20. Dezember: Wie Bambi auf dem Eis

~Wohin entführst du mich? Zu der einsamen Waldhütte geht es in die andere Richtung.~, scherzt Magnus, aber seine Ungeduld ist dennoch deutlich herauszuhören.

Ich kann ihn verstehen, immerhin laufen wir seid einer guten viertel Stunde durch die Stadt und er hat keine Ahnung, wohin überhaupt. Heute bin ich wieder dran und ich habe mir überlegt, mit meinem Freund Schlittschuhfahren zu gehen. Ich weiß, total kitschig und klischeehaft, aber mir kam es wie eine gute Idee vor.

Das einzige, das ich bereue, ist, ihn nicht gefragt zu haben, ob er überhaupt Schlittschuhfahren kann.
Was, wenn er es nicht kann und sich vehement weigert, es zu versuchen?
Was, wenn er keine Lust darauf hat und ich ihm somit den Tag ruiniere?
Ich habe keinen Plan B.

Ich für meinen Teil konnte mal Schlittschuhfahren, aber das ist schon eine ganze Weile her. Wahrscheinlich werde also eher ich derjenige sein, der sich blamiert, denn Magnus ist bestimmt dazu in der Lage, selbst beim Hinfallen elegant auszusehen, wie bei jeder anderen Bewegung auch. Es ist schlichtweg Teil seines Naturells.

Endlich biegen wir um die letzte Ecke und stehen vor der großen Eislaufbahn, die im Sommer als Parkplatz verwendet wird. Sie ist trotz des, wiedereinmal, grauen Wetters gut gefüllt und während manche sich unsicher an der etwa ein Meter hohen Bande entlangziehen, schlittern andere geschmeidig umher.

Es ist kalt und immer mal wieder hört man Kinderlachen, aber alles wird von mehreren Lautsprechern an den vier Ecken der Bahn übertönt, aus denen Weihnachtslieder klingen. Trotz der Menschenmassen ist ein schöner Anblick, aber noch kann er meine Nervosität nicht vertreiben, als ich zu meinem Freund sehe.

Wenn seine Kinnlade nicht an seinem Kiefer befestigt wäre, würde sie wohl am Boden liegen, denn sein Mund ist weit auf und auch seine Augen sind erstaunt aufgerissen. Die Überraschung ist mir definitv schonmal gelungen.

Plötzlich quietscht er in einer mir unbekannten Stimmlage los und klatscht begeistert in die Hände.
~Ich liebe Schlittschuhfahren! Woher hast du das gewusst?!~
~Äh ... Ich kenne dich eben.~, versuche ich meine eigene Überraschung über seine Freude zu vertuschen.

Ich kann wirklich nicht lügen und Magnus weiß das wahrscheinlich auch, aber gerade scheint er zu aufgeregt zu sein, als meine schwache Lüge zu enttarnen.
Mit einem breiten Grinsen zieht er mich hinter sich her.

Nachdem wir uns Schlittschuhe von einem kleinen Stand ausgeliehen haben, gehen wir zum Eingang der Eisfläche. Sofort tritt Magnus aufs Eis und dreht sich abwartend zu mir um.

Seine braunen Augen funkeln wie die eines Kindes, wenn es eine extra große Zuckerwatte bei einem Jahrmarkt bekommen hat. Pure Freude und Gott, mein Herz schmilzt dabei! Ich liebe es, ihn so zu sehen und bin wirklich froh, dass er trotz seines Alters diese kindliche Begeisterung nie verloren hat. Dieser Blick gibt mir das Vertrauen, das ich brauche, um seine Hand zu ergreifen und ebenfalls aufs Eis zu treten.

Sofort verschwindet mein Lächeln, das ich bis dato im Gesicht getragen habe und meine Beine fangen an zu zittern. Warum muss Eis auch so rutschig sein? Ich fühle mich wie Bambi bei seiner ersten Erfahrung mit Eis, mit dem einzigen Unterschied, dass ich nicht so süß aussehen werde, wenn ich hinfalle.

Ängstlich kralle ich mich an den dunkelroten Mantel meines Freundes, um genau diese Blamage zu verhindern.
~Alles in Ordnung, Alexander?~, fragt Magnus mich besorgt.
Ich schlucke schwer.
~Klar. Es ist nur ... rutschig.~

Als ich aufblicke, sehe ich, wie sich Magnus auf die Lippe beißt, aber dennoch kann ich anhand des schelmischen Funkelns in seinen Augen erkennen, wie gern er jetzt einen Kommentar abgegeben hätte. Ich bin froh, dass er es nicht tut, sondern versucht ernst zu bleiben, so schwer es ihm auch zu fallen scheint.

