Ein Einhorn als Tarnung?




Wir standen auf der anderen Straßenseite an der Ampel, die immer noch die Farbe Rot anzeigte. Gegenüber von uns lag das einladende Restaurant, dass mit den Zypressen rechts und links vom Eingang und der Backsteinfassade das übliche Urlaubsflair verbreitete.

Meine Schwester hatte wieder den Blick starr auf ihr Handy gerichtet, als erwartete sie, die beiden könnten jeden Moment aus der Pizzeria flüchten. Die Ampel schaltete auf Grün und wir liefen über den Zebrastreifen.

Wir steuerten nicht direkt auf das Lokal zu, sondern positionierten uns rechts davon vor einem Café.

„Was hast du jetzt vor", fragte ich aufgeregt, während ich mir immer wieder durch die Haare fuhr.

„Was wohl? Der erste Schritt heißt Tarnung. Schon vergessen?"

Ehrlich gesagt hatte ich die einzelnen Schritte nicht mehr vor Augen gehabt, aber ich wollte nicht die Ahnungslose sein. Ich schüttelte entschieden den Kopf.

„Nein, natürlich nicht, aber ich frage mich nur gerade mit was wir uns hier tarnen sollen.", schob ich deshalb erklärend hinterher.

Meine Schwester machte eine wegwerfende Handbewegung,  so als wollte sie damit ausdrücken, dass das unser geringstes Problem sei. Gespannt musterte ich sie und wartete auf eine Erklärung.

Linny nahm ihren Schulrucksack von der rechten Schulter und zog den Reißverschluss zum vordersten Fach auf. Ich schaute sie abwartend an. Sie ließ ihre Hand darin verschwinden und zog dann eine Plastiktüte mit der Aufschrift: „Gilette-für das Beste im Mann" heraus.

Ich musste  augenblicklich schmunzeln. „Linny, war die Tüte Absicht?", versuchte ich mir immer noch das Lachen zuverkneifen.

„Nö. Wieso denn?", fragte sie irritiert.

„Na ja, ich find, dass der Werbeslogan irgendwie zu unserm Vorhaben passt."

„Hä, welcher Werbeslogan denn?", genervt sah sie mich an.

„Na der auf der Tüte. Wir wollen doch auch das Beste für den Mann. Und zwar für unseren Dad. Wir wollen ihn schützen vor diesem Ungeheuer Tristan. Diese Tüte mit diesem Slogan wird uns jetzt bestimmt Glück bringen." Triumphierend grinste ich sie an.

„Aha. Wenn dir das hilft..."Meine Schwester runzelte zweifelnd die Stirn. Linny schien anscheinend nicht die gleiche Begeisterung für den Slogan übrig zu haben wie ich. Konnte ja nicht jeder was für Worte übrig haben.

„Also, kommen wir nun zu dem eigentlich Wichtigen an dieser Tüte: dem Inhalt.", meinte Linny jetzt, wobei sie das Wort „Inhalt" besonders spitz betonte.

Theatralisch riss sie das Klebeband, das den Inhalt bis jetzt verbogen gehalten hatte, von der Tüte. Dann zog sie ein Kleidungsteil nach dem Anderen heraus. Bei dem letzten war ich mir nicht sicher, ob ich lachen oder einfach nur schreiend davon laufen sollte.

Ein Ganzkörperanzug in Gestalt eines Einhorns?! Nichts gegen die flauschigen, unschuldigen Dinger, die am liebsten auf Regenbogen tanzten, aber das war definitiv eine Nummer zu peinlich.

„Linny, was zum Teufel ist das denn für einTeil?", begann ich meinem Entsetzten Worte zu verleihen. „Dieses Ding ist ja noch auffälliger, als wenn wir gleich ganz ohne Tarnung losmarschieren würden."Ich musterte erneut den Anzug, den Linny immer noch in der Hand hielt.

„Und was sind das denn für Augen? Rosaglitzer mit einem Stich lila? Echt jetzt?", fragte ich entsetzt. Konnte mir jedoch ein kurzes Grinsen nicht verkneifen.

„Du musst es ja auch nicht anziehen.", verteidigte sich Linny und drückte wie zur Bestärkung den Einhornkopf fester gegen ihre Brust. „Den Anzug hab ich mir gestern zusammen mit Tessa in der Stadt gekauft. Aber keine Sorge, der war überhaupt nicht für unsere Tarnung gedacht. Ich hatte ihn nur dabei, weil ich danach noch zu ihr gehe und wir ihn dort anziehen wollten.", erklärte sie eingeschnappt.

„Ist schon okay. Aber die anderen Sachen sind, glaube ich, echt ganz gut.", sagte ich schnell und meinte es auch so.

Zum Umziehen gingen wir in das Café, vor dem wir ja sowieso schon standen. Als wir aus der Damentoilette wieder herauskamen, hatte ich einen langen Seidenrock mit einem dunkelblauen Blazer an. Linny dagegen hatte sich für eine beigefarbene Jeans und ein lässiges T-Shirt mit V- Ausschnitt entschieden. Sie hatte mehrere Teile von der Mutter ihrer Freundin zur Auswahl mitgebracht.

„Hübsch sehen wir aus. Stimmt's Leah?", bemerkte Linny, nachdem wir uns beide einmal vor dem großen Spiegel, der im Gang zur Damentoilette hing, gedreht hatten.

"Ja schon.", bemerkte ich.

„Aber sollten wir nicht noch irgendetwas fürs Gesicht haben?" Meine Schwester lächelte süßlich.

„Dafür soll gesorgt sein." Dann fasste sie erneut in ihren Rucksack und zog zwei Sonnenbrillen hervor.

„Die sind noch von unserem letzten Urlaub auf Mallorca.", erklärte sie und reichte mir das Modell mit der silbernen Halterung.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top