Kapitel 35

Ich ziehe mich um und fahre sofort zu Lisa.
"Du bist zu früh!", lächelt sie, als sie mir die Tür öffnet.
"Bin ich gar nicht. Ich bin pünktlich zum Essen da, oder?", grinse ich.
Sie lacht und zusammen gehen wir in die Küche, wo ihre Brüder und ihr Vater schon am Tisch sitzen und ihre Mutter gerade einen weiteren leeren Teller mit Auflauf füllt.
"Uii dankeschön.", sage ich und setze mich neben Lisa.
"Lass es dir schmecken.", lächelt mich Theresa an.
Beim Essen reden wir über Pläne für's Wochenende und lachen über dummes Zeug. Und ich glaube, etwas zerreißt in mir. Diese Familie sieht so glücklich aus. So, wie meine nie ausgesehen hat und niemals aussehen würde. Vor allem jetzt.
Dann liegen wir bei Analisa auf dem Bett, hören Musik, wühlen in ihrem Schrank in der Suche nach passenden Klamotten, schminken uns und fahren letztendlich los.
"Was machst du, wenn Den da ist?", fragt mich Lisa kurz vor Ludwigs Haustür.
Ich zucke die Schultern. "Nichts. Wenn er mich anspricht, werde ich mit ihm reden, wenn nicht, dann nicht. Ist doch egal. Es wäre unfair, wenn ich ihn ignoriere."
"Aber er kommt bestimmt mit seiner Freundin."
Ich zucke erneut mit den Schultern. "Ist doch schön. Wenigstens hat er jetzt jemanden. Ich wollte doch immer, dass er jemanden findet."
"Wolltest du nicht.", widerspricht sie mit einem kurzen Lächeln.
"Okay, wollte ich nicht.", stimme ich ihr lächelnd zu und uns wird die Tür geöffnet.
Wir umarmen nacheinander Ludwig, wobei er die Knie beugt und wir ihn beide leicht hauen. Gut, Lisa haut ihn ein wenig stärker.
Im Haus sind noch nicht so viele da. Halt der gewöhnliche Frühkommer-Kreis bestehend aus Elias, Can, Robert, Nelly, Changie und Drew. Allein Den ist noch nicht da. Irgendwie bin ich gleichzeitig enttäuscht und erleichtert.
"Leute, ich hab Pizza für euch, soll ich sie mal in den Ofen stellen?", schlägt Ludwig vor.
"Ja!", rufen die meisten von uns.
Das Haus füllt sich richtig erst so gegen zehn. Bis dahin habe ich schon vier Shots und etwa drei Flaschen Bier getrunken. Vielleicht auch mehr, wer zählt schon die Flaschen?
Dann sehe ich Den in der Menge. Seit wann ist er hier? Er bleibt bei Ludwig und Elias stehen, bekommt Bier angeboten, lehnt jedoch ab.
"Er ist allein oder?", ruft mir Lisa ins Ohr.
"Ist mir egal!", erwidere ich und kippe den Rest meines Hugos runter.
"Wollen wir raus eine rauchen?", schlägt Drew vor.
"Gern.", stimme ich zu.
"Sag mal Ludwig und Elias Bescheid.", trägt ihm Lisa auf. "Wir gehen Nelly und Changie suchen."
Er nickt, ich hacke mich bei Analisa unter und wir teilen uns auf, um Leute zu sammeln. Im Garten setzen wir uns aufs Gras, Nelly, Ludwig und Robert holen die Zigaretten und Feuerzeug raus und schmeißen sie in die Mitte unseres Kreises. Apropos Gras.
"Habt ihr vielleicht auch was für ne Kippe?", möchte ich wissen.
Changie wirft mir eine kleine Tüte zu. "Macht zehn Euro."
"Ich schreibe dir einen Check.", lache ich und bemerke Dens prüfenden Blick auf mir. Ja, der Typ ist auch mitgekommen. Er hat noch kein Wort gesagt und dabei meine ich nicht nur zu mir.
"Ey, wird dir danach nicht übel?", fragt Lisa.
"Schon gut, ich werde nur zweimal dran ziehen und gebe sie weiter."
Wir rauchen also eine Weile, machen sitzend Bewegungen zur Musik und ich bekomme richtige Lust, wieder mal zu tanzen, so richtig zu tanzen. Und auch völligen Quatsch zu machen, wie früher mit Den. Aber ich werde ihn nicht ansprechen.
"Lasst uns reingehen, ich stinke schon genug.", meint Elias und richtet sich auf.
Nelly springt auf. "Oh ja, mir ist arschkalt."
"Gleich wird dir pisswarm sein.", lacht Can.
Wir machen uns auf den Weg zurück ins Haus und ich merke, wie Den genauso wie ich die Zeit abwartet, da wir nicht alle zusammen durch die Tür reinpassen.
