Goldenes Blut
2. G o l d e n e s B l u t
„Prinz Thor." Ich bin überrascht, den blondhaarigen Thronanwärter vor meinem Gemach stehen zu sehen. Nachdem ich den gestrigen Tag mit Loki in der Bibliothek verbracht habe, aber wir beide nicht fündiger geworden sind als ich, habe ich mit enormer Ungeduld auf seinen nächsten Besuch gewartet. Wie gern ich gestern Abend noch mit ihm die Sterne beobachtet hätte, doch leider ist der Himmel zu bewölkt gewesen. Und er hat noch ein wichtiges Gespräch mit dem Rest der Königsfamilie für den heutigen Ball halten müssen. Also, selbst wenn der Himmel perfekt für uns gewesen wäre, hätten wir in seiner strahlenden Schönheit nicht nach den Sternen greifen können.
Es hat mich traurig gemacht – bis zu dem Punkt, wo er mich noch zu meinem Gemach begleitet hat. Wir haben kaum die Augen voneinander nehmen können, uns gegenständig angelächelt, und er hat es genauso wie ich tief in seinem Herz pochen gespürt, dass wir niemals, wirklich nie wieder so lange ohne einander sein können. Das strahlende, lebhafte Funkeln in seinen schönen Regenaugen hat mir dies befestigt. Loki wieder an meiner Seite zu fühlen, den mysteriösen und magischen Schleier, den ihn umgibt, und sein verstohlenes Grinsen zu sehen, ist wie der schönste Teil seiner Magie. Selbst in diesem Augenblick kann ich diese kinetische Magie in mir fühlen, wie sie zischt und einen schützenden Schleier um mich legt. Und ich weiß noch nicht, wovor er mich schützen will oder soll, doch das ist mir gleichgültig. Hauptsache ich fühle Lokis Präsenz in mir schlummern.
Aber Thors plötzliche Gesellschaft lässt mich stutzen. Das habe ich überhaupt nicht kommen gesehen.
„Wie kann ich dem ehrwürdigen Prinz Thor behilflich sein?", frage ich den Gott, als er mich bloß mit seinem aufgeregten Grinsen ansieht. Seine robuste, silberne Rüstung mit dem roten Cape wirkt heute äußerst poliert. Ihr schimmernder Glanz blendet mich beinahe, genauso wie seine weißen Zähne. Offenbar eine Vorbereitung für die festliche Veranstaltung am Abend.
„Mein Bruder hat gestern Abend verkündigt, dass du am heutigen Ball teilnimmst", grinst er zufrieden und blickt zu mir hinab, ohne einen Anflug von Hochmut. Thor ist schon immer von einer wärmeren Aura umgeben als sein Bruder. Er ist mehr Sonnenaufgang als Untergang, wärmer und ein sehr hitziger Enthusiast. Es ist so, als könnte er die viele Liebe um sich praktisch in sich einziehen und die viele Liebe macht ihn mutiger als er eigentlich sein sollte. Er ist ziemlich übermutig. „Woher kommt dieser unerwarteter Sinneswandel, Sternenkind? Du hast nie zu den Bällen wollen, auch wenn ich dich dazu eingeladen habe."
Es ist wahr. Thor hat trotz seines überfüllten Tages sich darum bemüht, seine Nähe mit mir zu teilen. Aber dafür hat er auch nie versucht hinter dem Schein zu blicken. Er hat nicht diesen Blick dafür. Noch nicht. Es ist nicht leicht, hinter den tiefsten Fassaden zu blicken, wenn sie schon seit Jahren ein einziges Gesicht prägen. Irgendwann werden sie unsichtbar – und ein Teil eines Lebens, dass sie in Vergessenheit geraten.
Ich fühle mich bei meiner Antwort unwohl, schließlich will ich den jungen Prinzen vor mir nicht in Enttäuschung stürzen. „Loki hat mich eingeladen", lautet sie nämlich und es ist keine Lüge oder etwas zum Täuschen. Es ist die Wahrheit, und ich weiß, dass sie ihm ein schlechtes Gefühl verleihen wird, weil ich seine Einladungen nie angenommen habe.
Doch an Thors Seite zu sein ist wie als würde ich nicht mehr den Abendhimmel lesen sondern das Tageslicht. Als würde ich in der blauen Klarheit des Tages nach Rätseln und Antworten schauen, was nicht wirklich möglich ist. Wenn etwas klar und deutlich ist, ist es schwer, in diesem noch einen Fleck von Wunder zu finden. Man wird nie einen finden, weil er dafür nicht gemacht ist. Es ist einfach so wie man es sieht. Der klare Tageshimmel ist zum Sehen der eigenen Welt gemacht, während der Abendhimmel dafür gemacht ist, dass man in die Ferne anderer Welten sieht. Unzählige Welten.
Und ich bin nicht für Thors schimmernde Seite gemacht.
„Mein Bruder hat dich eingeladen?" Er runzelt irritiert die Stirn und lehnt sich mit einem Arm gegen die Tür. Früher hat mir Odin ein Gemach hinterlassen, das so groß wie Gemächer der Prinzen gewesen ist, aber eines Tages hat er mich hierhin gebracht. Abseits des Königsabteils, ein mittelgroßer Raum mit einem Balkon und dem gigantischen Ausblick auf die goldene Pracht Asgards. Ich habe mich natürlich nicht beschwert, denn ich schätze es immer noch zu tiefst, dass er mich nach meinem schweren Schicksal aufgenommen hat. Beschwerden sind sozusagen nicht angesehen. Nicht, wenn dir Allvater erst ermöglicht hat, einen neuen Start ins Leben zu beginnen.
Aber wenn ich mir eingestehen muss, dann ist es nicht der Allvater persönlich gewesen. Es ist sein Sohn Loki gewesen.
Immer noch.
