8. Das Erbe
Als Kate die Seite umblättert, ertönt ein unangenehmes Knarzen. Vorsichtig lege ich eine Hand unter den Buchrücken, um sicher zu gehen, dass nicht noch mehr lose Seiten herausfallen. Wir liegen zusammen auf der Matratze, die nach wie vor das einzige Einrichtungsstück meines Zimmers ist. Mittlerweile zeigt der Radiowecker schon viertel nach zwölf an. Draußen in der Stadt ist nicht mehr viel los. Die laut quatschenden Stimmen sind vor ein paar Augenblicken verstummt und jetzt dringt nur noch die langsam abkühlende Luft bis in mein Zimmer vor. Alle Restaurants schließen um Mitternacht und die Leute machen sich auf den Weg in ihre Betten. Selbst Tourist:innen sind um diese Uhrzeit nicht mehr auf den Straßen anzutreffen.
Kate und ich sind schon seit Stunden auf meinem Zimmer, lesen uns das alte Tagebuch durch und unterhalten uns gelegentlich über die Einträge. Meine Schwester war dafür, dass wir auf die letzte Seite vorblättern, um zu sehen, was dort geschrieben steht, aber ich habe mich geweigert. Bei Büchern soll man die Chronologie nicht durchbrechen, finde ich. Ich mag es nicht, schon zu wissen, wie die Geschichte ausgeht, wenn ich noch nicht mal den Höhepunkt erreicht habe. Im Gegensatz dazu liest Kate bei Büchern grundsätzlich das letzte Kapitel zuerst.
Wir haben ein paar Fotos gefunden, die eine Frau, vermutlich Maria, zeigen. Den Daten, die auf der Rückseite der Bilder notiert sind, lässt sich entnehmen, dass die Fotos zwischen dem 24.09.1954 und dem 03.11.1999 aufgenommen wurden. Die ersten Bilder sind schwarz-weiß und vergilbt, während die Farben auf den letzten geradezu glänzen. Auf einigen Fotos ist Maria alleine zu sehen, auf anderen zusammen mit zwei kleinen Jungs.
Innerhalb von zwei Stunden haben wir es geschafft, drei Jahre aus dem Leben der mysteriösen Vorbewohnerin unseres Hauses zu verinnerlichen, die sich auf den ersten fünfzig Seiten des Tagebuches wiederfinden. Wir sind schon beim 23.01.1957 angelangt. Mittlerweile studiert sie bereits seit drei Jahren an der Universität in Rom. Sie findet ziemlich schnell Anschluss und viele Freund:innen. Sie scheint vollkommen in ihrem Studium aufzugehen. Das Lernen macht ihr Spaß und sie ist sogar dem Schachclub der Universität beigetreten. Und dann ist da noch Bernardo Falcini, der Physik und Geschichte studiert und den Maria als die, ich zitiere, „menschliche Reinkarnation eines römischen Gottes mit Muskeln gegen die selbst ein Topathlet keine Chance hat und stahlblauen Augen, so tief wie das Meer" beschreibt.
Bei den Worten wird mir übel. So unrealistisch und schwärmerisch kann doch niemand sein!
„Einen Brecheimer bitte", kommentiere ich an dieser Stelle , woraufhin Kate nur kichert.
Es ist natürlich klar, dass der größte Traum der jungen Frau ab sofort nicht mehr darin besteht, Lehrerin zu werden, sondern diesen römischen Gott Bernardo Falcini zu heiraten.
Anfangs sah es so aus, als sollte ihr dieser Wunsch verwehrt blieben. Aber dann änderte sich alles.
Mittwoch, 23. Januar 1957
Ich fasse es nicht, Bernardo lud mich tatsächlich zu einer Privatstunde bei seinem Professor ein, der versucht, die Wahrheit hinter Legenden der Antike herauszufinden.
„Uh... er hat sie tatsächlich eingeladen", säuselt Kate mit verstellter Stimme, woraufhin wir beide in Gelächter ausbrechen. Dann werden wir jedoch wieder ernst und lesen weiter.
Bernardo ist besonders fasziniert von den Legenden von Pergula, einem Schöpfungsmythos, der angeblich in Asien weit verbreitet ist, aber hier in Europa seinen Ursprung hat. Er gab mir ein paar Bücher über die Legenden von Pergula mit, die ich zur Vorbereitung unbedingt lesen sollte und ich kann jedes einzelne Wort dieser Legenden auswendig.
