38 - Liebe Bettina {Großtante}

Liebe Bettina,
Bei dir durfte ich mein letztes Ostern verbringen. Ein wunderschönes Ostern, wie ich es anders nicht gewollt hätte. Ein Ostern, das normal war. Und genau das war das schöne. Es war, wie all die Jahre davor auch. An diesen Tagen konnte ich oft meine Krankheit vergessen, vergessen, dass dies mein letztes Ostern war.
Und dafür bin ich dir unendlich dankbar.

Mit dir verbinde ich soviel schönes...aber auch Angst und Unsicherheit.
Ich habe lange überlegt, ob ich dir das alles schreiben soll, oder dich mit diesen schlechten Erinnerungen verschonen soll. Ich habe mich für ersteres entschieden. Du warst mir immer so wichtig, und jetzt sollst du auch die Wahrheit erfahren.

Angefanen hat alles, als ich keine Kommunion gemacht habe, weil mir damals das alles nicht so wichtig war. Und du, wie wir dich kennen, bist immer, streng katholisch gläubig wie du nun mal bist, zu mir gekommen und hast gesagt "nächstes Jahr aber, oder?" Und ich war dann ganz verunsichert. Ich habe es dir immer versichert, es aber nie getan.

Und dann bin ich fünfte und sechste Klasse in den evangelischen Unterricht. Das wusstest du nicht, oder? Ich habe es dir nie erzählt. Ich hatte immer Angst, von dir verstoßen zu werden, vorallem, weil du mich so gerne gemocht hast und ich auch deine älteste Enkelin war. Also habe ich es dir nicht erzählt, sonder immer nur mein schlechtes Gewissen mit mir herumgetragen.

Irgendwann ist dann das erste Mal das Thema "Firmung oder Konfirmation?" aufgetreten. Ich habe mich damals sofort für die Firmung entschieden. Warum? Ich weiß nicht mehr, ob es Überzeugung, Gewohnheit oder du warst. Aber alles hat eine Rolle gespielt.

Also bin ich Siebte wieder in den katholischen Unterricht.

Doch dann habe ich mich nicht mehr dort wohlgefühlt. Ich habe Bücher über Luther und die Unterschiede zwischen beiden Glaubenszweigen gelesen - und habe mir eine eigene Meinung gebildet.

Und diese Meinung war, dass ich evangelisch werden wollte.
Wie du weißt, habe ich das dann auch getan.

Aber ich habe es lange mit mir herumgetragen. Es dir nicht erzählt. Wieder aus Angst, von dir nicht mehr akzeptiert zu werden.
Doch irgendwann musste ich es erzählen. Und du warst, wie erwartet, geschockt. Hast es nicht verstanden. Vielleicht hast du das bis heute nicht, ich weiß es nicht. Aber das ist ja jetzt auch egal.

Erst lange nach meiner Konirmation hast du angefangen, diese Entscheidung zu akzeptieren. Meiner Meinung nach, erst viel zu spät. Aber du warst so in deiner "nur die Katholiken haben die einzig wahre Religion"-Welt gefangen, dass du erst viel zu spät gemerkt hast, dass es auch noch etwas anderes dort draußen gibt.
Naja - wenigstens hast du es irgendwann.

Trotzallem liebe ich dich! Du bist mir so unglaublich wichtig! Und ich danke dir für alles schöne in meinem Leben dank dir - aber auch für alles schlechte, für das du verantwortlich bist. Denn ohne diesen Teil meines Lebens, wäre ich vielleicht nie zu meiner Entscheidung gekommen. Danke

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