Drei Gesichter
D r e i G e s i c h t e r
„Kniet nieder vor der letzten Himmelsflüsterin!"
Es ist dunkel. Die tiefste Schwärze des bloßen Nichts. Sie hat mich gänzlich eingenommen, gefolgt von einer schrecklich schweren Müdigkeit. Ich fühle sie bis in meinen Zehen verharren, dass jegliche Bewegung unmöglich erscheint. Atmen – einst, was so einfach und gedankenlos selbstständig vorangeht – ist unheimlich schwer wie ein offengelegtes Gelübde an meinem Tod. Er holt mich. Irgendwie tut er das, ja.
„Wir werden vor niemanden knieen!" Ich bin verwundert, eine komisch vertraute Stimme in der Finsternis hören zu können. Aber vermutlich habe ich Asgard noch nicht völlig verlassen, schwebe zwischen Götter und Sterne, bis mich der unendliche Grund packt und mit sich in seine Kammer der Einsamkeit zieht. Dort werde ich für immer bleiben, alleine und zurückgelassen von allen, was mich am Leben gehalten hat. Dort bin ich tot und nicht mehr.
Sterben ist schwerer, denn ich habe es mir viel einfacher und schneller vorgestellt. Dass da von einer Sekunde nichts weiter von einer Person übrigbleibt, bloß Staub und verwickelte Erinnerungen mit anderen, noch lebendigen Personen. Diese würde einen noch für ein Weilchen am Leben erhalten, ihn vermissend und das Herz schwer jauchzend nach einem Zeitumkehrer, und kaum sind die ersten Monate herum beginnt das Vergessen. Ständig wird die eigene kostbare Bedeutung im Herzen anderer sinken, verliert an Wärme und Macht, und dann bekommen Gegenstände, die sonst immer einander erinnert haben wie ein gemeinsames Lied, das man sehr oft miteinander gesungen hat, eine ganz andere und neue Bedeutung.
Und dann wird man schließlich vergessen.
Sterne sind nur noch Sterne, die Sonne bloß ein weiterer und der Mond einfach der helle Punkt bei Nacht. Der eigene Name ist nur noch ein Name, irgendeiner von vielen, und die geliebte Melodie bloß eine Melodie, die plötzlich zufällig gespielt wird. Sie berührt das verschlossene Herz ein wenig, versucht durchzudringen, aber wir werden immer stärker und ignoranter.
Werden Tode erst eins vergessen, erlöschen sie wie die Flamme einer Kerze. Mitten in einem Windhauch. An einem heißen Sommerabend. Sie kehren nie wieder zurück und ihnen ist es für immer verwehrt, ihre zurückgebliebene Herzensmenschen zu sehen, weil diese sie einfach vergessen haben.
Doch ich bin noch hier, und ich glaube, dass ich sogar zu viel bei Verstand bin – für einen frisch Verstorbenen. Ich bin sogar so erbärmlich anzunehmen, einen sehr nahen und polternden Herzschlag zu hören. Allerdings ist das albernd, allein aus dem Grund, da ich schließlich von einem Kometen erschlagen worden bin. Niemand außer ein Gott hätte den Einschlag überlebt. Vor allem nicht ein Himmelsflüsterer. Zwar bin ich auf eine spirituelle Art und Weise mit dem Universum verbunden, doch ein Komet hat in diesem keine Bedeutung. Er besteht aus Resten des Sonnensystems, die bereits vom Weltall entbunden worden sind.
Es ist gar nicht schlimm von einem Kometen getötet zu werden. Schließlich haben wir beide keine Bedeutung im Universum mehr, werden nicht länger gebraucht. Uns kann man einfach hinfort schmeißen, ohne dass etwas im kinetischen System zusammenbricht. Nur die Magie zwischen mir und Loki zerbricht wie ein Haus, das bereits deshalb zum Einstürzen verurteilt gewesen ist, weil es nie robust genug gebaut worden.
Ich will vor Frustration seufzen. Oder einen Schmerz spüren. Irgendeinen, nur, um die Bestätigung zu erhalten, dass ich noch lebe. Aber ich fühle nichts davon, ausgenommen von eisiger Kälte und einer Taubheit, die mich ganz orientierungslos macht. Wo bin ich hier? Das ist nicht der Himmel.
Es ist etwas anderes.
„Sssssssteh auf, Ssssternenkind." Nun spricht die erste und tiefste Stimme wie ein Grollen zu mir. Es ist ein fallendes, polterndes Echo, und wäre schwaches Gestein nahe, hätte er einen Steinbruch verursacht. Ich warte einen Moment darauf noch die anderen, allerdings vertrauten Stimmen zu hören, doch sie sind in beunruhigender Stille getaucht. „Du darfssst nicht wegssssehen."
Ist das mein Begleiter in den Tod? Wird er nun meine Hand nehmen und mich führen? Ich kann nicht deuten, ob meine Augen geschlossen sind oder nicht. Mein Kopf ist schwer. Sehr schwer, als wäre er zu Thors Hammer geworden. Ich fühle mich fremdartig, ungewohnt in diesem Körper, und merke allmählich, ich bin etwas wie bei Bewusstsein und im Treiben.
„Wer bist du?" Es überrascht mich, dass ich tatsächlich sprechen kann, und deshalb rede ich sofort weiter. „Was mache ich hier? Was ist das für ein düsterer Ort?"
