14 - Räuber
...Einst...
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Die schweißnassen Finger fest ineinander verkeilt, hasteten sie zwischen den dichten Bäumen des Waldes entlang. Zwei Mädchen, kaum wirklich als junge Frauen zu bezeichnen. Beide zierlich, mager aber in den teuren, übergroßen Stoff junger Herren gekleidet. Die langen Haare grob unter Mützen gestopft, die die schweißnassen Strähnen kaum wirklich zurückhalten konnten. Schwere Taschen hingen ihnen über den Schultern und rutschten immer wieder ungeschickt herab.
„Ich kann nicht mehr, Ioanne", keuchte die kleinere von ihnen leise wimmernd. Tränen schwammen in ihren großen Augen und gekringelte brauen Locken klebten ihr in der Stirn. Bisher hatte sie sich Mühe gegeben ohne jedes Klagen mit den längeren Beinen der älteren mitzuhalten, doch nun zitterte ihr Körper als könne sie jeden Moment in sich zusammen fallen.
„Wir müssen weiter Keelie. Bitte, halte nur noch ein bisschen durch, dann... dann..."
Sie blieben stehen. Ihre Schultern bebten. Ioanne rieb sich mit einer grob bandagierten Hand über die Stirn. An ihrer Schläfe klebte noch das getrocknete Blut, dass sie nur grob und in gehetzter Eile fort gewaschen hatte. In der Mühe ihrer jüngeren Schwester etwas Erleichterung zu verschaffen, nahm sie ihr die Tasche ab, um sie zusätzlich zu ihrer eigenen zu tragen. Es klirrte leise unter dem Stoff.
Decken, Essen und verschiedene Wertgegenstände, die sie in der Eile zusammengepackt hatten. Dabei wusste sie nicht einmal, ob es ihr tatsächlich gelingen würde einen goldenen Kerzenständer oder dergleichen zu verkaufen, ohne sofort unter Verdacht zu geraten. Es war die erste Idee gewesen, die ihr gekommen war. Erst jetzt begann sie wirklich darüber nachzudenken.
Aber wirklich schlimmer hatte sie es sowieso nicht mehr machen können. Eine Diebin zu sein, wurde nahezu unbedeutend, wenn man einen Mord begonnen hatte. An dem eigenen Meister zu allem Überfluss.
„Wohin gehen wir?" Keelies Beine schwankten und ihr Blick glitt zur Seite an den Rand der Straße, als der verlockende Gedanke sich einfach niederzusetzen stärker wurde. Stattdessen biss sie aber die Zähne zusammen und schien ihre Füße mit den viel zu großen Schuhen noch fester in den Boden zu drücken. Ioanne litt. Nicht nur, da ihr Körper wohl genauso schmerzte, auch, da sie bereits log, seit sie aufgebrochen waren. Sie verhielt sich, als wüsste sie was zu tun war. Dabei war sie selbst verloren und ratlos.
„Wir müssen einfach weg. Weit weg. Und das so schnell wie möglich!", erklärte sie wage.
Alles war so schrecklich schnell geschehen. Immer wieder riss die Erinnerung durch ihren Verstand und warf ihr vor, wie sie alles hätte anders tun können. Vielleicht wenn sie geduldiger gewesen wäre, vorsichtiger, besser, unterwürfiger. Eben noch hatten sie wie die anderen ihr Leben tröpfeln lassen. Früh morgens aus den Betten, um zu den Mienen gebracht zu werden, das Werkzeug, die Steine oder den Boden zu verzaubern, bis die Magie ihre unterernährten Körper in die Knie zwang und sie abends erst in den Tempel und dann in ihre harten Betten gebracht wurden. Für die jüngeren genauso wie für die älteren. Sobald eine Hexe alt genug war zu arbeiten, übergaben die Priester sie in die Obhut eines Meisters, der die Aufgabe im Erbe erhielt, die dämonischen Kreaturen zu bewachen und kontrolliert einzusetzen.
Wieder griff Ioanne nach den schmalen Händen ihrer kleinen Schwester. Es war ihre Schuld und dennoch war Keelie mit hineingeraten. In ein paar Wochen hatten sie ihren Geburtstag feiern wollen. Einer der Priester die hin und wieder gut und mitleidig waren, hatte heimlich versprochen ihnen etwas Zimtkuchen zur Seite schaffen zu wollen, wenn sie sich bis dahin gut benehmen würden. Nun müssten sie froh sein den nächsten Tag zu überleben, ehe die Soldaten oder Hexenjäger sie aufspürten.
Holpernd, aber tapfer gingen sie weiter. Der Abend senkte sich bereits und das Licht nahm den orange-roten Schein des Sonnenuntergangs an. Dämmerung flackerte zwischen den Blättern der Bäume und erinnerte Ioanne daran, dass sie irgendwann wirklich würden rasten müssen. Erschöpfung waren sie gewohnt, aber nachdem sie all die Jahre nicht in den Mienen oder den Werkstätten zusammengebrochen waren, durften sie das nun nicht auf ihrer Flucht.
