren hatte, und was er gewinnen wollte, und wie weit er dafür gehen würde.

Ich musterte alle Gesichter, die ich von meinem Standort sehen konnte und tatsächlich, fast jeder hatte einen traurigen und nachdenklichen Ausdruck im Gesicht stehen, aber je länger ich wartete, desto mehr wandelten sich diese Emotionen in pure Entschlossenheit um. In genau den unnachgiebigen Willen, der mich von Deldarat bis Aroughs angetrieben hatte. Eigentlich sogar schon von unserer Flucht aus Carvahall an. Wie schön, einfach und friedlich das Leben damals doch gewesen war.

Ich stieg von dem Schemel und brachte ihn schnellen Schrittes zu seinem Besitzer zurück. Dieser nahm das mit einem kleinen Nicken dankbar zur Kenntnis, schien aber ganz eindeutig gerade mit anderen Gedanken beschäftigt zu sein. Vielleicht war auch er gerade von seinen Erinnerungen eingeholt worden.

Ich wusste, dass ich vielleicht bei vielen sehr traurige Erinnerungen wach gerüttelt hatte. Erinnerungen an Erlebnisse und Geschehnisse, die viele vielleicht gerade verdrängen wollten, aber wenn meine Botschaft so angekommen war, wie ich gehofft hatte, dann würde keiner von ihnen dadurch in Trauer versinken. Sie würden das Gleiche wie ich tun. Aus ihrer Trauer und ihrer Wut Kraft ziehen, die sie immer weiter machen ließ, bis sie sich ihr Ziel erreicht hatten, und diese Ziele waren zwar für jeden unterschiedlich, doch über den Weg zu ihnen gab es keine Unstimmigkeiten. Aufstehen, wann immer man fallen sollte, bis der schwarze König und sein Machtapparat zerschlagen waren.

Es konnte keinen Frieden und kein Glück geben, solange der Thron noch von einem unsterblichen Mörder besetzt war, der ohne Rücksicht nahm, willkürlich zerstörte und tötete, wenn er sich davon einen möglichen Vorteil versprach. Er hatte ein gesamtes Dorf niedergebrannt und versucht seine Einwohner zu töten, nur weil einer der Bewohner mit jemandem verwandt war, den er fangen wollte, und er ein Druckmittel brauchte. Dieses Dorf würde heute zurückkehren und seine Stadt übernehmen. Möge dieser alte Dorn in seinem Auge ihn jetzt, rund einen Sommer später, noch erblinden lassen. Danach würde Carvahall wieder aufgebaut werden und vielleicht könnte langsam wieder Normalität dort einkehren. Ein Wort, dass mir schon lange unwirklich erschien. Normalität.

Ich seufzte und spürte, wie weit ich in den Tiefen meiner Erinnerungen verloren gegangen war. Eine heisse Träne lief meine Wange hinab. Katrina, so versprach ich mir selbst, ich werde dafür sorgen, dass du und unser Kind in Frieden leben können, ganz egal was ich dafür tun muss. Ganz egal!

Ich trat wieder an meinen Platz, an die Spitze der Armee, und hob ein weiteres Mal den Hammer. „Folgt mir zum Sieg. Die freien Völker gemeinsam für eine Welt von Frieden, Gerechtigkeit und Leben!", rief ich für alle vernehmbar bevor ich voraus lief, in dem Wissen, dass tausende Menschen, Zwerge, Urgals und Elfen mir nun folgten.

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3162 Wörter

Vielen Dank fürs Lesen. Ich hoffe, es hat euch gefallen. Unabhängig davon freue ich mich über jeden Vorschlag zur Verbesserung.

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