„Dasss issst mein Kokon", zischt die Stimme und zieht die S's immer weiter höher. Ich höre ein gefährliches Schnallen mit der Zunge, vernehme, wie etwas auf harten Grund voranschleicht. Es ist schwer und sowohl gewaltig als auch elastisch. „Du bissst in meiner Gefangenssschaft, Himmelssssflüssssterin ~"
Ich bin wirklich am Leben. Nicht weil ich alles um mich herum besser wahrnehme, es ist das verrückte, laute Hämmern meines Herzens, das mich schlagartig aufweckt. Es schlägt heftig gegen meine Brust und das Atmen wird abrupt leichter für mich. Wäre ich tot, würde ich den süßlichen Überlebensstoff in den Atmosphären nicht weiter gebrauchen. Aber ich brauche ihn unbedingt, und dieser flüchtige Überlebenswille macht mich wach. Meine Augen öffnen sich auf einmal wie von selbst, und dann reiße ich sie geschockt auf.
„Ich bin Naoooor ~", lispelt die Gestalt mit den leuchtenden Smaragdaugen und der schmalen Pupille. Sie muss lächeln. Ich kann die Freude auf ihrer Zunge süßlich schmelzen hören. „Und ssschon sssseit Angebinn meiness Lebensss ein Teil von dir. Aber man hat mich immer verdrängt, und nun hat man versssucht, mich ssssamt dir zzzu töten! Was für eine Ungeheuerlichkeit!"
Scharf ziehe ich die Luft ein, während mein Körper greifbarer für mich wird. Die Taubheit in meinen Gelenken lässt langsam nach, und ich bemerke erstaunt, dass ich nicht allzu geschwächt bin wie gedacht. Nein. Da ist eine viel zu starke Macht, die durch mich hetzt, als dass ich hätte müde sein können. „Du bist ein Teil von mir? Und... wieso hat man uns versucht zu töten?" Ich richte mich vor Anspannung im Rückenmark auf, gehe einen unentschlossenen Schritt auf die wispernde Gestalt zu. „Kann ich wieder zurück?", ist letztendlich die wichtigste Frage von allen, die fiebrig über meine Lippen flitzt.
Das Kriechen wird leiser und ein peitschender Hieb streift meine Wange, was mich erschrocken zucken lässt. Mein Herz rast nur noch stärker, gänzlich vernarrt in der dauerhaften Bestätigung meines Überlebens. Meine Wange brennt fürchterlich, doch so schnell wie das feurige Brennen gekommen ist, verschwindet es.
„Ich bin ein Wesssseen der Zzzzersssstörung, gefangen in dir, weil du die ungeheuerliche Macht bessssitzzzt, mich in einen ewig langen Ssschlaf zzzu wiegen." Die Dunkelheit hält an, aber ich habe in dem gelben Leuchten der Augen einen braun-grauen Panzer schimmern gesehen. Wie das von einem Reptil. „Aber du bissst eine Himmelsssflüssterin und keine Ssschlangenbezzzwingerin. Deine gessschwächte Kunssst macht mich ssstark. Du hassssst deine Aufgabe vernachlässssigt, Sssternenkind! Und dasss issst der Preisss dafür! Du kannssst nicht zurück, außer du bemächtigssst deiness Körperss zurück."
„Wie ist es möglich, dass du in meinem Körper bist, Naor?" Ich muss mich angestrengt auf den zitternden Knien halten, um der Gestalt mit Aufforderung in die leuchtenden Augen zu sehen. „Wie kann ein Himmelsflüsterer eine Schlange bändigen? Wir sind Leser und Beschützer, keine Bändiger."
„Eine Macht, ssstärker als jede andere, hat mich in dich verbannt, um eine andere Welt zu ssschützen." Die mächtige Gestalt baut sich stolz vor mir auf. Sie ist riesig, übertrumpft jene Riesen, die ich einst mit Loki beobachtet habe. Und es handelt sich hierbei tatsächlich um eine Schlange. Die Schatten geben nicht viel offen, doch ausreichend, um mich wissen zulassen, dass ich mit dieser Schlange kein faules Spiel spielen soll wie es sonst Loki in meiner Situation tun würde. Was ist eigentlich mit meinem Körper außerhalb dieses Kokons? Ist er verschwunden... oder liege ich in einem Schlaf? „Er issst nicht in meiner Macht, aber auch nicht in deiner. Das isssst eine andere Macht, die dort wütet. Und ich liebe esss zu seeehen, wie diesssee Assseeen leiden." Zufrieden schlängelt sie ihre lange, gigantische Zunge und zieht ein breites Grienen, wie eine Drohung, denn ich kann nun ihre spitzen Fangzähne sehen. Sie sind von der Größe her wie vier Schwerter, blitzen gefährlich weiß und eine eigenartige, grüne Flüssigkeit tropft von ihr herab.
Gift. Das ist eindeutig Gift, das nach unangenehm nach Pest riecht.
„Wie kann ein Himmelsflüsterer eine Schlange bändigen?", frage ich nochmal und lauter, denn ihre letzten Worte haben mich noch nervöser gemacht. Irgendetwas hat meine Körper unter seine Kontrolle gezogen und versucht nun, gegen die Götter zu kämpfen. Unter anderem gegen Thor, Loki und Odin. Derjenige sollte eigentlich wissen, dass er ihnen gegenüber keine wirklich hohe Überlebenschance hat. Besser genommen: gar keine. Sie sind mächtige Götter... und mein Körper nur ein Himmelsflüsterer.
Und ich will nicht, dass Loki gegen mich kämpft. Das wird ihn förmlich zerrreißen, besonders deshalb, weil er derjenige sein kann, der mich mit seiner Hand umbringt. Ich kann ihn keineswegs in Unwissenheit schweben lassen. Ich muss ihm und den anderen unbedingt mitteilen, dass ich noch da bin – und vor einer riesigen Schlange stehe, deren Augen mich schon jetzt verspeisen.
