Kapitel 20

Am Donnerstag schaffe ich es, mit Shiney aus dem Haus zu entfliehen, während meine Mutter sich umzieht und mein Vater auf dem Klo ist. Wir drehen eine große Runde im Park und kommen zu Hause an, nachdem meine Eltern schon zur Arbeit weggefahren sind. Ich öffne die Tür zum Garten, doch Shiney begleitet mich in die Küche, anstatt rauszugehen. Unter ihrer strengen Beobachtung mache ich uns was schnelles zum Frühstück, koche mir Kaffee und dann setzen wir uns aufs Sofa zum Fernsehen. Mein Vater verbietet es, im Wohnzimmer zu essen - abends bei einem Film ist Knabberzeug erlaubt, aber gefrühstückt oder sonst was wird in der Küche -, und Mom scheucht Shiney immer vom Sofa runter, weil sie ja dreckige Pfoten hat, also vernachlässige ich beide Verbote in der Abwesenheit meiner liebsten Eltern.
Irgendwann nach neun ruft mich Felix an.
"Was ist denn mit dir schief gelaufen, dass du mich eigenständig anrufst? Und das um kurz nach neun!", wundere ich mich.
"Sitzt du?", fragt mein Cousin ernst.
Ich blinzele mehrfach verwirrt und meine Leichtigkeit vergeht. "Was?"
"Sitzt du?"
Ich schalte den Fernseher aus und Shineys Kopf schwankt zu mir. Meine Zehe werden langsam kalt.
"Ja... Du machst mir Angst, was ist los?"
"Opa hatte heute morgen einen Herzinfarkt. Gott sei dank war Oma wach. Sie hat Leute gerufen und die haben ihn retten können."
Ich starre die Hündin entsetzt an und schaffe es noch im letzten Augenblick, mein aus der Hand rutschendes Handy zu fassen.
"Ach du scheiße...", wispere ich.
"Emily, sie haben ihn gerettet.", wiederholt Felix. "Meine Mom und ich fahren jetzt hin, sollen wir dich abholen?"
"J- ja, bitte."
"Wir sind in 15 Minuten da."
Er legt auf und ich lasse das Handy fallen. Shiney legt die Vorderpfoten auf meinen Oberschenkel und stupst mich mit dem Kopf zuerst an dem Arm und dann am Bauch an. Ich lege ihr die Arme um den Hals und drücke sie fest an mich heran  Sie winselt.
"Shiney, Opa wäre beinahe gestorben...", flüstere ich und merke, wie der Schock mir Tränen in die Augen treibt. "Aber er lebt noch. Er lebt. Wir gehen ihn jetzt besuchen, ja? Opa wird sich freuen, dass wir kommen. Er vermisst dich, schlaues Tier. Oh Gott..."
Zehn Minuten sitze ich verharrt da, bis ich mir endlich sage, ich solle mich zusammenreißen. In diesem Moment lasse ich die Hündin los, stelle das ganze dreckige Geschirr in die Spülmaschine, ziehe mich schnell um und bin genau zu dem Punkt fertig, wo es an der Tür klingelt und Shiney in den Flur sprintet und dort wie ein Löwe auf und ab geht.
Ich bringe sie zur Ruhe und öffne die Tür, hinter der mein großer Cousin steht. Ich trete zwei Schritte an ihn heran und wir umarmen uns ein wenig länger als sonst.
"Alles ist gut, Emily.", sagt er und streicht mir einmal über den Rücken, dann lassen wir uns los und laufen gefolgt von Shiney zum Auto.
Die Fahrt zum Krankenhaus dauert nicht allzu lang, da sich meine Tante ziemlich beeilt. Vor ihr erfahre ich auch, dass meine Eltern schon von dem Vorfall wüssten und in ihrer Pause bei Opa vorbeischauen würden. In ihrer Pause! Verdammt, was ist mit ihnen falsch?!
