07. Oktober 2016

Freitag, 02.40 Uhr

Vorsichtig öffnete Kittie die Autotür und kroch unter der weißen Decke hervor. Sie war hellwach, obwohl es mitten in der Nacht sein musste. Es war unbequem im Auto zu schlafen. Früher hatte sie häufig irgendwo übernachtet, bei Nachbarn, bei sogenannten Freunden. Immer wenn sie wusste das Ma schlecht drauf war. Es war niemals ein Problem für sie gewesen auf dem Boden zu schlafen. Wahrscheinlich war sie von den Nächten in den Hotels verwöhnt.

Sie zog sich eine Jacke über und schlüpfte in die abgetragenen Sneaker. Sie hatte ohnehin in Jeans und Pullover geschlafen. Der Waldweg vor ihr war stockdunkel. Die Nachtluft fühlte sich an wie eine kalte Wolke, die sich in ihr ausbreitete. Anfangs hatte der Gedanke daran im Wald zu übernachten ihr ein mulmiges Gefühl gegeben. Aber jetzt war sie aus einem unruhigen Schlaf aufgewacht und brauchte ein wenig frische Luft. Und sie musste auf die Toilette. Kittie hüpfte aus dem Auto und schlich zur Fahrertür. David schlief immer noch. Er hatte das Licht im Auto angelassen, ihr zuliebe. Sie ging ein kleines Stück den Weg hinab, nur einige Meter, weiter traute sie sich nicht.

Der Boden unter ihren Füßen gab leicht nach als sie zurück zum Auto ging. Sie lauschte auf die Geräusche des Waldes. Das leise Ächzen der Bäume, Das Rascheln der Halme um ihre Füße herum und das ferne Rufen irgendeines nachtaktiven Vogels. Kittie hatte gehofft wieder müde zu werden, aber mit jedem Schritt war sie wacher. Als sie ein Knarzen vernahm, drehte sie sich um und spähte in die Büsche links des Weges. Hatte sich dort etwas bewegt? Ein Reh vielleicht, oder ein Kaninchen?

Dann spürte sie eine warme Hand auf ihrer Schulter. Kittie fuhr herum.

„Psscht!" zischte David grinsend. „Du Idiot." „Was ist das?" er zeigte in die Büsche. „Keine Ahnung." sie zuckte mit den Schultern „Ein Hase oder so." „Was machst du hier?" Er nahm ihre Hand und führte sie zurück zum hell leuchtenden Auto. „Ich musste nur auf Toilette und ich konnte nicht mehr schlafen...Tut mir leid, ich wollte dich nicht wecken." „Ist es in Ordnung wenn ich eine rauche?" Sie nickte und er öffnete den Kofferraum. David kramte einige Sachen zur Seite und holte dann die Zigaretten aus seiner Aktentasche. Er setzte sich und brauchte einige Versuche um das Feuerzeug an zu machen. „Darf ich auch eine?" David runzelte wenig begeistert die Stirn und wollte schon etwas erwidern, aber sie kam ihm zuvor: „Nur Spaß!"

Sie grinste und kletterte ebenfalls in den Kofferraum. Kittie schob einige Taschen und Tüten beiseite und zog dann die Decke von der Rückbank. Sie krabbelte wieder nach vorn und setzte sich neben ihn, eingewickelt in die Decke. David starrte ins Leere, er schien kaum Notiz von ihr zu nehmen. Kittie rutschte näher an ihr heran und legte die Decke sacht über seine Beine. „David?" „Hmm..." Sie zog die Beine an die Brust. „Es tut mir leid, dass ich die Kopfhörer holen gegangen bin. Und dass ich nicht schnell genug weggelaufen bin. Und überhaupt, alles hier..." Sie wusste nicht wie sie es sagen sollte. Es war ihre Schuld dass die Polizei sie verfolgte, die Straßensperren waren ihre Schuld, dass sie David verdächtigten sie entführt zu haben, war ihre Schuld. Alles war irgendwie...

„Das ist nicht deine Schuld. Ich bin erwachsen, Kittie. Glaubst du ich wusste nicht was ich tue?" Sie antwortete nur leise, murmelte beinahe:

„Ja, manchmal glaube ich das."