„Glaubsssst du, ich bin ein Naaarrr?" Wieder spüre ich dieses stechende Brennen auf meiner Wange und muss mich nun anfassen, um die besagte Stelle mit meiner eigenen, kalten Hand zu kühlen. Ich kann das Pochen meiner eigenen Haut fühlen und mein Leben wird mit jedem weiteren lauten Herzschlag fester. Es gibt keine Zweifel mehr daran. Der Tod will mich doch nicht, dafür aber diese gefährliche und gewaltige Schlange. „Ich, ein Wessssen der Zeeerssstörung lassssse mich nicht hintersss Licht führen!"
„Was ist, wenn ich dir im Gegensatz verspreche, dich an einen Ort zu bringen, den du zerstören kannst? Dann wärst du von mir befreit und müsstest nicht länger in Finsternis hausen." Es ist keine loki-hafte List, die ich gerade versuche. Wenn diese Schlange tatsächlich in mir haust, muss ich sie schnellstmöglich aus mir herausbekommen, um ein weiteres Chaos zu vermeiden. Ich kann nicht weiter in Asgard leben, wenn in mir eine wandelnde Gefahr tobt, die jeden Moment ausbrechen könnte. Immerhin wird mir nun endlich richtig bewusst, dass ich nicht weiter vor mir selber wegrennen kann. Ich muss mich der Himmelsflüsterer in mir stellen, ansonsten werde ich diese Schlange nicht kontrollieren können – und eventuell jene geliebten Personen verletzen, die bereits von mir verletzt werden. In diesem Moment außerhalb dieser Düsterheit.
Wenn die Schlange so sehr nach Zerstörung schmachtet, dann wird sie diesem Deal nicht widerstehen können. Ihre Freiheit (und meine) ist ihr das hoffentlich wert.
„Welchen Ort? Asssssgard issst unvergleichlich, Ssssternenkind." Schon ihr schwankender Ton lässt mich zuversichtlicher werden. Ihr Interesse gleicht einem irren, gelben Funkeln in Smaragd.
Ich muss mein stolzes Grinsen unterdrücken. „Ich bin eine Himmelsflüsterin." Oh, wie schrecklich falsch sich diese Worte anfühlen. So säuerlich auf der Zunge. „Und ich kann sehen, wann eine weitere Atmosphäre zerstört wird und dich dorthin bringen. Aber das wäre Eigenmord, deshalb biete ich es dir an, mit mir zu einer der stärksten Atmosphären des Universums zu reisen, um diese zu vernichten. Ein Ort, wo Schlange am gefürchtetsten sind und jede unter deinen gigantischen Fängen sich winden wird."
Mit Loki aufgewachsen zu sein hat mich eine wichtige Überlebenssache gelehrt: listenreich zu sein, wenn die Gefahr unausweichlich vor einem steht. Mit gelogenen Worten zu schmeicheln, andere zu umgarnen und in den Nebel der List zu ziehen. Wir haben als Kinder immer gewusst, wie wir andere dazu bringen konnten, dies und jenes für uns zu tun, wenn wir nur geschickt mit der Macht des Lists gespielt haben.
Man hat nie erfahren, dass wir beide es gewesen sind, die Thor dazu gebracht haben, in Frauenkleidung gegen einen Riesen zu kämpfen. Der Riese hat es nämlich fürchterlich nach Liebe gesehnt, und wir haben Thor zu geredet, dass er ihn austricksen müsse, um ihn zu töten. Deshalb hat er sich als eine Frau ausgegeben, um ihn schließlich mitten in seiner Höhle zu erschlagen. Zu guter Letzt ist er in seiner Verkleidung ins Palast spaziert und direkt in die Arme seiner Eltern gelaufen.
Jeder von Asgard vermutet nun, dass der blondhaarige Prinz eine Vorliebe für edle Frauenkleider besitzt.
Schließlich haben ich und Loki den Riesen verschwinden lassen, sodass keiner nachweisen konnte, ob es ihn je gegeben hat oder sich Thor diesen bloß als Ablenkung ausgedacht hat. Er hält es uns heute noch ab und zu vor dem Kopf. Und noch heute lachen die Krieger darüber.
„Welcher Ort issst ssschon ssstärker alssss Asgard?", zischt die Schlange fragend und baut sich machtdemonstrierend vor mir auf. Ohne dabei, dass dieser zufriedenstellende Leuchtfunken in ihren Augen verschwunden ist. Sie spielt mit ihrer Zunge, bereit, sie mir ein drittes Mal fühlen zulassen. „Nenn' mir den Ort, wo man mich am meissssten fürchtet."
Aber ich halte mich ruhig. Sie darf mir keine Zweifel anmerken, das könnte sonst mein Ende heißen. „Midgard."
Die Schlange lacht los. Es ist grässlich und schrill, als hätte sie Kreide verschluckt. „Die Menssschen sssiind ssschwach, Sssternenkind."
„Aber ihr Planet ist unheimlich stark. Er besitzt die kraftvollste Atmosphäre in ganzem Universum. Zerstörst du ihn, zerstörst du den größten Himmelskörper des Universums und alles wird ins Ungleichgewicht raten. Alle Welten werden leiden und allmählich dahin gedeihen."
„Sssssooooo mächtig?" Sie blinzelt verwundert.
Es ist keine Lüge. „Midgard ist das Herz des Universums."
