Kapitel 37

Die nächsten Tage bin ich mehr durch den Wind als sonst. Jonas versucht, mir noch näher zu kommen, Den versucht, mich zumindest irgendwie zu erreichen. Den ersten weise ich auf seinen Platz, den zweiten ignoriere ich. Er hat mir nach der Party ja schon wieder seine Liebe gestanden! Klar, er dachte, ich würde schlafen, aber mein Gott, ich bin halt unverlässlich! Oder wusste er, dass ich aufgewacht bin... Mann, das ist unfair, er hat jetzt eine Freundin, er darf nicht einmal Andeutungen machen! Das ist einfach uns beiden gegenüber unfair. Oder will er mir mit meiner Karte zurückzahlen und macht sich einen Spaß aus meinen Gefühlen? Ich kann das nicht ertragen!
Ich krieche aus dem Bett, nehme mir Zigaretten und Feuerzeug und gehe ins Bad. Dort lasse ich Wasser in die Badewanne laufen, ziehe mich aus und setze mich ins heiße Wasser, dass mir die Haut brennt. Dann zünde ich eine Zigarette an. So tief bin ich gesunken. So tief...
Nachdem ich versunken in Mitleid vier Zigaretten ausgeraucht habe und das Wasser völlig kalt geworden ist, kehre ich zurück in mein Zimmer und unter meine eiskalte Decke. Ich rufe Lisa an. Es ist zwei Uhr nachts und sie nimmt trotzdem ab.
"Ja?" Im Hintergrund höre ich Musik.
"Brauchst du mich?", frage ich leise.
Sie schaltet die Musik ab und schweigt eine Weile.
"Was? Em? Ist etwas los?"
"Alle sind irgendwo", fange ich leise an. "mit irgendwem, werden ständig angeschrieben und zu Discos verschleppt und ich sitze schon den dritten Tag zu Hause... Ich hab das Gefühl, dass ich Luft bin. Genau so unsichtbar. Ich werde genauso nicht wahrgenommen. Niemand scheint mich zu brauchen. Es war so schön in der Zehnten, da waren wir ständig zusammen... Und es gab Ludwig und Elias... Und dein nerviger kleiner Bruder und seine genauso nervige Freundin kamen jede zweite Pause zu uns... Und wir haben dann mehr unternommen, aber jetzt bist du ständig bei Drew... Und Den hatte nicht seine beschissene hohldumme Freundin..." Ich weiß, dass es fies ist, so etwas zu sagen, ich habe diese Anja noch nicht einmal gesehen, doch ich kann nicht anders. "Ich habe das Gefühl, ich hätte keine richtigen Freunde mehr... Lisa, brauchst du mich noch?"
"Em, was redest du da?! Natürlich brauche ich dich! Guck mal, ich brauche dich eben wie Luft. Ohne dich kann man einfach nicht überleben."
"Gäbe es keine Luft, die Menschheit hätte etwas anderes zum Überleben gefunden..."
"Aber... Aber die Sonne - die Sonne besucht man trotzdem! Emily, du bist wie Sonne! Ohne dich geht's nicht. Du bist doch immer so positiv, wie soll es denn ohne dich gehen? Dann werden wir ja alle depressiv! Und wir machen doch ständig etwas zusammen - sogar mehr als früher. Und wofür brauchst du denn die Winzlinge? Nerven wir dich etwa nicht genug? Und wenn dir Dens Freundin so viel ausmacht, dann sag es ihm doch! Er liebt doch eh dich und nicht sie. Du bist doch diejenige, die ständig nein sagt."
Ich lächele. "Du bist eine schlechte Verkupplerin, Lisa." Ich lache sogar leicht. "Aus Den und mir wird einfach nichts... Unsere Freundschaft funktionierte, aber die Liebe tat es nicht... Sie wird es nie tun. Wir waren doch schon zweimal zusammen."
"DAS war doch keine Beziehung! Das war... ehh... ein gemeinsames Kusseinverständnis? Auf jeden Fall keine Beziehung. Ich glaube, du hast mit Jonas mehr Beziehung als mit Den alle beide Male."
"Pff, und du bist jetzt eine Kennerin?" Ich lächle ein wenig.
"Nö.", erwidert sie und ist kein wenig beleidigt. "Aber ich bin auch ein Mädchen und vor allem hab ich auch Augen."
"Aber Den... Ich will, dass er mit seiner Freundin zusammen ist. Ich will das. Ich bin ein schlechter Einfluss und werde ihn immer an etwas hindern. Weil ich... Lisa, nächstes Jahr sind wir beide raus aus der Schule. Und dann werden wir entscheiden müssen, wie es weitergeht. Ob wir hier bleiben oder nicht. Ob wir ausziehen oder nicht. Ob wir neben dem Studieren arbeiten oder nicht. Genauso wie die Jungs es jetzt entscheiden müssen. Ich weiß, was Den will. Ich weiß, wie er nach dem Abi leben will. Und ich weiß, wie ich nach dem Abi leben will. Und diese beiden Wege schneiden sich nicht, sie gehen auseinander."
"Es ist deine Entscheidung. Übrigens, wir haben mit Drew über sein Studium geredet. Wirklich, ich weiß nicht, wie oft ich dir noch danken soll. Er hat seinem Vater abgesagt und schon eine Bewerbung an die Uni hier in Berlin geschickt. Sogar an mehrere. Emily, ich bin so erleichtert!"
"Das freut mich. Siehst du, was habe ich gesagt?"
