17 - Das Feuer

(Warnung: Dieses Kapitel beschreibt Szenen eines Krieges und kein Krieg ist gerecht, auch wenn die Protagonistin der Geschichte in diesem Kapitel eine andere Meinung vertritt...)

...Einst...

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Der Himmel brannte. Glühende Bälle aus Funken, Pech und zerstörerischem Zorn schleuderten über den Horizont eines Abends, dem die Sonne entglitt, während das Inferno finaler Rache seinen Höhepunkt erreichte. Zwischen dem Knacken, Knirschen und Krachen der in sich zusammen fallenden Gebäude, flimmerten Schreie wie fernes Summen. Der Krieg roch nach Asche, Metall und verbranntem Fleisch.

Ratternd bewegten sich die gewaltigen Katapulte während Hexen bis zur Erschöpfung im Schein der Flammen standen und die gewaltigen Kugeln mit Zaubern belegten. Hände zitterten und die Haut einiger warf bereits schmerzhafte Blasen, durch das Feuer, dass sich nicht immer nur in die Stadt fraß. Doch niemand von ihnen dachte daran aufzuhören. Nicht, während die Anführerin selbst brüllend am Rand des Feldes lief und fauchender Wahnsinn in ihren Augen saß.

Sie beschossen die Stadt, bis die Mauern und Tore bröckelnd zu glühenden Funken wurden und die aufgezogene Nacht unter einem Himmel voll Rauch und einer in Gänze brennenden Stadt, nicht mehr zu erkennen war.

Die Hauptstadt des Reiches – Lutejan – fiel. Und die Hexen, die den dämonischen Zorn mit sich brachten, den man ihnen für Jahrhunderte angedichtet hatte, stürmten durch die Trümmer.

Ioanne hielt einen langen, Degen in den Händen. Die Klinge surrte und knisterte in der von grauem Rauch durchsetzen Luft. Schwer ging ihr Atem gegen das Tuch, dass sie sich vor Mund und Nase gebunden hatte. Unter ihr knirschten herab gebrochene Steine, glühende Holzbalken und zerbrochene Scherben. Verkohlte Körper lehnten an noch immer brennenden Häusern oder lagen zwischen Geröll zum Teil vergraben.

Sie bewegte sich wie gezogen, seit sie die gefallenen Tore überschritten hatten. Die meisten von ihnen waren in den Rauchschwaden zwischen huschenden Schatten und den Schreien der Überlebenden verschwunden.

Es war schwer zu sehen. Die Welt ein verschwommes Nichts, dessen, was sie einst gewesen war. Sie wandelte benommen, wie in einem unwirklichen Traum. Gehetzt und Getrieben von der Sehnsucht die Rache zu vollenden, die sie vor Jahren in Gang gesetzt hatte. An ihrer Seite blieben drei weitere Hexen und Meia. Das blonde Haar klebte wild in der Stirn der Heilerin. Kenaen – der arrogante Mistkerl – hatte sich abgewandt und Keelie war... hier. Irgendwo hier lag, was von ihr geblieben war. Ioanne hatte ihr ein gewaltiges, brennendes Grab geschaffen und die Bewohner einer Stadt als Opfer dargebracht. Nun schritt sie über den in Hitze schwellenden Friedhof auf der Suche nach dem König, der sich bereits vor Wochen in seinem Stadtpalast verkrochen hatte.

Statuen aus Marmor mit Gold und Edelsteinen lagen auf dem Boden. Teppiche aus Seide flatterten Funken sprühend über eingestürzte Vorsprünge oder hingen besiegt von Säulen herab. Der Großteil des Jahrhunderte alten Gemäuers stand stolz und aufrecht, wie ein törichter Riese, der sich weigerte, sein Haupt zu senken, wenn gleich auch sein Leib bereits alles Leben verlassen hatte. Die Hexen hatten Flammen verzaubert, die krochen und jagten und hungrig fraßen, bis die Magie, die sie trieb, wieder im Grund versank oder zur Luft über ihren Köpfen wurde.

Sie hatten die Gefangenen verbrannt, nun brannten sie ebenso. Ganz wie Ioanne es entschieden hatte. Sie, die Heerführerin. Die erste Anführerin der Hexen einer neuen Zeit. Sie, die nur zu sprechen brauchte und hunderte Ohren in ehrfürchtiger Begeisterung lauschten. Sie, die Angst und Schrecken in die Knochen ihrer Feinde trieb allein durch die Erwähnung ihres Namens. Sie... die sich bewegte wie eine Schlafwandlerin in tödlichem Rausch.


Einige Soldaten der königlichen Garde hatten überlebt. Jene, die sich nicht ergaben und auf die Gnade ihrer grausamen Eroberer hofften, stellten sich ihnen in den Weg, wo immer sie sie trafen. Blinde Loyalität oder eine Verzweiflung ohne Hoffnung. Ein ehemaliger Hexenjäger verletzte Ioanne an der Schulter. Sie hätte es ignoriert, doch Meia zwang sie stehen zu bleiben und ihr die Wunde zu zeigen.