Sie denkt nach, und ich nutze diesen Moment, um mir weitere Ideen für eine List zu überlegen. Wenn sie nämlich „Nein" sagt, kann ich das nicht einfach stehenlassen. Ich muss so lange auf sie einreden, bis sie ihre Meinung ändern wird – sollte dies der Fall sein. Und das muss alles sehr schnell geschehen, denn ich kenne die Lebenszeit nicht, die mir noch bleibt, sollten die Götter mich wirklich umbringen wollen.
Loki wäre der letzte, der dies wollen täte.
Und Thor sowieso nicht.
Aber Odin...
„Leg deine Hand an meinen Kopf", zischelt die Schlange und bekommt meine ganze Aufmerksamkeit sofort zurück. Sie lehnt sich vorwärts, ihre Zunge peitscht bedrohlich um mein Gesicht. Eine Drohung, dass ich ja kein dummes Spiel hier veranstalten soll. Ich lasse mir meine Anspannung nicht ansehen, unterdrücke das unnatürliche Hämmern meines Herzens und lege meine Hand auf die Stelle zwischen ihre Augen, das man als Stirn betiteln kann. Ihr Panzer ist hart und dezent feucht. Sie atmet ganz schwer unter meiner Berührung. „Und nun hol die Ssssterne zu dir, und... halte dich an dein Verssssprechen, oder ich werde mit deinem Körper Assssgard zersssstören. Diesser Loki lassseee ich dann ganz besssondersss durch mein Gift leiden, Sssternenkind."
„Dieser Tag wird nicht kommen." Ich habe ehrlich keine einzige Idee davon, was ich tun soll oder woher ich die Sterne ziehen soll, aber meine Augen konzentrieren sich auf ihre großen, leuchtenden Smaragde. Etwas funkelt tief in ihnen verborgen, etwas wie ein verlorenes Licht, das unbedingt entdeckt werden will, und ihre Zunge schlängelt sich um meinen Arm, umklammert diesen fest wie eine Würgeschlange einen Hals erdrücken würde. Doch es ist auszuhalten, nur ein bisschen irritierend. Wäre das Licht nicht so anziehend in ihrem Blick, hätte mich ihre Zunge deutlich stärker abgelenkt – aber ich kann sie plötzlich in ihren Augen schwimmen sehen.
All die Sterne des Universums. Viele, aufglühende Punkte. Unzählig und funkelnd. Sie führen einen kleinen Tanz durch, verformen sich zu Ringen und bringen die perfektionierende Konstellation durcheinander. Sie breiten sich aus, vereinen sich zu einer langen Kette, die das ganze Nichts umfängt, und ein blauer Strahl bricht in die Finsternis ein. Es kommen weitere, bunte Flecken von Licht dazu, schimmern und blinken wie wilde Irrlichter und stellen einen wunderschönen Schleier von bunten Lichtern da. Sowie die Menschen es als „Nordlichter" bezeichnen würden.
Sie sind warm und schön. Eine Energie hetzt durch meinen Körper, der nur mit viel Mühe nicht nachgibt. Ich habe solch ein Ausmaß von Energie noch gespürt. Sie ist groß, allmächtig und berauschend. Eine unvergleichbare Magie zu jener, die ich mit Loki verbinde.
„Halt dich an dein Versssprechen", sagt die Schlange mit schwacher und krächzender Stimme, „und ich werde dir unterlegen sssein."
Die Farben zerspringen mit einem Mal, ein enormes Gewicht kippt auf mich zu – und dann befinde ich mich plötzlich in einem anderem Raum. Er ist hell, schrecklich hell. Es braucht einige Sekunden, bis sich meine Augen an diese fürchterliche Grellheit gewöhnt haben, dann blinzle ich wie wild und sehe mich überrascht um.
Naor ist fort.
Nur meine Hände sind von einem eigenartigen, glitzernden Nebel besetzt, als hätte ich mit diesen einen Regenbogen gefangen. Es kribbelt wahnsinnig in meinen Fingern, hier und dort sprüht meine Magie von mir und ich erkenne einen schwachen Schein um mich. Er schimmert bläulich. Er ist so transparent, dass man ihn kaum mit bloßem Augen erkennen kann. Aber es sind die kleinen, roten Kometenschweife inmitten des Schleiers, was mich stutzen lässt. Es wirkt wie eine kleine Atmosphäre um mich herum. So klein, aber auch so gigantisch.
„Du hast sie überwältigt." Das ist nun wirklich die erste Stimme, die ich am Ort der Schlange vernommen habe. „Du bist stärker als man mir erzählt hat. Dann werde ich nun gehen müssen." Ich sehe mich aufmerksam um, lasse den Kopf schnell herum rasen, aber ich kann niemand in diesem reinem Raum erblicken. Alles ist weiß und abermals weiß. „Du wirst bald eigenhändig bemerken, wozu du fähig bist, Sternenkind. Die Schlange ist nicht dein einziges Omen."
Diese Worte verursachen ein unangenehmes Ziehen in meinem Bauch, sodass ich erstmals lange die Luft einziehen muss. Wovon spricht diese Stimme? Wieder etwas Neues, das meine Lebensperspektive einschüchtert.
„Ich gebe euch euer Sternenkind zurück. Aber gibt Acht auf sie. Nun kennt ihr ihre wahre Macht." Das sagt sie nicht zu mir. Sie muss zu demjenigen gehören, der tatsächlich mein Körper unter seine Gewalt gerissen hat. Er ist der Übeltäter von alldem.
Ein Knirschen wie zerbrechendes Glas schallt durch den Raum.
„Und du, Sternenkind, achte den Himmel mehr. Oder ich werde wiederkommen."
