30. Pietros Geheimnis

„Kate!" Erschrocken stürze ich auf meine Schwester zu und der Wasserstrahl, den sie heraufbeschworen hat, fällt in sich zusammen. Platschend übergießt er meine Beine.

Fassungslos sehe ich meiner kleinen Schwester ins Gesicht. Ihre Wangen sind gerötet und ihr Blick ist glasig-abwesend. Sie schaut mich nicht direkt an. Vermutlich ist ihr gar nicht bewusst, was sie soeben getan hat. Dabei haben wir einander geschworen, dass wir niemals in der Öffentlichkeit ihre besondere Fähigkeit zur Kontrolle eines Elements auch nur erwähnen. Von diesem Schwesterngeheimnis sollte doch niemand erfahren.

„Du kommst jetzt mit!", verlange ich und umklammere ihren Oberarm fest.

„Aua, du tust mir weh!", protestiert sie, doch ich ziehe sie gnadenlos auf die Beine, da ich befürchte, dass sie sonst noch mehr Schaden anrichten könnte. Es erschreckt mich, dass ihr nicht mal bewusst ist, in welche Gefahr sie sich soeben gebracht hat.

Verängstigt sehe ich über ihre Schulter in die Menge, dorthin, wo ich die Gestalt in der Pestmaske entdeckt habe. Aber ich kann sie in den schmalen Gassen nicht mehr ausmachen. Hoffentlich war sie niemals wirklich da. Oder sie ist verschwunden. Nervös kaue ich auf meiner Unterlippe herum, dann wende ich mich wieder Kate zu.

„Du bist betrunken, du musst in dein Bett!", zische ich meiner Schwester entgegen, „und wehe, du machst noch irgendetwas anderes, außer deine Füße zu bewegen und nach Hause zu laufen!" Ich ahne schon, dass meine Worte nicht wirklich bei ihr ankommen. Morgen, wenn sie wieder nüchtern ist, kann sie was erleben...

Nur langsam drehe ich mich um, da ich Lucca und Pietro nicht in die Augen sehen möchte. Doch die beiden blicken sowieso nicht mich an, sondern meine Schwester. Ihre Gesichter sind blank vor Erstaunen. Pietro schwankt regelrecht auf und ab. Lucca hält die Hände vor dem Bauch gefaltet, doch ich kann erkennen, dass sie zittern.

Wird er mir jetzt verraten, dass er und Emma auch Elementträger sind? Oder traut er sich das trotz allem nicht vor anderen Leuten? Aus irgendeinem Grund hoffe ich, dass er schweigt und der Vorfall schnell in Vergessenheit gerät. Vielleicht können dann alle Augenzeugen die Fähigkeiten meiner Schwester als Einbildung abtun. Doch dass das illusorisch ist, weiß ich selbst.

„Wir müssen jetzt gehen, gute Nacht!", sage ich zu Pietro und Lucca, bevor sie uns auf Kates Element ansprechen können und ziehe daraufhin, ohne eine Antwort von den Jungs abzuwarten, meine Schwester hinter mir her.

Die Stille, die Kate und ich hinterlassen, ist mir unangenehm. Deshalb bin ich erleichtert und angeekelt zugleich, als ich den Würggeräuschen, die kurz darauf erklingen, entnehme, dass sich Davide nun scheinbar doch übergibt. Trotzdem drehe ich mich nicht noch einmal um.

Auf dem Heimweg begegnen uns nur wenige Menschen, die ebenfalls nach Hause oder ins Hotel und zum Auto wollen. Sie wirken allesamt müde und zufrieden. Aufmerksam sehe ich mich um, doch die Gestalt mit der Pestmaske ist verschwunden. Vielleicht habe ich sie mir auch nur eingebildet, doch ein ungutes Gefühl bleibt trotzdem in mir zurück. In letzter Zeit ist zu viel geschehen, um alles einfach nur als Einbildung abzutun. Seit ein paar Wochen weiß ich kaum noch, was wirklich ist und was nicht. Alles, woran ich geglaubt habe, wurde durch die Tatsache erschlagen, dass Kate das Element Wasser beherrscht. Seitdem erwarte ich, dass so gut wie alles möglich ist.