„Deshalb hat er uns davon erzählt", setzt Thor fort und kaum ist sein breites Grinsen verschwunden gewesen, ist es auch wieder da. Ich kenne den gutaussehenden Thronanwärter nicht ohne ein Lächeln. Entweder ist er nicht von der Tatsache verletzt, dass ich lieber mit seinem Bruder zum Ball gehe, oder er hat mittlerweile gut gelernt, seinen Schmerz zu verstecken. „Hast du schon ein Kleid für diese edle Festlichkeit?"
Ich sehe zu mir hinab. „Ich dachte, ich könnte..."
„Dein alltägliches Kleid?" Thor verzieht amüsiert die funkelnden Himmelsaugen. Das ist er, der klare Himmel ohne Rätsel und Spuren eines versteckten Mysteriums. „Du brauchst dringend ein gesittetes Kleid. Komm, Sternenkind, ich bringe dich zu meiner Mutter Frigga."
„Ich soll der Königin ihre Kleidung tragen? Das ist albernd, Thor Odinson."
„Wieso?" Er mustert mich von oben nach unten, und ich verschränke demonstrierend die Arme vor der Brust. Diese Art von Aufmerksamkeit macht mich jedes Mal furchtbar nervös, denn ich mochte es nicht, so intensiv angesehen zu werden. „Mein Vater hat dich in seinen Gemächern aufgenommen. Du bist an der Seite von mir und meinem Bruder aufgewachsen, und Frigga hat in dir eine Tochter gefunden. Sie würde dich gern in einer ihrer Kleider sehen."
Frigga. Ich erinnere mich noch daran, als es noch zur Gewohnheit gehört hat, dass mich die Königin Asgards mit sich und Loki in die schönsten Gärten Asgards geführt hat. Dort hat sie den jungen Prinzen zur Magie unterrichtet und ihm ihre bedingungslose Liebe als Mutter offenbart. Sie hat ihn hin und wieder trösten müssen, als der junge Prinz sich damals beklagt hat, dass sein Vater nur Augen für Thor hat. Aber sie hat ihn aufgemuntert, ihm liebevoll versichert, dass er ihn nicht weniger liebt und dass sie immer für ihn da ist, ganz gleich, was auf seinem Herzen ruht. Dafür ist schließlich eine Mutter da.
Einmal hat sie den Versuch gewagt, mich mit in ihrer Magie in Verbindung zu bringen, weil sie schon damals die innige Verbindung zwischen mir und ihrem Sohn bemerkt hat. Aber ich kann mich nicht mehr daran erinnern, was an diesem Tag passiert ist. Ich bin nur plötzlich in meinem Gemach aufgewacht, Loki hat meine Hand gehalten und Frigga hat mich sorgenvoll gemustert. Dann hat sie sich entschuldigt, und ich weiß heute noch nicht, wofür. Sie gibt mir auf meine Fragen diesbezüglich keine Antwort.
Frigga ist dennoch eine gute und liebenswürdige Nicht-Mutter für mich. Und ich vermisse die Zeiten, wenn sie mir ganz geduldig und bedachtsam zugehört hat, wenn ich ihr von meiner Mutter und unserer großen Familie erzählt habe. Dann hat sie meine Hand gehalten und mir gestanden, dass sie nun endlich eine wunderschöne Tochter an ihrer Seite hat. Sie ist stolz auf mich, dass ich meinen Kummer habe überwinden können. Ich bin ihr sehr dankbar für ihre Fürsorge und mütterliche Liebe, die sie mir so hingebungsvoll gibt.
Sie ist das wahre Sonnenlicht dieser Königsfamilie.
Sowie meine Mutter eins eine wunderschöne und strahlende Sonne gewesen ist, deren Herz so groß und warm ist, dass es einfach jeden geliebt hat.
Ich vermisse sie. So unendlich. Aber ich werde sie nie wiedersehen können.
Auch nicht in den Sternen.
Schließlich nicke ich entschlossen. „Wir können es versuchen. Ich habe Frigga schon lange nicht mehr gesehen."
Thor grinst völlig optimistisch. „Wir haben dich alle schon lange nicht mehr gesehen, Sternenkind. Seitdem wir älter geworden sind, scheinen sich unsere gemeinsamen Spuren zu verwischen."
„Höre ich da etwa heraus, dass mich der geehrte Prinz Thor vermisst?" Nun formen sich meine Lippen höhnisch auseinander und meine Arme lösen sich auseinander, damit ich mir eine Strähne aus dem Gesicht streichen kann. Es ist lästig, wie sie ständig ihren eigenen Weg in mein Gesicht finden, als können sie es spüren, dass ich diese tiefen Blicke von Thor ausweichen möchte.
Er lacht etwas, und es ist trotzdem tief und direkt aus seiner Kehle. „Wer würde das schöne Sternenkind nicht vermissen?"
Odin , fällt mir dazu ein. Er ist der einzige von der Königsfamilie, dem ich seit meinem neuem Gemach nicht mehr unter die Augen getreten bin. Es ist jetzt aber nicht so, dass das fürchterlich an mir kratzt oder ich mich nach dem Allvater sehne. Ich betrachte dieses Verhalten lediglich skeptisch und suche nach einem guten Grund, warum er mich so offensichtlich meidet. Aber schon seitdem ich hier wohne, habe ich keinen plausiblen Grund ausmachen können. Die Frage „Warum" bleibt in diesem Fall einfach offen. Solange ich noch unter seinen Fittichen lebe, kann ich mir Aufdringlichkeit ersparen. Ich sollte mich darüber freuen, dass er mich doch seines abweisendem Verhalten auf den Ball lässt. Er hätte es mir auch verbieten können – aber ich vermute mal, dass Odin keinen Streit zwischen ihm und Loki entfachen will. Und ich will keinen Streit meinetwegen verursachen.
Loki trägt genügend auf dem angeknacksten Herzen.
