24. Dezember: Das Weihnachtsgefühl

Blinzelnd öffne ich die Augen und werde sogleich von der Sonne begrüßt. Die grauen Wolken der Vortage scheinen sich endlich verzogen zu haben, sodass es pünktlich wieder schön draußen wird.

Liebevoll blicke ich meinen Freund an, der noch friedlich schläft. Ich bin so froh, dass wir uns endlich vertragen haben und er mir verzeiht. Es war zwar kein großer Streit, aber selbst die kleinsten Auseinandersetzungen mit Magnus setzen mir zu. Ich liebe ihn und will deshalb keine Konflikte. Das ist doch nur Zeitverschwendung.

Am liebsten würde ich einfach hier liegen bleiben, ihn weiter beim Schlafen beobachten - nein, das ist nicht creepy- und mit ihm kuscheln, wenn er aufwacht, aber ich kann nicht. Dazu habe ich heute noch zu viel vor.

Also rolle ich mich schwerenherzens aus dem Bett und mache mich so leise wie möglich fertig. In der Küche bereite ich schnell ein einfaches Frühstück vor, hinterlasse eine Nachricht, und stelle die Kaffeemaschine an.

Mittlerweile kenne ich meinen Freund gut genug, um zu wissen, dass ihn der Kaffeegeruch aus dem Bett holen wird. In dieser Hinsicht hat er die Nase eines Bluthundes.

Anschließend ziehe ich mich an und greife nach den zwei großen Tüten, bevor ich unsere Wohnung verlasse.

Wie man sich vielleicht bereits denken könnte, habe ich etwas vor. Ich weiß nur noch nicht, ob Magnus das gefallen wird, denn in dieser Hinsicht sind wir komplette Gegenteile voneinander. Allerdings denke ich auch, dass es ihm durchaus gefallen könnte oder zumindest hoffe ich das.

Heute ist nicht mehr ganz so viel los auf den Straßen wie die letzten Tage, aber das ist auch verständlich. Die meisten Familien bleiben am 24. zu Hause, schmücken den Baum, wenn nicht schon getan, und genießen den Nachmittag, bevor es dann am Abend spannend für die Kinder wird. Auch diejenigen, die über die Feiertage zu ihren Eltern reisen, sind schon weg, immerhin ist es beinahe Mittag.

Die einzigen, die jetzt noch unterwegs sind, sind die Last-Minute-Shopper, die auf den allerletzten Drücker noch ein Geschenk für ihre Liebsten suchen. Glücklicherweise bin ich dieses Jahr nicht unter ihnen.

Die beiden Tüten liefer ich erfolgreich bei meinen Geschwistern ab, die natürlich in meinen Plan eingeweiht sind. Izzy hat gequietscht, während Jace nur die Augen gerrollt hat, aber anhand des liebevollen Funkelns in seinen nahezu goldenen Augen weiß ich, dass auch er meine Idee nicht schlecht findet.

Das beruhigt mich zumindest ein wenig, auch wenn ich insgesamt gesehen noch immer mehr als nervös bin.

Auch die Gedanken an mein Geschenk für Magnus plagen mich. Lange war ich mir sicher, dass es ihm gefallen wird, aber wird es das wirklich? Was, wenn er es unpassend findet oder noch schlimmer, ich bei ihm dunkke Erinnerungen an seine verhasste Vergangenheit wecke?

Das wäre das letzte, was ich will.

Ich bin so in Gedanken versunken, dass ich erschrocken zusammenzucke, als mir jemand auf die Schulter tippt. Ich fahre herum und muss mich augenblicklich dazu zwingen, nicht meine Augen zu rollen.
Andrew.

~Hey, Alec! Was für ein Zufall, dass wir uns schon wieder begegnen!~
~Ja, Zufall.~, würge ich lächelnd raus.
~Wo kommst du denn her?~
~Geschwister.~
~Du triffst sie nicht am Abend und feierst mit ihnen? Oder deinen Eltern? Wir können auch einen Trinken gehen, wenn du nicht dringend zurück in deine WG musst oder vielleicht ...~

~Andrew!~, unterbreche ich ihn barsch, während irgendetwas in mir platzt,~Ich glaube, ich muss hier einige Dinge klar stellen. Vor zwei Tagen ... habe ich dich angelogen. Ich bin nicht single und lebe auch nicht in einer WG. Ich bin definitiv zu alt und verdiene zu gut für so etwas. Und auch bin ich nicht mehr so ein Arschloch wie in der Schule, ich habe mich geändert. Ich bin in einer glücklichen Beziehung mit dem Menschen, den ich über alles in der Welt liebe und er ist ein Mann.~

Als alles raus ist, weiß ich nicht so recht, ob ich erleichtert oder erschüttert sein soll, aber definitiv ist die Last auf meinen Schultern leichter geworden. Ich weiß auch nicht einmal, wieso das alles plötzlich rausgeplatzt ist.

