Kapitel 38

Bitte verflucht mich nicht, wenn ihr das lest! Ich liebe meine Charaktere genauso wie ihr
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Am nächsten Samstag lädt mich Jonas zu sich ein. Ich bin mir unschlüssig, ob ich zustimmen soll, doch im Endeffekt tue ich es doch.
Ich habe wieder den Kontakt zu Den verloren. Er ruft mich nicht an und ich will sowieso nichts von ihm hören.
Hier und da ignoriere ich Lisa und mit meiner Mom spreche ich überhaupt nicht. Genauso wie mit meinem Vater übrigens, der mich zu erreichen versucht.
Ich lösche über zweihundert Kontakte in meinem Handy und überlege, auch Whatsapp zu deinstallieren, doch das würde zu viel Aufregung erregen. Emily und kein Whatsapp - das ist unmöglich! Na ja, ich könnte widersprechen.
Als ich hinter Jonas ins Wohnzimmer trete, werde ich misstrauisch. Auf dem großen schwarzen Sofa sitzen offenbar zwei Kumpels von ihm und rauchen Shisha. Auf dem niedrigen Glastisch davor stehen offene und geschlossene Bierflaschen, von denen Wasser tropft.
Neben Jonas bleibe ich stehen und er legt mir den Arm um die Schultern, zieht mich an sich. Ein bisschen zu plötzlich, meiner Meinung nach.
"Leute, das ist meine Emily! Emily, das sind David und Jaspen."
David ist ein fetter - nein wirklich, man kann es nicht anders nennen, er trägt höchstwahrscheinlich Größe XXL! -, dunkelhaariger Kerl und sieht kein bisschen angenehm aus. Im Gegensatz zu ihm ist Jaspen rothaarig und fast schon knochig, kommt mir jedoch ebenfalls nicht freundlich vor. Was hat Jonas bitte für Freunde?!
"Hallo Emily!", meint David. Seine Stimme ist genauso eklig wie sein Aussehen.
"Setz dich zu uns!", fügt Jaspen hinzu. Hätte ich ihn nicht gesehen, würde ich mir einen ganz anderen Menschen vorstellen - einen angesagten, hübschen Typen wie Jonas. "Willst du ein Bier?"
Apropos Jonas. Den Arm immer noch um meine Schultern, geht er los und wir setzen uns zwischen seine Kumpels. Ich versuche, entspannt zu bleiben und einen netten Eindruck zu verschaffen. Ich kriege eine offene Flasche Bier in die Hand gedrückt und soll - darf mitrauchen. Die Jungs fragen mich, ob ich noch zur Schule gehen würde, ob ich gern feiern gehe. Jonas und ich küssen uns, er bläst mir Rauch ins Gesicht und dann in den Mund. Dann habe ich eine weitere Bierflasche in der Hand und lache über etwas, was mir selbst unbewusst bleibt. Ich lache, als wieder Rauch in mein Gesicht fliegt. Lache, als David sich versehentlich das Bier auf die Hose und den fetten Bauch schüttelt. Lache, als Jonas mit der Hand über meine Hüfte fährt. Das gesamte Zimmer schwimmt im Matt des Rauches und kippt ein bisschen mal nach rechts, mal nach links. Ich lache - nur zwei Bier. Oder drei? Oder sind es schon vier? Was soll's! Ich lache.
"Mehr Bier?", fragt Jaspen.
Jonas nimmt ihm abrupt die Flasche weg und stellt sie auf den Tisch. "Halt, reicht." Dann grinst er mich an.
Auch David und Jaspen grinsen. Ich lache nur.
"Und wie sieht es aus mit Sex?", will Jonas wissen. Er schlingt seine Arme um meine Taille und zieht an sich. Etwas drückt gegen meinen Po. "Hattest du es schon mit mehreren Jungs auf einmal zu tun?"
