- 6 - | Hell of a morning
And then she told her herself „stop being so weak. Grow up and get over it." and then she never felt again.
~ via dostoyevska
Lily stöberte mich in der Bibliothek auf. Eine Bandage war um ihre schmale Hand gewickelt und ihren Augen waren leicht gerötet, als hätte sie geweint. Trotzdem setzte sie sich entschlossen neben mich und legte ein Blatt Pergament auf den Tisch.
„Dein Stundenplan", fügte sie erklärend hinzu. Ich reagierte nicht. Nicht zucken, kein Erkennen zeigen.
„Es tut mir leid."
Langsam hob ich den Kopf.
„Ich hätte dich nicht anfassen dürfen. Uns wurde gesagt, dass du schreckhaft bist und jede erschreckende Aktion unsererseits Konsequenzen mit sich ziehen wird. Ich dachte nur nicht..." Sie ließ das Ende des Satzes in der Luft hängen. Ich fuhr mir über die spröden Lippen. Meine Haut kam mit dem Klima nicht zurecht.
„Das ich mich so wenig unter Kontrolle habe?" Das war es, was sie sagen wollte. Ich war mir sicher.
„Nein, nein!" Sie wirkte quasi schon empört. „Das du so schreckhaft bist."
Ich formte ein ›O‹ mit den Lippen und fuhr mir erneut über die Lippen.
„Es tut mir leid. Wegen deiner Hand, es müssen ziemlich üble Verbrennungen sein...", ich ließ das Ende des Satzes in der Luft hängen.
„Mach dir keine Sorgen. Das ist in vier Stunden abgeheilt. Madame Pomfrey hat mir eine Salbe aus Aloe Vera, Kamille und Spitzwegerich auf die Wunde geschmiert. Es roch fürchterlich." Sie lächelte. Eine Reihe weißer Zähne blinkte zwischen ihren rosa Lippen hervor. Meine Finger zuckten leicht und ich leckte mir erneut über die Lippen.
„Ich kann sie heilen. Zumindest ein bisschen."
Ich wollte kein direktes Angebot stellen.
Überrascht blickte sie mich erneut an und suchte Augenkontakt. Mein Blick schoss Richtung Tischplatte und ich hielt den Atem an, bis sich langsam eine bandagierte Hand in mein Blickfeld schob.
Vorsichtig schloss ich meine Hände um die Handfläche und atmete ein. Die Mondphase machte es mir einfacher. Beinahe augenblicklich begann mein Körper zu kribbeln, schickte warme Schauer meinen Rücken hinab und ich spürte die Verbindung mit den Pflanzenresten wie kleine Schnüre, die uns zusammen banden. Lautlos befahl ich ihnen, ihre volle Wirkung zu entfalten und lokalisierte die schlimmsten Stellen der Wunde, bevor ich die Wirkstoffe genau dort hinschickte. Es war nichts, dass normale Zauber bewerkstelligen konnten. Nicht in diesem Ausmaß.
Lily schnappte nach Luft, ein leises Stöhnen entwich ihren Lippen und sie würde rot.
„Das ist normal. Mach dir keine Gedanken", wisperte ich leise und ließ ihre Hand aus meinen Fingern gleiten.
Sie setzte gerade zu einer Erwiderung an, da ertönte ein schneidende, vor Wut zitternde Stimme.
„Miss Cravenstein, was genau tun sie da?!" Lily erstarrt und sprang auf. Ihre Hand zuckte in Richtung meines Handgelenks, aber sie zögerte. Sie blickte mir in die Augen und wog ihre Chancen ab, dann packte sie zu und riss mich von meinem Stuhl hoch. „Schnell!"
Ich zügelte meine Magie und ließ mich von der rothaarigen durch die Bibliothek ziehen. Hinter uns krachte es laut. Zwei Jungen in Slytherinuniform stürmten an uns vorbei, blickte über ihre Schultern, in ihren Augen Belustigung. Ein Mädchen, vielleicht 12 Jahre alt, umklammerte ein Buch und blickte mit weit aufgerissenen Augen zu dem Regal, hinter dem die beiden keifenden Personen wohl stehen mussten. Grob wurde ich zur Seite geschupst, gerade noch konnte ich meine Magie zurück reißen, und lange braue Haare peitschten mir ins Gesicht. Lily stöhnte entnervt. „Oh je." Die Flügeltür schlug hinter uns zu.