Plötzlich bin ich weg.
Alles ist wieder schwarz.
~*~*~
Als ich das nächste Mal aufwache, liege in einem weichen Bett. Ich bin erleichtert zu sehen, dass der Ort nicht nur aus einer Farbe besteht. Er ist so farbenfroh und schimmernd wie ich Asgard in Erinnerung habe. Die Wände sind beige, lange Säule erheben sich in die weite Decke und das süße Gezwitscher von Vögel stimmt mein Herz fröhlich. Ich kenne diesen Ort.
Es ist die Heilstätte. Für jene, die verletzt oder krank sind.
Aber ich kann nirgendwo einen Schmerz ausmachen. Nur ein nerviges Pochen in meinem Schädel und einen eigenartigen, festen Druck an meiner Hand. Ich will diese bewegen, doch irgendwas oder irgendwer drückt sie stark zusammen wie das letzte Stück Seil, bevor man untergeht.
Sofort denke ich an Loki und richte mich rasend auf. Ein dümmlicher Fehler von mir, denn schlagartig schlägt ein heftigeres Pochen in meinen Kopf ein und fördert mich zurück in das Bett. Ich stöhne vor Schmerzen und Frustration auf, fasse mir mit der freien Hand an die eigene Stirn und weite entsetzt die Augen. Jemand hat mir einen Verband um die Stirn gebunden. Mein Stern ist darunter verborgen und ich kann spüren, wie er nach Luft jauchzt und kratzt.
„Vater sagt, dass er dafür verantwortlich ist." Es wäre viel schöner gewesen, hätte das Loki zu mir gesagt. Oder wäre es Loki, der meine Hand halten würde. Oder wäre es Loki, der wohl die ganze Zeit schon über an meinem Bett verbracht hat, sehnsuchtsvoll wartend auf mein Erwachen, um mir besorgt mit seinen Regenaugen in die meine zu blicken und um mir zärtlich die Wange zu streicheln, nur damit ich spüren kann, dass ich noch lebe und er er bei mir ist, dass die kinetische Magie noch zwischen uns existiert.
Aber es ist sein Bruder Thor. Auch seine Anwesenheit erfreut mich in gewisser Maßen, doch Loki ist etwas, jemand anderes.
Er ist mein König.
Und ich habe es nicht vergessen, dass es Thors Hammer gewesen ist, der mich mal wieder hierhergebracht hat. Diese Waffe hat mir gegenüber bestimmt eine insgeheime Feindseligkeit entwickelt, anders kann ich mir seine plötzliche Attacke nicht plausible erläutern.
„Vater kann nicht verstehen, warum das geschehen ist", spricht Thor weiter und seine Meeresaugen sind ohne jeglichen Glanz. Selbst sein Lächeln ist unauffindbar. Er starrt über mich hinweg, direkt aus dem Fenster über mir, und drückt verzweifelt meine Hand. Es tut mir leid, ihn in diesem Zustand sehen zu müssen. Ich weiß, wie ungern er Schwäche zeigt und dass es viel kostet, ihn erst in solch eine Situation zu bringen. „Er meint, dass die Macht Asgards von den Himmelsflüsterer angezogen wird. Es ist also keine böse Absicht von meinem Hammer, wenn er nach dir greift. Er spürt nur diese unentdeckte Macht, die wir alle haben vor wenigen Tagen erblicken können."
„Wie... wie viele Tage?", krächze ich und mein Hals ist nicht nur wegen dem fettem Kloß darin so trocken.
Nun sieht mich der Prinz an. „3 Tage. Wir haben bereits alles Übel bereinigt und die nächsten Bälle sind abgesagt worden. Mein Vater möchte sich mehr mit deinem Gleichen beschäftigen, Sternenkind."
Das glaube ich ihm nicht. Odin hat dies sicherlich gesagt, um sein Volk und seine Familie ruhig zu stimmen. Wenn er nichts über meine Macht gewusst hätte, hätte er mich nicht einfach in seinem Palast aufgenommen. Vielleicht hat er sogar mehr gewusst als ich. Ich kann das dem Allvater gutzutrauen, insbesondere wenn ich darüber nachdenke, wie er mich mit der Zeit von seiner Familie mehr und mehr distanziert hat. Aber ich behalte diese scharfe Vermutung erstmal für mich. Ich habe nämlich den Eindruck, als hätte ich beim letzten Ball bereits genug angerichtet, um aus Asgard verbannt zu werden.
Auf einmal holt es mich wie ein Schlag von Mjølnir ein.
„Wo... wo ist Loki?", will ich wissen und die Geschwindigkeit meines Herzschlags ist unermesslich. Ich muss dem Thronanwärter unbedingt von dem Geschehnis erzählen und mich bei ihm dafür entschuldigen, dass ich unseren Abend ruiniert habe, der hätte der eine Abend werden können. Oder zumindest einen Teil von Schuld beitrage, weil es schließlich von meinem Körper aus geschehen ist.
Als Thor den Kopf senkt, rutscht auch mein Herz nach unten. „Er ist im Kerker."
„W-warum?", stammle ich aufgelöst und der junge Prinz hält meine Hand wieder fest, weil er denselben Tatendrang in meinem Blut pochen fühlt wie ich. Es ist meine Schuld, dass Loki nun im Kerker sitzt. Ich habe es tatsächlich geschafft, den zukünftigen König Asgards in den Kerker zu bringen. Das werde ich mir niemals verzeihen können. Niemals. Er denkt sich bestimmt schon eine Strafe für mich aus. Eine fürchterliche Strafe, und das nur, weil ich mich vor meiner Selbst versteckt habe.
