24 - Opfer und Hoffnung

Jeder im Raum zuckte erschrocken zusammen. Das Geräusch schoss ihnen durch die Glieder und ließ sie aufschrecken, wo sie bis eben noch versunken gewesen waren.

„Vatonya!", rief dumpf die Stimme eines Kinder hinter der Tür hinzu. „Ich bin es, schnell, sie durchsuchen das Haus!"

Schon überbrückte sie den Abstand mit langen Schritten und kurz darauf riss sie die Tür auf. Beinahe stolperte der Junge herein, der noch immer die Faust erhoben hatte. Er schnappte aufgeregt nach Luft. Seine Wangen waren rot und seine Augen aufgerissen. „Die Stadtwache! Sie durchsuchen alle Wohnungen. Sie wollen jemanden finden." Hektisch fuhr sein Blick an ihr vorbei, hin zu Rikkon und Ioanne.

„Wo sind sie jetzt?", verlangte Vatonya zu wissen.

„Im zweiten Stock. Irgendjemand hat verraten, dass sie in unser Haus sind und wenn bisher noch niemand gesagt hat, welche Wohnung es ist, dann sicher bald. Der alte Knepp wahrscheinlich. Oder die zickige Betalie."

Vatonya nickte und legte ihre Hand auf den Kopf des Jungen. „Gut gemacht", sagte sie. „Lauf jetzt schnell zurück und versteck dich bei deiner Familie. Lasst sie nicht auf die Idee kommen ihr könntet uns gewarnt haben."

Hastig sprang er auch schon wieder davon. Mit gequälter Miene drehte sie sich zurück in den Raum hinein. „Ich wusste, dass das passieren würde!"

Mit einem Mal klatschte ihre Mutter energisch in die Hände. „Dann müsst ihr los! Rasch!", forderte sie und wuselte durch den Raum, um eine Tasche aus einer Kiste zu ziehen in der sie die Kekse verschwinden ließ. Entschlossen sah sie die beiden Gäste an, die doch nur kurz geblieben waren wie es schien.

„Vatonya zeigt euch wie ihr hier heraus kommt ohne erwischt zu werden", erklärte sie, während sie die Tasche in Rikkons Hände drückte. Und dann schlossen sich die alten Finger der Frau ganz Plötzlich um die der überforderten, zurückgekehrten Hexe. Große, glänzende Augen blickten zu ihr auf. Flehend und hoffend, so dass es ihr in die Brust stach. „Bitte! Es mag nicht deine Zukunft sein, aber es ist unsere. Wenn du meinst, es sei bisher eine Lüge gewesen, dich eine Heldin zu nennen, dann bitte... sei jetzt eine, Ioanne." Sie hauchte den Namen und senkte dann den Kopf um einen Kuss auf die festgehaltenen Finger zu drücken, ehe sie wieder los ließ.

Alles geschah so hektisch, so überstürzt. Ioanne hatte das Gefühl, als hätte sie eben erst einen Atemzug getan, schon wurde sie von Rikkon durch die Tür gezogen.

„Er findet den Weg allein, ich bleibe bei dir!", erklärte Vatonya und ließ die beiden anderen nur an sich vorbei in den Flur eilen.

Kopfschüttelnd drückte ihre Mutter gegen ihren Rücken, um sie aus der Tür hinaus zu schieben. „Meine eigenen Kinder riskierten bereits sehr viel mehr. Ich werde mit ein paar aufdringlichen Wächtern schon zurecht kommen. Jetzt geh!"

Für Ioanne schien sich wieder alles zu drehen und herum zu wirbeln. Sie wusste kaum was geschah, als sie bereits einen Flur entlang gezogen wurde. Nur auf ihren Fingern spürte sie noch immer den Kuss der Mutter und in ihren Ohren hörte sie ihre Worte wie ein fernes, doch nur zu deutliches Echo.


