Kapitel 22

Ich werde durch heftiges Rütteln aufgeweckt.
“Lisaaaa! Es ist schon zwanzig vor sieben!“, ruft mir Theo ins Ohr.
Schlaftrunken schlage ich ihm auf die Hand und drehe mich auf die andere Seite.
“Noch fünf Minuten...“, murmle ich.
“AUFSTEHEN!“, brüllt er.
Zur Info: es sind schon die sechsten Fünf-Minuten, um die ich ihn bitte. Gestern habe ich bis nach zwei mit Emily und Andrew gechattet und dachte mir nur “Ach, egal.“ Mittlerweile bereue ich es. Na ja... Oder auch nicht.
“Lass mich in Ruhe, ich schwänze.“, krächze ich also.
Mein Bruder greift nach meinem Arm und zieht mich ruckartig aus dem Bett. Zumindest versucht er es.
“Drew wartet, steh auf!“
Langsam öffne ich meine Augen und sehe ihn verwirrt an. “Warum sollte er denn warten?“
Theo grinst. “Siehst du, schon sind wir einen Schritt weiter. Hoch mit dir, sonst kommen wir zu spät!“
Er zieht noch einmal stark an meinem Arm und ich falle aus dem Bett.
“Jetzt gibt's aber Schläge, Theo!“, schreie ich und richte mich auf, während sich mein Bruder vom Acker macht.
Warte, hat er zwanzig vor sieben gesagt...? Ach du- !
Ich springe auf, schnappe mir eine schwarze Jeans und ein dunkelgraues T-Shirt aus dem Stapel Kleidung auf meinem Stuhl, suche saubere Wäsche heraus und eile ins Bad.
Elias ist so nett und macht mir ein Brot, sodass meine Brüder und ich noch rechtzeitig das Haus verlassen können. Gefrühstückt wird auf dem Weg zur U-Bahn.
Zwei Männer treten mit uns in den gleichen Waggon ein. Sie nuscheln irgendwas zueinander und warten ab, bis sich die Türe schließen.
“Fahrscheinkontrolle.“, sagt einer fest. “Die Tickets bitte.“
Meine Monatskarte finde ich in der Tasche. Auch Theo holt seine schnell hervor. Elias jedoch klopft sich über die Taschen der Jacke, dann der Jeans und sieht uns mit leichter Panik an.
Theo stupst mich grinsend mit dem Ellbogen an. “Ich glaub, jetzt werden 60 Euro bezahlt.“
Elias gibt ihm einen Schlag auf den Kopf und quetscht sich durch die Unmenge an Leuten weiter durch.
“Oder auch nicht.“, lache ich und winke meinem kleinen Bruder zu, ihm zu folgen.
Es gibt nur einen einzigen Vorteil an überfüllten Bahnen: man kann leicht untertauchen.
“Und dann meinst du, ICH bin vergesslich!“, fahre ich Elias an, sobald wir ihn einholen.
“Sei leise, du Winzling.“, erwidert er nur.
“Ihr seid beide gleich schlimm.“, sagt Theo.
Mit großen Augen blicken wir auf ihn herunter.
“Wer meinte letztens, er hätte keine Hausaufgaben auf?“, erinnere ich ihn.
“Und ist dann mit drei Sechsen nach Hause gekommen?“, beendet Elias.
Zwei:null für uns.

