F Ü N F Z E H N
Kaelan schritt durch die erneuerte Welt, die sich vor ihr ausbreitete. Die Luft war klar, und die Landschaft wirkte lebendig, als hätte sie selbst mit dem Sieg über die Dunkelheit einen neuen Atemzug genommen. Der Fenryx lief an ihrer Seite, sein Fell glänzte im Licht der aufgehenden Sonne, die am Horizont aufstieg. Jeder Schritt fühlte sich wie eine Bestätigung ihres Weges an, doch sie wusste, dass ihre Reise noch nicht vorbei war.
Das Amulett an ihrem Hals war ruhig geworden, doch es pulsierte gelegentlich, als würde es Kaelan daran erinnern, dass es immer wachsam blieb. Die Klinge, die sie während des letzten Kampfes getragen hatte, schimmerte noch immer in einem sanften Violett. Sie fühlte die Kraft des Gleichgewichts in sich, ein Zustand, den sie durch ihre Prüfungen und Kämpfe erreicht hatte.
Als sie durch einen kleinen Wald wanderte, spürte Kaelan eine vertraute Präsenz. Die Flüsterer der Wälder, die sie geleitet hatten, erhoben erneut ihre Stimmen. Dieses Mal war ihr Tonfall sanft, fast wie eine Melodie.
„Kaelan, Ruferin des Sturms," erklangen die Stimmen. „Du hast das Gleichgewicht bewahrt und der Dunkelheit gezeigt, dass sie allein nicht triumphieren kann. Doch dein Weg endet nicht hier."
Kaelan hielt inne und lauschte den Worten. „Was wollt ihr mir noch sagen?" fragte sie, ihre Stimme ruhig und fest.
„Das Gleichgewicht hat dich hierhergebracht," antworteten die Flüsterer. „Du bist nicht aus dieser Welt – du wurdest gerufen."
Kaelan erstarrte. Sie hatte schon lange gespürt, dass diese Welt nicht ihre eigene war, doch diese Bestätigung ließ ihre Gedanken rasen. „Warum ich? Warum wurde ich gerufen?"
Die Flüsterer antworteten mit sanfter Klarheit: „Deine Seele trägt das Gleichgewicht in sich, Kaelan. In deiner Welt hast du die Harmonie zwischen Chaos und Ordnung gesucht, auch wenn du es nicht wusstest. Als das Gleichgewicht hier zu kippen drohte, hat der Weltenbaum nach einem Wächter gerufen – und du hast geantwortet."
Kaelan schloss die Augen, und plötzlich fluteten Erinnerungen zurück, die zuvor verschlossen waren. Sie sah sich selbst in ihrer Welt, ein einfaches Leben führend, stets auf der Suche nach einem Sinn, einem tieferen Zweck. Sie erinnerte sich an eine stürmische Nacht, als ein Blitz den Himmel zerriss und ein seltsames Licht sie umhüllte. Es war kein Traum gewesen, wie sie geglaubt hatte – es war der Moment, in dem sie in diese Welt gezogen worden war.
„Ich ... ich habe alles zurückgelassen," flüsterte sie, ihre Stimme bebte. „Meine Welt, meine Familie."
„Das Gleichgewicht verlangt Opfer," sagten die Flüsterer. „Doch du hast nicht nur gegeben. Diese Welt hat dich verändert, und du bist zu einem Teil von ihr geworden."
Nach Stunden des Wanderns erreichten Kaelan und der Fenryx eine Lichtung, wo eine bekannte Gestalt auf sie wartete. Eron stand dort, sein Gesicht zeigte sowohl Erleichterung als auch Stolz. Seine runenbedeckten Arme schimmerten im Sonnenlicht, und er lächelte leicht, als er Kaelan und ihren neuen Begleiter erblickte.
„Du hast es geschafft," sagte er, seine Stimme ruhig, doch voller Anerkennung. „Ich wusste, dass du es kannst."
Kaelan trat näher und nickte. „Die Dunkelheit ist besiegt – für jetzt. Aber ich weiß, dass dies nicht das Ende ist."
Eron nickte. „Nein, es ist nicht das Ende. Doch was du erreicht hast, gibt der Welt eine Chance, wieder aufzublühen. Und es zeigt, dass die Rufer niemals vergessen werden."
Kaelan spürte, wie sich eine warme Zufriedenheit in ihr ausbreitete. Sie hatte nicht nur das Gleichgewicht bewahrt, sondern auch bewiesen, dass Licht und Dunkelheit zusammen existieren konnten, ohne einander zu zerstören.
Kaelan blickte Eron an, ihre Gedanken immer noch bei den Worten der Flüsterer. „Eron," begann sie, „ich weiß jetzt, warum ich hier bin. Aber was passiert mit meiner alten Welt? Werde ich jemals zurückkehren können?"
Eron legte eine Hand auf ihre Schulter. „Deine Verbindung zu dieser Welt ist stärker, als du denkst. Es gibt Kräfte, die dich hier halten, doch die Wahl liegt bei dir. Der Weltenbaum könnte dir eine Rückkehr ermöglichen, aber nur, wenn du sicher bist, dass dies dein Weg ist."
Kaelan fühlte einen Knoten in ihrer Brust. Die Entscheidung lag bei ihr – doch sie wusste, dass ihr Herz jetzt an diese Welt gebunden war. „Diese Welt braucht mich," sagte sie schließlich. „Und vielleicht war ich schon immer für diesen Weg bestimmt."
Eron nickte und trat zurück. „Dann geh, Kaelan. Dies ist deine Welt – bewahre sie, wie du es geschworen hast."
Kaelan trat an den Rand der Lichtung und blickte auf das Land, das vor ihr lag. Die Dunkelheit war gewichen, doch sie wusste, dass es noch viele Herausforderungen geben würde. Doch jetzt fühlte sie sich stärker, geerdeter. Sie hatte gelernt, dass ihre Kraft nicht nur in der Magie des Amuletts oder der Klinge lag, sondern auch in ihrem Mut, ihrer Entschlossenheit und ihrem Verständnis für das Gleichgewicht.
Mit dem Fenryx an ihrer Seite begann sie erneut zu gehen, bereit für alles, was kommen würde. Der Wind trug den Duft von frisch blühenden Blumen und die Melodie der erwachten Welt mit sich. Kaelan fühlte sich endlich eins mit der Welt, für die sie gekämpft hatte.
„Das ist erst der Anfang," flüsterte sie, während sie in die Ferne blickte.
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