Deutliches Rascheln zwischen den Bäumen ließ sie beide wieder innehalten. Nervös rückten sie näher zueinander und suchten die Böschung zu beiden Seiten ab. Waren die Hexenjäger doch schon hinter ihnen her? Oder lauerten Kreaturen in dem Dickicht? Begierig darauf die beiden jungen Hexen anzufallen und zu fressen, sobald sie nur unaufmerksam genug wären.
Es hieß in den Bergen lauerten neben Wolfsrudeln und Bären auch große, grässliche Monster mit geifernden Schnauzen und massiven Staturen.
Anstelle eines Monsters, trat dann aber ein Mensch hervor. Sehr viel weniger ungefährlich war das allerdings nicht unbedingt. Deshalb ließ auch die Anspannung der Schwestern nicht nach.
Erst waren es zwei Frauen, die jeweils von einer Seite des Waldes hervortraten und ihnen weiter vorne den Weg blockierten. Dann gesellten sich weiter hinten weitere dazu, wodurch auch ein Umkehren nicht mehr möglich war.
Die fremden trugen Lumpen oder mit Flicken grob ausgebesserte Kleidung. Ihre Haare waren zottelig, schmutzig und in ihren Augen lagen Hunger, Verzweiflung und eine lauernde Gefahr.
Ioanne schob Keelie ein Stück hinter sich, auch wenn sie wusste, dass sie kaum den Schutz würde bieten können, wie sie es so gerne wollte.
„Wir sind Hexen!", erklärte Ioanne in dem Versuch einen Hauch Sympathie zu erhalten. Die anderen waren es ebenfalls. Zumindest vermutete sie das stark. Geflohen wie sie selbst, aber augenscheinlich schon länger.
„Schön für Euch", meinte die Stimme eines Mannes, der nun ebenfalls vor ihnen aus dem Wald trat. Er trug einen eingerissenen Mantel, einen schiefen Hut und eine Binde aus schmutzigem Stoff über dem rechten Auge. Dunkle Strähnen hingen ihm wirr in die Stirn hinein. Etwas Kaltes lag in der Art wie er sprach und das eine Auge, mit dem er sie beide beobachtete, erinnerte sie an einen Jagdfalken. Er war selbst wahrscheinlich nicht sehr viel älter als Ioanne. Doch er stand da, als wäre er der Anführer dieser Bande räuberischer Hexen.
Er hob die Hand und deutete auf die beiden Taschen, die Ioanne über ihrer Schulter trug.
„Dann habt ihr ja sicher keine Probleme damit etwas davon abzugeben. Wenn wir doch alle so viel gemeinsam haben."
„Das ist alles, was wir haben", knirschte Ioanne wütend.
„Ich versteh nicht, inwiefern das unser Problem ist", gab der Räuber zur Antwort, während er weiter auf sie zuging. Auch die beiden weiblichen Hexen an seiner Seite bewegten sich voran. Keelie klammerte ihre Finger tiefer in Ioannes Seite. Dann keuchten die Schwestern beide erschrocken als der fremde Hexer zwei Dolche aus seinen Ärmeln heraus in seine Hände rutschen ließ. Gleichzeitig leuchteten beide in einem dunklen, falschen Licht und warfen einen flackernden Schein wie Flammen um ihre Klingen. Hinter ihnen ging eine weitere Hexe in die Hocke und legte ihre Hand flach auf den Boden. Der Grund schien bereits leicht zu vibrieren und herabgefallenes Laub so wie kleine Steinchen, erhoben sich nahe ihrer Finger zitternd in die Luft. Es war eine Magie wie die Schwestern sie noch nie gesehen hatten. Hexen durften keine Waffen halten. Selbst das Werkzeug für die Minenarbeit berührten sie nur für die Verzauberung. Und den Boden zu verzaubern war so kompliziert, dass Ioanne nicht gedacht hätte, es könne als Angriff verwendet werden.
„Wir haben es gestohlen!", kam es ganz plötzlich von Keelie mit nach Luft schnappender Stimme. Sie hielt sich weiter an Ioanne fest, streckte aber tapfer das Kinn in die Höhe.
Der einäugige Räuber blieb stehen und runzelte irritiert die Stirn.
„Du bist kein besonders kluges Kind, oder?", meinte er schnaubend. „Dasselbe haben wir auch gerade vor."
Keelie schob sich noch etwas weiter vor, selbst wenn Ioanne sich Mühe gab es zu verhindern.
„Aber wir haben es gestohlen, nachdem wir unseren Meister getötet haben. Ihr werdet nichts damit anfangen können, wenn ihr nicht sofort die Hexenjäger auf eurer Spur haben wollt."