"Nein.", lache ich. Das Zimmer kippt, Jaspen, der aufsteht und auf mich zukommt, kippt mit. "War etwas im Bier?"
David, plötzlich nah an mir, fährt mit seinen Händen meine Beine entlang. Der Saum meines Kleides wird von Händen - wie viele sind es jetzt? Sechs? Acht? Zwölf? - hochgeschoben und da fängt mein Herz an zu rasen. Panisch atme ich die Luft ein und aus und versuche, mich zu befreien, Lachen gibt es nicht mehr. Ich höre Stoff reißen, spüre Nägel an und in meiner Haut. Ich werde begrapscht und sie versuchen, mich auszuziehen. Ich schlage, ich kreische, ich trete, ich keuche, ich heule. Und dann falle ich vom Sofa und knalle mit dem Kopf gegen die Tischkante, Hände greifen nach mir, ich stoße sie sofort weg von mir und rappele mich zitternd auf.
"Schnapp sie!", ruft Jonas aus.
"Ich hab doch gesagt, sie braucht mehr!", erwidert Jaspen.
"Sie ist schon im Flur!", brüllt David.
Ich drücke die Türklinke durch und laufe ins Treppenhaus heraus, gefolgt von Rauchschwaden, die mich wie die Jungs bis nach draußen verfolgen. Ich laufe und laufe, schwanke zur Seite und es kommt mir vor, als wäre der Weg zur Bushaltestelle endlos. Alles dreht sich und bekommt seltsame Farben. Aber ich laufe, laufe aus alles Kraft. Ich laufe ohne Pause, ohne an einer Ampel anzuhalten, bis nach Hause.
Als ich das Tor passiere, dreht sich mir der Magen völlig um und ich muss brechen. Wieder und wieder.
Meine Mutter ist wieder nicht zu Hause. Ich gehe in die Küche und starre stumpf in den Regal mit den Messern und anderem spitzen Zeug. Wie einfach es sein könnte... Im Badezimmer lasse ich das Wasser im Waschbecken laufen. Im Spiegel sehe ich, dass meine Augen völlig schwarz wegen der Wimperntusche sind und der Lippenstift verwischt über die Lippen und das Kinn ist. Mein Kleid hat einen Riss an der Schulter. Schlimmer durchlocht ist meine Strumpfhose. Abgesehen von den geschwollenen Kratzern werden nun langsam auch die blauen Flecken sichtbar. Scheißleben! Scheißtypen!
Ich greife nach der Schere auf dem Beckenrand und starre sie an. Ich lasse es nicht zu, dass man mich so behandelt, nie mehr im Leben.
Meine Hand verkrampft sich zum Widerspruch, doch ich öffne die Schere und halte sie an die andere Hand, die bereits eine dicke Lockensträhne umfasst hat. Nie mehr im Leben. Nie mehr!
Und dann fallen Haare ins Waschbecken. Ich starre sie verheult an, starre mein Spiegelbild an, starre, bis mir wieder die Tränen kommen. Scheißleben. Scheißhaare.
Das Wasser rauscht, die Farbe erst an meinen Händen und dann an der Kopfhaut fühlt sich so eiskalt an, dass mir ein Schauder über den Rücken läuft.
Ich schließe den Wasserhahn, ziehe mich aus und steige in die Badewanne. Sie ist kalt und das Wasser, das nun läuft, ist ebenso kalt. Ich lasse es mir ins Gesicht fallen, einige Farbe von den Haaren fließt dunkel an mir vorbei und bildet leichte Schaumblasen.

Den Sonntag verbringe ich halb im Bett, halb im Bad, weil ich mich so tot fühle und die ganze Situation in mir ständig die Übelkeit erregt. Ich lasse meine Mutter nicht zu mir und antworte weder auf Anrufe noch auf Nachrichten.
Am Montag und Dienstag schwänze ich die Schule. Sie haben mich alle verraten. Sie sind alle Verräter. Nur Shiney liegt neben mir und winselt manchmal oder legt ihren Kopf oder die Pfote auf meinen Bauch. Blöde Verräter... Ich lasse mich nicht so behandeln.