Keuchend zog die rothaarige Vertrauenschülerin mich noch zwei Ecken weiter dann blieb sie vorne über gebeugte stehen und schnappte nach Luft. „Sport...", wisperte sie hechelnd, „absolut nicht mein Fall." Sie ließ sich an der Wand hinab sinken. Eine Gruppe verschreckterer Viertklässler lieg an uns vorbei, offenbar ebenfalls aus der Bibliothek geflüchtet.
„Was ist denn hier passiert?"
Braune schulterlange Haare umrahmten ein Gesicht mit einer hübschen Stupsnase und hohen, markanten Wangenknochen. Ihre war leicht kratzig und hohl, beinahe unangenehm.
„Olympia, bist du doch wieder gekommen, ich dachte, deine Eltern lassen dich zu Hause oder schicken dich rüber nach Mil llaves."
„Sie haben eingesehen, dass ich im Gegensatz zu meiner Schwester ganz gewiss kein Sprachtalent bin. Ich spreche nicht gut genug Spanisch um im Nudelland zu überleben."
„Das Nudelland ist Italien, Pia", kam es plötzlich von einem der Wandteppiche.
Lily neben mir zuckte leicht, Olympia schrie gedämpft auf.
„Lia!"
Ein freches Kichern ertönte, der Teppich flog zur Seite und gab den Blick auf Schwarze Haare, blaue Augen, eine schlanke Nase und Sommersprossen tüpfelten ihren Nasenrücken. Ihre Augen waren stark geschminkt und wirkten größer als sie vermutlich waren, im Gegensatz zu Olympias. Sie kam mir wage bekannt vor.
„Hey! Dich kenne ich doch! Pia, das ist die, die gestern Abend Jill entführt hat!"
Wie gesagt, wage bekannt.
„Sie hat sie nicht entführt. Sie und Jill sind Freunde. Außerdem, wo bleiben deine Manieren. Stell dich vor, bevor du jemanden beschuldigst."
Die Blauäugige murrte, sprang dann noch einen Schritt vor und breitete die Arme aus.
„Malia Denvers, sehr erfreut." Sie verneigte sich spöttisch. „Zu Frieden, Moralapostel!"
Sie schoss Lily einen wütenden Blick zu.
„Antonia", meinte ich leise.
„Na!", meinte Olympia zweifelnd, „du bist Eleonora Auclaire."
Erneut hüpfte Malia, ich bekam langsam das Gefühl, dass sie nicht wirklich still stehen konnte, und blinzelte mich begeistert an.
„Eleonora Auclaire?!", sie quietschte ohrenbetäubend laut.
„Oi, ich habe so viel über dich gehört und gelesene. Stimmt es, dass du in Spanien gelebt hast?!"
Ich nickte vorsichtig.
„Großartig. Dann sprichst du spanisch. Siehst du, spanisch ist nicht so schwer! Man kann das sehr wohl lernen!" Sie blinzelte provokant zu Olympia hinüber, die schnaubend ihre Arme verschränkte.
„Ich habe es mit Zahlen und Gesichtern, Lia, nicht mit Buchstaben und Sprachen und Grammatikregeln."
„Jaja, was auch immer. Stimmt es, das Selene Mal wieder mit Mrs. Fetchers streitet? Was ist es dieses Mal? Brennende Bücher? Kaputte Bücher? Hatte sie einen Jungen dabei? War Rhea auch da?" Lily vergrub den Kopf in dem Armen. Gerade wollte sie zu einer Antwort ansetzen, da schnaubte Olympia.
„Merlin! Finde das selbst raus. So wie Lily aussieht, war sie mit Flüchten beschäftigt!"
Beleidigte verschränkte Malia die Arme. „Schön, aber dann fragt mich später nicht, was ich rausgefunden habe." Dann rannte sie davon.
„Sie ist in eine Hochphase." Lily klang ruhig.