Sie hetzten tiefer und höher. Verschlossene Türen zogen an ihnen vorbei. An manchen Seiten gab es Fenster, doch durch die späte Stunde, drang kaum Licht herein und die Lampen an den Wänden, flackerten in unregelmäßigen Abständen oder leuchteten erst gar nicht.

„Wenn sie ihr etwas antun, verzeih ich dir das nie!", zischte Vatonya und da Ioanne zunächst meinte, dass die Wut sich wieder gegen sie richtete, sah sie zu ihr. Doch Vatonya blitzte Rikkon entgegen.

„Das werden sie nicht", versicherte er ihr. Durch den raschen Gang, klang er gehetzt und vielleicht lag es daran, doch ganz überzeugt klang er auch nicht. Verwirrt sah Ioanne zwischen ihnen beiden hin und her.

„Sie bringt sich in Gefahr?", keuchte Ioanne verwirrt.

„Für dich, ja", bestätigte Rikkon und Vatonya fügte mit an: „So wie wir beide auch gerade."

Ihr Weg führte sie um eine Ecke und vor eine Tür. Als sie sie aufstießen, fuhr ihnen ein kühler Windhauch entgegen und über ihnen erstreckte sich mit einem Mal ein weiter Himmel. Sie waren auf das Dach gestiegen. Neben ihnen flatterte über Nacht aufgehängte Wäsche. Bettlaken und Kleidungsstücke, die sich bewegten wie stumme Geister.

„Warum riskiert sie so viel für mich?"

Sie wurden langsamer, scheinbar um sich zu orientieren und zwischen den behängten Wäscheleinen hindurch zu navigieren. Rikkon blieb angespannt, dennoch ging er auf ihre Worte ein. Seine Hand lag noch immer fest um ihren Arm und Ioanne wusste nicht genau, ob er sie so führte, damit er sie nicht verlor, oder ob er annahm, sie würde sonst wieder vor ihm fliehen.

„Menschen wollen an etwas glauben. Und im Moment glauben sie eben an dich."

„Sie glauben an eine Lüge von mir."

„Sie glauben an eine Legende. Welche war je keine Lüge?"

Auf einmal war da ein Abgrund vor ihnen. Sie standen direkt am Rand des Gebäudes und blickten hinab auf eine Straße in der Lichter brannten und Menschen liefen.

„Meine Tante", fuhr Rikkon weiter fort, während sie an dem Rand entlang weiter eilten „hofft ganz besonders. Sie hatte drei Söhne und ihre Tochter ist eine Hexe. All ihre Kinder mussten in den Krieg, nur ihre Tochter kehrte zurück."

Vor ihnen schnaubte Vatonya. „Ja. Und wie du sehen kannst, ist selbst die nicht ganz vollständig." Vielsagend wackelte sie mit dem Stumpf unter ihrem zusammengebundenen Ärmel.

Sie erreichten einen schwankenden, aus verschiedenen Holzbrettern zusammen gebauten Steg, der über die Häuserschlucht, hinüber auf das nächste Dach führte. Gerade, als sie darauf traten, war hinter ihnen lautes Brüllen zu hören. Ioanne drehte sich halb herum, ihre beiden Begleiter fluchten und beeilten sich den Steg zu betreten, selbst wenn er unter ihnen besorgniserregend knirschte. Wirklich gut befestigt, schien er auch nicht zu sein.

Hinter den wehenden, rauschenden Stoffen an den Leinen, eilten schemenhafte Schatten. Helle Lichter erstrahlten und dann fuhren Flammen in große Laken, als die rücksichtslosen, suchenden Hexen der Stadtwache in verlorener Geduld die Verfolgung beschleunigen wollten. Kaum ein paar Momente später, brannte das Dach. Es strahlte flackernd und Funken sprangen tanzend in die Höhe. Eine dicke Wolke Rauch erhob sich, während Gestalten durch das Feuer sprangen und wütendes Rufen näher kam. 

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