Chapter 1 - Flüssiges Teer

Ein gewöhnliches Mädchen.

So sah ich mich jedenfalls.

Wie ein gewöhnliches Mädchen mit gewissen Extras in der Tasche.

Schmunzeln musste ich über diesen Gedanken jedoch nicht, immerhin drückte ich mir diesen Spruch mindestens drei Mal am Tag in den Hals und mit jedem Mal wurde es unlustiger.
Eigentlich wurde es langsam sogar ziemlich traurig, da ich so versuchte mich selbst mit null Erfolg aufzumuntern, in dem wissen, das jemand anderes es niemals erfahren dürfte.

Unsere Existenz bedeutet unser Tod.

Es war wie eine lästige Mantra.
Immer wieder, Tag für Tag musste ich mir diese Worte anhören, ohne die Bedeutung dahinter verstehen zu wollen.
Jedenfalls empfand ich sie als lästig.
Damals hatte ich lieber den größten Unfug anstellen wollen.
Vom verstecken der geliebten Gartenzwerge meiner Nachbarin, bis hin zum stundenlangen fehlen ohne bescheid zu geben, obwohl ich wusste wie wichtig das war.

Heute würde ich mein damaliges 15 jähriges Ich als egoistisch und bemitleidenswert bezeichnen.
Denn dieses 15 jährige Ich war für den Tod meiner Familie verantwortlich.

Bevor ich meine herunterziehenden Gedanken weiter folgen konnte, rissen mich laute, näher kommende Stimmen wieder ins hier und jetzt. Überrascht sah ich nach unten.
Auf einem dicken Ast eines meterhohen Baumes sitzend und einem dichten Blätterwerk währe es wohl unwahrscheinlicher, dass mich jemand entdecken könnte auch wenn das da unten Werwölfe zu sein schienen, wie ich auf einem Blick erkennen konnte.

Ich konnte sie gut erkennen, aber sie mich nicht. Werwölfe konnten Menschen meterweit problemlos erschnüffeln, aber bei mir war es etwas anderes. Abgesehen davon, dass ich auf einer Seite nicht einmal ein richtiger Mensch war, war es schwer zu erklären, aber grob gesagt war ich für sie einfach unsichtbar, wobei ich es eigentlich gar nicht bin.
Als wäre ich gar nicht da. Praktisch, nicht wahr?

Neugierig lehnte ich mich wieder etwas zurück und schwang das Rechte Bein auf den Ast und stützte meinen Arm auf die Kniescheibe.

Wird auch Zeit, dass hier jemand Mal vorbei guckt.

»Das hast du ja Mal ganz super hinbekommen, du Doofkopf. Wegen dir müssen wir jetzt auch noch Holz sammeln gehen. Dir war klar, dass Papa das eigentlich machen wollte, aber du musstest Mama natürlich einen Grund geben, damit sie uns los schickt!«, ärgerte sich eines der beiden Lykaner, die nicht älter als 13 sein konnten.
Beleidigt schnaubte der zweite Lykan, der sich im Gegensatz zum anderen als ein Junge entpuppte. »Oh, tut mir leid, holde Maid«, gab er sarkastisch zurück. »Wärst du nicht so faul gewesen und hättest einmal auf mich gehört, anstatt dir die Nägel zu lackieren, währen wir genau da, wo wir vor 10 Minuten noch waren, du Zicke!«

Enttäuscht rümpfte ich die Nase.
Ich war nicht darauf eingestellt, dass es nur junge Teenager waren, die ihre Hormone nicht im Griff hatten.
Lykaner bei der Jagd zu beobachten wäre viel aufregender gewesen.
Enttäuscht stellte ich mich aufrecht hin und entschied, mir spannenderes zu suchen, als zickende Kinder.
Leise summend balancierte ich auf den nächst gelegenen Ast, doch behielt die jungen Lykaner im Auge, die immer noch fleißig dabei waren sich zu zanken.

Ein komisches Gefühl machte sich in mir breit, als ich sie schließlich ein paar Minuten später aus den Augen ließ und Richtung Norden mein Weg fortsetzte.
Dieses unwohle Gefühl verstärkte sich, als ich sah, wie große Vogelgruppen aufschreckten und eilig die Bäume hinter sich ließen. Unten sah ich die Tiere unruhig in eine gemeinsame Richtung fliehen.

Warum nach Süden?

Beschlossen, das geschehene auf den Grund zu gehen, sprang ich mit der Leichtigkeit einer Feder auf den festen Waldboden und sah den Hirschen, Wildschweinen, sowie Wildhasen oder auch Mäusen dabei zu, wie sie in einem eiligen Tempo den Hinternissen auswichen.
Die Luft schien geladen und mich beschlich eine Gänsehaut, die ich verwirrt beobachtete und mir über die Arme rieb.
Nachdenklich kniff ich die Augen zusammen und legte mir die Hand auf die Brust, da sich mein Herzschlag auf unerklärlichen Weise beschleunigt hatte.

Moment...