„Ach." Ich lächle schwach und will ihm in den Oberarm kneifen, doch seine Rüstung ist aus solchem dicken Stahl, dass ich mir fast einen Finger gebrochen hätte. „Du bist ganz schön stark geworden, Thor. Du könntest mich einfach in kürzester Zeit erwürgen."
Der junge Prinz muss nun lachen. „Das beabsichtige ich allerdings nicht, Sternenkind. Aber es ist wichtig, dass der zukünftige König von Asgard stark genug ist, um es mit den schrecklichsten Feinden des Weltalls aufnehmen zu können."
„Oh ~ glaub mir, sie werden schon zittern, wenn du nur deinen mächtigen Hammer schwingst!"
„Du glaubst also auch daran, dass mich Vater zum König ernennen wird?", fragt er grinsend und etwas in seinen klaren Himmelsaugen erinnert mich an Erwartung. Eine bestimmte Erwartung, die sich nicht auf seine Frage bezieht. Es ist eine andere Erwartung. Eine tiefere und bedeutungsvollere Erwartung als diese, dass ich in ihm bereits den neuen König von Asgard sehe. Aber das tue ich nicht. Habe ich auch nie. Thor kann noch so mächtig und stark werden, sein Schädel denkt zu wenig nach und kann Risiken nicht erfassen. Er kann nicht einschätzen, wann genug ist.
Das habe ich einmal am eigenen Gemüt erfahren dürfen. (Und will es kein zweites Mal.)
Mein Lächeln schwindet mit meinen nächsten festen Worten und kein Ton von Witz spielt mit meiner Stimme. Selbst in diesem Moment spüre ich noch den teuflisch stechenden Schmerz in meiner Hüfte, kann diese wilde Wut auf Lokis Gesicht vor mir sehen. Ich habe Loki nie wieder so wütend gesehen wie an jenem Tag. „Ihr beide habt es verdient, die Krone Asgards zu tragen."
„Er ist nicht so stark wie ich", betont er stichelnd und sein Grinsen wird breiter vor Übermut, „und ich habe den Hammer."
Wacker stelle ich mich auf meine Zehenspitzen, um die Größendistanz zu verringern, und mein Blick wird mit einer großen Warnung finsterer. „Sprich nicht so über deinen Bruder, Thor. Er hat immerhin eine Verabredung für den Ball."
Sofort löst sich sein fettes Grinsen in einen stummen Strich auf. Nun ermöglicht er es mir, den leichten Anflug von Wut und Verletzung in seinem Antlitz zu erkennen. Er hat es immer noch nicht richtig gelernt. „Pures Glück für meinen Bruder", brummt er nachgebend und seine standfeste Haltung schwankt.
Ich kichere leicht bei seinem beleidigten Ausdruck und gehe endlich aus meinem Zimmer heraus. Dann bleibe ich vor ihm stehen, rieche den bekannten Duft des salzigen Meeres und atme ihn stärker ein als gewollt. „Ich würde auch nie mit einem Mann auf dem Ball gehen, der mich beinahe mit seinem Hammer ermordet hat."
Seine Augen leuchten heller auf, Lippen pressen sich fest aufeinander, während er angestrengt die hitzige Luft zwischen uns einzieht. Die Erinnerung an jenem Tag lässt ihn nicht zu übersehen leiden. Ich kann es sehen, wie die Bilder zurückkehren. Schattenwolken in seinem sonst klaren Himmel spiegeln sich. Mein schmerzverzerrter Schrei, seine Augen geweitet vor Entsetzen, und Lokis zornige und mächtige Worte.
„Halt dich von ihr fern, Thor! Fass sie nie wieder an! Nie wieder! Hörst du?! Oder ich werde dich töten!"
„Es ist ein Missgeschick gewesen", schwere Schuld erfüllt nicht nur seinen Blick, „ich habe mit der Macht Mjølnir noch nicht umgehen können. Nun kann ich es."
„Und wo ist Mjølnir gerade?", hinterfrage ich neugierig und schaffe es, mich selbst zu überwinden, um meine Hand sanft auf seine Schulter zu legen. Bei meiner Frage senkt er beschämt den Blick zu Grunde. „Es ist fast ein Jahr her, Thor. Mittlerweile kann ich wieder ohne jegliche Schmerzen laufen."
„Mein Bruder hat mir zum ersten Mal gedroht mich zu töten." Er sieht mich verloren an, und ich nehme an, diesen Blick gut zu kennen. Ich sehe ihn nicht zum ersten Mal, diesen traurigen Ausdruck von Verlorenheit und Not, weil etwas nicht das Herz verlassen kann. Das Herz einfach nicht in Ruhe lässt. Ich kenne nicht nur den Blick, auch dieses schrecklich nagende Gefühl dazu. Es hat mich die meiste Zeit meines Lebens verfolgt, bis es keinen Einlass mehr in mein Herz bekam. Andere Gefühle sind gewaltiger als dieses.
Und es sind nicht nur schlechte.
„Das ist Loki. Er neigt dazu, schnell an die Decke zu gehen", versuche ich ihn zu trösten, während ich seine Schulter fester drücke. „Es ist für uns alle ein Schock gewesen, dass sich der mächtige Hammer auf mich gestürzt und in mein Becken eingeschlagen hat. Ich denke, dein Bruder hat dies nicht so ernst gemeint."
„Ich hoffe es doch." Ein leichtes Lächeln stiehlt sich auf seine Lippen. „Du bedeutest ihm sehr viel, Sternenkind. Wenn er nicht sogar sein Leben für dich hergeben würde..."
Es ist nicht zu retten, dass meine Wangen heftig glühen und meine Stimme zittrig wird. „Das... das beruht auf Gegenseitigkeit."