„Er hat gegen Vaters Worte gehandelt und... ich habe ihn dazu gebracht." Sein gequälter Ausdruck sagt mir, dass er nicht weiter darüber reden möchte. Das Geschehnis liegt noch zu schwer auf seinem weichen Herzen.
„Ich auch", flüstere ich traurig, worauf mich Thors warme Meeresaugen achtsam anschauen.
„Er weiß noch nicht mal, dass du hier bist. Vater bittet ihn um Vernunft."
„Er bittet ihn um Vernunft? In welchem Bezug?"
Thor weicht meinem gespannten Blick aus, indem er wieder aus dem Fenster über mich blickt. „Das weiß ich nicht."
Thor ist immer der schlechteste Lügner gewesen.
Sein heiserer Ton und das Zittern seiner starken Hand verraten ihn ganz ungeschoren.
Er weiß genau, was sein Vater tut.
Und ich weiß nicht, ob es nicht eventuell besser ist, wenn er es mir nicht verrät.
„Vater gibt dir etwas Zeit, bis du dich genügend ausgeruht hast, um ihn anzuhören", mitteilt mir Thor noch. Er widmet mir ein aufmunterndes Lächeln, aber das Meer in seinen Augen hat hart mit stürmischen Wellen zu kämpfen. Die Sonne ist darin vollkommen verschwunden, als wäre die Atmosphäre in seinem Inneren kurz davor, sich aufzulösen. Ich frage mich, welchen schweren Kummer – außer diese plagenden Schuldgefühlen an so vielem – er noch zu tragen hat. Es scheint mehr zu sein als er überhaupt ertragen kann, und es macht ihn träge, schwach. Ich habe Thor noch nie in diesem stillen Gemütszustand gesehen. Ich bin an einen strahlenden, schwätzenden Thronanwärter gewöhnt, nicht an einem Prinzen mit gebrochener Rüstung.
„Wird er mich verbannen?" Natürlich wird er das. Warum frage ich das noch? Der Fremde in mir hat ein ziemliches Chaos veranstaltet, wenn sie dieses erst nach 3 Tagen haben beseitigen können. Und das bei einer Götterstadt wie Asgard. Das wird Odin mir nicht verzeihen – und sollte meine Vermutung stimmen, wird er es auf alle Fälle durchziehen.
Thor sieht mich entsetzt an und das Meer hält inne. Offensichtlich hat er noch gar nicht an meine Verbannung gedacht. „Vater hat dich in sein Herz geschlossen, Sternenkind. Er entscheidet nur etwas, wenn es auch zugleich einen bedeutsamen Grund hat."
„Also denkt er darüber nach." Ich drücke meinen Kopf stärker in das Kissen und schließe seufzend die Augen. Bevor ich Asgard verlasse, muss ich Loki noch einmal gesehen habe. „Dann muss es wohl so sein, oder nicht?" Ich kann dem Prinzen nicht verraten, dass ich Asgard ebenso freiwillig verlassen würde, nur, um sie alle vor der Schlange in mir zu schützen. Nein. Naor habe ich keinesfalls vergessen, dafür spüre ich noch zu sehr ihr Gift an meiner Wange prickeln. Und wenn ich wirklich nach Midgard will, gibt es keinen anderen Weg als über die Regenbogenbrücke. Außer... ich habe einen bestimmten Verbündeten an meiner Seite, der sich schon oft unbemerkt aus Asgard gestohlen hat.
Aber dieser hockt wegen mir in einem Kerker Asgards.
„Du wirst uns nicht verlassen." Thors Meer ist auf einmal stark und klar, eine Brise von Meersalz umhüllt mich beruhigend, als ich in diesen hoffnungslos schwimme. „Du bist ein Teil unserer Familie und ich werde meine Familie beschützen. Auch dich, Sternenkind."
„Er ist dein Vater und König von Asgard." Ich lächle ihn bitter an und nun drücke ich seine Hand ein bisschen, auch wenn ich glaube, dass er das bei seiner festen Haut nicht mal ansatzweise spürt. Vielleicht ist es wie ein zartes Klopfen. „Du kannst dich ihm nicht widersetzen, das weißt du, Thor. Seine Entscheidung muss befolgt werden, ganz gleich, wie sie ausfällt."
„Nein." Er springt von seinem Stuhl auf und lässt meine Hand los. „Ich kann das nicht tun!"
Dann stürmt er schon aus dem Zimmer heraus.
„Thor!", rufe ich verwirrt nach, aber er hört es bereits nicht mehr. Oder er will mich einfach nicht hören.
Mein Blick bleibt letztlich an dem kleinen Büchlein auf dem Stuhl neben Thor seinem haften. Ich kenne den eisblauen Einband dieses Schmuckstücks, kenne die darin verborgene Geschichte und ihre herzzerreißende Bedeutung. Loki hat früher als kleines Kind immer die Geschichte um den einsamem Prinzen des Eislandes lesen können, ungeahnt vor seiner Zukunft, wo er ebenfalls in das Schatten seines Reiches schleicht. Am Ende ist der einsame Prinz an seinem leeren Herzen umgekommen und sein Land ist mit ihm geschmolzen. Es ist eine grausame Geschichte über die Einsamkeit und was sie für Folgen haben kann. Und ich will am wenigstens, dass Loki ihr irgendwann begegnet.
Wir haben uns doch erst wiedergefunden.
Ich finde die Kraft dafür, um mich aufzurichten, damit ich das Buch in meine Hände nehmen kann. Es riecht bittersüß nach den dichten Wäldern Asgards.
