22. Dezember: Ein kleines Weihnachtswunder
~Wo gehen wir hin?~
~Siehst du, wenn wir da sind.~, antworte ich knapp und ehrlich gesagt auch ziemlich genervt. Allerdings fragt er das auch schon zum fünften Mal und ich werde ihm auch nach dem zehnten nicht das sagen, was er hören will und er weiß das auch, eigentlich.
~Alexander?~
~Ja, Magnus?~
~Sagst du mir jetzt, wo wir hingehen?~
~Nein.~
~Aber wieso?~
~Sonst ist es ja keine Überraschng mehr~, beharre ich, bevor ich anmerke,~Hast du zufällig deine Geduld zu Hause vergessen?~
Magnus wird eindeutig rot, als er verlegen den Blick abwendet.
~Ich bin eben neugierig.~, murmelt er.
Ich lächle nachsichtig und nicke.
~Ich weiß, aber wir sind ja auch gleich da.~
Sofort ist die Verlegenheit vergessen und er sieht sich aufmerksam um, auf der Suche nach dem, was wir heute machen könnten.
Meine Idee ist alles andere als kreativ und eigentlich ziemlich vorhersehbar, aber ich bin der letzte, der Magnus seine Vorfreude nehmen würde. Dazu liebe ich sie zu sehr, genau wie ich ihn liebe.
Wir überqueren die Straße und sind endlich an unserem Ziel angekommen: Raziels Weihnachtsbäume.
Mit glitzernden Augen dreht sich mein Freund zu mir und wirft sich in meine Arme.
~Endlich, ich dachte schon du hast es vergessen oder wolltest dir einen Plastik-Baum anschaffen!~
Ich lache bei seinen erleichterten Tonfall leise, während ich kleine Kreise auf seinen Rücken zeichne. Ich bezweifle allerdings, dass er sie durch seinen dicken Wintermantel überhaupt spürt, aber es beruhigt und entspannt mich enorm.
~Solange ich keinen hübschen finde, wird es der echte Baum bleiben. Aber selbst geschmückt und mit Lichterkette und Lametta wird er nicht halb so schön aussehen wie du, wenn du strahlst.~
~Jetzt wirst du aber kitschig, mein Charmeur.~, murmelt er selbstsicher, aber das kurze Luftanhalten der Rührung habe ich dennoch vernommen.
Leider gelingen mir solche ... Komplimente eher selten, da ich schon feuerrot werde, ehe ich auch nur ein Wort herausgebracht habe. Ich bin es eher gewohnt, von meinem Freund Komplimente zu bekommen, denn Magnus war schon immer jemand, der sagt, was er denkt. Eine Eigenschaft, für die ich ihn manchmal gerne küssen aber auch schütteln möchte.
~Ich sage nur die Wahrheit. Und jetzt komm. Lass uns den perfekten Baum finden.~
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~Mhmm der ist ganz hübsch und ich bin sicher, die silbernen Kugeln, die mir Isabelle geschenkt hat, würden toll an ihm aussehen, aber er ist viel zu groß und zu schlank.~, murmelt Magnus nachdenklich, während er die Tanne vor uns kritisch betrachtet.
Ich halte mich kategorisch raus, denn einerseits habe ich keine Ahnung von Weihnachtsbäumen und zum anderen ist Magnus hier derjenige, mit dem guten Geschmack. Mir ist nur wichtig, dass er ins Wohnzimmer passt und meinem Freund gefällt.
Besagter schüttelt gerade den Kopf, bevor er weitergeht und die Bäume, die rechts und links von uns stehen, einzeln begutachtet und dann entscheidet, ob sie in Frage kommen oder nicht.
Auf dem großen Gelände sind mehr Menschen unterwegs als erwartet, aber anscheinend sind auch sie der Meinung, dass es reicht, den Baun kurz vor dem 24. zu kaufen und er davor nicht schon drei Wochen nackt in der Wohnung rumgammeln muss.
Die Tannen stehen so, dass man denken könnte, man befindet sich in einem Labyrinth, weshalb ich mir schonmal vorsorglich den Weg merke, damit wir noch vor der Schließung wieder draußen sind.
Aber trotz der quasselnden Stimmen der umherirrenden Baumsuchenden und den Angestellten, die ihnen helfen, verströmt dieser Ort eine seltsame Art von Ruhe. Wahrscheinlich liegt das jedoch nur am schweren Geruch von Harz und frischer Nadeln, die die stechende Kälte förmlich durchdringen. Überall auf dem Weg liegen Tannennadeln, sodass man sich tatsächlich so fühlt, als wäre man in einem Wald.
Magnus läuft, scheinbar wahllos, von Baum zu Baum, aber da ich ihn schon öfters beim Shoppen beobachtet habe, weiß ich, dass er sehr wohl ein System hat, eben nur ein sehr abstraktes.
Immer wieder murmelt er Dinge wie zu klein, zu groß, zu fett, passt nicht zu den Fensterrahmen, ist bestimmt uralt, sieht aus, als hätte er einen Tsunami überlebt und vieles mehr. Trotz seiner ständigen Kritiken hoffe ich, dass wir heute noch einen passenden Baum finden, denn sonst wird es tatsächlich etwas knapp.