Die Geschichte, auf der die Legenden basieren, trug sich angeblich in einem toskanischen Dorf an der Küste zu, ganz in der Nähe vom Weingut meiner Eltern! Heute existieren jedoch kaum mehr als ein paar Grundsteine dieses Dorfes. Bernardo unternahm mit seinem Professor bereits eine Exkursion zu diesem Ort und vielleicht fährt er mit mir noch einmal dorthin. Das wäre so romantisch!
Freitag, 25. Januar 1957
Die Stunde mit Bernardo und seinem Professor war seltsam. Die Legenden sind wahr! Ich sah es mit eigenen Augen! Sie sind tatsächlich wahr.
Anders kann ich mir die Experimente nicht erklären, die sie durchführten. Es ist die pure Magie. Bernardo kann Wasser aus dem Nichts heraufbeschwören und das Feuer, das sein Professor herbeizaubert damit löschen. Sogar ich kann etwas derart Unnatürliches, nämlich Luftströme durch den Raum schicken. Kleine Windböen, die gutgeordnete Dokumente durcheinander bringen.
Fehlt nur noch die Kraft der Erde, dann sind wir komplett. Zumindest mit der Macht der Artefakte. Die wirklichen, echten Elementträger verstecken sich da draußen. Irgendwo auf dieser Welt. Bernardo und sein Professor erzählten mir von dem Geheimbund der vier Elemente. Vielleicht finden wir die Elementträger ja dort.
Dieser Eintrag lässt uns beide verwirrt und mit einem komischen Gefühl im Magen zurück. Was bedeutet das? Worum geht es überhaupt in den Legenden von Pergula? Welche Experimente hat die junge Frau damals mit Bernardo Falcini und dessen Professor durchgeführt? Und vor allem, was soll das Gerede von Magie?
„Jetzt ist sie durch Bernardo Falcini in die Drogenszene gerutscht", entfährt es mir, aber Kate zuckt unschlüssig mit den Schultern. Sie glaubt diesen wirren Mist doch nicht etwa?
„Ich wüsste gerne, was die Geschichte hinter den Legenden von Pergula ist", sagt sie leise, „vielleicht könnten wir diesen Eintrag dann irgendwie einordnen."
„Du glaubst das doch nicht etwa, oder?", frage ich erschrocken. Was dort auf den Seiten steht, ist ziemlich großer Schwachsinn und sollte Maria tatsächlich daran glauben, nur durch übermäßigen Drogenkonsum mit gravierendem Realitätsverlust zu erklären.
„Nein Nini, mal ganz ehrlich. Ich glaub nicht, dass die Frau einen Knall hatte. Okay, sie ist ein bisschen naiv und leichtgläubig, aber wenn du die Notiz am Anfang anschaust, wird doch schon klar, dass sie schließlich auf den harten Boden der Tatsachen zurückgeholt wurde. Warum sonst sollte sie wohl schreiben: Erfahre etwas über die Legenden, die Elemente und jene, die sie missbrauchen. Dieses Buch birgt Gefahren und bringt Wissen. Wie du mit dem, was du lernst, umgehst, steht allein in deiner Entscheidung?"
Ja, über diese Sätze habe ich mich auch schon gewundert. Langsam wird mir das zu blöd. Was soll ich überhaupt mit so einem Tagebuch anfangen? Vielleicht ist alles gar nicht echt und nur ein übler Streich der Vorbesitzerin dieses Hauses. Bestimmt will sie uns mit diesem Schwachsinn ärgern.
Trotzdem muss ich zugeben, dass Kate möglicherweise Recht hat. „Also glaubst du, dass wir mehr über Bernardo Falcini und die Legenden von Pergula herausfinden sollten?"
„Es sind die einzigen Anhaltspunkte, die wir haben, oder?", seufzt Kate und legt sich zurück auf die Matratze. Um es nicht zu beschädigen, klappe ich das Tagebuch vorsichtig zu und lasse mich neben meiner Schwester ins Kissen sinken. Die Legenden von Pergula. Bernardo Falcini. Am liebsten hätte ich die Begriffe sofort gegoogelt, aber in diesem Haus gibt es keinen Internetanschluss. Also muss unsere Recherche wohl bis morgen warten, wenn wir den Computer im Büro unserer Großeltern benutzen können.
Schließlich jedoch fällt mir ein, was Grandpa gestern über dieses Haus gesagt hat. Erschrocken richte ich mich wieder auf. „Unsere Großeltern haben das Haus doch geerbt, oder?", will ich begeistert wissen.
„Hm", brummt Kate. Die Augen hält sie dabei fest geschlossen. „Ich glaube so was Ähnliches haben sie gestern erwähnt", gähnt sie.