Zu Hause verriegele ich deshalb erst mal die Tür. Dann knöpfe ich mir meine Schwester vor. „Was hast du dir dabei gedacht?!", fahre ich sie an.

„Wobei denn?", fragt sie unschuldig und grinst mich an, als wäre nichts geschehen.

„Du hast dein Element benutzt. Vor allen anderen!"

„Na und? Ist doch nichts dabei", behauptet Kate und zuckt lässig mit den Schultern.

„Nichts dabei?!" Ich kann nicht glauben, was ich da höre. Sie hat Marias Tagebuch doch auch gelesen und sie war auch bei den Ruinen und wurde von den Cinquenti verfolgt. Da müsste ihr doch eigentlich klar sein, welche Gefahr von Falcini und seinen Spionen ausgeht. So betrunken kann sie gar nicht sein, dass sie sich daran nicht mehr erinnert.

„Pietro und Lucca wissen, dass die Legenden von Pergula wahr sind und vermutlich kennen sie auch Maria Veccas Geschichte. Die beiden haben das eben gesehen. Ist dir bewusst, was das bedeutet?"

„Dass sie jetzt wissen, dass ich das Wasser beherrsche", plaudert Kate munter vor sich hin, „und egal, was jetzt passiert, es wird sich vermutlich etwas ändern. Wurde doch auch Zeit, findest du nicht?" Ja, das wird es. Aber insgeheim hoffe ich trotzdem, dass nichts Schlimmes geschehen wird. So ist die Hoffnung. Absolut unrealistisch und nicht mit der Vernunft zu begründen.

Am liebsten hätte ich Kate an den Schultern gepackt, sie geschüttelt und ihr entgegen geschrien, wie verantwortungslos ihr Verhalten doch ist. Nur mit Mühe reiße ich mich zusammen. Unnatürlich ruhig fahre ich fort. „Natürlich werden Lucca und Pietro jetzt irgendetwas tun! Und ich denke, dass wir von den beiden zum Glück nicht wirklich viel zu befürchten haben. Aber dort unten am Hafen war eine der Gestalten mit den Pestmasken. Falcinis Spione. Die von den Ruinen, erinnerst du dich?"

„Ja und? Damals wurden wir doch gerettet."

„Du kannst dich nicht darauf verlassen, dass noch mal jemand aus dem Nichts auftaucht und dir das Leben rettet!", werfe ich ihr entgegen. Ich kann nicht fassen, wie unglaublich naiv meine Schwester ist. Ein bisschen bin ich aber selbst Schuld an der Situation. Ich hätte ihr und ihren Freund:innen den Alkohol schon am Strand wegnehmen sollen, statt zuzusehen, wie sie sich betrinken. Denn dann hätte Kate niemals ihre Selbstbeherrschung verloren und ihr Element benutzt. Ich verfluche mich dafür, dass ich auf Lucca und Pietro gehört habe, als sie meinten, es wäre doch kein Problem, wenn Kate trinkt.

Unter großem Protest bringe ich Kate dazu, ins Badezimmer zu gehen und sich wenigstens die Zähne zu putzen. Ins Bett will sie danach natürlich nicht. Ich fühle mich, als müsste ich mit einem kleinen Kind reden, aber ein Kind zu Bett zu bringen, wäre in diesem Moment einfacher gewesen. Deshalb setze ich mich geduldig neben meine Schwester, die mich so lange mit sinnlosem Kram zutextet, bis sie schließlich mitten im Satz abbricht und ihr die Augen zufallen. Ich bette ihren Kopf auf das Kissen und decke sie bis zum Kinn zu.

Ich traue mich nicht, von ihrer Seite zu weichen, deshalb lege ich mich zitternd neben ihr ins Bett. Da ich nicht schlafen kann, schließe ich die Augen und drücke meine Schwester ganz eng an mich. Trotz des Zähneputzens hat sie eine Alkoholfahne, aber das stört mich kaum.

Irgendwann muss ich dann wohl doch eingenickt sein, denn um halb vier weckt mich die schrille Türklingel. Mit einem Aufschrei auf den Lippen schrecke ich hoch. Mein Herz rast und ich schwitze, dabei ist es gar nicht warm.