~Ich fress nen Besen! Alec? Alec Lightwood?~, fragt plötzlich jemand hinter uns.
Ich dreh mich überrascht um und mein Mund wird staubtrocken.
Ein junger Mann mit lockigen blonden Haaren und blassgrünen Augen kommt auf uns zu. Er trägt ein Namensschild, also gehe ich davon aus, dass er hier arbeitet, und er lächelt breit.
Auch Magnus hat sich umgedreht und steht wieder neben mir, bleibt aber vorerst still.
Bei mir hingegen regen sich ein paar Gehirnzellen und formen ein Bild von einem Teenager mit Akne, beinahe kinnlangen Haaren und einem Basketballtrikot.
Oh nein, Andrew.
Ich kenne Andrew Underhill noch von der Highschool, wo wir beide im Basketballteam waren. Wir waren uns nie nahe gestanden, aber wir kamen miteinander klar. Früher zumindest, denn jetzt würde ich nichts lieber als einfach abzzhauen.
Es kommt nichts Gutes raus, wenn die Vergangenheit auf die Gegenwart trifft.
~Andrew Underhill? Schön dich zu sehen.~, ringe ich mir ab.
Er lächelt nur noch breiter, bevor sein Blick zu Magnus huscht.
~Und er ist?~
~Magnus Bane, sein ...~
~Mitbewohner. Wir wohnen in einer WG.~, unterbreche ich ihn und stecke meine Hand wie zufällig in meine Jackentasche.
Magnus hat nämlich die Angewohnheit, meine Hand zu ergreifen, wenn er sich als mein Freund vorstellt. Damit macht er klar, dass wir beide glücklich vergeben sind. Normalerweise finde ich diese besitzergreifende Geste süß, aber jetzt ist es absolut unangebracht.
Andrew ist Teil meiner Vergangenheit und in der war ich ... anders. Ich sehe keinen Grund, diesen Eindruck zu verändern und dafür nehme ich schwerenherzens auch Magnus' verletzten Blick in Kauf.
~Ich hätte dich nie für den Typ gehalten, der in einer schäbigen WG lebt, aber sei's drum. Ihr seid bestimmt hier, um einen Baum zu kaufen. Vielleicht kann ich euch dabei helfen.~
~Ja, das wäre nett.~
~Dann kommt mal mit. Ich zeige euch die schönsten, die wir haben. Wir haben ja noch so viel nachzuholen! Ich freu mich, dich wiedergefunden zu haben. Das ist ja beinahe ein kleines Weihnachtswunder!~, quasselt er los, während er sich bei mir unterhakt und mich mit sich zieht.
Magnus folgt uns mit einigem Abstand und ich kann seine fragenden Blicke in meinem Rücken spüren.
So habe ich mir diesen Baumkauf ganz besimmt nicht vorgestellt. Ich sollte doch mit meinem Freund durch die Gegend schlendern und ihm bei der finalen Entscheidung zu Seite stehen. Dieser Tripp sollte ... romantisch sein, wie die letzten, die wir unternommen haben.
Jetzt jedoch bin ich von ihm getrennt und muss meinem alten Klassenkamerad auf den neusten Stand bringen -so weit das möglich ist. Dazu gehört auch, ihm beizubringen, dass ich mich von Lydia -meiner Highschoolbeziehung- getrennt habe und wegen der Arbeit in die WG gezogen bin -was eine absolute Lüge ist.
Dabei erhasche ich immer wieder Blicke auf meinen Freund, der ungewöhnlich schweigsam ist und nur spricht, wenn er direkt etwas gefragt wird. Selbst sein Blick ist verschlossen und das bereitet mir noch mehr Sorgen.
Ich muss es ihm unbedingt erklären. Ihm sagen, dass es nicht an ihm liegt. Dass es mir leidtut, dass ich ein Feigling bin.
Der einzige Vorteil ist, dass Andrew uns tatsächlich helfen kann, die perfekte Tanne zu finden und knapp eine halbe Stunde später stehen wir wieder am Eingang von Raziels Weihnachtsbäume mit einem schönen Baum, der in ein weißes Netz gewickelt ist. Andrew hat mir allerdings noch das Versprechen abgenommen, mich bei ihm zu melden, das ich geflissentlich ignorieren werde.
Anders als meinen Freund, der nun wieder meine volle Aufmerksamkeit erlangt.
~Magnus, ich ...~
~Schon gut, Alexander~, winkt er leise ab, sieht mich aber nicht an,~Ich verstehe schon ... Gib mir bitte nur einen Moment. Ich möchte einfach kurz allein sein. Kannst du den Baum nach Hau ... in die Wohnung bringen oder soll ich dir helfen?~
~Ich krieg das schon hin.~
Er lächelt schwach und nickt.
~Gut. Ich glaube, ich sollte Cat mal wieder einen Besuch abstatten. Schauen, ob sie Ragnor am Leben gelassen hat. Ich komme am Abend wieder. Warte besser nicht auf mich.~
Ohne mich nochmal zu Wort kommen zu lassen, macht er kehrt und lässt mich mit einem wunderschönen Baum und einem stechenden Herz zurück.
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