„Dann ist es nur logisch, dass dieses Tagebuch von den Leuten stammen muss, die früher hier gelebt haben", schlussfolgere ich, „wenn Nonna und Grandpa sie kannten, können wir von ihnen mit Sicherheit auch erfahren, wer das Buch hier hinterlassen hat."
Das ist der einfachste Weg und auch Kate hält das für eine gute Idee, selbst wenn sie ausnahmsweise ein bisschen skeptisch ist. „Wie wollen wir das anstellen, ohne dass sie von dem Tagebuch erfahren?"
Das Tagebuch soll unser Geheimnis bleiben, das haben wir einander geschworen, gleich als ich ihr meinen neusten Fund zeigte. Nicht mal Maddie darf ich erzählen, welche Entdeckung wir gemacht haben und glaubt mir, wenn ich euch sage, dass es mir unglaublich schwer fallen wird, meiner besten Freundin etwas zu verheimlichen. Genau wie Kate weiß sie alles über mich, einfach alles.
„Ich weiß nicht, wir können zunächst einfach mal fragen, wer hier gelebt hat. Ein bisschen Interesse daran ist doch nur natürlich. Immerhin wohnen wir in diesem Haus", schlage ich vor. An den Gedanken, dass wir hier wohnen, will ich mich noch nicht so ganz gewöhnen.
Noch lange liegen Kate und ich nebeneinander auf der Matratze und spekulieren darüber, wie die Besitzerin des Tagebuchs war. Was waren ihre Hobbys, von denen man auf den vergilbten Seiten nur wenig erfährt? Wer war sie? Und woher kam sie? Laut dem Tagebuch heißt sie Maria. Aber wie weiter?
Manchmal stellen wir uns genau dieselben Fragen über unseren Vater. Obwohl er die Familie verlassen hat, sind wir doch neugierig, was er macht, welchen Job er hat, ob er ab und zu an uns denkt und ob er die Entscheidung, sich von uns zu trennen, heute vielleicht bereut. Wir stellen uns in diesen Momenten vor, wie er mittlerweile wohl aussieht. Die Fotos, die wir von ihm zu Gesicht bekamen, sind nicht unbedingt zahlreich und auch unsere Erinnerungen sind verschwommen.
Mum behauptet immer, das ich ihm ziemlich ähnlich bin, aber das will ich nicht glauben, wenngleich ich nicht besonders viele äußerliche Gemeinsamkeiten mit ihr und Kate habe. In unserem Trio wirke ich wie eine Außenseiterin.
Kennenlernen will ich meinen Vater trotzdem nicht. Genaugenommen wäre es mir ganz recht, wenn ich ihn nie wieder treffen müsste. Kate dahingegen würde sich wahrscheinlich wahnsinnig freuen, wenn sie seinen Namen oder seine Adresse herausbekäme. Dann würde sie vermutlich sofort zu ihm fahren, um an seiner Haustür zu klingeln, wo ihr, mit der allergrößten Wahrscheinlichkeit eine Enttäuschung bevorsteht. Davor möchte ich sie gerne beschützen, aber das liegt nicht in meiner Macht.
„Ich bin froh, dass du mir das Tagebuch gezeigt hast", nuschelt Kate, während sie trotz der Hitze die Bettdecke über ihre Beine legt, „jetzt haben wir ein richtiges Abenteuer, mit dem wir unsere Zeit verbringen können. Und ein Schwesterngeheimnis."
Wenige Minuten später schläft sie tief und fest auf meiner Matratze. Obwohl ihr Körper Wärme ausstrahlt, die mich zusätzlich zum Schwitzen bringt, schicke ich sie nicht weg. Dafür bin ich einfach viel zu froh, dass sie bei mir ist.
~
Am nächsten Morgen wache ich für meine Verhältnisse ziemlich spät auf. Allerdings nicht so spät wie Kate, die unter der Decke gemütlich vor sich hinschlummert. Was wohl gerade in ihrem Kopf vorgeht? Träumt sie oder befindet sie sich in einer fantasielosen Schlafphase?
Heute schaffe ich es, mich anzuziehen, bevor die Klingel erschrillt. Stöhnend mache ich mich auf den Weg nach unten, weil ich schon genau weiß, wer mich dort erwartet. Ein unangenehmes Ziehen breitet sich in meiner Magengegend aus. Wie immer, wenn eine lästige Begegnung bevorsteht.
Als ich die Tür öffne, stelle ich fest, dass Lucca nicht alleine ist. Er hat meinen Freund mitgebracht. Den Kläffer. Aufgeregt springt er an mir hoch und bellt sogar ein paar Mal. Sein wedelnder Schwanz schlägt gegen meine Beine, während er erwartungsvoll zu mir aufsieht.
