Z W E I
Kaelan folgte dem fast schon geisterhaften Mann durch den Wald, in dem das Licht nun klarer durch die Baumwipfel brach. Der dichte, nebelverhangene Teil des Waldes lag längst hinter ihnen. Hier waren die Bäume schlanker, ihre Blätter leuchteten in warmen Grüntönen, die von feinen Goldadern durchzogen waren. Die Luft war frisch, und das Sonnenlicht legte einen sanften Schimmer auf den Waldboden, auf dem weiches Moos und kleine, blassblaue Blüten wuchsen. An einigen wenigen Stellen wuchsen große, glänzende Blüten, die in grellem Orange und Violett leuchteten und einen süßlichen, fast berauschenden Duft verströmten.
Der Boden unter Kaelans Füßen war fest und federnd, und die Farben um sie herum wirkten lebendig. Kleine Lebewesen schwirrten von Blume zu Blume – flügelschlagende Kreaturen, die an Schmetterlinge erinnerten, doch ihre Flügel schimmerten in einem seltsamen, perlmuttartigen Glanz und waren von winzigen, funkelnden Punkten überzogen. Sie wirbelten um Kaelan und ihrem Führer herum, als wären sie neugierig auf die beiden Neuankömmlinge.
„Wo gehen wir hin?" Kaelan spürte das Bedürfnis zu fragen, während sie den Mann beobachtete, der mit schnellen Schritten den schmalen Pfad entlangging. Er schien genau zu wissen, wohin er wollte, als wäre er hier oft entlanggekommen.
„Bald wirst du verstehen," antwortete er nur knapp, ohne sich dabei umzudrehen. Sein Blick wanderte ständig zwischen den Bäumen um sie herum, als würde er sicherstellen wollen, dass niemand ihnen folgte. Es war ein ungewöhnliches Verhalten, das Kaelan misstrauisch machte.
Plötzlich tauchte vor ihnen ein merkwürdiges Tier auf, das mitten auf dem Pfad saß. Es war ungefähr so groß wie ein Hase, aber sein Fell war nicht weich und flauschig, sondern schien aus kleinen Schuppen zu bestehen, die im Licht des Waldes metallisch schimmerten. Seine Ohren waren lang und spitz, fast wie die eines Fuchses, und seine Augen funkelten in einem hellen Türkis. Als es die beiden bemerkte, starrte es sie mit einem forschenden Blick an und legte den Kopf schief, bevor es sich blitzschnell in den Schatten zurückzog.
„Was war das?" fragte Kaelan, überrascht von der seltsamen Kreatur.
„Ein Flirrschupp," antwortete der Mann knapp, als wäre das das Normalste der Welt. „Sie leben hier und beobachten alles. Man sagt, dass sie Geheimnisse sammeln, aber niemand hat je einen Flirrschupp sprechen gehört." Ein schwaches Lächeln huschte über sein Gesicht, bevor er wieder ernst wurde und weiterging.
Kaelan nickte und warf einen letzten Blick in den Busch, wo das kleine Wesen verschwunden war. Es war faszinierend, wie viele seltsame und wundersame Kreaturen es in dieser Welt zu geben schien. Kaelan fragte sich, wie viele sie noch sehen würde und welche Geschichten sich hinter diesen Lebewesen verbargen.
"Wie...", Kaelan duckste ein wenig herum, ihr war die Frage sichtlich unangenehm. "Wie heißt du eigentlich?"
Der runenbedeckte Mann drehte sich nicht um, sondern schritt weiter. "Eron", antwortete er knapp und deutete mit seinem knorrigen Stab auf einen kleinen Pfad, den Kaelan beinahe übersehen hätte.
Sie folgten dem schmalen Pfad, bis sie schließlich zu einem steinigen Hang kamen, an dessen Fuß ein Fluss in klarem, sanftem Grün floss. Die Sonne ließ das Wasser glitzern, als wären winzige Kristalle darin gelöst. Als Kaelan genauer hinsah, bemerkte sie, dass das Leuchten tatsächlich von kleinen, moosartigen Pflanzen kam, die auf dem Grund des Flusses wuchsen und grünlich strahlten.