Nach Loki.
So fern, doch so nah.
Mit einem Schluchzer drücke ich das Buch an mich, und mit einem Mal holt mich alles ein. Thors Hammerschlag, Lokis hilfloser Ruf, Naor, der Fremde und das schlimmste von allen: der Verrat an meine Familie. Ich hätte die Sterne niemals vernachlässigen dürfen, dann wäre es nicht so weit gekommen, und jetzt liege ich hier in dem steinharten Gewissen, eine mordgierende Schlange in mir und mit einer unbekannten Macht in meinem goldenen Blut.
Ich weiß nicht, ob das alles gutgehen wird.
Ich weiß nicht mal, ob ich als Himmelsflüsterin mit dieser Macht wirklich tauge. Oder ob sich das Universum dabei die falsche Prinzessin der Sterne ausgesucht hat.
Ich weiß auch nicht, ob ich und Loki in dieser neuen Welt glücklich sein können.
Aber ich weiß hingegen dazu, dass ich alles versuchen werde, um dieses schräge Bild wieder gerade zu richten. Ich kann das nicht einfach so stehenlassen, als hätte ich nicht diesen Wahnsinn in den Augen Naors gesehen, als hätte ich nicht die vielen Kometen in meinen Händen gesehen und es gespürt. Dieses überwältigende, selbstsichere Gefühl einer Himmelsflüsterin. Ja, in diesem Augenblick von kosmischer Magie und Sternenfunken habe ich es gefunden und wieder verloren – mein Erbe, die Himmelsflüsterin, die ich in Wirklichkeit bin.
Ich werde sie wiederfinden, um sie kein zweites Mal mehr gehen zulassen.
Ich brauche sie, um Naor nach Midgard zu bringen.
Und ich brauche sie auf alle Fälle, um Loki aus dem Kerker zu befreien.
Es ist an der Zeit, endlich Widerspruch zu leisten.
~*~*~
Als ich an den eilenden Wächter Asgards vorbeigehe, ziehe ich sicherheitshalber meine dunkelgrüne Kapuze tiefer und werde schneller. Die Nachricht muss sich bereits überall verbreitet haben. Ein Riese versucht gerade in Asgard einzubrechen. Ein wütender Riese, weil irgendjemand seine geliebte Katze gestohlen hat. Jetzt gehört sie einem kleinen Mädchen, das ich zufällig unterwegs getroffen habe. Es wäre zu offensichtlich gewesen, wäre ich mit einer Katze im Arm durch Asgard Richtung Kerker spaziert.
Nachdem ich die letzten Tage ausreichend genug mit asgardianischer Literatur verbracht habe, habe ich mir einige wichtige Informationen über die goldene Götterstadt eingeprägt. So auch, dass die Kerker Asgards nicht stark überwacht werden. Durch spezielle Kerker ist es den Gefangenen unmöglich zu entkommen, und das soll was heißen, wenn selbst Loki nach 2 Wochen noch nicht ausgebrochen ist. Er hätte es mit seiner Magie längst hinausgeschafft, würde ihn dort nicht etwas halten.
Hastig gehe ich die Treppenstufen hinunter und hoffe, den derzeitigen Wächter zu kennen. Dann wäre es ein leichtes Spiel für mich ihn zu überlisten. Aber ich habe sogar mehr Glück als erwartet. Es ist gar kein Wächter vor Ort. Entweder macht dieser gerade ein Nickerchen – oder er beteiligt sich am Kampf gegen den Riesen. Er wird nicht von Dauer sein, vor allem wenn sich Thor den Wächtern anschließen wird. Er braucht nur seinen Hammer zu schwingen, um den protzigen Riesen zum Schweigen zu bringen.
Trotzdem schleiche ich vorsichtig weiter, weil ich mich nicht auf einen glücklichen Schein verlassen kann. Ich gehe die Gänge weiter, laufe an riesigen Glaskästen vorbei, die so groß wie ein Zimmer sind. Die Rahmen leuchten rötlich auf, weisen auf eine Technik hin, die von Mensch und Gott erschaffen worden ist. Hinter diesen kann ich unterschiedliche Gefangene ausmachen wie in einem Schaufenster, aber vermutlich werden sie den Thronanwärter nicht einfach mit anderen Gefangenen in einen Kasten stecken. Ich bin mir sicher, dass sie ihn einzeln halten.
„Hey!" Jemand ruft von einer der Schaukästen nach mir. „Ich kann eine düstere Macht in dir spüren! Wer oder was bist du?" Ich starre den vernarbten, blauhäutigen Mann hinter dem Glas nur für einen Moment an. Er ist großgewachsen, trägt eine zerschmetterte Rüstung und seine schwarzen Augen im breitem Gesicht mustern mich skeptisch. „Du bist keine gewöhnliche Hofdame", stellt er trocken fest.
„Natürlich nicht", erwidere ich beim Vorbeigehen und winke flüchtig mit der Hand, „eine Hofdame würde sich nicht in Kerkern aufhalten." Dann biege ich rechts ab, eine größere Fläche öffnet sich mir. Zwei größere Marmortöpfe mit flammendem Feuer führen zu drei Treppenstufen hinunter. Jeweils rechts und links befindet sich ein Gefängnis, aber das linke ist zu meiner Überraschung noch leer. Aber dann muss ich bereits schnell zurückweichen, als ich das Gemurmel von Stimmen vernehme. Ich ziehe mich hinter einer breiteren Säule zurück und lausche aufmerksam den Stimmen. Vielleicht hat sich der Wächter in diesem Abteil des Gefängnisses zurückgezogen.