„Ich rechen heute mit noch mindesten einer Tiefphase", antworte Olympia und blickte der wehenden schwarzen Haar hinterher. Ihre Worte klangen wie eine Bestätigung. Dann ging sie ohne ein weiteres Wort und ich blieb mit einer erschöpften Lily im nun leeren Korridor stehen.
Um halb Neun brachte mich Lily zu Luca. Die Braunhaarige saß im Gemeinschaftsraum und kritzelte auf einem Blatt Pergament herum. Auf ihrer Wange waren Tintenkleckse und ihre Haare waren unordentlich zurück gebunden.
„Luca?" Lily schlang ihr von hinten die Arme um den Hals und musterte das Pergament, „was machst du da?"
Luca zuckte zusammen, brach die Feder durch und riss das Pergament Blitz schnell vom Tisch.
„Nichts!"
Ihre Stimme schoss eine Oktave in die Höhe.
Lily schnaubte. „Natürlich."
Sie stand auf. „Kannst du Eleonora - guck nicht so, das ist dein Name - bitte um 9 bei Dumbledore abliefern? Ich muss zu einem Vertrauensschüler treffen über die neuen Sicherheitsmaßnahmen und sie kennt sich hier noch nichts so gut aus."
Luca nickte. „Klar, mache ich."
Lily grinste erfreut und lächelte mir kurz zu, dann verschwand sie durch das Porträtloch.
Luca entspannte sich und zog vorsichtig ihren Pergamentbogen wieder hervor. Ich rührte mich nicht vom Fleck sondern wartete geduldig auf ein Zeichen. Eine Einladung, das ich willkommen war und mich setzen durfte. Gerade als Luca aufblickte, verwirrt blinzelte und zum Sprechen ansetzte, krachte es laut. Ein gellender Schrei ertönte und ein Schwall Flüche ertönte in einer helleren Stimmlage.
Luca sprang auf und war schon halb die Treppe hoch, als eilige Schritte auf der Treppe ertönten. Nach oben, nicht nach unten. Ich rannte Luca hinterher, den Zauberstab fest in der Hand und vibrierte beinahe vor Spannung. Immer zwei Treppenstufen nehmend rannte die Braunhaarige hinauf, passierte den Schlafsaal der Erstklässler, dann den der Viertklässler, dann unseren. Über uns sprang eine weitere Tür auf und ein Haufen Drittklässler ergoss sich über die Treppe. Luca keifte zwei böse Worte und die Drittklässler verzogen sich. Die Zweitklässler waren in ihrem Schlafsaal und blickten verängstigt nach oben.
„Das ist der Sechserschlafsaal", presste Luca zwischen zwei Atemzügen hervor. Ganz oben ertönten Schritte nach unten, Luca zückte den Zauberstab und bewegte sich die letzten Stufen hoch zum Schlafsaal der Sechstklässler. Bis auf die Schritte auf kaltem Stein und dem Tuscheln der anderen Gryffindors unten war es still. Dann schoss jemand um die Ecke, Luca ließ einen Zauber los und ging in Deckung. Der Spruch prallte gegen ein Schild und verlief sich im Leeren.
„Hey, Jackson! Ich bin's!"
Rote Haare lugten aus dem Treppenaufgang hervor.
„Jessa!" Luca kam vorsichtig aus ihrer Deckung hervor und musterte die rothaarige McKinnon, die dicht gefolgt von dem Mädchen von heute morgen - Eva - die letzten Stufen herunter kam.
„Wart ihr das?"
Eva schnaubte. „Würden wir mit gezückten Zauberstäben eine Treppe runter rennen, wenn wir geschrien hätten?"
Luca zog es vor nicht zu antworten. Dann drehte sie sich in Richtung Schlafsaaltür.
„Sollen wir reingehen?", fragte sie leise, in dem Moment, in dem ich vortrat und vorsichtig die Tür öffnete. Ich versteckte mich nicht. Nicht hier.
Ganz sanft stupste ich die Tür auf und kritzelte Schnell eine Rune in die Luft. Leise murmelte ich die russischen Worte für Schutz und Schild und machte dann einen Schritt in den Raum hinein.