Unsere zweite U-Bahn fällt erstmal aus, dann gibt es auch noch kaum Platz, um da einzusteigen. So komme ich doch noch zu spät zum Unterricht. Und das Peinlichste ist: ich habe vergessen, meine Tasche umzupacken! Keine nötigen Bücher, keine Hefter... Wenn Elias das wüsste!
“Volltrottel.“, lacht Emily leise.
Ich stupse sie mit der Schulter an.
“Halt den Mund, du hast auch kein Buch mit. Wenn Zielke uns eine Aufgabe gibt, sind wir beide am Arsch.“
Es gibt ja nichts besseres, als so ein fettes Französisch Buch zur Schule zu schleppen, das wir nur einmal im Monat benutzen. Dabei lesen wir gerade eine Lektüre! Wie Lehrer aufregen können.
“Ich dachte, du magst Sechsen.“, grinst Em.
“Emily, Analisa!“, erklingt die krächzige Stimme unserer alten Franz-Lehrerin. “Wollt ihr der Klasse vielleicht selbst erklären, warum im letzten Satz ausgerechnet diese Regel angewendet wird?“
Eingeschnappt öffne ich den Mund, doch mir kommt nichts in den Sinn. Welche Regel? Welcher Satz? Auf welcher Seite sind wir überhaupt?
Emily ist sich da sicherer. Trotzig wirft sie ihre Haare zurück und gibt eine genaue Antwort. Und das noch auf Französisch! Ich glaube, ich sterbe. Wie schafft sie es, so eine Streberin zu sein?
In der Pause kommt Andrew bei uns vorbei. Praktischerweise hat er im Nebenraum Unterricht, weshalb wir uns montags noch öfter sehen.
Wir umarmen uns zur Begrüßung, dann zieht er sich einen Stuhl heran und setzt sich hin.
“Und, wie läuft Französisch?“, fragt er Emily und mich mit einem frechen Grinsen.
“Deine Freundin kackt schön ab.“, erzählt Em.
“Ich hab's erst seit diesem Jahr! Lass meine Sprachkenntnisse in Ruhe.“, rechtfertige ich mich.
Drew nimmt sich das kleine Büchlein vor, das wir lesen, und blättert einige Seiten durch.
“Soll ich dir Nachhilfe geben?“, schlägt er vor. “Ich bin ein sehr guter Lehrer.“
“Apropos Lehrer.“ Emily gibt ihm einen leichten Schlag auf den Oberarm und lehnt sich vor. “Wie war Nachhilfe für Changie?“
Andrews Lächeln weicht aus seinem Gesicht und er seufzt. “Nervig. Apropos dieses Mädchen.“ Er sieht mich an. “Nicht aufdringlich, sagst du?“
Ich verschränke die Arme vor der Brust und hebe eine Braue an. Was gibt's denn da schon wieder?
“Jetzt wird's interessant.“, sagt Emily gespannt.
Andrew verdreht die Augen.“Sie hat sich heute einfach so zu mir hingesetzt. Angeblich hat sie kein Buch dabei.“
Bei diesen Worten sieht mich meine Freundin grinsend an und ich MUSS ihr einen Schlag geben.
“Was ist denn mit euch falsch?“, fragt Drew.
“Nichts, erzähl weiter.“, lenke ich ab.
“Ja, sonst wird Lisa noch eifersüchtig.“, lacht Em.
“Eifersucht ist hier unnötig, Lisa. Mach dir keine Sorgen, ja, ich find Changie nur noch stressig. Vor allem: Ich hab deutlich gesehen, wie sie das Buch vom Tisch genommen und in die Tasche gesteckt hat.“
Ich schnaube. “Sie will echt ne Klatsche.“
Emily öffnet den Mund, doch die Klingel übertönt ihre Stimme.
Andrew erhebt sich. “Muss los, bis nachher.“
“Viel Spaß.“, lächle ich ihm zu.
“Bis dann!“, ruft Em. Dann wendet sie sich mir zu. “Weißt du, wie Changie vor einem Jahr an ihren Freund kam?“
Skeptisch verenge ich die Augen. Was will sie da erreichen?
“Sie hat sich einfach zu ihm gesetzt.“, beendet Emily ernst.
Will sie, dass ich noch eifersüchtiger werde oder was? Wie soll ich mich jetzt denn auf den Unterricht konzentrieren?
“Ich werde Drew nicht eingrenzen, Em.“, wispere ich genervt. “Außerdem hat er selbst gesagt, dass Changie ihn stresst.“
Emily zuckt mit den Schultern. “Wie du meinst. Dich hat er am Anfang auch gestresst.“
Mit einem sehr interessierten Blick schaue ich unsere Lehrerin an und haue meiner Freundin einmal auf den Oberschenkel.
“Ich liebe Drew nicht, kapiert?“
“Ja, ja, erzähl das ruhig jedem.“, erwidert sie und schlägt zurück. “Ich SEHE, dass du in ihn verliebt bist.“
Bevor ich auch nur einen Einwand machen kann, knallen die Hände unserer Lehrerin auf unseren Tisch und wir zucken zusammen.
“Wollt ihr beide den Unterricht vor der Tür machen?“, brüllt sie uns ins Gesicht.
Noch ein bisschen lauter und ich wäre taub geworden.
“Gerne.“, antworte ich und lächele sie an.
Entsetzt blickt Em zu mir rüber.
“Raus!“, brüllt die Alte.
Langsam erhebe ich mich.
“Aber-!“, fängt Emily den Protest an, wird jedoch gleich unterbrochen.
“RAUS! Alle beide!“
Unsere Mitschüler verstecken ihr Grinsen hinter den Händen, sodass nur ihre Augen amüsiert glänzen, während wir den Raum verlassen.
“Bist du verrückt?!“, meckert mich Em an und sinkt an der Wand entlang zum Boden. “Meine Mutter wird mich umbringen, wenn Zielke sie anruft.“
“Mein Vater mich doch auch.“
Ich hole mein Handy aus der Hosentasche und schreibe Andrew an. Es vergeht weniger als eine halbe Minute, bis er zu uns rauskommt. Überrascht lacht er auf. “Was macht ihr denn hier?“
“Lisa meinte, beweisen zu müssen, dass sie noch nicht den Mut verloren hat.“, brummt Em.
Drew legt den Arm um mich und gibt mir einen Kuss auf den Kopf.
“Zettel doch gleich einen Aufstand an.“
Wenn ich den Mumm dafür hätte, würde ich es liebend gern tun.
“Sitzt Changie immer noch neben dir?“, wechsle ich das Thema.
Warum zerfrisst mich diese Frage überhaupt so sehr?
“Nope.“, schüttelt er den Kopf. “Wir machen eine Gruppenarbeit und ich hab mich weggesetzt.“
“Eiskalt.“, lacht Emily.
Dann trennt sich Andrew wieder von mir und verschwindet grinsend hinter der braunen Tür.

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Heyo!
Hier habt ihr jetzt schon das neue Kapitel. Ich hab am Wochenende keine Zeit und da ich jetzt schon eine Idee hatte, veröffentliche ich es heute.
Ich hoffe, es gefällt euch, dass wieder Bewegung in die Story kommt. (Ich danke meiner Tante für die neue Idee.)
Eure Once

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