Mir stockte der Atem, als ich in die Ferne sah.
Das eigentliche grün der Natur schien an Farbe zu verlieren und zu schmelzen. Es war schwer zu erklären, aber es erinnerte mich an flüssiges Teer. Es roch verdorben und schien in einem rasanten Tempo die noch gesunden Bäume anzustecken und sie ebenfalls in dunkle, fast schon schwarze Masse zu verwandeln.

Von dieser plötzlichen Wendung der Situation überfordert, blieb ich wie versteinert auf der Stelle stehen. Schluckend nahm ich nur am Rande wahr, wie die Wildtiere an mir vorbei rannten und musste schluckend beobachten, wie sich ebenfalls die Tiere in dieses Teer artige Zeug verwandelten, sobald sie diesem zu nahe kamen.
Diese Erkenntnis riess mich aus der Starre und zwang meine Beine das zutun, was in dieser Situation mein Leben retten könnte.

Rennen.

Rennen wie schnell es nur geht, sonst würde es mein Leben kosten.

Innerlich betete ich darum, dass das nur ein böser Traum sei, doch als ich über einer der vielen Baumwurzeln stolperte und sich ein stechender Schmerz in meinem Fuß ausbreitete, als ich hinfiel, verschwand dieser Funke Hoffnung komplett.
»Verdammt!«, fluchte ich zwischen den Zähnen und biss mir auf die Zunge, als ich versuchte wieder auf die Beine zu kommen, dabei ignorierte ich den Schmerz so weit es ging, doch als ich zwei Wölfe an mir vorbei rennen sah, gefror mir das Blut in den Adern.

Die Kinder!

Stöhnend fluchte ich, als ich drohte unter dem Schmerz wieder zu fallen, doch schaffte es noch mich an einem Baum abzustützen, der kurz darauf seinen festen Zustand verlor und ebenfalls zu dieser stinkenden Masse wurde.
Angeekelt verzog ich das Gesicht und konnte das Würgen aufgrund des Gestanks nicht unterdrücken, jedoch hielt ich für eine Sekunde inne.

Diese Masse steckt mich nicht an?

Verwirrt sah ich meine Hand an. Es brennt ein wenig auf der Haut, aber sonst fühle ich oder passiert gar nichts.
Jedoch habe ich nicht die nötige Zeit darüber nachzudenken, denn in der Ferne höre ich einen ohrenbetäubenden, verzerrten Schrei, der weder von einem Tier, noch von einem Menschen stammen konnte.

»Reiß' dich zusammen, verdammt nochmal! Jetzt ist keine Zeit zum Nachdenken!«, fluchte ich und biss ein letztes Mal die Zähne zusammen, um wieder in die Richtung zu laufen, aus der ich ursprünglich gekommen war und sich die Kinder hoffentlich nicht mehr befanden.

Bitte lass sie in Sicherheit sein.

Nach wenigen Minuten erreichte ich die Stelle, ab der ich die Kinder aus den Augen gelassen hatte.
Keuchend drehte ich mich im Kreis, doch war von den jungen Werwölfen keine Spur.
Mit einem Kopfschütteln versuchte ich den Sturm in meinem Kopf loszuwerden.

Wenn ich mich nicht konzentrieren kann, kann ich ihnen nicht helfen!

Tief atmete ich ein und schloss die Augen. Ich sah das helle Licht durch meine Augenlider strahlen, das durch die Baumkronen schien und helle Punkte fingen an vor diese zu tänzeln. Hier im Wald war die Luft so rein und entspannend, dass es mir so etwas leichter fiel mich zu konzentrieren, auch wenn es mir durch das immer näher kommende Teer-artige Zeug erschwert wurde.

Die leuchtenden weißen und goldenen Punkte schwirrten immer aufgeregter vor meinem geistigen Auge umher, bis sie sich zu einem groben Bild zusammensetzten.
Es war nicht so detailliert, das ich sofort erkennen konnte, was dieses Bild mir sagen wollte, doch es reichte aus, um nach einer Weile zu erkennen wie sich zwei kleine undeutliche Gestalten vor einem riesigen runden Felsen auf der Seite eines Flusses befanden. Die eine saß auf dem Boden und hielt sich das Bein oder das Knie, so genau konnt ich es nicht erkennen.
Die zweite hielt diese fest an den Schultern, als würde sie versuchen die sitzende Person hochzuziehen.

Als hätte ich viel zu lange die Luft angehalten, schnappte ich schnell nach Luft.
Dadurch, das ich diese Fähigkeit selten nutzte, war sie weder geübt noch ausgereift, was bedeutete, das diese schneller an meinen Kräften zerte, als mir lieb war.

Jedoch genügte es um zu erkennen, wo sich die zwei Jungwölfe befanden, denn hier im Umkreis von 10 Kilometern gab es nur einen riesigen Felsen mit dieser Form an einem breiten Fluss und genau dahin musste ich gelangen, bevor dieses Ding sie bekommt, was für dieses Chaos verantwortlich war.

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