"Em, warte.", wirft er plötzlich ein, als ich schon mit einem Fuß über der Schwelle stehe.
Ich trete einen Schritt zurück,  schließe die Tür und drehe mich zu ihm um. "Oh, hey, du bist ja doch da."
Er seufzt. "Ach komm, hör auf."
"Ich hab gehört, du hast jetzt wirklich eine Freundin. Warum hast du sie nicht mitgenommen?"
"Emily, sei kein Arsch.", bittet Den schon etwas härter.
"Nein, ich mein's ernst.", beharre ich. "Ich wollte sie wirklich sehen."
Seine Anspannung fällt ein wenig. "Sie wollte sich nicht in einen fremden Kreis einmischen. Aber ich wollte selbst dich was fragen. Wie geht's dir?"
Ich lehne mich an die Tür zurück und versenke die Hände in den Taschen meiner Jeansjacke. Dabei will ich sie nur vor Den verstecken, weil ich stark mit mir kämpfen muss und die Nägel in die Handflächen drücke. "Du hast mir nicht zugewunken."
Er lächelt und senkt kurz mit einem Schütteln den Kopf. "Du Schlingel. Wechselst das Thema. Wie immer. Was hab ich eigentlich erwartet?"
"Dafür hast du dich verändert.", entgegne ich. "Trinkst nicht, rauchst nicht."
Er zuckt mit den Schultern. "Voraussetzung für ein gesundes Leben."
"Bringt dir auch nichts, wenn du in jedem Moment überfahren werden kannst."
"Wow, so positiv heute.", wundert er sich ironisch.
Jetzt zucke ich die Schultern. "Wie immer halt."
"Ganz im Gegenteil.", murmelt er leise. "Wollen wir uns vielleicht endlich wieder versöhnen? Es nervt mich, ständig deinen leeren Kontakt zu sehen."
"Hättest ihn ja löschen können.", erwidere ich leichthin.
"Hätte ich das?", fragt er nach. "Hast du denn meinen gelöscht?"
Zwei Sekunden schweige ich, dann kehre ich ihm den Rücken zu und öffne die Tür. "Wir können uns nicht versöhnen. Es bringt nichts." Damit trete ich in das schwüle, mit Musik und Menschen gefüllte Haus.
Gegen Mitternacht habe ich so viel verschiedenen Alkohol in mir, dass es mir nichts mehr ausmacht, gedankenlos noch mehr zu trinken. Na ja, nicht ganz so gedankenlos, aber die Gedanken haben auch ihren eigenen Grund. Ich versuche, den Alk nicht runterzustürzen, aber es klappt nur allzu schlecht.
“Em, ist alles in Ordnung?“, fragt mich Lisa besorgt und legt die Hand auf meinen Oberarm.
Ich lächele sie breit an. “Klar, alles bestens.“ Lüge. Schon die wievielte heute? "Werd langsam einfach müde."
“Dann trink mal lieber Koffein, statt Alkohol - der hilft besser. Ich habe in der Küche Energy gesehen.“
Ich winke ab. “Geht schon. Ich geh kurz ins Bad - kaltes Wasser ist da auch hilfreich. Finde du mal Drew, der ist mir schon zu lange weg.“
Sie nickt und nimmt mir die Flasche aus der Hand. “Gute Idee.“
Ich fliege ins Badezimmer, drücke die Tür fest zu und schließe mich ein. Im Spiegel sehe ich eine billige Version von mir. Die, die ich immer zur Schau trage - gutes Make-up, Haare in einer nicht aufwendigen Frisur und ein Lächeln um die Lippen. Aber auch nur dort, nicht echt. Und dann ist es weg. Meine grün-blauen Augen glitzern und ich wische mir eine Träne von der Wange. Sie haben sich einfach geschieden. Und dann ist mein Vater umgezogen, ohne sich von mir zu verabschieden. Wer sind die Leute? Sind sie wirklich meine Eltern? Ich kenne sie nicht. Und sie kennen mich nicht. Ich bin wie eine Mitbewohnerin, um die sich keiner interessiert. Ich bin ein Niemand, der vorgibt, jemand zu sein. Und was ist mit der Schule? Mit den Leuten? Mit Den? Niemand braucht mich mehr, niemand schätzt mich. Und das Schlimmste ist: es war schon immer so gewesen. Ich habe mir alles nur eingebildet.
Ich setze erneut das Lächeln auf und kehre zurück ins Wohnzimmer, wo ich Lisa meine Flasche wegnehme und mit ihr zu unserer ganzen Gang im Garten gehe. Von Ludwig lasse ich mir eine dicke Zigarre geben, die ich und Can uns teilen, indem wir einfach abwechselnd an ihr ziehen. Und dann kippe ich weiter flaschenweise Alk in mich.
"Vodka her! Vodka!", verlange ich nach... Wie spät ist es überhaupt?
