24 - Freitag, 12. Mai

Morgen werde ich entlassen - in die Freiheit. Dann kann ich noch einmal auf eine Party gehen, ich kann noch einmal mein Lieblingsbuch lesen. Noch einmal eine Nacht durchmachen, meine Lieblinsfilme schauen, mit meiner Freundin kochen, mit meiner Familie in den Urlaub fahren, noch einmal mit meiner Familie alte Kinderfotos anschauen. Solange, bis meine Zeit vorbei ist.

Aber wann ist die vorbei? In einem Monat? In eineinhalb? In drei Wochen? Wieviel Zeit habe ich noch? Vor zwei Wochen noch war alles, trotz der Diagnose, noch so weit weg. Klar, greifbarer als vor zwei Jahren, aber trotzdem hatte ich (wahrscheinlich) noch mehrere Monate.

Aber stimmt das? Oder war das Schicksal? Hatte das Schicksal von Anfang an gewusst, dass es diesen Sommer aus sein würde? War immer klar, dass ich an Krebs sterben würde?

Ich könnte sagen "Nein!" - wahrscheinlich wäre das auch das, was ich spontan antworten würde, würde mich jemand fragen. "Und warum?", würde dieser jemand fragen. Warum. Ich habe lange überlegt, aber letzendlich weil ich die Vorstellung, dass mein ganzes Leben daraufhingelaufen, mein "kämpfen" umsonst gewesen wäre, nicht ertragen. Ich habe so viele Entscheidungen in meinem Leben spontan getroffen, im Nachhinein für falsch empfunden oder für richtig - und das soll alles so "vorprogrammiert" sein? Nein!

Oder ich könnte "Ja!" sagen - das würde ich vielleicht eher nach langem Überlegen sagen. Dann würde sicher wieder die Frage "Warum?" auftauchen. Ich glaube, manchmal ist es leichter, im Nachhinein mit Entscheidungen umzugehen, wenn man denkt, egal welche sie war, sie war die Richtige für mein Leben. Denn irgendwie stärkt das Wissen, dass alles richtig ist.

So, jetzt habe ich zwei verschiedene Standpunkte genannt - aber für welchen würde ich mich letzendlich entscheiden? Ich glaube für "Nein!", weil ich hoffe, dass nicht z.b. schon entschieden ist, wen ich mal heirate.

Ich habe Angst vor meinem Tod! Stellt euch mal vor, es wäre einfach nichts. Ihr könnt nicht mehr denken, da war das und dann gehe ich dahin. Ihr könnt eure Familie nie wieder sehen, geschweige denn an sie denken. Ich habe Angst! Zum ersten Mal seit Langem habe ich wieder Angst. Angst vor dem Tod. Vor meinem Tod in gut einem Monat! Ich habe Angst!

Ich habe Angst vor dem, was in 904 Stunden ist. 904.

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