Sein verräterisches Grinsen macht das Glühen schlimmer, die Hitze steigt mir förmlich in das Gesicht, dass mein Herz noch ohne Blut auskommen muss. Er schaut mich so an, als hätte er gerade ein großes Geheimnis aufgedeckt – und nun kann er nicht aufhören, dämlich zu grinsen. „Dann ist es wichtig, dass du in einem angemessenen Kleid zum Ball erscheinst."
„Wie?"
Doch der große Blonde setzt sich bereits in Bewegung, dass ich keine andere Wahl habe, außer ihm zu folgen.
Verzeih mir, Loki, falls du mich in meinem Gemach aufsuchst. Aber ich muss deinem Bruder zu stimmen. Ich kann es nicht wagen, in diesem Fetzen beim Ball aufzutreten. Ich würde nicht der Stern an deiner Seite sein, den du dir so sehnlichst wünscht.
~*~*~
Thor ist tatsächlich eine Art von Wärme. Nicht nur aus dem Grund, weil er eine derartig starke Aura besitzt, auch weil er belanglos mit mir über die letzten Bälle reden und alles über die Gäste erzählen kann. Wir lachen dabei, mein Herz wird leichter und seines poltert mit seinem lauten Lachen. Er ist wie der einzelne Sonnenstrahl an der Seite des Regen, und er gibt den unglücklichen Menschen die Hoffnung auf einen sonnigen Tag. Ich weiß, dass das womöglich von seinem hohen Übermut kommt und seiner grundlegenden Sicherheit, dass er durch den Hammer Asgards neuer König wird – aber es ist nicht gerecht, wie die Sonnenstrahlen gegen das stürmische Regenwetter kämpfen müssen. Das ist ein unfairer Kampf, und es muss wohl leider so sein. Alleinig der Gedanke daran gibt mir das drückende Gefühl des Erstickens.
Doch ist es das Sonnenlächelns Frigga, das mich den bitteren Kampf zwischen Sonne und Regen vergessen lässt. Sie nimmt mich herzlich in ihre zierliche Arme, als mich Thor in ihr Gemach bringt. Dieser verabschiedet sich schnell von uns beiden, dann verlässt zu meiner Verwirrung ziemlich in Eile den Raum. Die Verwirrung lässt aber ebenso schnell nach, als mich die blondhaarige Königin mich mit ihren blauen Augen mit solch einer Liebe anlächelt, die Wunden auf mein Herz verheilen lässt, von deren Existenz ich bis jetzt nichts gewusst habe. Und umso erleichterter bin ich, dass sie so schnell wieder verschwunden sind. Die letzten Monate ohne ihr wunderschönes Gesicht zu sehen sind auf einmal unbedeutend und mein Herz ist leichter.
„Ich weiß genau, warum du hier bist, mein Liebes", lächelt sie glücklich und nimmt mich an der Hand mit in ihr Kleidungsgemach. „Als Loki uns gestern erzählt hat, dass wir uns beim heutigen Ball an deiner Anwesenheit erfreuen können, habe ich sofort daran gedacht, dass du noch nie ein festliches Kleid bekommen hast. Deshalb habe ich die besten und schnellstens Schneider Asgards beauftragt, um dir dieses einzigartige Schmuckstück anzufertigen."
Ich reiße vor Begeisterung die Augen auf und kann es nicht fassen, mit welcher Schönheit ich beschenkt werden soll. Mein Herz schlägt vor Aufregung heftiger. Schon die Vorstellung mich in diesem Traum aus Samt tanzen zu sehen berauscht mich komplett.
Es holt mich mit einem Mal inmitten meines Herzschlags ein, während ich die funkelnden Diamanten am dunkelgrünen Stoff betrachte. Ich habe es in letzter Zeit so oft vergessen, und nun ist es wieder da. Ich kann mich daran erinnern, wer ich auch bin. Nicht nur das Übrigbleibsel meines Planeten oder der lächerlichste Himmelsflüsterer von allen.
In mir fließt auch das goldene Blut einer Prinzessin.
~*~*~
„Ich vergesse oft, dass wir noch eine Prinzessin unter uns haben", belächelt Frigga schwach, flechtet dabei ganz vorsichtig die Haare an meinen Seiten entlang. Sie flechtet sie zu drei kleinen Reihen oberhalb des Ohrs, den Rest lässt sie offen. Ich habe nie lange Haare besetzen, denn ich erlaube es ihnen höchstens bis zu meiner Schulter zu wachsen, ehe ich sie mir eigenhändig abschneide. Mir genügt es schon, wenn sie mir wie so oft ins Gesicht fallen. Außerdem habe ich sie selbst nie als Kind länger wachsen lassen, auch nicht auf meinem eigenen Heimatplaneten. „Aber umso schöner ist es, wenn ich dich dann sehe und weiß, das ist meine Tochter. Meine sternentanzende Prinzessin."
Mir ist sowohl als auch ihr bewusst, dass ich nicht tatsächlich ihre Tochter bin, dass wir nicht dasselbe Blut teilen und es nie werden. Das Blut eines Himmelsflüsterer unterscheidet sich in allen Maßen von jeglichen anderen Bluttypen. Und vielleicht ist das so, weil wir dem Universum immer am nächsten gewesen sind. Wir sind diejenigen gewesen, die mit seinem weiten Auge haben sehen dürfen und jeder Planet, jeder so winziges Lebewesen in diesem Universum haben wir gekannt, geschützt und... geliebt. Nur uns selber haben wir am wenigstens geschützt. Vielleicht auch nie einen Gedanken daran verschwendet, je uns beschützen müssen.
Aber es ist doch ein sehr schönes und herzberührendes Gefühl, im Glauben zu leben, sie wäre irgendwie meine Mutter. Ich bezweifle es gar nicht, dass dem nicht so ist. Zwischen uns ist eine derartig tiefe und vertraute Verbundenheit entstanden, die die einer Tochter-Mutter-Beziehung sehr nahekommt. Bloß mit gewissen Grenzen dazwischen. Und wir sind uns den Grenzen im Klaren, doch sie sind nicht so bedeutend wie diese aufrichtige Verbindung, die wir für immer teilen werden. Wie dieses wohlige und erlösende Gefühl, endlich wieder daheim zu sein.