„Und, wie lautet deine heutige Antwort?" Mein Herz rast, als ich Odins erhabene Stimme erkenne. Etwas schwankt in seiner Stimme, das nervenraubender Unruhe gleicht. Hat er noch nichts von dem Riesen gehört – oder geht er davon aus, dass es die Wächter und Thor schaffen können?
„Meine Antwort bleibt unverändert, Vater." Loki. Am liebsten wäre ich hinter der Säule hervorgesprungen und dem hübschen Prinzen direkt in die Arme geflogen. Doch Vorsicht ist geboten. Odins Gegenwart ist meine Köpfung, deswegen muss ich so lange versteckt bleiben, bis der Allvater verschwunden ist. Er darf nichts von meinem Ausriss aus der Heilstätte wissen, denn er ist nicht grundlos ein Kriegsherr und König. Er wird mich sofort durchschaut haben, und dann kann ich Naor gleich aus meinem Körper herauslassen, um gemeinsam mit der bestialischen Schlange getötet zu werden.
„Ist das so, mein Sohn?" Sein schwankender Ton verrät, dass ihm das gar nicht gefällt. Wut ringt mit seiner harten Marmorstimme. „Willst du auf Ewig in diesem Kerker dein Leben verbringen? Nur ihretwegen?"
Es ist nicht nötig, über die Person zu grübeln, um welche es geht. Es legt auf der Hand, dass ich die glückliche Auserwählte bin. Immerhin wäre er nicht meinetwegen an diesem schrecklichen Ort, der nach alten Kräuter und Lappen stinkt, als hätte man das Haus einer verrottenden Hexe zu einem Gefängnis umgebaut. Ich hätte die Katze doch mitnehmen können.
„Sieh' mich an, Vater." Er winselt beinahe. „Ich habe nur das getan, was ich für angemessen gehalten habe."
„Du bist deinem närrischen Herzen gefolgt!" Odin wird laut, und ich frage mich, woher dieser plötzliche Groll auf mich kommt. Was habe ich dem Allvater angetan, um dieses wütende Gefühl in ihm auszulösen? „Sternenkind hätte nie Königin von Asgard werden können, denn sie ist eine Himmelsflüsterin und eine Gefahr für unser Reich."
Loki lacht auf, und es ist verbittert und schreit nach Hilfe. „Erinnerst du dich noch an die Zeit, als du sie als deine Tochter gesehen hast? Du meintest einst zu mir, sie hätte das Potenzial zu einer starken Königin. Warum hast du sie wie eine Prinzessin deines eigenen Blutes aufgezogen, wenn du so viel Böses in ihr siehst?" Es ist nicht nur Spott, der mit seiner heimtückischen Stimme spielt, auch unterdrückter Zorn.
„Du hast gesehen, was in ihr haust. Hätte ich damals gewusst, welches Grauen ich mir in das eigene Haus hole, hätte ich nie der Bitte ihrer Mutter gefolgt." Da diese Worte mehr wehtun als ich erwartet habe, schlinge ich reagierend die Arme um mich und versuche instinktiv, dieses zerreißende Gefühl in meiner Brust auszublenden.
„Hast du es nicht schon viel früher bemerkt, Vater?" Loki ist nicht dumm. Er kann seinen Vater durchschauen. „Die ersten Zeichen hat es bereits gegeben, als sie durch die Berührung mit Mutters Magie das Bewusstsein verloren hat. Du hast uns immer weiter von ihr gerissen, uns mit unnötigen Unterricht beschäftigt und sie in einen anderen Bereich des Schlosses verankert. Hauptsache sie ist weit genug von uns weg gewesen, wenn nicht sogar unerreichbar. Und weißt du, wozu das geführt hat? Sie ist deinetwegen nicht ihrer wahren Aufgabe gefolgt, weil sie mich gebraucht hat. Und du hast uns entzweigerissen."
„Es ist zu deinem Schutz gewesen, mein Sohn." Er gibt es einfach zu, als wäre keine weitere große Sache. Doch mein Herz reißt noch mehr auf, eine warme Flüssigkeit trifft auf meine Wangen, in denen ich angestrengt beiße.
„Verschwinde!", schreit Loki plötzlich von Zorn ergriffen, „ich will dich nicht mehr sehen, bis du Sternenkind die Wahrheit erzählt hast! Und ich werde sie nicht aufgeben sowie du es wünscht. Sie ist die einzige, die mich von euch allen noch sieht."
„Dann sei es so. Ich werde jemand damit beauftragen, sie und das Monster in ihr zu töten. Komm zu Vernunft, mein Sohn."
„Sie ist kein Monster!"
Schnell krieche ich weiter in die Säule, als stampfende Schritte auf mich zu kommen. Ich halte die brennenden Augen so lange geschlossen, bis sie völlig verstummt sind. Ein lauter Knall lässt mich aufschrecken, Glas knirscht sterblich dahin, bevor ich es nicht mehr aushalte und hinter der Säule hervorkomme. Meine Beine sind wie zwei dicke Steinbrocken, als ich auf Lokis Gefängnis zu gehe.
Es ist schrecklich leer, als wäre der angeknackste Prinz gar nicht in diesem. So leer wie mein Herz.
Ich sehe die angebrochene Glasscheibe und beobachte, wie sie sich von selbst heilt. Ich wünsche mir, mein Herz könnte dasselbe in diesem Moment. Es tut so fürchterlich weh.
„Sternenkind?"
Endlich kann ich ihn wiedersehen.
Meinen schattigen König.
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