Seufzend fahre ich mir durch die zerzausten Haare. So verängstigt bin ich nun also schon geworden. Nachdem ich mich vergewissert habe, dass Kate noch schläft und dass sie in ihrem Zimmer sicher ist, schleiche ich die Treppe in den Flur hinunter. Zur Verteidigung schnappe ich mir ein Küchenmesser und pirsche mich dann an die Tür.

Da erschrillt die Klingel ein zweites Mal. „Wer ist da?", rufe ich mit zitternder Stimme.

„Brionny? Kannst du die Tür aufmachen? Ich hab meinen Schlüssel vergessen."

„Mum?" Sofort lasse ich das Messer sinken, das ich schützend vor meiner Brust erhoben habe.

„Ja. Kannst du mir aufmachen?"

Erleichtert atme ich aus und verstecke das Messer unter einem Haufen von Jacken. Nur meine Mutter. Niemand, der gefährlich ist. Nichts zu befürchten. Mit noch immer zitternden Fingern schließe ich auf und lasse sie herein.

„Wir haben ziemlich lange fürs Aufräumen gebraucht und dann haben wir mit Alessandro und Gaia noch auf den erfolgreichen Abend angestoßen", erklärt sie mir zur Begrüßung. Sie nuschelt ein bisschen, aber ob aus Müdigkeit oder weil sie beschwipst ist, kann ich nicht erkennen. Es ist mir auch herzlich egal.

„Schon klar", murmele ich. Eine Erklärung, weshalb sie so spät heimkommt, habe ich gar nicht erwartet. Meine Mutter ist mir schließlich keine Rechenschaft schuldig. Manchmal fühle ich mich, als würde ich mit meiner Mutter und meiner Schwester in einer WG zusammenleben. Nicht wie eine richtige Familie, sondern eher wie Mitbewohner, die kommen und gehen können, wann sie wollen, solange sie die anderen nicht stören.

„Hattet ihr einen schönen Abend?", will Mum wissen, während ich die Tür hinter ihr fest verschließe.

„Ja", antworte ich und wende mich ihr zu. Ich weiß nicht, wann wir zwei das letzte Mal wirklich alleine zusammen waren. Mutter und Tochter. Ohne jemand sonst. Mir kommt es vor, als würde dieser Moment weit in der Vergangenheit liegen, noch irgendwo in Großbritannien. Wenn überhaupt.

Eigentlich traurig, wie weit wir uns voneinander entfernt haben und dass wir beide das zulassen konnten. Langsam mache ich einen Schritt auf Mum zu und umarme sie kurz. Auch das habe ich seit sehr langer Zeit nicht mehr getan. Meine Mutter blickt mich verwirrt an und erwidert die Umarmung nach einem Moment des Überraschens.

„Ich hab dich lieb, Mum", sage ich und bin im nächsten Augenblick selbst erstaunt über meine Worte.

„Ich hab dich auch lieb", erwidert Mum und dieser Satz treibt mir fast Tränen in die Augen. Es tut gut, ihn zu hören und ich finde, wir sollten ihn öfter zueinander sagen.

Nur langsam löse ich mich aus Mums warmer Umarmung. Vorsichtig lächele ich sie an. „Schlaf schön", sage ich und winke ihr zu, bevor ich wieder die Treppe hoch in Kates Zimmer verschwinde. Ganz vorsichtig kuschele ich mich zu meiner Schwester unter die Decke und lege einen Arm um sie. Doch selbst wenn sie nüchtern gewesen wäre, hätte sie sich davon vermutlich nicht stören lassen. Dafür hat sie einen viel zu festen Schlaf. Ich drücke sie sanft an mich, bis ich ihren warmen Atem spüre. Von Geborgenheit und Liebe getragen schlafe ich ein.

~

Am nächsten Tag geht es Kate richtig mies. Sie hat kaum noch Erinnerungen an das Fest der Regatta und ist dementsprechend geschockt, als ich ihr erzähle, dass sie ihr Element in der Öffentlichkeit benutzt hat.