Es war einfach nur ... Als Andrew geredet hat, hatte ich wieder dieses Bild vor Augen. Magnus, wie er sich ein Lächeln aufzwingt und mir versichert, dass es in Ordnung ist, während seine Augen kurz schmerzerfüllt aufglühen, bevor die Tür enttäuscht zuschlägt.

Er hat mir zwar verziehen, ich mir aber noch nicht.

Andrew sieht mich mit offenem Mund an, aber das könnte mich gerade nicht weniger interessieren. Mit einem kleinen, aber selbstzufriedenem Grinsen, klopfe ich ihm auf die Schulter.

~Ich muss jetzt los, damit die Liebe meines Lebens nicht allzu lang auf mich warten muss. Frohe Weihnachten Andrew.~
Mit diesen Worten lasse ich ihn filmreif stehen -Magnus wäre stolz.

Während ich durch unsere kleine Stadt laufe und die Lichterketten an den Schaufenstern betrachte, kann ich nicht anders als lächeln, denn sie erinnern mich an mein erstes Aufeinandertreffen mit meinem Freund.

Es war Januar und langsam hat jeder die Weihnachtsdeko abgenommen. Die Schaufenster verloren ihren heimeligen Glanz. Auch das Restaurant, in dem Magnus arbeitet, wurde gerade abgeschmückt, als ich als unwissender Passant vorbeikam.

Es war aber nicht wie das typische Klischee -wir rennen ineinander-, sondern ... etwas anderes. Normal ist langweilig. Da lief ich also daher, als plötzlich jemand schrie. Geistesabwesend habe ich die Arme hochgehoben und im nächsten Moment lag Magnus in ihnen und hat mich mit feuerrotem Gesicht angesehen, eine große Dekoschneeflocke in der Hand.

Ab da lief es allerdings ziemlich normal weiter. Nachdem ich mich versichert habe, dass es ihm gut ging, habe ich ihm geholfen, die restliche Deko abzunehmen, bevor ich ihn auf einen Kaffee eingeladen habe. Ab da nahm alles seinen Lauf und nun stehe ich wieder vor unserer Wohnung und grinse wie der letzte Depp.

Schnell laufe ich die Treppen hoch und öffne die Tür, denn mittlerweile ist es bereits Nachmittag und so lange wollte ich meinen Freund eigentlich nicht warten lassen.

Doch als ich die Tür öffne und endlich in unsere Wohnung eintrete, empfängt mich eine beunruhigende Stille. Ist er ohne mich losgegangen? Hatte er keine Lust mehr, auf mich zu warten? Wo ist er überhaupt?

~Alexander! Gott, wo warst du denn bloß?~, werde ich von einem erleichterten Magnus begrüßt, der etwas ungelenk aus dem Bad hastet.

Sobald ich ihn sehe, wird mir auch klar, wieso es so still gewesen ist und er ohne seine natürliche Eleganz auf mich zuschreitet.

Er trägt nur einen hellblauen Frotteebademantel, hat seine Haare in ein Handtuch eingewickelt, trägt sehr wahrscheinlich eine Gesichtsmaske -mir wäre sonst aufgefallen, wenn sein Gesicht schneeweiß ist- und bei näherem Hinsehen erkenne ich seinen geliebten schwarzen Nagellack an Händen und Füßen.

Er hat sich offensichtlich einen Wellnessnachmittag gegönnt, während ich nicht da war. Ich lächle aber nur, als ich ihn sehe. Wahrscheinlich würde ich ihn auch noch lieben, wenn er einen Kartoffelsack tragen würde, auch wenn er mir nackt natürlich lieber wäre ...

Als ich bemerke, dass ich auf seine Frage nicht geantwortet habe, werde ich aufgenblicklich rot, versuche es aber mit einem Husten zu kaschieren.

~Ich äh... hatte etwas zu tun.~
~Hättest du das nicht auf später verschieben können? Wir müssen bald los, wenn wir pünktlich bei deinen Eltern sein wollen.~
~Das ist es ja gerade, wir gehen heute nicht zu meinen Eltern oder Geschwistern.~

~Was? Und das sagst du mir erst jetzt?!~
~Es ist Teil meiner Idee für heute. Du weißt schon, unser Adventskalender.~, stammel ich, denn von seinem harschen Ton fühle ich mich etwas eingeschüchtert. Meine Idee gefällt ihm bestimmt nicht! Shit!