~Dann halt dich an mir fest und tu genau das, was ich tue.~
Mit diesen Worten löst er einen Arm aus meinem Klammergriff, damit er neben mir steht, bevor er geduldig wartet, bis ich mich ausbalanciert habe.

Währenddessen gleiten dutzend andere problemlos an uns vorbei und ich bin mittlerweile bestimmt feuerrot vor Scham und Kälte. Magnus jedoch bewahrt die Ruhe, als er mit seinem linken Fuß nach vorne gleitet und den rechten nachzieht.

Wie bereits vermutet, sieht er selbst bei einer so einfachen Bewegung schrecklich elegant aus, dass ich mich eigentlich nur noch blamieren kann, aber ich versuche möglichst nicht daran zu denken.
Stadessen tue ich es ihm gleich, auch wenn es bei mir eher die ersten Schritte eines Giraffenbabies aussieht.

So bewegen wir uns dann langsam fort und mit der Zeit beginnt das ganze sogar Spaß zu machen, auch wenn ich ein schlechtes Gewissen habe, immerhin halte ich Magnus nur auf. Dennoch, meine Unbeholfenheit verschafft mir zusätzlichen Körperkontakt mit meinem Freund und darüber kann ich mich nun echt nicht beschweren.

Mit der Zeit bekomme ich sogar etwas Übung darin, unelegant übers Eis zu schlittern, sodass ich Magnus' Arm nicht mehr im Würgegriff einer Anakonda halten muss, um nicht auf die Nase zu fliegen. Ich bekomme ein Gefühl für das rutschige Eis und deshalb kann ich es auch endlich anfangen zu genießen.

Wir fahren zwar nur im Kreis mit vielen anderen, aber für mich fühlt es sich so an, als wären wir allein in unserer eigenen kleinen Welt. Die Stimmen um uns herum verschwimmen und auch der hole Klang der Weihnachtslieder verschwindet etwas im Hintergund.

Allein mein Herzschlag und das Geräusch von Kufen auf dem Eis ist zu hören und es fühlt sich irgendwie ... ganz friedlich an. Mit Magnus fühle ich mich einfach wohl und immer so ... frei.

Es zählen einfach nur noch er und ich und niemand sonst. Das habe ich schon zu unserer Anfangszeit sehr geschätzt und jetzt nur so viel mehr.

~Du kannst es!~
~Ja. Erstaunlicherweise ja. Es macht sogar Spaß und ...~

... es kam wie es kommen musste. Da ich mich aufs Sprechen konzentriert habe, habe ich nicht mehr auf meine Beine geachtet, die mir plötzlich wegrutschen, sodass ich mit dem Hintern auf das harte Eis pralle.

Magnus, der nicht schnell genug reagiert hat, wird einfach mitgezogen und schon liegen wir beide auf dem kalten Eis, aber anstatt sich zu beschweren, fängt er plötzlich an zu lachen. Er lacht aus vollem Halse und es ist so ansteckend, dass auch mir ein kleines Kichern entkommt.

~Elegante Landung würde ich sagen.~
~Wie Bambi.~
Kurz sieht er mich irritiert an, bevor die Erkenntnis über sein Gesicht huscht und er wieder zu lachen anfängt.

~Um einiges süßer als Bambi, aber ja.~
~Ich bin nicht süß.~, grummel ich und verschränke gespielt beleidigt die Arme vor der Brust. Magnus kichert immernoch, als er sich wieder aufrichtet und auf mich herabblickt, während er sich das Steißbein reibt.

Seine geschminkten Augen funkeln amüsiert, als er mir eine Hand entgegenstreckt.
~Natürlich nicht, Alexander. Du bist und bleibst Grumpy Cat.~

Bitterböse starre ich ihn an, als wir endlich wieder auf Augenhöhe sind, aber mein Ärger schmilzt wie Schnee in der Sonne bei seinem Anblick. Liebevoll schlingt er die Arme um meinen Nacken und sieht mit einem spielerischen, aber vor allem sanften Blick zu mir auf.

Ich könnte wahrscheinlich ein ganzes Leben damit verbringen, ihm in die Augen zu sehen und ich würde es nicht als verschwendet bezeichnen. Dazu sind seine Augen viel zu schön, vor allem mit diesem liebevollen Blick, der mir stets Wärme und Geborgenheit, einfach zu Hause, vermittelt.

~Aber du bist eben mein Grumpy Cat.~, murmelt er leise und verwickelt mich in einen Kuss, der alles um mich herum verstummen lässt und die Welt dazu bringt, kurz inne zu halten, um diesen perfekten Moment zu genießen.

Schönen 4. Advent!

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