„Wir haben bereits gewonnen, der König kann nicht fliehen", meinte sie, während ihre Finger über Ioannes aufgeschlitzte Haut fuhren. Besorgt blickte sie in das ausgezerrte Gesicht der Anführerin und hörte auf das angestrengte Atmen. All die Zauber zehrten an ihr, und zeigten bereits den Effekt der Auftrat, wenn eine Hexe sich keine Erholung gestattete. Doch statt der offensichtlichen Wahrheit zuzustimmen, fasste Ioanne erneut an die Kette mit dem Blut befleckten Stein. Hatte der König gewusst, wessen letztes Zeichen er ihr sendete? Hatte er wirklich gedacht, es würde sie nicht über die Spitze treiben? War er tatsächlich noch immer derart arrogant gewesen?

„Ich will ihn finden! Ich will ihn sehen!", zischte sie und als Meia ihre Arbeit erledigt hatte, stieß sie sie wieder von sich fort. „Wenn er noch lebt, will ich selbst dafür sorgen, dass er genauso brennt wie der Rest seiner Leute."

Meia keuchte angestrengt. „Ioanne..."

„Was!", zischte die Verzweifelte in zerfressender Wut. „Wenn du dich Kenaen und seinen Feiglingen anschließen willst, dann tu es jetzt!"

„Nein! Das meinte ich nicht." Hastig riss Meia die Hände in die Höhe. Ihr Gesicht war von Ruß verschmiert und über ihre Wange zog sich ein langer Riss, den sie mit Leichtigkeit längst hätte heilen können, wenn sie ihre Kräfte nicht ständig nur für die anderen einsetzen würde. Dann seufzte sie. „Ich werde dich nicht allein lassen. Wenn du den König finden willst, folge ich dir auch dorthin. Ich folge dir immer!" Entschieden hob sie ihr beide Hände entgegen, ehe sie sie über ihrem Herzen faltete.

Das alarmierende Rufen einer der sie begleitenden und an ihrer Seite kämpfenden Hexen ließ die beiden Frauen aufschrecken. Nur ein Stück entfernt, war es bereits wieder zu neuen Kampfhandlungen gekommen. Augenblicklich eilten sie beide herbei. Es waren mehr Soldaten als bisher.

Zwischen den Träumern, den Flammen und dem Rauch, schallte das zerstörerische Chaos Kämpfender. Die Überzahl der Hexen war wild auf die gesamte Stadt verteilt. Ein wirres inzwischen so unübliches Verhalten. Als wären sie wieder zurückgefallen in die alten Muster einer Zeit ohne geschlossene Einigkeit. Nun besaßen die Soldaten einen Vorteil, denn die Hexen gegen die sie kämpften waren erschöpft. Und selbst wenn ihr Wille ihnen Stärke gab, übten sie erst seit wenigen Jahren – manche erst seit Monaten – mit Waffen umzugehen oder überhaupt in einem Kampf zu bestehen. Nur mit Mühe klammerten die Hexen sich an ihren Vorteil.

Meia sank rasch neben einen niedergeschlagenen Kameraden und griff unter seine Arme, um ihn zur Seite zu ziehen. Dann legte sie die Hände wieder auf. Nur beiläufig erkannte sie, dass ihre Anführerin stehen geblieben war. Statt sich den Soldaten zu stellen, starrte sie an ihnen vorbei als hätte sie etwas gesehen.

„Ioanne!", keuchte die Heilerin und wollte sich wieder erheben. Der Verletzte klammerte sich verzweifelt wie ein Anker an ihre Seite. Sie ging wieder ihrer Aufgabe nach und als sie das nächste Mal den Blick hob, war Ioanne aus ihrem Blickfeld verschwunden.

Bisher hatte die Anführerin der Rebellion, den König nie persönlich gesehen. Er war wie ein Schatten der über allem lag und dessen Gestalt nur von hohen Gemälden in den Häusern des Adels hing. Oder in den Eingangshallen der Meister, so dass die Hexensklaven stets unter dem herab gerichteten Blick des bewegungslosen Herrschers vorbei huschen mussten. Die wenigsten Hexen, hatten ihn je gesehen. Dennoch war Ioanne sich sicher ihn erkannt zu haben, als er in einer Wolke aus Asche verschwand, während seine verbliebene Leibgarde ihm den Rücken deckte. Ohne zu warten, war sie ihm nach.

Hinein in den Rauch und den Gestank. Es brannte in ihren Lungen und in ihren Augen. Von allen Seiten her schienen Geräusche zu kommen. Lautes Krachen und das polternde Brechen von Mauerwerk.