Magnus klapt der Mund auf~Oh.~
~Aber wir können auch zu ihnen gehen, wenn du willst oder ...~
~Nein, ich war nur ... überrascht und zugegeben etwas angesäuert, weil ich mir diese ganze Mühe gemacht habe, weißt du?~, meint er und deutet einmal an sich herunter,~Aber ich hätte nichts dagegen, den Abend nur mit dir zu verbringen. Gib mir nur eine halbe Stunde, damit ich wieder vorzeigbar bin.~

~Du bist auch so vorzeigbar.~, wende ich lächelnd ein.
~Du charmanter Idiot.~, murmelt er, bevor er wieder ins Bad zurücktapst.

Ich bereite währenddessen alles Nötige vor. Dazu schalte ich die Lichterketten am Baum und den Fenstern an und dafür das Deckenlicht aus, bevor ich in die Küche gehe.

Dort hole ich die Plätzchen hervor, die noch übrig geblieben sind, und verteile sie ordentlich auf zwei Teller. Dann noch zwei Teller voller Lebkuchen -den ich im obersten Küchenregal deponiert habe, damit Magnus nicht an ihn herankommt- und eine Flasche Rotwein, bevor ich alles ins Wohnzimmer schleppe und auf dem kleinen Tisch drapiere. Schließlich zünde ich noch eine Kerze an -für die Romantik- und hole mein Geschenk.

Ich hoffe, dass es ihm gefällt, denn zwar weiß ich, dass Magnus auf so etwas steht, aber es ist unklar, ob ihm auch diese Art von ... Weihnachten zusagt.

Seine geschockte Reaktion von vorhin wäre mehr als ungeeignet, denn ich will nicht, dass er das alles für total bescheuert hält. Ich hoffe nur, dass ...

~Alexander? Was ... ist das alles hier?~, fragt Magnus mich überrascht, als er ins dämmrige Wohnzimmer kommt.

Trotz, dass wir nur zu Hause sind, hat er sich schick gemacht mit seinem schimmernd grünen Hemd und der schwarzen Jeggings. Da ich ihn allerdings kenne, weiß ich, dass er selbst seinen Look wohl als ziemlich léger bewerten wird. Vor allem deshalb weil er weder Make Up aufgetragen hat noch seine Haare gestylt -dafür trägt er eine Weihnachtsmütze- oder seine Finger mit Ringen geschmückt sind.

Für mich hingegen sieht er so schön wie eh und je aus. Dennoch bin ich nervös, als ich aufstehe und seine Hände in meine nehme.

~Ich weiß, dass das hier nicht unbedingt das ist, was du dir unter Weihnachten vorstellst, aber ich möchte dir heute Abend zeigen, was Weihnachten eigentlich für mich ist. Als ich noch bei meinen Eltern gewohnt habe, kamen immer all meine Verwandten schon am 23. Es fand ein riesges Fest statt und das Haus war proppevoll. Ich habe es gemocht, denn meine Familie war da und natürlich waren auch die Geschenke sehr wichtig. Dieses Fest war zwar Weihnachten und schön, aber das Gefühl davon hat sich nicht wirklich eingenistet. Erst am ersten Weihnachtsfeiertag, als ich und Izzy am frühen Morgen im Wohnzimmer einen Weihnachtsfilm geschaut, dabei heimlich die Schokolade vom Vortag gegessen, und uns aneinandergekuschelt haben, das hat sich wie Weihnachten angefühlt. Diese Geborgenheit und grundlegende Zufriedenheit. Die Besinnlichkeit. Dieses Gefühl, das für mich Weihnachten ist, hatte ich erst da und ich möchte dieses Gefühl heute mit dir teilen. Weihnachten ist nämlich nicht nur das Fest der Geschenke oder der großen Familienzusammenführungen, sondern vor allem der Besinnlichkeit, die man mit der Person teilt, die man am meisten auf dieser ganzen Welt liebt. Und in meinem Fall bist das du, Magnus Bane.~

Kurz sieht er mich sprachlos an, bevor seine Augen zu schimmern beginnen und er sich in meine Arme wirft. Er vergräbt sein Gesicht in meiner Halsbeuge und perplex ziehe ich ihn näher an mich.

Mit dieser Reaktion habe ich definitiv nicht gerechnet, aber sie ist nicht negativ, also ist alles gut. Schätze ich.

Als er sich von mir löst, lächelt er mich strahlend an.
~Ja, ich möchte das Gefühl mit dir teilen, Alexander. Natürlich will ich das.~

Jetzt lächle ich auch, während ich ihn zum Sofa führe und mein Geschenk heraushole.
~Aber das darf natürlich trotzdem nicht fehlen.~

Er lacht leise, während er das kleine Päckchen an sich nimmt und an der Schleife herumspielt. Extra für ihn habe ich es in glitzerndes Geschenkpapier eingewickelt, was hoffentlich die Tatsache kaschiert, dass ich keine Geschenke einpacken kann.