Panisch sah Ioanne auf ihre Schwester herab. Bisher hatten sie selbst nur zu zweit noch nicht davon gesprochen. Nun warf sie es einfach einem Fremden entgegen. Doch etwas an seiner Haltung veränderte sich. Auch die beiden hinter ihm warfen sich nun unsicherer Blicke vor. Leise raunten ein paar ehe ihr Anführer mit einem leisen Fluchen das Wort wieder an sich riss.
„Scheiße, und ihr meint zu wissen, wie es ohne die Hexenjäger geht?"
Daraufhin schwieg Keelie wieder nervös.
Ioanne schüttelte den Kopf.
„Wissen wir nicht. Ich... Ich dachte nur es zu nehmen wäre besser als... nichts?"
Der Räuber lachte unterkühlt.
„Ihr habt Euren Meister gemeinsam getötet?"
„Nein, ich war es", presste Ioanne hervor.
Wieder kam er näher. Diesmal nur er, während er seinen Blick eindringlich musternd über sie gleiten ließ.
„Und wieso hast du es getan? Nicht dass es einen wirklichen Grund geben müsste. Aber rein aus Neugierde."
„E... Es war keine Absicht." Sie schluckte schwer und sah hilfesuchend zu den anderen. Niemand reagierte. Weshalb auch. Sie und ihre Schwester waren fremde junge Frauen mit gestohlenem Gold in den Taschen. Er war der Anführer, der alles Recht an diesem kleinen Ort besaß, um in ihren Wunden zu bohren.
„Hat er dich angegriffen?"
„Nein! Ich meine... ja... ich..."
Keelie griff vorsichtig nach ihrer Hand und drückte sie fest.
„Er meinte jemand hätte Essen gestohlen und wir wüssten, wer es gewesen sei. Als wir ihm nicht antworteten, wie er wollte, wollte er uns bestrafen. Er hat den Stock gezogen, ich habe etwas dummes gesagt und er hat mich geschlagen. Aber ich wollte ihn nur von mir schubsen. Dass er in den Spiegel fällt, war ein Unfall."
Wieder erinnerte sie sich an das Bild, als er verwirrt zu ihr aufsah, ehe er aufhörte zu atmen. Überall lagen Scherben und Blut am Boden verteilt. Schimmernde Oberflächen die ihre die eigene entsetzte Spiegelung entgegen warfen, während sie sich noch über ihn lehnte und Keelie am anderen Ende des Zimmers nach Luft schnappte.
Der Räuber klickte mit der Zunge.
„Ein Unfall?", meinte er, als würde er es bezweifeln.
„Ich bin keine Mörderin!", zischte Ioanne gereizt.
„Aber jetzt wirst du gesucht als eine." Sein Blick rutschte tiefer auf die kleinere Gestalt schräg hinter ihr. „Ihr beide, wenn ich das richtig verstehe."
Hinter ihnen endete das Beben des Bodens und die Hexe, die den Zauber aufrecht gehalten hatte, erhob sich wieder.
„So wie wir alle, Kenaen", meinte sie, während sie den Mann vor ihnen mahnend ansprach. Er stieß ein Zischen aus. Kritisch sah er Ioanne an.
„Weist du, was ich glaube?" Seine Stimme war leiser geworden und er stand inzwischen so dicht vor ihnen, dass seine hoch gewachsene, drahtige Statur wie ein dunkler Schatten über ihnen gegen das letzte Licht ragte. „Ich glaube, dass du nach Ärger riechst. Vielleicht war das hier ein Versehen, aber du hast nicht nur ein Mal darüber nachgedacht es mit Absicht zu tun."
Wütend bleckte Ioanne die Zähne und bewegte sich gemeinsam mit Keelie ein paar Schritte fort von ihm. Er folgte ihnen nicht und ließ die glimmenden Klingen wieder verschwinden.
„Schätzt euch glücklich. Wir rauben euch nicht aus. Ihr dürft euch uns anschließen", verkündete er auf eine Art die genauso großzügig wie herablassend klang.
Ioanne spürte eine Enge in ihrer Brust. Eine gewisse Erleichterung, genauso wie ein Zorn über sein Verhalten. Mehr noch aber empfand sie Angst. Angst davor, dass er erkannt hatte, was sie wirklich so sehr in Panik versetzt hatte. Sie sah es noch immer vor sich. Der sterbende Leib ihres Meisters, der so kläglich vor ihr starb, während in zahlreichen Scherben neben ihm, ihr eigenes Gesicht ein zufriedenes Lächeln auf den Lippen trug. Jedenfalls so lange, bis es ihr aufgefallen war uns sie erschrocken zurück hatte stolpern lassen. Es war ein Unfall gewesen. Aber selbst, wenn sie es sich noch so sehr einredete... eigentlich keiner, den sie aus tiefstem Herzen bereute.
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