Frigga wird mich immer mit offenen Armen empfangen und nie aufhören, mich wie ihre eigene Tochter zu lieben.
Und ich...
„So. Jetzt wirst du all den anwesenden Männern den Verstand rauben", grinst sie stolz und streicht mir liebevoll die verworrenen Strähnen aus der Sicht, bevor sie mir einen zuckersüßen Kuss auf der Schläfe hinterlässt. Ich schließe die Augen so lange wie sie mich berührt, ziehe jeden Fetzen von mütterliebe Liebe in mein kaputtes Herz ein und lasse all den Kummer für den heutigen Tag wegspülen. „Ich bin so stolz auf dich, kleine Sternentänzerin."
Ich werde sie genauso aufrichtig lieben wie man die warmherzige Sonne nur lieben kann.
Immer.
~*~*~
Loki ist nie pünktlich gewesen. Schon als Kind hat er es nie rechtzeitig zu unseren Treffen geschafft, weshalb ich nicht allzu überrascht bin, noch vor meinem Gemach auf ihn warten zu müssen. Man kann bereits in der Ferne die fröhliche Melodie des Balls hören, die lachenden Männer und wie sie mit ihren Krügen gefüllt mit Met anstoßen. Aber da ist auch noch ein leises Summen.
Es kommt weiter auf mich zu.
Ich halte ungeduldig den Atem an, und...
Es ist tatsächlich ein Wächter von vielen. Er dreht wohl seine Runde durch diesen Bereich Asgards.
„Kann man Ihnen helfen, Prinzessin Sternenkind?" Er hat mich bemerkt und lässt seine braunen Augen unter dem goldenen Helm über mich gleiten. Meine Hände krallen sich nervös in dem samtigen Stoff meines Kleides fest, fühlen die schimmernden Steinchen in der Form von Sternen und Monden daran haften. Die zierlichen, schwarzen Stickereien von Konstellationen, besetzt von goldenen Steinchen. Sie gehen nur an der Seite des Kleides und im Bereich der Oberweite, welcher schwarz anstelle dunkelgrün ist. Auch die Spitzen der Ärmel sind schwarz, der Ausschnitt ist tief und gibt die blassen Merkmale von Sternenkonstellationen frei. Es ist nur ein Sternenbild, direkt entlang an meinem Schlüsselbein. Ich fühle es unter meinen Fingern beben, Blut pocht durch mein schlagendes Herz vibrierend durch meine Venen.
Ich schüttle den Kopf. „Ich warte auf Prinz Loki."
Er stutzt verwirrt. „Dieser ist bereits auf dem Ball, Prinzessin Sternenkind."
„Oh..." Mein Herz setzt für einen Moment aus.
„Soll ich Sie dorthin begleiten?"
Es kostet mich an Kraft, überhaupt noch etwas zu sagen, wenn ich einen komischen Brocken im Hals fühle. „Nein. Ich schaffe es auch ohne Begleitung dorthin."
Der Wächter nickt nur und geht weiter, kümmert sich nicht um das leichte Funkeln in meinen Augen. Ich kann jetzt nicht gleich alles fallenlassen, das wäre einfach erbärmlich von mir. Vielleicht ist er so beschäftigt gewesen, dass er gar nicht mehr daran gedacht hat, mich abzuholen – oder er hat von Anfang erwartet, dass wir uns erst wieder beim Ball wiedersehen werden.
Ich hasse es, mir solche aufmunternden Worte zu zu reden. Es erinnert mich nur schwer daran, wie ich mir damals als Kind zu geflüstert habe, dass alle noch leben, dass sie nicht vor meinen eigenen Augen gestorben sind. Und ich habe mir fürchterliche Dinge erhofft, weil ich gegen das Universum gehofft habe. Der Tod gehört letztendlich zum Kreislauf der Himmelswerke dazu.
Und ich habe mir als Himmelsflüsterin gewünscht, es gäbe ihn nicht.
Ich kann nicht immer das Offensichtliche vor mir selber versperren. Irgendwann muss ich mich dem stellen – aber nicht heute. Nicht heute, wo endlich jeder sehen wird, was richtig für mich ist. Nämlich an Lokis Seite zu sein.
Meine Schritte sind schneller als ich es annehme. Kaum habe ich einige Gänge hinter mir gelassen, befinde ich mich bereits vor der riesigen Festlichkeit. Alles leuchtet in einem goldenen Schimmer wie Asgard selber. Es gibt mehrere Tische mit unterschiedlichen Mahlzeiten und Getränken. Blumen hängen in allen Farben an den langen Säulen und die Tanzfläche befindet sich mitten auf der großen Fläche unter dem Sternenhimmel.
Der Sternenhimmel.
Der sofortige Blick in den Himmel hinauf ist ein Reflex, angeboren als Himmelsflüsterin, und ich bin erstaunt darüber, wie wolkenlos die heutige Nacht ist. Ich kann jeden so winzigen Stern am funkelnden Horizont erkennen, sehe den prächtigen, vollen Mond wie er den Ball mit seiner ganzen Schönheit erhellt sowie es die Sonne am Tag getan hätte. Ich umfasse vorsichtig das schimmernde Geländer mit den vielen Kirschblütenranken, halte auf der Treppe inne, starre wie hypnotisiert nach oben und spüre das wilde Klopfen meines Herzens.
Der Himmel... Ich kann ihn hören. Er ruft nach mir. Er nennt mich beim Namen.
Mein Sternenkind, wo bist du gewesen? Ich habe dich vermisst.