Auch er holt ein Päckchen hervor und drückt es mir in die Hand. Es ist dunkelblau und wesentlich größer als meins.

~Gleichzeitig?~, schlägt mein Freund vor. Ich nicke und wie auf ein stummes Signal hin, reisen wir das Papier auf. Neugierig entferne ich den Deckel von der kleinen Kiste und blicke einer schwarzen Skibrille entgegen, deren Gläser blau-grünlich schimmern.

Irritiert blicke ich zu Magnus, der innegehalten hat und noch nervös ausieht. Es ist also noch nicht vorbei. Ich wende meinen Blick wieder dem Geschenk zu und bemerke erst jetzt das Satintuch, auf dem die Skibrille liegt. Etwas skeptisch lege ich die  Brille zur Seite, ziehe das Tuch weg und sofort weiten sich meine Augen.

~Das ist nicht dein Ernst!~
~Ich dachte nur, du und ich in einer einsamen Skihütte in den Alpen wäre romantisch. Außerdem liegt da im Januar noch viel Schnee und ...~

Ehe er weiterbrabbeln kann, habe ich mich vorgebeugt und bringe ihn mit einem kurzen, aber leidenschaftlichen Kuss zum Schweigen.
~Es ist perfekt. Danke, Magnus. Und jetzt mach deins schon auf.~, wisper ich leise.

Er nickt und öffnet quälend langsam den Deckel der weißen Box, die etwa die Größe einer Pralinendose hat. Auch seine Augen weiten sich, bevor er mich mit wässrigem Blick ansieht. Da seine Mundwinkel aber noch immer nach oben zeigen, entspanne ich mich etwas.

Eine schlechte Reaktion würde anders aussehen.

Ehrfürchtig nimmt er die Kette aus der Schachtel und sieht mich perplex, aber sichtlich gerührt an. Er hält eine kleine, goldene Kette in der Hand, die ein einfaches, violettes Edelsteinherz als Anhänger hat. Auf der Rückseite sind die einzigen indonesischen Worte eingraviert, die ich kenne:
Aku cinta kamu - Ich liebe dich.

Seine Augen strahlen mich liebevoll an und er wirkt so glücklich, dass ich mir ganz für mich allein schon Gedanken mache, diese Kette irgendwann durch einen Ring zu ersetzen. Aber das hat noch Zeit.

Jetzt zählt nur, dass wir beide glücklich sind. Magnus mit seiner Kette und ich mit der Brille und den beiden Tickets für einen zweiwöchigen Skiurlaub in den Alpen auf einer kleinen Hütte.

~Ich liebe dich.~, sagt Magnus, während er sich an mich kuschelt. Ich lege einen Arm um ihn und drücke ihm einen Kuss auf die Schläfe.

~Ich liebe dich mehr. Diese Art vin Adventskalender sollten wir unbedingt nächstes Jahr wiederholen.~
~Wenn es so schön endet, unbedingt.~, wispert er zufrieden.
~Bereit für das Weihnachtsgefühl?~
~Und wie.~

Ich bin froh, dass es endlich so
weit ist, denn sind wir doch mal ehrlich, die Vorweihnachtszeit kann manchmal -sehr oft- die pure Hölle sein. Es ist stressig und hektisch und eigentlich arbeitet man nur auf diesen einen Tag hin.

Aber es lohnt sich, denn Weihnachten ist das Fest oder das Gefühl, das man mit den Menschen teilt, die man am liebesten hat. Es ist der Höhepunkt des Jahres, gerade weil man dort endlich zur Ruhe kommt und die Zeit zu genießen beginnt.

Egal ob es groß oder klein gefeiert wird, den Zauber der Weihnacht ändert das nicht und genau dieser Zauber ist es, der alles so besonders macht, denn er macht uns allen klar, was eigentlich wirklich wichtig im Leben ist: Familie, Liebe und Besinnlichkeit.

Ende

Gerade in einem Jahr wie diesem sollten wir Weihnachten genießen, denn wahrscheinlich ist das einer der wenigen positiven Höhepunkte, den 2020 zu bieten hat. Gleichzeitig leutet es bald das Ende dieses versch***enen Jahres ein und ich weiß nicht wie es euch geht, aber darauf freue ich mich schon riesig. Aber wir sollten auch das jetztige Fest genießen, denn so klein und besinnlich war es wohl beinahe noch nie. Ich persönlich habe nur mit meinen Eltern und meinem Bruder gefeiert und es war wundervoll. Das Gefühl von Weihnachten kann selbst Corona nicht zerstören und das ist doch ein schöner Trost.
Ich wünsche euch allen frohe Weihnachten und einen guten Rutsch ins neue Jahr -auf das 2021 besser wird!

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