Irgendjemand reicht mir eine Flasche und ich gehe im leichten Zickzack auf den Typen zu, um sie entgegenzunehmen.
Den drängelt sich durch die Menge zu mir durch. Der Arsch hat noch gar nichts getrunken.
"Em, ich glaub, es reicht dir.", meint er besorgt.
Ich schnaube und öffne den Verschluss. Als ob er mir hier vorgeben will, was ich zu tun und zu lassen habe!
"E-mi-ly! E-mi-ly! E-mi-ly!", rufen alle um mich herum und klatschen und stampfen mit den Füßen.
Eben aßer Den, Lisa und Drew. Die drei schauen mich aus großen ungläubigen Augen an, wechseln besorgte Blicke aus, während ich in großen Schlücken trinke. Und dann reißt mir Den die Flasche aus der Hand. "Reicht!"
"Ohh, Den möchte auch!", lache ich.
"Den! Den! Den!", fangen alle an.
"Nein!", brüllt er, greift nach meiner Hand und versucht, mich aus der entstandenen Runde herauszuziehen.
Ich lehne mich an ihn und schlinge die Arme um seinen Hals. "Aww, du bist ja so richtig geworden..." Plötzlich wird mir schwindelig, die Decke scheint auf mich zu fallen. "Hm, ich glaub, mir wird gleich schlecht."
"Oh scheiße!", stößt er aus und dirigiert mich eilig ins Bad, wo mir auch tatsächlich schlecht wird.
Doch Den ist so ein Gentlemen, so ein guter Freund, dass er mir die Haare aus dem Gesicht hält. Und sobald alles endet, setze ich mich auf die kalten Kacheln hin, an die kühle blaue Wand gelehnt, und schaue lächelnd zu ihm auf.
"Ach, du bist so ein Süßer, Dennis, so ein Süßer...", flöhte ich. "Ich könnte mich glatt in dich verlieben. Wenn ich es nicht schon wäre."
Er verdreht die Augen und landet neben mir. "So ein Quatsch."
"Nein, das ist kein Quatsch.", widerspreche ich fest, ohne das Lallen wahrzunehmen.
"Doch, das ist Quatsch einer besoffenen Spielerin und Lügnerin."
"Willst du, dass ich mich beleidigt fühle?" Ich tippe ihm mit dem Finger an die Brust, lege den schweren Kopf auf seine Schulter.
"Nein, ich will, dass du ein Gewissen gegenüber anderen entwickelst. Und hey, nicht einpennen!"
Ich schnaube und umfasse seinen Arm mit meinen beiden, schmiege mich an ihn, da ich plötzlich friere. "Lass es mich einfach vergessen, ja? Weg, puff, im weichen Schlaf... Du hast mir so gefehlt..."
"Was willst du vergessen?"
"Achh..." Ich winke ab. "Meine Eltern sind jetzt geschieden. Ist der Sorgen nicht mal wert! Und jetzt pschttt. Du bist unmöglich, wenn du nichts trinkst."
"Hey, Em, nein, nein, nein! Hoch mit dir. Lass uns nach Hause fahren."
"Nach Hause?"
Den entzieht sich meinem Griff und steht auf, versucht, mich auf die Füße zu bringen.
"Wo ist das denn? Bei mir? Neee", widerspreche ich angewidert und wedele mit den Armen. "Da will ich nicht hin! Nicht dahin!"
"Schon gut, wir fahren zu mir.", beschwichtigt er mich, sodass ich letztendlich mit seiner Hilfe aufstehe.
An der Tür stehen Lisa und Drew und ich versuche vergeblich, bei ihnen zu bleiben, denn Den zieht mich einfach hinter sich her aus der Wohnung. Sobald wir draußen sind, atme ich tief die frische Luft ein und auch Dennis bleibt mit mir stehen.
"Was ist jetzt also los?", fragt er nach. "Deine Eltern haben sich scheiden lassen?"
Ich falte die Hände über seiner linken Schulter und lege den Kopf schwer darauf. "Jaa...! Weißt du, ich kam nach Hause und sie sitzt da allein vorm Fernseher und sein ganzes Zeug ist weg. Einfach puffffff! Nur Luuuft. Ich kann es nicht fassen, Den. Ich-"
"Emily halt!", unterbricht er mich und nimmt meine Hände weg. "Das ist falscht. Du bist besoffen, du könntest mir jetzt sogar deinen Bankcode verraten. Lass uns einfach nach Hause fahren und ausschlafen, ja? Und wenn es dir morgen immer noch danach ist, dann erzählst du mir alles."
Ich blinzele ihn schweigend an und sage dann kopfschüttelnd: "Ich habe aber gar keinen Bankcode, Dennis."
Er stöhnt genervt auf und zieht mich wieder hinter sich her. Aber ich habe doch gar keinen Bankcode!

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