Meine Finger bohren sich stärker in den harten Marmor, als mich wirrender Schwindel überkommt. Mein Herzschlag wird immer höher, schneller, und bald ist sein Hämmern so stark, dass es einem sich ständig wiederholendem Stechen gleicht.
Wieso hast du dich von mir abgewandt? Du kannst deiner Bestimmung nicht entkommen. Die Bestimmung lebt in dir, das Universum lebt in dir.
„Ich..."
„Es tut mir leid, Sternenkind." Der Schwindel verfällt mit Lokis Stimme und der vertrauten Berührung an meiner Hand. „Ich hätte dich hierher begleitet, wenn mein Vater nicht gewollt, dass ich an seiner Seite alle Gäste begrüße."
Ich atme erleichtert auf, fasse mir kurz an die Brust, um nachzuschauen, dass sie noch in Ordnung ist.
Lokis Griff um mein Handgelenk wird stärker. „Geht es dir gut, Sternenkind? Du zitterst ganz fürchterlich. Bist du etwa meinetwegen so aufgeregt?" Ich muss ihn nicht ansehen, damit sein verstohlenes Grinsen mein Herz zum Flattern bringt. Allein dieser diebische Klang seiner Stimme schwächt alles andere von mir ab.
Noch ein letztes Mal werfe ich den Blick in den Horizont hinauf, ehe ich mich vollständig in den funkelnden Regenaugen des jungen Mannes fallen lasse. Es gibt kein Zurück mehr, und ich wehre mich nicht im Geringsten dagegen. Er ist mein Halt, wenn ich falle. Ich habe nichts mehr zu befürchten, wenn er bei mir ist, wenn ich seine achtsamen, aber besitzergreifende Berührungen spüre und diesen versteckten Ausdruck von Zuneigung zwischen Regen und Sonnenschein erhasche. Gerade sind seine Augen so wolkenlos wie der Sternenhimmel selbst – aber sie sind viel schöner als je ein Stern sein wird.
„Wer würde nicht in deiner Anwesenheit vor Furcht schlottern?", entgegne ich ihm keck und blicke in sein hübsches Gesicht. Seine Haare sind wieder nicht zurückgekämmt, leichte Locken haben sich an den Spitzen gebildet und geben dem Prinzen einen etwas zerstreuten Blick, während das Licht des Mondes die geeignetsten Schatten auf sein Gesicht wirft. Er ist so wunderschön heute Abend.
Dieser Abend gehört uns, denke ich mir stolz.
Sein Grinsen wird verstohlener, als er sich bei meinen Worten zu mir herabbeugt. „Wollen wir wetten, dass sich alle Münder vor Neid öffnen, wenn du gemeinsam mit mir tanzt?"
Ich lege meine Hände an seine Brust und trotz seiner schwarz-grünen Rüstung kann ich den heftigen Schlag seines Herzens spüren. Er beruhigt mich noch mehr als diese zuneigungsvolle Weichheit in seinen Regenaugen. „Warum? Weil du heute Abend wirklich unwiderstehlich aussiehst, Prinz Loki?"
Wir beide werden schlagartig rot, als wir bemerken, dass keiner bei diesen seriösen, aber bittersüßen Worten lächelt. Es ist kein Scherz. Ich habe ihm ehrlich gestanden, dass er gut aussieht. Zumindest an diesem Abend. Aber wenn es nach mir geht, dann tut er es immer. Das bleibt allerdings ein Geheimnis. Fürs Erste.
Mein Blick geht aufgeregt zur Seite, als er nicht aufhört, mich so verblüfft anzusehen. Meine Worte haben eine viel mächtigere Wirkung auf ihn als ich hätte erwarten können. Ich muss wahnsinnig sein, wenn ich behaupte, dass es mir gefällt, wie ihn meine kleinen Zeichen der Zuneigung beeinflussen können. Er hält den Atem für einen Moment an, ehe er sich räuspert, und plötzlich lehnt seine schmeidige Hand gegen meine Wange. Er schiebt meinen Kopf behutsam zurück, lässt sein weicher Blick von warmen Regenschauer in meine Augen gleiten. Ich kann die zarten Sonnenstrahlen darin erkennen, der staunende, blaue Strahl von Frieden und einer unleugbaren Faszination.
„Du bist die Schönste im ganzen Universum, Sternenkind", sagt er rau und mit seinem Daumen malt er mir einen liebenswürdigen Stern auf die glühende Wange. „Der hellste und schönste Stern von allem. Und dieses Kleid... es wirkt so, als wäre es passend zu mir geschneidert worden. Ein Symbol von deiner Zugehörigkeit zu mir." Er lächelt schräg und nimmt entschlossen meine Hand in seine. „Das will ich nun jedem demonstrieren."
Er zieht mich mit einem glücklichen Lächeln auf den Lippen die letzten Treppenstufen zu den anderen, tanzenden Gästen hinunter, und ich glaube, ich habe sogar Thor mit einem Mädchen erhaschen können. Einige der Gäste werden bereits auf uns aufmerksam, wechseln fragwürdige Blicke miteinander aus, weil sie wohl zu rätseln beginnen, wer dieses fremde Mädchen an Prinz Lokis Seite ist. Der Prinz selber verliert sein Lächeln plötzlich, und das besorgt mich. Ich versuche in den verwundernden Blicken der anderen einen Grund dafür zu finden, eine Art von Feindseligkeit und Spott, aber da ist nur Staunen und eine große Verwirrung. Verlegen neige ich leicht den Kopf, lediglich meine Augen huschen zwischen Boden und Lokis strammer Mimik her.
Diese Aufmerksamkeit ist schlimmer als Thors intensiver Seelenblick.