„Der kommt nicht ins Haus", stelle ich klar. Ich will mich mit meiner Angst vor Hunden nicht noch mehr vor Lucca blamieren als ohnehin schon.
„Doch", meint er und hält dem giftigen Blick aus meinen Augen stand.
„Ich habe eine Hundehaarallergie", lüge ich. Vielleicht kann ich mir den Köter ja so vom Hals schaffen.
„Und ein paar Neurosen", fügt Lucca spöttisch hinzu, „du solltest dich mal untersuchen lassen."
„Und du... du lässt mich sofort in Ruhe!", stammele ich, woraufhin er nur mit dem Kopf schüttelt und an mir vorbei ins Haus tritt. Unaufgefordert. Es ärgert mich, dass ich so sprachlos bin. Normalerweise läge mir die nächste schlagfertige Aussage bereits auf den Lippen.
„Ich habe frei und dein Großvater bezahlt mich dafür, dass ich hier helfe. Ich brauche das Geld, deshalb komme ich. Aus keinem anderen Grund, das kannst du mir glauben." Wie kann sich Lucca nur so unmöglich verhalten? Ist er etwa immer noch sauer wegen meines Kommentars gestern?
„Hoffentlich bezahlt er dir nicht mehr als fünf Euro pro Tag. Alles andere wäre Wucher." Na bitte. Das kann ich also doch noch. Im Gemeinsein bin ich gut. Ungeschlagen, wie Maddie immer behauptet. Aber hier habe ich es mit einem ziemlich geschickten Gegner zu tun.
„Allein dafür, dass ich es mit dir aushalten muss, sollte er mir eine Gehaltserhöhung geben, findest du nicht?" Lucca grinst ein hämisches, gemeines Grinsen, das keine Spur von Freundlichkeit aufweist und winkt nun auch noch den Hund in den Flur.
Wütend verschränke ich die Arme vor der Brust. „Na, herzlichen Glückwunsch, du hast soeben einen ganzen Tag mit mir gewonnen!"
„Oh. Welch wunderbare, einmalige Chance!"
„Dito."
Ich habe keine Lust mehr, mich mit diesem Kotzbrocken herumzuschlagen, aber er läuft scheinbar gerade erst zu Hochtouren auf, denn er drückt mir eine kleine Papiertüte in die Hand. „Hier, für dich. Ein Geschenk", haucht er. Ich kann mir nur allzu gut vorstellen, dass mich dieses Geschenk überhaupt nicht begeistern wird. Vermutlich versteckt sich hier eine weitere Gemeinheit. Aber aufmachen muss ich es ja früher oder später.
Trotzdem warte ich, bis Lucca mir den Rücken zugedreht hat, damit er meinen Gesichtsausdruck nicht sehen kann. Vorsichtig und auf alles gefasst, reiße ich die Tüte auf. Ekelhafter Gestank dringt mir entgegen. Hundekekse.
Sofort springt der Kläffer wieder an mir hoch. Erschrocken lasse ich die Kekse fallen. Meinem Mund entfährt ein empörtes Quieken. Natürlich entgeht Lucca nichts von alldem. Spöttisch grinsend dreht er sich zu mir um.
Eine gute Sache hat die Spannung, die zwischen uns herrscht, aber doch. Lucca versucht gar nicht erst, mit mir zu reden. Wir arbeiten beide schweigend zusammen und kommen heute sogar besser voran als gestern. Jeder ist darauf bedacht, nicht den kleinsten Fehler zu machen, aber ohne seine Zigaretten hält es Lucca nicht lange aus. Deshalb stürmter heute sogar noch öfter als gestern auf die Straße, um zu rauchen. Am liebsten hätte ich einen dumme Kommentar dazu abgegeben, aber ich beschließe, es sein zu lassen. Besser, Lucca und ich reden so wenig wie möglich miteinander.
Irgendwann gegen Mittag stößt eine verschlafene Kate zu uns. Von diesem Moment an ist Lucca wieder freundlich zu mir und auch ich gebe mir Mühe, nett zu sein.
Lucca erscheint noch zwei weitere Morgen vor unserer Tür, danach ist das Haus endlich eingerichtet (in dem letzten Raum, meinem Zimmer, habe ich die Möbel alleine aufgestellt, damit Lucca bloß fernbleibt) und er lässt sich gottseidank nicht mehr blicken. Dafür statten uns Nonna und Grandpa einen Besuch ab. Nonna bringt selbstgebackene Cantuccini mit, die ziemlich gut schmecken und Grandpa betrachtet unser fertig eingerichtetes Heim staunend.
„Das habt ihr ziemlich gut gemacht." Er nickt anerkennend und schreitet langsam über den knarzenden Dielen auf und ab.