„Ich bin so blöd", stöhnt sie und schlägt sich gegen die Schläfen, woraufhin sie zusammenzuckt, da sie sowieso schon Kopfschmerzen hat. Auf eine Standpauke verzichte ich, da sie selbst einsieht, dass sie einen großen Fehler begangen hat. Ich muss sie sogar beruhigen, denn als ich die Gestalt in der Pestmaske erwähne, hat sie höllische Angst, dass die Cinquenti sie gesehen haben könnten.

„Wenn sie uns ernsthaft Schaden zufügen wollten, wären sie längst schon hier", sage ich, „außerdem sind Lucca, Pietro und Davide die Einzigen, die mit Sicherheit mitgekriegt haben, dass du das Wasser bewegen kannst." Nachdem ich diese Sätze ein paar Mal wiederholt habe, wird Kate ruhiger.

Dennoch beschwert sie sich den ganzen Tag darüber, dass ihr schwindelig sei und sie jammert ständig leise vor sich hin. Gleich zwei Mal muss sie sich übergeben, weshalb ich ihr einen Tee koche und Salzstangen an ihr Bett bringe.

„Weißt du, was jetzt am besten helfen würde?", frage ich mit fiesem Grinsen, „eine Runde joggen."

„Bloß nicht!", stöhnt Kate und bedeckt ihr Gesicht mit dem Kissen.

Erst am Abend bringe ich Kate dazu, aufzustehen und sich zu duschen. Dann koche ich ein paar Nudeln, die jedoch so verkleben, dass man sie kaum auseinander kriegt. Trotzdem zwinge ich Kate, etwas davon zu essen. Sie hat den ganzen Tag nichts zu sich genommen außer dem Tee und Salzstangen. Da hilft ihr die Mahlzeit, wieder ein bisschen zu Kräften zu kommen.

„Du bist keine gute Köchin", meckert sie, woraufhin ich nur erwidere, dass sie das demnächst ja wieder übernehmen kann.

An diesem Abend schlafen wir noch einmal zusammen in ihrem Zimmer und am nächsten Morgen machen wir uns auch gemeinsam für die Schule fertig. Auf dem Weg zum Bahnhof wirft Kate flüchtig einen Blick auf ihr Handy. „Pietro hat gestern versucht, mich anzurufen", stellt sie fest, „gleich fünf Mal."

Na super! Das hätte ich mir denken können. Pietro und Lucca haben gesehen, wie Kate ihr Element benutzt und mittlerweile ist es wohl kein Geheimnis mehr, dass die beiden irgendetwas mit Maria Vecca und den Elementen zu tun haben. Deshalb hätte ich eigentlich erwartet, dass sie schon gestern bei uns zu Hause vorbeikommen und mit meiner Schwester oder mir reden wollen. Aber der Tag ist ruhig verlaufen. Bis auf die Anrufe zumindest.

Nun hält die Ruhe jedoch nicht mehr lange. Noch vor der ersten Stunde kommt Pietro auf mich zu und meint, er müsse dringend mit mir reden, es ginge um Kate.

„Und was ist eigentlich mit deinem Handy los?", beginnt er, „ich habe gestern zig Mal versucht, dich anzurufen und es ging immer nur die Mailbox dran. Hast du immer noch kein Neues?"

Mein Handy? Ja... Also das liegt hinter einer Steinwand in den Ruinen von Pergula.

„Kaputt", erwidere ich und zucke mit den Schultern. Bevor Pietro die nächste Frage stellen kann, betritt unsere Klassenlehrerin den Raum und teilt jedem einen roten Zettel aus, auf dem Informationen über unsere Abschlussprüfungen stehen. Während der ersten Stunde reden wir beinahe nur darüber, wie die Prüfungen ablaufen und in welchen Fächern wir geprüft werden. Unter meinen Mitschüler:innen bricht eine leise Vorprüfungspanik aus. Einige Mädels trommeln nervös mit den Fingern auf den Tischen herum und ständig wird getuschelt, sodass uns Signora Rossi einige Male scharf zurechtweisen muss.

In der Pause ziehen mich Stella und ihre Freundinnen gleich beiseite und fragen, ob wir eine Lerngruppe für die Prüfungen bilden wollen. Da ich Lerngruppen für ein ziemlich nützliches Konzept halte, willige ich ein und erstelle mit ihnen zusammen einen vorläufigen Lernplan, der zwar noch ziemlich oberflächlich ist und dringend ausgefeilt werden muss, aber der den Stoff gut umfasst.