Loki überrascht mich dennoch im nächsten Moment, wo er das Kinn erhaben nach oben neigt. Etwas hat ihn augenblicklich gepackt, Stolz und Vergnügen leuchten in seinen schönen Regenaugen auf, während ein entzückendes Schmunzeln seine Mundwinkel leicht anhebt. Er genießt diese Aufmerksamkeit mit allen Sinnen, die man ihn gab, zieht dieses majestätische Szenario in sich auf wie ein Mittel zum inneren Frieden, und seine Hand hält meine ganz fest. „So muss es sein", flüstert er atemlos und zufrieden, „wenn wir beide Asgard führen werden."
Ich sehe ihn erstaunt an, und dann muss ich einfach bei dem begeisterten Funkeln in seinen Augen lächeln. Er kann es offensichtlich in diesem einem Augenblick spüren, wie es wäre, wäre er der neue König Asgards. Er lebt in diesem einem Augenblick seinen größten und sehnlichsten Traum, so wie er es sich einst vorgestellt hat. Er ist glücklich, in diesem einem Augenblick, und ich bin es auch, weil unserer gemeinsamer Wunsch noch existiert. Wir beide wollen gemeinsam ein Königreich führen. Und in diesem einem Augenblick wird mir klar, dass es tatsächlich Asgard sein kann.
Asgard kann unser Königreich werden.
Unten vor der tanzenden Menge führt er mich weiter – direkt in die Mitte und durch die Gäste hindurch. Seine Schritte fliegen mit meinem über den feingeschliffenen Marmorboden und die kinetische Magie zwischen uns beiden sprüht wilde Funken und zischt fröhlich. Sie ist so stark wie nie zuvor. Gäste gehen achtungsvoll zur Seite, schicken uns wirrende Blicke hinterher. Dann, als wir mitten in der Menge stehen, legt er seine andere Hand an meine Hüfte und zieht mich achtsam zu sich heran. Sein diebisches Grinsen hat mich dabei komplett in seinen hinreißenden Bann gezogen, sein funkelnder Regenschauer spiegelt eine gewisse Sänfte wieder, die mein Herz ganz zart liebkost. Ich fühle es, wie die kinetische Magie uns näher aneinander zieht, wie alles mit einem Mal um uns herum in Schatten verschwindet.
Übrig sind wir beide.
Nur wir.
Es sind nicht länger unsere Herzen, die im Schatten treiben. Es sind all die anderen um uns herum. Unsere Herzen sind gerade frei von allem Kummer und Ängsten, weil wir beide zählen. Dieser Augenblick zählt.
Langsam fängt er an sich zu bewegen und ich achte darauf, seinen Bewegungen zu folgen, muss mich mehr aufs Tanzen konzentrieren als auf seine schönen Regenaugen.
„Schließ die Augen", sagt er und hat sich zu mir gebeugt, „ich werde dich leiten, Sternenkind."
Ich tue, was mir gesagt wird, auch wenn ich mir nur schwer von seinem schönen Antlitz lösen kann. Ich habe ihn nämlich endlich sehen können. So schön und klar wie der Tageshimmel. Meinen König. Meinen einzigen König in diesem Universum. Er hat mich so sehnsuchtsvoll angesehen, darauf gewartet, endlich entdeckt zu werden. Und ich kann ihn sehen. All die Schönheit und Macht meines Königs.
Und ich lasse mich von ihm in die Dunkelheit begleiten.
Er schwingt sich mit mir im Kreis, eine kalte Windbrise weht mir vereinzelte Strähnen in das Gesicht und wirbeln meinen samtigen Rock auf. Ich ziehe intensiv den schönen Duft ein, der eine besondere Mischung aus Lokis Waldduft und blühenden Rosensträuchern ist und dieser umgarnt meine Seele so zärtlich, dass mein Herz bei dieser hingebungsvollen Berührung seufzt.
Lokis Schritten kommen mit meinem in einem Takt auf. Ich kann vernehmen, wie gleichmäßig und konzentriert seine Atemzüge gehen, wie er mich mit Vorsicht an der Hand in schwungvollen Kreisen führt und seine Finger tippen verspielt gegen mein Schulterblatt, scheinen eine Melodie zu spielen, die nur der Bursche hören kann.
„Du bist so wunderschön, Sternenkind", raut er in die geborgene Abendluft und ich verabschiede mich mit einem sanften Lächeln von den tanzenden Sternen über uns, die mich so mitgerissen haben, nur weil ich seine schimmernden, blau-grauen Augen schon anfange zu vermissen. Und als ich sie in diese zurücksehe, erkenne ich, dass die Welt sich ohne weiteres Zeitgefühl dreht und dass all die Sterne über uns nur deshalb so hell funkeln, weil für uns kein einziger Stern unsichtbar bleibt. Wir wissen zu gut, wie es sich anfühlt, unsichtbar zu sein, und deswegen wollen wir niemand dieses schadende Gefühl aufzwingen.
„Ich habe mich immer gefragt, wie es sich anfühlt, wenn alle Augen auf dir liegen und du weißt, sie bewundern dich", sagt er noch und unsere Schritte werden langsamer, geschmeidiger. Er drückt mich mit der Hand am Rücken an sich heran und meine Stirn trifft sein Kinn, spüre, wie sich seine Lippen weit auseinanderziehen. „Es ist wundervoll und so überwältigend zugleich. Sie wissen es schon. Ich werde der König von Asgard."
„Du bist bereits mein König, L..." Ich kann nicht zu Ende sprechen. Die nächsten Sekunden passieren zu schnell und sind unaufhaltsam.
Es ist der Hammer Thors, der mich wie aus dem Nichts von Loki fort schlägt. Ich lande hart mit dem Rücken auf dem Boden, die Augen schmerzverzerrt und geweitet vor Schock.
„Bruder!", höre ich Loki erzürnt brüllen und die Gäste weichen mit fiebrigen Lauten von den zwei Brüdern zurück. „Ich habe gedacht, du hast deinen Hammer unter Kontrolle!"