„Sehr gemütlich", seufzt Nonna und lässt sich in einen der Sessel im Wohnzimmer plumpsen. Zufrieden verschränkt sie die Arme vor der Brust und lächelt uns an.
„Habt ihr das Haus wirklich geerbt?", frage ich an dieser Stelle interessiert.
Daraufhin nickt Grandpa erneut, beginnt aber erst nach einem Moment zusprechen. Die Reaktion von Nonna ist noch seltsamer. Tränen schießen ihr in die Augen.
„Eine gute Freundin deiner Großmutter ist vor einem halben Jahr gestorben. Ich weiß nicht, warum sie uns das Haus vermacht hat und nicht ihrer Familie, aber ich bin ihr ziemlich dankbar dafür, denn sonst wäre unsere Wohnungssuche für euch wohl kaum erfolgreich verlaufen."
„Wie hieß eure Freundin?", hake ich erstaunt nach. So langsam habe ich eine Ahnung, wem das geheimnisvolle Tagebuch gehört haben könnte. Auch Kate, die auf einem Stuhl neben Nonna sitzt, lehnt sich vor, um bloß nichts zu verpassen.
„Maria Vecca." Nonna seufzt, während sie eins der Cantuccini in die Hand nimmt. „Sie war krank." Maria. Das passt. Bei der Freundin unserer Großeltern muss es sich also um die Frau handeln, der das Tagebuch gehört hat.
„Das tut mir leid", flüstert Kate und nimmt Nonna tröstend in den Arm. Mit kreisenden Bewegungen streicht sie ihr über den Rücken, woraufhin meine Großmutter nur die Schultern hochzieht und meint: „So läuft das Leben."
„Kanntet ihr sie schon lange?", frage ich. Vielleicht wissen meine Großeltern ja auch, wer Bernardo Falcini ist und können uns mehr von dem Unsinn berichten, die er ihr mit den Legenden von Pergula in den Kopf gesetzt hat. Zu meiner Enttäuschung antwortet mein Großvater: „Das kommt drauf an, was du als lange bezeichnest. Eigentlich erst seit zwanzig Jahren, als ihr Mann Simone starb und sie hierher gezogen ist."
Ich stutze. Simone, nicht Bernardo. Also hat Maria diesen gutaussehenden Studenten wohl nicht geheiratet. Damit scheint alles geklärt zu sein, denn Nonna und Grandpa erwähnen Maria Vecca ab sofort mit keinem Wort mehr, obwohl ich noch ein paar Mal versuche, sie auf dieses Thema zu zustupsen, schweigen sie beharrlich. Selbst als ich mich dazu bereit erkläre, mit ihnen zum Einkaufen nach Grosseto, in die nächst größere Stadt, zu fahren, bekomme ich nicht mehr aus ihnen heraus.
Bleibt also noch die Option Internet. Kate und ich geben Maria Vecca, die Legenden von Pergula und Bernardo Falcini in diversen Suchmaschinen ein, ohne dass sich ein brauchbares Ergebnis finden lässt. Alle Seiten über die Legenden von Pergula sind gesperrt oder nicht verfügbar. Maria Vecca existiert im Netz praktisch gar nicht. Es gibt keinen Facebookaccount, keine Zeitungsartikel, nicht mal eine Todesanzeige. Was Bernardo Falcini betrifft, so landen wir hier unseren einzigen brauchbaren Treffer. Auf der Homepage von der Universität in Rom sind nämlich diverse Bücher von Professoren aufgelistet und er gehört mit seinem Werk „Die Alchemie der Elemente" dazu.
Professor also. So weit hat er es in seinem Leben gebracht. Ob Maria ihn auf seinem Weg vom Studenten zum Professor begleitet hat? Herausfinden werden wir es nur, wenn wir weiterlesen, aber das hat wenig Sinn ohne die fehlenden Bausteine.
Die nächsten Tagebucheinträge handeln alle von den Legenden von Pergula. Maria setzt scheinbar voraus, dass den Lesenden der Inhalt dieser Legenden bekannt ist, denn in keinem Satz wird die dahinterstehende Geschichte erklärt und auch das Wort Magie wird willkürlich verwendet.
So hat unser kleines Abenteuer ein abruptes Ende. Enttäuscht verstaue ich das Tagebuch in meinem Nachttisch. Ich beschließe, es erst wieder hervorzuholen, wenn ich weiß, was es mit den Legenden von Pergula auf sich hat. Hoffentlich werde ich das irgendwann einmal erfahren. Falls nicht, muss ich das Tagebuch wohl wieder unter der losen Diele verstecken.
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