Immer wieder schleicht Pietro nervös um uns herum, bis Stella ihn verärgert anblafft und ihn wegschickt. Als ich wenig später in Englisch sitze, flüstert er mir zu, dass er immer noch mit mir reden müsse und dass es dringend sei. Aber wir bekommen wieder keine Gelegenheit, uns zu unterhalten, denn unsere Lehrerin drückt uns einen Überraschungstest rein. Bereits nach der Hälfte der Zeit gebe ich die Arbeit ab, während meine Klassenkameraden, inklusive Pietro, noch bis weit in die Pause über ihren Blättern stöhnen.

Die letzten zwei Stunden für diesen Tag sind Deutsch und Erdkunde. Auch hier machen uns die Lehrkräfte deutlich klar, dass es jetzt langsam auf den Schulabschluss zugeht und dass wir anfangen müssen, zu lernen. Dementsprechend werden wir mit vollen Köpfen und jede Menge Arbeit in den Nachmittag entlassen.

Erleichtert atme ich auf, als ich das Schulgebäude verlasse. Das war ein anstrengender Tag. Graue Wolken ballen sich über meinem Kopf am Himmel auf und ein belebender, kühler Wind kündigt den Herbst an. Seicht streicht er über meine Wangen und spielt mit meinem Haar.

„Brionny... warte!", höre ich Pietro auf einmal hinter mir sagen und noch ehe ich mich zu ihm umdrehe, ist er schon an meiner Seite.

„Ach richtig", sage ich, „du willst reden." Ich habe schon fast gehofft, dass ich das umgehen kann. Aber es gibt scheinbar keinen Ausweg mehr. Vor dem, was Pietro mir sagen will, kann ich nicht länger davonlaufen.

„Schon den ganzen Tag, um ehrlich zu sein", entgegnet Pietro genervt, „aber ich habe ja nie die Gelegenheit dazu bekommen. Und es ist extrem wichtig." Unruhig trete ich von einem Fuß auf den anderen. Soll ich leugnen, dass Kate das Wasser bewegen kann oder ist es dazu bereits zu spät? Bedeuten Pietro und seine Familie eine Gefahr für Kate? Noch immer habe ich die Liste mit den Elementträgern nicht vergessen, die ich bei ihnen zu Hause auf der Kommode liegen sah. Was, wenn die Bellucos Falcini unterstützen? Aber sollten sie nicht eigentlich auf Maria Veccas Seite stehen? Immerhin sind sie ihre Nachfahren.

„Worum geht's denn?", will ich wissen und stelle mich erst mal dumm.

„Vielleicht können wir ja ein Stück fahren...", meint Pietro und deutet auf sein Auto, das auf dem Schülerparkplatz steht, „dann kann ich es dir besser erklären."

„Okay", meine ich und laufe neben ihm zu seinem Auto. Es ist ein kleiner Mercedes-Cabrio.

Mir ist unwohl zumute, doch ich sage nichts, da ich meine Gedanken und Gefühle nicht in Worte fassen kann. Alles, was ich weiß, ist, dass ich mich später an dieses Gespräch vermutlich noch lange erinnern werde und dass es, wie so vieles in letzter Zeit, mein Leben verändern wird.

Seufzend lasse ich mich neben Pietro auf den Beifahrersitz gleiten. Er fährt mit geschlossenem Verdeck und spielt während der Fahrt immer wieder nervös an seinem Autoradio herum. Gleich acht Mal wechselt er den Sender.

Mir geht es selbst nicht besser. Vor Aufregung fahre ich mir mit den Fingern durch die Haare. Mein Herz schlägt schnell und ich schwitze. Was ist es, das Pietro mir unbedingt mitteilen will? Was wird es für mich bedeuten?

Nach ungefähr zwanzig Minuten Fahrt, während denen wir schweigend nebeneinander gesessen haben und sich niemand von uns traut, den Anfang zu machen, lenkt Pietro das Auto von der Landstraße hinunter auf einen geschwungenen Feldweg, der einen Weinberg hoch führt.