Im weißen Zimmer im zweiten Stock gibt es zwei Bette, eins davon leer, auf dem anderen liegt mein Opa. Halbkahler Kopf mit ansonsten ergrauten Haaren liegt auf einem Kissen. Ein Piepsding ist an seinen Arm angeschlossen und zeigt seinen gleichmäßigen Herzschlag. Er und Oma halten sich an den knochigen Händen und reden ruhig und gezwungen - oder vielleicht auch nicht - lächelnd miteinander, als wir eintreten. Dann schaut Oma nach zu uns nach hinten, die kurzen blondgefärbten Haare im tiefen Dutt, die blauen Augen gefüllt mit Trauer, die sie hinter dem sanften Lächeln zu verstecken versucht. Meine Oma ist von einer kleinen Statur und langsam nicht mehr so jugendlich schlank - im Gegensatz zu meinem Opa. Seine dunklen Augen leuchten auf, als er uns bemerkt. Ich umarme meine Großeltern wieder einmal ein wenig länger als immer, Oma umarmt auch noch Felix, mit Opa schütteln sie aber die Hände. Meine Tante umarmt ebenfalls beide und ich merke, wie sie an Opas Schulter zu beben beginnt und er ihr etwas zuflüstert. Dann setzt sie sich aufs Bett und wischt sich mit dem Habdrücken kurz über die Augen.
"Opa, du hast mir eine Heidenangs eingejagt.", meine ich und lächele ihm zu. "Was soll das, du bist doch wie Hercules!"
"Hercules muss doch immer Herausforderungen annehmen.", erwidert er ebenfalls lächelnd.
Oma lacht leicht. "Dafür bist du schon zu alt, aus mit den Herausforderungen."
Er tätschelt ihre Hand, die auf dem Bett liegt. "Wird gemacht. Keine Herausforderungen mehr."
"Achh, ich wette, er könnte noch beim Marathon im Februar mitmachen.", wendet Felix lächelnd ein und winkt dabei ab. "Ich glaube, ich schenke dir neue Turnschuhe zu Weihnachten."
Oma schaut kopfschüttelnd zu ihm hoch. "Wehe dir. Sonst schenke ich unserem Opa noch das Rentnerauto!"
Wir lachen alle entspannt darüber.

Um zwei verabrede ich mich mit Den. Oder besser gesagt entscheiden wir uns, bei mir ein paar Filme zu schauen und meine Geburtstagsparty theoretisch vorzubereiten. Als ich aus dem Krankenhaus ins leere Haus zurückkehre, muss ich ein wenig mit mir und meinem Schock verbunden mit Erleichterung kämpfen. Doch meine liebe Shiney steht mir bei und ich schaffe es, gegen meine Emotionen zu gewinnen. Dann mach ich hier und da was, ignoriere Whatsapp - darunter Jonas - und schon klingelt es an der Tür. Und genau in diesem Augenblick werde ich nervös. Scheiße. Wir sind jetzt mit Den ja so gesagt zusammen. Wie soll ich mich denn verhalten? Und wie soll ich ihn begrüßen? Wie immer mit einer Umarmung? Oder mit einem Kuss? Mist, nein, das wird richtig seltsam sein.
Es klingelt ein zweites Mal, Shiney stürmt aus dem Garten und Haus rein und dann zur Tür und ich beeile mich, diese zu öffnen. Dahinter steht der grinsende Den mit einer Niketasche um die Schulter.
"Wolltest du mich etwa gar nicht reinlassen?"
"Und du?", erwidere ich. "Möchtest du hier einziehen oder was?"
Sein Blick wird verwirrt, also deute ich mit einem Nicken auf die Tasche. Er schaut auf sie herab und schnallt es endlich.
"Achso, nö, hab am Abend noch Training."
Ich lasse ihn herein, er zieht Schuhe und Jacke aus und wir umarmen uns. Nicht länger als sonst, nicht kürzer, sondern wie gewöhnlich. Im Wohnzimmer stellt Dennis seine Tasche ab und holt daraus...
"Ich dachte mir, wir bräuchten Input für die Ideen."
... ein Sixpack Lime Bier heraus.
Ich schnaube lachend. "Mädchenbier, richtig heftig hier."
"Na ja, der Input hängt schon davon ab, wie verrückt du deine Party haben möchtest. Beziehungsweise wie organisiert." Er stellt selbstzufrieden die Packung auf den Boden, versenkt den halben Arm erneut im Dunkeln der Tasche und holt schon etwas ganz anderes heraus.
