Kapitel 2
Geschockt starrte ich meinen Feind an. Die Angst brachte mich förmlich um. Ich konnte nur stumm mit einem Nicken auf die Frage meines Gegners antworten. Augenblicklich hörte ich auf, mich zu wehren, und die Wachen zerrten mich noch dichter an die Schatulle. Ich konnte kaum noch denken. Adrenalin durchfuhr meinen Körper und machte es mir unmöglich. Ich wusste, dass ich ihm nicht dabei helfen wollte, die Schatulle zu aktivieren. Auf gar keinen Fall! Das Grauen, was in ihr schlummerte, kannte ich bloß zu gut. Er durfte nicht gewinnen! Aber ich hatte keine andere Wahl. Ich hatte es nie gehabt. Von Anfang an war klar gewesen, wie meine Geschichte ausgehen würde. Gewusst hatte ich es, dennoch wollte ich es nie wahr haben und hatte versucht, ihn um jeden Preis zu stoppen. Doch es hatte nie irgendwas gebracht. Dennoch tat ich es sogar jetzt noch.
Weil ich einfach nicht aufgeben konnte.
,,Tiana! Hast du mir überhaupt zugehört?" Frau Schmidt, meine Mathematiklehrerin, schaute mich wütend an. ,,Ich hoffe, du kannst mir wiedergeben, was ich eben gesagt habe." Ihr Blick schien mich förmlich zu durchbohren.
Hilfe suchend, sah ich mich in der Klasse um. Doch mich trafen nur abweisende Gesichter. Betrübt schaute ich nach einer Weile zum Boden.
,,Habe ich es mir doch gedacht, genau aus diesem Grund wird nicht im Unterricht geschlafen. Wäre jemand so freundlich und würde Tiana erzählen, worüber wir uns eben unterhalten haben?"
Als sich niemand meldete, bestimmte sie einfach irgendjemanden. Zufällig war das ausgerechnet meine alte, beste Freundin Antonia. Sie antworte nur kurz und knapp: ,,Wir haben uns gerade über Parabeln unterhalten und Frau Schmidt hatte gefragt, wie man das Beispiel lösen kann."
,,Danke, Antonia. Nun wärst du so freundlich und würdest die Frage beantworten, Tiana", sagte die Lehrerin daraufhin streng.
Stille folgte. Ich wusste nicht, was ich antworten sollte, da ich die Aufgabe nicht sah, weil Frau Schmidt so vor mir stand, dass sie die Tafel verdeckte. Deshalb zuckte ich bloß mit den Schultern. Das schien meine Mathelehrerin noch mehr zu reizen und sie wendete sich wieder der gesamten Klasse zu. ,,Weiß denn wirklich niemand von euch die Antwort?" Die höhnisch lächelnden Gesichter verschwanden und wurden durch betrübte ersetzt. Die Meisten schauten auf den Boden, währendessen andere nur mit dem Kopf schüttelten. Die Lehrerin seufzte. ,,Na gut, wenn es niemand von euch weiß, dann wird es halt eure Hausaufgabe. Vielleicht versteht ihr es ja zu Hause besser. Denn anscheinend habe ich es nicht gut genug erklärt. Da hätte ich mir ja die vorigen Stunden sparen können", erklärte sie uns befehlend. Meine Mitschüler begannen eifrig, ihr Hausaufgabenheft herauszukramen und die Aufgabe abzuschreiben.
Ich hatte abermals nicht zugehört, da ich ein weiteres Mal Angst verspürte. Erneut sah ich ganz kurz die Bilder aufblitzen, die ich zuvor gesehen hatte. Dieses Mal jedoch war alles vermischt und verstreut, so dass die Bilder keinen Sinn ergaben. Mein Kopf begann zu pochen und ich stützte mich, den Schmerz versuchend zu stoppen, an meinen Tisch ab. Nach einer Weile verschwanden die Kopfschmerzen wieder. Die Angst blieb. Dennoch versuchte ich sie zu ignorieren.
Bei den darauffolgenden Stunden konnte ich kaum aufpassen, da mich die ganze Zeit Furcht verfolgte. Selbst als ich in der Pause meine Geschichten weiterschrieb, half es mir nicht. Und das, obwohl Schreiben meine Lieblingsbeschäftigung war. Langsam begann ich mir ernsthafte Sorgen zu machen. Zum Glück erlöste mich das Klingeln der letzten Stunde.
Die gesamte Schulzeit hatte ich sehnsüchtig darauf gewartet. Deshalb war ich auch die Erste, die ihre Sachen packte und aus den Raum ging. Ich spürte das Tuscheln der anderen Schüler im Nacken, doch das war mir völlig egal. Wichtig war für mich nur, so schnell es ging zur Bibliothek zu kommen - meinen Lieblingsort. Ich hoffte, dort würde ich Antworten auf meine Fragen bekommen. Natürlich musste ich meine Eltern informieren, dass ich zu ihr hinging. Schließlich wollte ich nicht, dass sie sich Sorgen machten.
Allerdings sagte ich nicht den wahren Grund, weshalb ich zu ihr wollte, da ich wusste, sie würden mir eh nicht glauben. Außerdem sollte das Alles ein Geheimnis bleiben.
Das hatte ich beschlossen, als sich der Vorfall in der Grundschule ereignet hatte. Meine Eltern waren fast ausgerastet, aber hatten abgestritten, dass sowas überhaupt möglich sei. Dadurch kam ich noch mal gerade so davon. Was mein Glück war. Seitdem hielt ich es geheim, so dass niemand es sah. Ich hatte gelernt, es zu unterdrücken, genau wie meine wahren Gefühle. Denn ich war anders, keine Frage. Deshalb hatte ich auch kaum Freunde in der Schule, aber ich kam damit zu recht. Schließlich konnte ich es den Anderen nicht verübeln. Ich wusste selber nicht, was mit mir los war und wieso. Aber klar war, dass ich so tun musste, als wäre ich normal. Damit niemand es jemals herausfinden konnte.
Als ich bei der Bibliothek ankam, begrüßte ich erstmal die Bibliothekarin freundlich und ging nach oben zu der Fantasieabteilung. Gefühlt abertausende von Büchern warteten auf mich. Sehr viele von ihnen hatte ich bereits gelesen, deshalb suchte ich mir dieses Mal eines aus, was ich noch nicht kannte. Es war ein schönes Buch mit einem alten Einband, der goldene Verzierungen hatte. In einer Schnörkelschrift war der Titel eingraviert: ,,Die nordischen Götter, magische Artefakte und mehr - die Lehre der Magie". Interessiert öffnete ich die erste Seite. Als mich gelblich verfärbte Seiten anfunkelten, hatte ich mich bereits entschieden, das Buch zu lesen. Das Alter des Buches machte es nur noch spannender. Ich suchte mir schnell einen freien Platz und begann zu lesen. Das Buch fesselte mich so sehr, dass ich den stetig zunehmenden Wind um mich herum nicht bemerkte.
Es schien, als hätte ich für einen Moment vergessen, meine Gefühle zu unterdrücken.
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