Z E H N

Der Weg führte Kaelan und den Fenryx weiter durch die tiefen Wälder, wo die Atmosphäre mit jedem Schritt fremdartiger und faszinierender wurde. Die Luft war erfüllt von seltsamen, melodiösen Klängen, die von unsichtbaren Wesen zu kommen schienen. Die Pflanzen und Bäume, die sie umgaben, leuchteten in Farben, die jenseits der normalen Vorstellungskraft lagen – eine Palette aus glühendem Türkis, vibrierendem Gold und einem intensiven Violett, das fast schmerzte, wenn man es zu lange ansah.

Kaelan hielt kurz inne und ließ ihren Blick schweifen. Sie fühlte sich, als würde sie durch eine Welt schreiten, die lebte und atmete, als wäre jeder Baum, jeder Stein und jeder Schatten Teil eines großen, magischen Gefüges.

„Dieser Ort ... ist unglaublich," flüsterte sie, mehr zu sich selbst als zu dem Fenryx. Er schnüffelte an einem großen, kelchartigen Gebilde, aus dessen Innerem ein blauer Dunst aufstieg, der sich in der Luft auflöste.

Das Amulett an ihrem Hals pulsierte sanft, fast beruhigend, doch die Klinge in ihrer Hand vibrierte hin und wieder, als ob sie auf eine entfernte Bedrohung reagierte. Kaelan wusste, dass sie hier nicht verweilen konnte, so schön es auch war. Ihr Ziel lag noch vor ihr, und die Zeit drängte.

Nach einer Weile öffnete sich der Wald, und sie erreichten eine riesige Schlucht, die sich wie ein schwarzer Riss durch die Erde zog. Die Wände der Schlucht waren mit glänzenden, kristallartigen Gesteinsformationen bedeckt, die ein schwaches grünes Licht abstrahlten. Doch was Kaelan am meisten beunruhigte, war der Abgrund darunter – ein endloses, undurchdringliches Dunkel, aus dem ein schwaches Raunen zu kommen schien, als würde die Tiefe selbst flüstern.

„Wie sollen wir da hinüberkommen?" fragte Kaelan und trat näher an den Rand der Schlucht. Der Fenryx gab ein tiefes, brummendes Geräusch von sich und schüttelte den Kopf, als wollte er sagen: „Das ist gefährlich."

Kaelan ließ ihren Blick suchend schweifen, bis sie auf der anderen Seite eine merkwürdige Formation entdeckte – eine große Statue, halb verdeckt von Ranken und Moos. Sie erkannte die Umrisse eines menschlichen Gesichts, das in den Fels gemeißelt war, doch seine Augen wirkten lebendig, als ob sie sie beobachteten.

„Das ist kein normaler Stein," murmelte Kaelan und spürte, wie das Amulett stärker zu pulsieren begann.

Plötzlich ertönte ein tiefes Grollen, und der Boden unter ihren Füßen vibrierte leicht. Kaelan wich zurück, als ein gewaltiger Ast, der wie ein umgestürzter Baum in die Schlucht ragte, sich zu bewegen begann. Es war kein Ast – es war eine lebende Brücke, eine Kreatur, die sich langsam erhob und ihre Form veränderte, um eine Verbindung zwischen den beiden Seiten der Schlucht herzustellen.

Der Fenryx knurrte leise, doch Kaelan hob beruhigend die Hand. „Ich glaube, sie will uns helfen," sagte sie, auch wenn sie selbst nicht sicher war, warum sie das glaubte.

Die Brücke bestand aus einer Mischung aus Ranken, Holz und Stein, und in ihrem Inneren schimmerte ein pulsierendes Licht. Sie schien auf das Amulett zu reagieren, das Kaelan trug, und warf eine Art energetisches Echo zurück.

Kaelan trat vorsichtig auf die lebende Brücke, und die Oberfläche fühlte sich unerwartet warm und fest an. Der Fenryx folgte zögernd, sein Fell sträubte sich leicht, doch er blieb dicht bei ihr. Mit jedem Schritt durchzog ein leises Summen die Luft, fast wie eine Stimme, die Kaelan etwas zuflüsterte.

„Das Gleichgewicht ... der Wächter ... die Prüfung ..." Die Worte waren kaum hörbar, doch Kaelan spürte sie in ihrem Geist widerhallen.

Plötzlich vibrierte die Klinge in ihrer Hand heftiger, und Kaelan blieb stehen. Eine Bewegung aus der Dunkelheit unter ihnen ließ sie erstarren. Schattenhafte Gestalten schwebten durch den Abgrund, ihre Konturen unklar, als ob sie aus Rauch und Nebel bestanden.

„Schattenwächter," flüsterte sie. „Sie verfolgen uns immer noch."

Die Gestalten erhoben sich langsam, und ihre roten Augen glühten im Dunkeln wie kleine Feuerglutpunkte. Kaelan spürte, wie die Brücke begann, sich leicht zu bewegen, fast wie in Abwehr, doch die Schattenwächter kamen näher.

Kaelan hob die Klinge, und das violette Licht, das von ihr ausging, wurde heller. Die Schattenwächter zögerten kurz, doch dann schossen sie plötzlich auf sie zu. Kaelan schloss die Augen und konzentrierte sich auf das Amulett. Sie spürte, wie die Energie des Ortes, der Brücke und der Klinge miteinander verschmolzen.

„Hilf uns," flüsterte sie, ihre Worte direkt an die lebende Brücke gerichtet. „Beschütze das Gleichgewicht."

Die Brücke reagierte. Die Ranken und Holzstrukturen begannen, sich zu bewegen, und schlugen wie riesige Peitschen nach den Schattenwächtern. Ein ohrenbetäubendes Kreischen erfüllte die Luft, als die Kreaturen von der Brücke getroffen wurden und in die Tiefe fielen, wo sie sich in schwarzem Rauch auflösten.

Kaelan keuchte, als die letzte Kreatur verschwand, und sank auf die Knie. Der Fenryx stellte sich schützend vor sie, während die Brücke langsam zur Ruhe kam.

„Danke," flüsterte Kaelan, und die Brücke schien auf ihre Worte zu reagieren, indem sie sanft vibrierte.

Kaelan und der Fenryx erreichten die andere Seite der Schlucht und blickten zurück. Die Brücke begann, sich wieder in ihre ursprüngliche Form zurückzuziehen, bis sie schließlich wieder wie ein Teil der Landschaft wirkte.

„Dieser Ort ... er ist lebendig," sagte Kaelan, während sie sich erneut umsah. „Alles hier scheint mit der Magie der Rufer verbunden zu sein."

Der Fenryx sah sie an, seine Augen schienen zu sagen: „Das ist nur der Anfang."

Kaelan richtete sich auf, die Klinge fest in der Hand, und wandte sich ihrem nächsten Ziel zu. Die Vision der Burg und der Rufer, die sie in der Höhle gesehen hatte, brannte noch immer in ihrem Geist. Sie wusste, dass die Schatten sie weiterhin verfolgen würden – und dass die Prüfungen noch schwerer werden würden.

Doch sie war bereit.

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