"Und dann sagst du, es wäre nur ein Klischee, dass Russen Vodka trinken.", lache ich.
Auch diese Flasche stellt er auf dem Boden ab.
"Nö, ich sage, es wäre ein Vorurteil."
Ich schnappe mir ein Kissen vom Sofa und werfe es an ihm. "Halt den Mund, Deutsch LK."
"Gar nicht!", lacht er und wirft mir das Kissen zurück. Nur dass ich ausweiche und es fast schon in die Küche fliegt.
"Krieg?", rufe ich herausfordernd aus.
"Ja, dritter!", erwidert er und zuckt einmal mit den Augenbrauen.
Meine Eltern würden ausrasten, wären sie hier, denn wir veranstalten eine Kissenschlacht, bis Den mich überrumpelt und ich mit lautem Kreischen über die Lehne auf das Sofa falle.
"Gewonnen!", brüllt er.
Ich schieße ihm als letzten Strich ein Kissen ins Gesicht und muss mich schnell "zusammenfalten", da er sich auf das Sofa schmeißt.
"So, und schon wieder haben die Russen einen Krieg gehen die Deutschen gewonnen.", seufzt er.
Ich setze mich auf und lehne mich gegen ihn. "Der Angriff hat zumindest nicht in vier Uhr nachts gestartet."
Er lacht auf. "Na ja! Heute Nacht hast du mich um zehn vor drei angerufen. Apropos anrufen." Er wird ruhiger, legt den Arm um mich. "Wir konnten dich heute Vormittag nicht erreichen. War was los?"
Ich habe meinen Opa im Krankenhaus besucht, der einen Herzinfarkt erlitten hat., denke ich mir.
"Ne, ne, alles gut, ich war draußen und hab dummerweise mein Handy hier vergessen.", antworte ich schulterzuckend. "Dummheit tut halt weh. Was wolltet ihr denn?"
"Sie" waren wahrscheinlich Lisa, Drew und er selbst. Wie immer halt.
"Andrew hat gefragt, wann die Skifahrt ist, und dann sind wir alle ins Nachdenken gekommen. Weißt du das?"
Ich schüttele den Kopf und einige Locken bleiben mir im Mund stecken, die ich erstmal herauspusten muss. "Ende Februar, Anfang März, irgendwie so."
"Okay, danke. Und, welchen Film sollen wir schauen?" Er nimmt seine Hand weg und dabei fahren seine Finger mir durch die Haare. "Oh, ich liebe deine Haare."
Ich lächele ihn an. "Da ist man erst den halben Tag mit ihm zusammen und er macht schon Komplimente. Wie interessant ihr Jungs doch seid."
Er zuckt lässig lächelnd mit den Schultern. "Tja."
Wir schauen uns beide Filme von  Bad Moms an, bestellen beim Chinesen, trinken das Mädchenbier, kuscheln, lachen, alles Mögliche also. Kurz vor sechs räumen wir ein wenig auf und Den macht sich fertig zum Rausgehen, er muss ja zum Fußball. Ich bringe ihn zur Tür, er öffnet sie und ich stelle mich davor.
"Drew und Lisa machen übrigens ne Übernachtung nach dem Training." Er grinst. "Nur so, zur Info."
Das war eine Warnung, dass ich am liebsten Lisa nicht nachts anrufen sollte. Von mir aus.
Ich lache. "Ich werd die beiden schon nicht stören."
"Na dann, viel Spaß dir heute Abend noch."
"Kannst ja nochmal vorbeischauen.", schlage ich schulterzuckend vor. "Dann machen wir halt auch ne Übernachtung."
"So wie Drew und Lisa?", fügt er mit noch breiterem Grinsen hinzu.
Ich haue ihm auf den Arm. "Perversling."
Und dann beugt er sich vor und gibt mir sacht einen Kuss auf die Lippen.
"Passiert.", lächelt er und geht.
Ich schließe die Tür und lehne mich an sie. Meine ganze Haut kribbelt und ich muss einfsch lachen.

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Ehm ja, ich hatte einfach Zeit, hier weiterzuschreiben. Immer gern doch.

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