„Pass auf, dass du das Wasser nicht berührst," warnte Eron und deutete auf eine Reihe flacher Steine, die den Fluss überquerten und als eine Art natürliche Brücke dienten. „Das Moos im Fluss enthält ein leichtes Gift. Berührt man es, kann es schlimme Hautausschläge verursachen und schwächt das Immunsystem für Tage."
Kaelan wich instinktiv ein wenig zurück und sprang vorsichtig von einem Stein zum nächsten, bis sie das andere Ufer erreicht hatte. Dahinter begann der Wald sich wieder zu verdichten, doch das Licht drang weiterhin in weichen Strahlen durch die Äste.
„Wo sind wir?" fragte sie, als sie den ungewöhnlich großen, alten Baumstämmen entlangging, die den Waldboden wie Säulen umgaben. Die Rinde war grob und wirkte, als wäre sie über Jahre hinweg versteinert, doch der Baum an sich lebte noch. Seine Äste ragten in die Höhe, wo winzige, silberne Blüten wuchsen, die leicht im Wind zitterten.
„Das ist das Gebiet der Windbäume," sagte Eron mit gedämpfter Stimme. „Man sagt, dass diese Bäume Botschaften im Wind tragen. In alten Zeiten haben die Leute hier ihre Gebete geflüstert und gehofft, dass die Bäume sie in die Himmel tragen."
Kaelan spürte eine seltsame Ruhe, als sie die Bäume betrachtete. Doch ihre Gedanken wurden schnell unterbrochen, als ein entferntes Rufen erklang. Es war ein seltsames, klagendes Geräusch, das sich anhörte wie der Wind selbst, der durch die alten Äste strich.
„Hörst du das?" fragte sie und schaute sich um.
Eron nickte und verharrte einen Moment. „Das sind die Stimmen der uralten Flüsterer der Wälder," erklärte er. „Sie sind geisterhafte Wesen und sollen die Gebete bewachen, die hier einst gesprochen wurden. Manche sagen, dass sie die Stimmen all jener tragen, die je hier entlanggewandert sind."
„Warum führst du mich hier entlang?" fragte sie schließlich und merkte, dass sie langsam ungeduldig wurde. Sie war sich sicher, dass Eron nicht zufällig diesen Weg gewählt hatte.
„Weil du lernen musst, was diese Welt dir zu bieten hat," antwortete er ernst. „Das Amulett, das du trägst, ist nicht nur ein Schmuckstück. Es hat eine Geschichte, und diese Geschichte ist mit diesem Land und seinen Lebewesen verbunden."
„Was genau ist es? Und wo bin ich eigentlich hier?" Kaelan fühlte sich wie in einem Rätsel gefangen, das sie kaum verstand.
„Das wirst du bald genug herausfinden," sagte Eron, ohne ihre Frage direkt zu beantworten. „Jetzt komm, wir sind fast da, und es wird bald dunkel."
Sie gingen weiter, bis sie schließlich eine alte, halb verfallene Hütte erreichten, die inmitten des Waldes stand. Die Wände bestanden aus dicken Holzbalken, die von Moos bedeckt waren, und eine kleine Laterne hing neben der Tür und flackerte schwach. Eron öffnete die Tür und deutete Kaelan an, einzutreten.
Im Inneren war es warm und gemütlich, ein kleines Feuer brannte in einer Ecke, und auf einem hölzernen Tisch lagen ein paar Kräuter und seltsame, in Leder gebundene Bücher. Kaelan ließ ihren Blick über die alte Hütte schweifen, und ihre Gedanken überschlugen sich.
„Setz dich," sagte Eron und zog einen Hocker heran. „Es gibt einiges, das du wissen musst, und die Nacht ist die beste Zeit, um darüber zu sprechen."
Kaelan setzte sich, und während ihre Neugier wuchs, spürte sie auch eine seltsame Nervosität.
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