David sah sie erstaunt an. Dann schüttelte er amüsiert den Kopf. „Vielleicht hast du recht." Sie hatte es nicht als Scherz gemeint. Es war ihr Ernst gewesen. David hatte vielleicht gar nicht gewusst worauf er sich eingelassen hatte oder er hatte es nicht wissen wollen. Genau wie sie. Ein leichter Windstoß fuhr durch die Bäume und ließ ihre Kronen erzittern. Das Laub am Boden wirbelte um ihre Füße herum. Kittie strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. David hatte sein Handy in der Hand. Er starrte den Bildschirm an und lächelte. Kittie beugte sich zu ihm hinüber. Das Mädchen, das ihr auf dem Foto entgegen strahlte, sah ihr erstaunlich ähnlich. Ihre langen, blonden Haare umrahmten das zierliche Gesicht mit der Stupsnase. Sie hielt Essstäbchen in der Hand und war gerade dabei etwas von einem Teller zu picken. „Wir waren Sushi essen." Sie zuckte zusammen als David sie ansprach. „Ist sie das? Deine Tochter?" Kittie riss ihren Blick vom Handy los. „Ja." Sie schwiegen.

„Willst du es wissen?" fragte er in die Stille hinein. „Was wissen?" „Wie sie gestorben ist?" Kittie nickte vorsichtig. Sie war sich nicht sicher. Wollte sie? Aber warum nicht? David war ihr so nah, es gab doch nichts worüber sie nicht sprechen konnten, oder? „Wir waren bei der Geburtstagfeier eines Kollegen von mir. Emi war dabei, seine Tochter war zufällig eine Freundin von ihr." Sie zog die Decke ein wenig höher. „Ich habe einen wichtigen Anruf bekommen, das muss so gegen vier gewesen sein. Einer unserer Geschäftspartner aus China hat überraschend in einen Vertrag eingewilligt, er wollte sich mit mir treffen und unterzeichnen. Ich hätte natürlich ablehnen sollen, schließlich war ich privat auf einer Feier, aber er wollte schon am nächsten Tag fahren. Und letztlich habe ich mich überreden lassen. Ich bin also zurück gefahren." David räusperte sich umständlich. Kittie wollte ihm schon sagen dass er nicht weiter zu erzählen brauchte, aber er tat es. „Sie wollte nicht mit. Emi wollte zum Abendessen bleiben, also habe ich ihr ein Taxi bestellt, das sie nach Hause bringen sollte. Es war das erste Mal... Das erste Mal dass sie allein Taxi fahren sollte." Er stand auf und warf den Zigarettenstummel an den Wegesrand.

Als er sich wieder setzte, rückte Kittie näher an ihn heran, und kuschelte sich an seine Schulter. „Sie hatten einen Unfall." seine Stimme klang ein wenig höher als sonst, als würde er um Fassung ringen. „Ich bin natürlich sofort los ins Krankenhaus...Sofort, als der Rettungsdienst mich gerufen hatte, mit dem Vertrag in der Tasche..." er stockte. „Es tut mir so leid..." Kittie wusste nicht was sie sagen sollte.

„Aber das ist nicht das Schlimmste. Weißt du was das Schlimmste ist?" Seine Stimme war seltsam anders, er klang viel jünger als gewöhnlich. Kittie war froh, dass sie in der Dunkelheit nicht erkennen konnte ob er weinte. Es hätte ihr das Herz gebrochen, wenn es so wäre. „Was?" fragte sie zaghaft, unsicher ob sie die Antwort hören wollte. „ Emi kam nicht im Krankenhaus an. Sie ist im Rettungswagen gestorben. Ich war nicht da. Ich habe mich nicht verabschiedet, ich habe sie allein gelassen..." Kittie schloss die Augen. Der Schmerz war förmlich greifbar. Er klang so verzweifelt, es war unerträglich. „Ich kann mir nicht vorstellen wieviel Angst sie gehabt haben muss... Allein im Krankenwagen, ohne Trost, ohne Halt..."

„David..." Sie schloss ihre Arme um ihn, versuchte ihn zu trösten, abzuschirmen von der Welt und lauschte seinem leisen Atem direkt neben ihrem Ohr.

Kittie hatte kein Zeitgefühl mehr. Sie hatte sichirgendwann hingelegt, ihren Kopf auf Davids Schoss, eingehüllt in die wolligeWärme zweier Fleece-Decken. David musste noch eine aus dem Auto geholt haben.„Du bist das Beste was mir seit langem passiert ist. Du darfst mich nichtverlassen, hörst du? Du musst bei mir bleiben..." flüsterte David. „Ich bleibeda." antwortete sie verschlafen.

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