Ich starre wie gelähmt in den Himmel hinauf, verspüre einen unbeschreiblichen Schmerz durch meinen ganzen Körper beben. Ich will mich rühren, irgendwas in Bewegung setzen, doch ich habe die schreckliche Befürchtung, als wäre dies unmöglich. Die Sterne drehen sich wie wild über mir, rasen mal auf mich zu, mal gehen sie zurück. Der Mond verformt sich eigenartig, fast zu einer hässlich grienenden Maske, und plötzlich ist da wieder dieser seltsame Schwindel.
„Ich... Ich habe nichts getan, Bruder!", versucht Thor sich zu verteidigen und anhand seines aufgeregten, hilflosen Tons weiß ich, dass er keine Schuld beiträgt. Aber sein Bruder ist da ganz anders.
„Du hast es wieder getan! Natürlich ist das kein Zufall!" Ich höre das Zischen seiner Magie, sehe aus dem Augenwinkel heraus das blaue Leuchten seines Stabs.
„Loki!" Da ist Odins tiefe Stimme. „Wenn du deinem Bruder etwas antust, muss ich dich bestrafen! Also, leg deine Waffe zur Seite."
Ich kann mir den Schmerz in Lokis trostlosen Regenaugen vorstellen, als er vernimmt, wie sein eigener Vater seinen Bruder in Schutz zieht. Es ist im Nachhinein ein weiterer, tiefer Stich mitten in das angeknackste Herz, das bereits weiß, dass Odin deutlich Thor mehr bevorzugt als ihn selbst.
Ich will etwas sagen, will zu Loki gehen und ihn in meine Arme schließen, um ihn zu besänftigen. Doch der Sternenhimmel über mir ist stärker als ich.
„Loki!", schreit Frigga auf.
Es ist zu spät. Alles ist zu spät.
„Es ist an der Zeit, ihnen die wahre Gestalt der Himmelsflüsterer zu zeigen." Da ist wieder diese fremde Stimme von vorher, doch lauter und näher. Ich kann beobachten, wie ein riesiger Komet auf mich zu rast, komplett aus dem Nichts erschienen. Er ist blau und sein Schweif gewaltig. Er ist schnell, unglaublich schnell.
„Die Prinzessin!", höre ich mehrere Stimmen vor Entsetzen aufschreien. Sie scheinen dasselbe übel wie ich zu sehen, doch ich kann mich nicht rühren. Ich bin gefangen.
Dieses Mal schreie ich auf und mein Herz hämmert mir bis die trockene Kehle hoch. Ich werde sterben. Gleich schlägt der Komet auf mich ein, und ich werde sterben. Einfach sterben. Genauso wie meine Familie damals einfach gestorben ist. Ich löse mich wohl doch schneller auf als meine Mutter gesagt hat.
Ich werde sie endlich wiedersehen.
Eine vereinzele Träne rollt meine Wange hinab.
Ich habe Loki nicht einmal sagen können, wie ich für ihn tatsächlich empfinde. Vielleicht bin ich gar nicht seine Königin. Vielleicht habe ich dem Himmel mehr Beachtung schenken sollen als ihm, dann wäre es wohl nie so weit gekommen. Schuld überkommt mich. Sehr tiefe Schuld.
Das Gewissen, dass ich nun meinen geliebten König verlassen muss, tut unendlich weh.
„Sternenkind!" Lokis angsterfüllter Schrei wird vom Zischen des Kometen gedämpft.
Und dann schlägt er ein.
~*~*~
Eine goldene, schimmernde Flüssigkeit schlängelt sich zu den Füßen der entsetzten Gäste entlang. Sie sieht so aus, als würden Tausende von Sternen in diesem Meer schwimmen. Es ist schön und besonders. Aber es jagt den Bewohner Asgards einen kalten Schauder über die verschwitzten Rücken. Ist die letzte Himmelsflüsterin tatsächlich von einem Kometen erschlagen worden?
Loki blickt schmerzerfüllt zu seinem blonden Bruder und betrachtet die frischen Schrammen in seinem Gesicht, die seine Schläge dort hinterlassen haben. Es ist seine Schuld. Alleinig die Schuld Thors, dass er mit eigenen Augen hat ansehen müssen, wie sein geliebtes Sternenmädchen erschlagen wird und... stirbt. Eine Finsternis kommt über sein Herz ein, die er in diesem Ausmaß niemals verspürt hat.
„Bringt Loki in den Kerker!", hört er den Befehl seines Vaters, und es ist ihm völlig gleichgültig, denn er hat gerade alles verloren, was ihn so mächtig gemacht hat. Er hat die Quelle seiner Stärke und Magie verloren. Einfach so.
Aber dann fegt ein gewaltiger Wind über die schimmernde Fläche und reißt alle von ihren Füßen. Auch die Götter liegen überrascht am Grund. Dann steht sie plötzlich vor ihnen, schwankt und atmet panisch ein und aus. Die sonst so schwachen Konstellationen auf ihrer Haut leuchten sichtbar grell, flackern, als sie langsam einen Schritt nach dem anderen nach vorne setzt. Der Stern auf ihrer Stirn flackert wie verrückt, wechselt zwischen blau und unsichtbar. Sie weiß nicht, was passiert ist. Aber sie ist so lebendig, als hätte sie nie ein Komet getroffen.
Loki steht als Erstes von den vielen Göttern auf und eilt zu dem verlorenen Sternenmädchen. Er will sie erleichtert in seine Arme schließen, sie fest an sich ziehen und nie wieder loslassen – doch genau in dem Augenblick, wo er sie berührt, schleudert ihn ein mächtiger Sternensturm von ihr weg.
Ein eigenartiges, violettes Licht umgibt die junge Frau.
Und mit einem Mal ist der ganze Himmel in Finsternis getaucht.
Die Sterne und Monde sind erloschen.
„Kniet nieder vor der letzten Himmelsflüsterin."
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