Lisa erzählt mir noch kurz, was Drew ihr versichert hat, dann verabschieden wir uns und ich bleibe mit meinen Gedanken im dunklen Zimmer allein.
Ich habe herausgefunden, dass mein Vater nicht einfach irgendwohin gegangen ist. Er hat seinen Koffer gepackt und sich zu seiner "Mitarbeiterin" verzogen, um "die erste Zeit" bei ihr zu wohnen, weil er ja noch nicht so schnell eine passende Wohnung finden konnte. Seine Mitarbeiterin... Er hatte seit einem halben Jahr eine Intrige mit ihr, da brauche ich keine Zweifel zu haben. Und warum sie zusammenziehen, ist ja wohl klar.
Eine Stunde später habe ich immer noch kein Auge zugemacht. Ich kann mich nur unruhig im Bett herumwälzen und bin mal mit einem, mal mit etwas anderem unzufrieden, bis ich meine Decke zusammenknülle und auf den Boden schmeiße. Schweratmend bleibe ich für einige Zeit bewegungslos liegen, dann drehe ich mich mit Wucht auf die Seite und versuche einzuschlafen. Aber es klappt nicht. Mein Kopf dröhnt vor Gedanken, die darin wie wütende Wespen herumschwirren.
Ich nehme mein Handy in die Hand, mache es an, dann aus, dann wieder an. Ich überwinde mich und rufe Dennis an. Es klingelt. Und klingelt. Und klingelt. Und als ich fast schon auflegen will, nimmt er ab.
"Emily?", meint er verschlafen. Da ist weder Wut, noch Sorge, noch irgendwas sonst, sondern allein das Dasein seiner Müdigkeit.
"Dennis.", erwidere ich leise und weiß nicht, was ich sagen soll.
"Was ist los?", fragt er.
"Nichts."
"Aber du hast mich angerufen. Um... halb vier."
"Ja. Um halb vier."
"Dann musst du wenigstens sagen, was los ist."
"Ich kann nicht schlafen."
"Warum?"
"Es gibt viele Gründe."
"Endlich bist du ehrlich."
"Kommt davon."
"Willst du jetzt sagen, ich bin Schuld dafür?"
"Ja.", antworte ich knapp.
"Du weißt, ich habe jetzt eine Freundin.", sagt er und ich lüge nicht, wenn ich meine, da wäre Mitleid.
"Du wolltest Freunde bleiben, oder nicht?"
"Und schon wieder dieser Wechsel. Du wolltest es doch nicht."
Ich erwidere nichts.
"Erzählst du mir, warum sich deine Eltern geschieden haben?", fragt er ruhig.
Ich habe es ihm also doch verraten. Ich bin so dumm, wenn ich betrunken bin...!
"Nein. In einem Jahr wird es eh unrelevant sein."
In einem Jahr werde ich umziehen und allein noch zu Lisa Kontakt halten.
"Was soll in einem Jahr passieren?", will Dennis wissen und da ist schon die Sorge zu hören.
"Ich sag es dir nicht. Aber vielleicht..." Ich breche ab.
"Was vielleicht?" Sorge. So viel Sorge.
"Nichts. Den..."
"Ja?"
"Würdest du mit Anja Schluss machen?"
Kurz ist er still. "Was? Warum?"
"Meinetwegen. Würdest du für mich mit ihr Schluss machen?"
"Aber Em, das..."
"Ja oder nein?"
"Emily, das ist eine unfaire Frage. Bist du vielleicht angetrunken?"
"Nein. Ich muss nicht trinken, um ehrlich zu sein."
"Erzähl mir, was passiert ist.", wechselt er das Thema.
Ich bleibe aber beim alten. "Wir können zusammen sein, Den. Du musst nur mit Anja Schluss machen."
Er seufzt. "Ich soll sie also einfach so hängen lassen und ersetzen?"
"Nein, du sollst MICH nicht hängen lassen."
"Darf ich dich mal an was erinnern?", wirft Den empört ein. "DU hast mich hängen gelassen, Emily. Warum soll ich dann Anja hängen lassen? Damit wir beide uns dann morgen wieder trennen? Da mache ich nicht mit. Du weißt, was du für mich bist. Aber was bin ICH für dich? Du machst das Ganze nur aus Langeweile. Weil es dir Spaß macht."
Ich keuche. Ich keuche wirklich. Warum sagt er das? Warum verletzt er mich so? Ich dachte, er ist immer bereit, mich zu unterstützen. Und wenn ich diese Unterstützung mal wirklich brauche, da sticht er mich.
"Nein.", widerspreche ich leise. "Ich möchte mit dir zusammen sein.",
"Emily, was ist los?", wiederholt er und spricht jedes Wort fest und deutlich aus.
"Ich will nur wissen, ob du bereit bist, für mich mit ihr Schluss zu machen."
"Es - "
"Ja oder nein?", unterbreche ich ihn. "Du musst ihr nur drei Worte schreiben."
"Schreiben?", stößt er ungehalten aus. "Über so was spricht man! Und zwar Auge zu Auge."
"Dann ruf sie an oder triff dich mit ihr, das ist mir egal." Ich werde lauter. "Ja oder nein?"
"Verdammt, Emily, was ist los? Rede mit mir!" Auch Dennis wird immer lauter.
"Ja? Oder nein? Bist du bereit, für mich mit Anja Schluss zu machen?"
"Nein." Hart und kalt wie Eis. Spitz wie Messer. "So nicht."
Wie vom Blitz getroffen, stoße ich das Handy vom Ohr und drücke auf das rote Zeichen. Es tut so weh! Es tut so weh...

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