Ihre Beine bewegten sich ohne unterlass und tönten dumpf auf dem Boden. Es dauerte nicht lange, dann sah sie ihn wieder. Die Silhuette einer Gestalt. Ein Mann mit breiten Schultern. Noch war er vom Rauch verschluckt, doch sie war sich sicher es bereits zu erkennen. Das arrogante Lächeln, mit dem er auf sie herabsah. Ein Gesicht aus fein gesetzten doch so eindeutig rauen Pinselstrichen.

„Euer Majestät!", schrie sie fauchend und ließ ihren Degen durch die Luft schneiden. Sie war schneller als er. Nicht zuletzt, da er ein Bein hinter sich herzog.

Auf ihre Worte hin bewegte er den Kopf. Ganz kurz sah sie einen Teil seines Gesicht, während er über die Schulter blickte. Zorn lag in seiner Miene. Ioanne knirschte mit den Zähnen. Er hatte kein Recht darauf zornig zu sein.

Sie sprang an ihm vorbei. Hin über niedergestürzte Möbelstücke in einem zerstörten Raum. Dort blockierte sie ihm den Weg und richtete ihm die Waffe entgegen. Er stoppte stolpernd. Sein Atem rasselte. Seine Haut war verschmiert. Eigentlich besaß er nur noch wenig Ähnlichkeit zu den Gemälden. Eigentlich sah er im Moment nicht viel besser aus als sie. Verletzt und verschmutzt. Nur sie triumphierte, während er nun alles verlor.

„Wie treffend, dass unser erstes Treffen nun auch unser letztes sein wird", knurrte Ioanne.

Er verengte die Augen, dann riss er sie wieder auf. „Du bist das!" Keuchend schüttelte er den Kopf über die Erkenntnis. „Ich habe häufig genug Boten für Verhandlungen geschickt."

„Für Forderungen!", verbesserte Ioanne ihn wütend. Sie griff fester um die Waffe und zog sie zur Seite um nach ihm zu schlagen, doch da raschelte mit einem Mal etwas.

Unter dem langen Mantel, den der König um sich geschlungen hielt als könne es ihn auch nur irgendwie tatsächlich beschützen, bewegte sich etwas. Im nächsten Moment, schob sich dieses etwas heraus und trat stolpernd aus dem Versteck hervor. Ein kleines Mädchen mit rundem Gesicht und Angst gefüllten Augen. Ioanne behielt ihren Degen weiter surrend in der Höhe, hielt jedoch irritiert inne.

„Nicht!", keuchte der König in plötzlicher Panik und schob sich humpelnd zwischen die Hexe und das Kind.

„Wer ist das? Was macht sie hier?" Ioanne zischte Fragen, die sie sich eigentlich bereits selbst beantwortet hatte.

„Meine Tochter", antwortete der König dennoch. „Mein jüngstes und inzwischen einziges Kind. Prinzessin Odenette."

Ohne sich umzudrehen oder den Blick abzuwenden, streckte er die freie Hand aus, um vorsichtig nach dem Kopf des Kindes zu fassen und über unordentlich aus Zöpfen ragendes, braunes Haar zu streichen. Für einen Moment allerdings nur, da er sich im nächsten schon wieder stützen musste und stolpernd gegen eine schmale Säule sackte.

Irritiert verengte Ioanne die Augen. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass er mit einem Kind unterwegs sein würde. Wollte er sich wieder hinter ihr verstecken? Sie bleckte die Zähne.

„Dachtet Ihr, ich würde Euch verschonen, wenn Ihr euch hinter der kleinen Prinzessin versteckt? So wie Ihr dachtet, ihr könntet euch hinter den Bewohnern dieser Stadt verstecken und die gefangenen Hexen töten, um mich damit zu einem schwachen Fehler zu reizen? Ihr ward lange genug ein Monster, dass sich auf seinem Thron verkroch", zischte sie mit bebender Wut.

Etwas zuckte auf der Miene des Königs. Keine Reue, kein Hass oder der Ausdruck eines Feiglings, der seinen Fehler viel zu spät erkannte. Es war Verwirrung, die durch seine Züge rutschte, ehe er die Augen verengte.

„Ich habe was getan? Sie waren meine Geiseln, ich hätte nicht auch nur eine getötet, solange sie mir von Nutzen waren. Alle von ihnen waren am Leben, bis ihr das Feuer auf die Stadt habt regnen lassen."

„W...Was soll das heißen?" Ihr war, als schob sich ein Dröhnen in ihren Kopf. Ein lautes Schlagen und Pochen, das von innen gegen ihren Schädel knallte. Er musste lügen. Er MUSSTE lügen!

„Du wurdest verraten Ioanne." Er spuckte ihren Namen vor ihre Füße. „Und du hast deine eigenen Leute selbst getötet. Genauso wie den Großteil der Bürger dieser Stadt. Soldaten, Bauern, Weber, Bäcker, Kinder... alle." Ein krächzendes Lachen arbeitete sich durch seine Kehle. „Wer ist jetzt das Monster?"

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