Augenblicklich viel sämtliche Anspannung von mir ab.
Die anderen beiden Mädchen von heute Morgen saßen ratlos vor einem zerbrochen Bettgestell um sie herum ein Meer aus Federn.
„Was, bei Merlin's Bart, habt ihr denn angestellt?!", fragte Luca entsetzt, während Jessa andächtig schwieg und Eva schnaubend umdrehte und wieder in Richtung ihres Schlafsaals verschwand.
„Wir haben eine Kissenschlacht gemacht", begann die Braunhaarige und legte den Kopf schief. Die blonde Gryffindor neben ihr murmelte leise. „Ja, das ist leicht außer Kontrolle geraten."
„So kann man das natürlich nennen", meinte Luca und schnaubte.
Jessa begann leise zu lachen. „Irgendwie habe ich nichts anderes von dir erwartet, Darya."
Die Blonde öffnete empört den Mund. „Das war Iris Idee. Ich habe nur mitgemacht."
„Ich habe dich genau ein Mal mit dem Kissen geschlagen, weil-... nicht so wichtig", meinte Iris und wurde rot. „Auf jeden Fall kein Grund mich mit einem Kissen zu ersticken."
„Ich war ja offensichtlich nicht erfolgreich, also beschwer dich nicht."
„Wollen wir vielleicht das Bett reparieren?"
Luca zuckte zusammen. „Tut mir leid, ich muss Eleonora zu Dumbledore bringen. Ich überlasse das ganz euch."
Darias Blick schnellte zu mir.
„Eleonora? Eleonora Auclaire, richtig?" Sie musterte mich und etwas beängstigendes lag in ihrem Blick. In ihrem Blick lag etwas kaltes, berechnendes. Bevor ich antworten konnte, zog Luca mich aus dem Zimmer.
Kalte, klare Augen. „Wie heißt Darya mit Nachnamen?", fragte ich leise, blickte Luca nicht an, sondern konzentrierte mich nur auf meine Schritte. Fünfzehn, sechzehn, siebzehn.
„Kieß. Wieso?"
Achtzehn, neunzehn, zwanzig.
„Nur so."
Absatz.
Kieß, nicht Rosier. Natürlich. Warum sollte eine Rosier auch in Gryffindor sein? Töricht.
An der Wand neben dem Wasserspeier vor Professor Dumbledores Büro lehnte eine weißblonde junge Frau, mit blassblauen Augen, die halb gelangweilt, halb besorgt in Richtung des Wasserspeiers starrte.
„Das ist Selene Cravenstein", wisperte Luca leise und trat vor den Wasserspeier.
Genau in diesem Moment ging der Wasserspeier auf und ein zweites Mädchen, mit identischen Gesichtszügen und braunen Haaren trat hervor, gefolgt von einem Jungen mit schwarzen Haaren und grünen Augen. Er nickte Selene kurz zu und verschwand dann wortlos in die andere Richtung. Selene verschwendete keinen zweiten Blick an ihn.
„Rhea", meinte sie, ihre Stimme irgendwo zwischen Furcht und Erwartung.
„Du bist fein raus, keine Angst. Ich hab mich drum gekümmert", hörte ich noch, dann folgte ich Luca am Wasserspeier vorbei auf die Wendeltreppe.
„Miss Jackson, schön Sie zu sehen. Wie ist es Ihnen über die Ferien ergangen?"
Professor Dumbledore erwartete uns an seiner Bürotür. Sein weißes Haar schimmerte silbern im Schein der Kerze neben der Tür.
„Gut, danke Professor. Mein Vater und ich waren in Zadar. Ich habe einige Zeichnungen für Jill's Vater erstellt."
„Ah, sehr schön, Miss Jackson. Es freut mich, dass Sie Ihre Interessen in den Sommerferien verfolgen konnten."
Luca lächelte leicht, warf mir einen vorsichtigen Seitenblick zu und wandte sich dann der Treppe zu.
„Ich lasse Sie dann Mal mit Eleonora alleine."
Dann lief sie die Treppe hinab und ließ mich alleine.
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