Im Bademantel steige ich die Treppe hinab ins Wohnzimmer. Shiney läuft besorgt um mich herum und winselt. Sie berührt mit dem Kopf mein Bein, meine Hand, versucht somit, meine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Alle Tiere merken, wenn mit ihren Besitzern etwas nicht stimmt.
Ich gehe vor ihr in die Hocke und schließe ihren Kopf in meine Umarmung.
"Willst du in den Garten, Shiney?", frage ich sie lächelnd und halte ihren Kopf auf Abstand, damit wir uns ansehen können. "Mir geht es gut, mach dir keine Sorgen. Willst du in den Garten?"
Letztendlich schaffe ich die Hündin vor die Tür, doch sie bleibt fest sitzen und lässt keinen Blick von mir los.
Ich schließe die Vorhänge.
In der Küche gibt es einen Stuhl, im Keller ein altes Seil und die Decke dort unten ist gar nicht mal so hoch. In der Mitte des dunklen Raumes hängt ein alter Kronleuchter. Ich platziere den Stuhl genau darunter und stelle ein Bein auf die Sitzfläche. Der Boden hier unten ist kälter als gedacht.
Zitternd steige ich vollständig auf den Stuhl. Ich befestige das Seil an dem Ansatz des hässlichen Kronleuchters und umfasse die baumelnde Schleife.
Meine Knie werden weich, doch ich bemühe mich aus letzten Kräften, aufrecht stehen zu bleiben. Aus letzten Kräften? Ich lache hysterisch auf. Welche Kräfte? Ich habe keine Kraft mehr...
Vom kleinen Fenster vor mir lässt sich ein Kratzen vernehmen. Das muss Shiney sein...
"Alles ist gut.", wispere ich schluchzend. "Deiner Mama geht es gut, Shiney. Lisa wird sich um dich kümmern."
Oben klingelt mein Handy. Handy? Ich dachte, ich hätte es zerstört. Handy... So viele Kontakte - so viele sinnlose Kontakte. Sie brauchen mich nicht, sie brauchen mich alle nicht. Sie nutzen mich alle nur aus.
Ich schiebe das Kinn in die Schleife und kneife die verheulten Augen zu.  Ein Fuß zögert zitternd auf der Stuhllehne. Das Zittern klettert meinen Körper hoch. Ich lege mehr Gewicht auf den Kopf und drücke leicht den Stuhl nach hinten. Er kippt leicht, ganz leicht. Ich reiße entsetzt die Augen auf, nehme den Kopf weg, balle die Hände stärker um das Seil zu Fäusten und lege den Kopf erneut in die Schleife. Der gehobene Fuß rutscht nach unten, wieder nach oben, erneut nach unten. Ich zittere wie ein Epileptiker,  meine Zähne klappern, ich friere und weine.
Und dann kippt der Stuhl!
Doch ich bin so entsetzt, dass ich die Hände automatisch öffne, womit mein Kopf aus dem Seil rutscht und ich mit Knien und Händen, mit Ellbogen und Kinn, mit Brust und Schienbein erst auf den Stuhlfüßen und dann auf dem harten, rauen Boden aufknalle.
Und es tut höllisch weh und ich blute und ich heule und ich verstehe nicht, wie es zu alldem kommen konnte. Ich hasse mein Leben! Ich hasse meine Eltern! Ich hasse die Typen! Ich hasse Jonas! Ich hasse Den! Ich hasse meinen Körper! Ich hasse sie alle! Ich hasse sie!!! Ich hasse mich!!!
Ich höre Bellen und Profen. Ich höre Schritte, schnelle Schritte. Shiney stürzt auf mich.
"Emily!"
Den fällt vor mir auf die Knie, ich schlinge die Arme um ihn und breche heulend zusammen.

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