„Gehört das zum Weingut deiner Familie?", frage ich vorsichtig, die Finger noch immer in meinen Haarspitzen verknotet. Pietro nickt düster und schaltet dann urplötzlich den Motor ab. Ruckelnd kommt das Auto mitten auf dem Feldweg zum Stehen.

„Was ist los?", frage ich und verfluche mich dafür, dass ich so dumm war, in sein Auto zu steigen. Ich hätte ihm sagen sollen, dass ich nur in der Schule mit ihm reden möchte. Wenn noch andere Leute in der Nähe sind.

„Ich muss mit dir reden...", beginnt er.

„Das hast du jetzt schon ein paar Mal gesagt, ja", erwidere ich und bemühe mich, ruhig zu bleiben.

„Es geht um Kate..."

„Okay." Pietro seufzt und kurbelt sein Autofenster ein Stück herunter. Dann fächert er sich mit den Händen Luft zu.

„Du kennst die Legenden von Pergula", fährt er fort, „was würdest du tun, wenn ich dir sage, dass sie wahr sind?" Mein Herz schlägt für einen Moment schneller und ich atme tief ein: „Dann würde ich dir sagen, dass ich das schon weiß."

Nur kurz sieht Pietro mich an und verzieht die Mundwinkel zu einem schiefen Lächeln.

„Mein Onkel Giacomo beherrscht alle vier Elemente. Diese Gabe ist ungeheuer selten und trat bisher nur einmal auf... Giacomos Vater, Bernardo Falcini, wollte ihn deshalb töten. Falcini ist besessen von der Macht des fünften Elements und träumt davon, alleiniger Herrscher über die Elemente zu sein und deshalb hat er alle Elementträger vernichtet... alle, bis auf Giacomo und dessen Kinder, mein Cousin und meine Cousine. Alessia und Philippe sind auch Elementträger. Allerdings beherrschen sie jeweils nur ein Element. Hätten sich meine Großeltern Maria Vecca und Simone Belluco nicht gegen Falcini gestellt, hätte er meinen Onkel vermutlich getötet, als er noch ein kleines Kind war. Und Giacomo kämpft noch immer mit allen Mitteln gegen Falcini, so wie meine Großeltern es getan haben und mein Vater unterstützt ihn dabei. Meine Familie ist sozusagen das, was einst der Geheimbund der Elemente war. Falls dir das überhaupt was sagt..."

Erleichtert atme ich aus. Das bedeutet, Pietro steht auf der guten Seite. Mit einem Schlag weicht alle Anspannung von mir.

„Ich weiß", antworte ich, „ich habe Maria Veccas Tagebuch gefunden. Dort steht die ganze Geschichte drin."

Als ich das sage, sieht auch Pietro erleichtert aus. „Wir wussten ja, dass sie Tagebuch geführt hat. Bloß war das nicht bei ihren Sachen, als wir das Haus ausgeräumt haben. Deshalb haben wir angenommen, es wäre einfach verloren gegangen", meint er, „doch verrate mir eins... Warum habt ihr nicht Abstand von den Cinquenti genommen, wenn euch doch klar war, wer sie sind?"

„Die Cinquenti?", frage ich erstaunt, „Bernardo Falcinis Spione?" Was haben Kate und ich denn mit den Cinquenti zu tun? Eigentlich nichts, wenn man von dem Zwischenfall bei den Ruinen absieht.

„Pietro, in dem Buch steht so gut wie nichts über die Cinquenti", erkläre ich, „nur dass sie Falcini als Spione dienen. Diese seltsamen Gestalten haben Kate und mich einmal in den Ruinen von Pergula angegriffen, aber wir konnten ihnen entkommen."

Daraufhin wird Pietro blass und weicht ein Stück von mir zurück. Ich meine sogar zu sehen, wie seine Hand leicht zittert. „Brionny... hör mir jetzt gut zu, ja?" Er atmet tief ein und aus. Zu tief. „Die Eltern von Lucca und seinen Freunden sind die Cinquenti, die Spione Falcinis. Doch sie haben ihren Meister mehr als einmal enttäuscht und deshalb musste er sich neue Spione schaffen, die seine Aufgabe in seinem Namen fortführen. Deshalb hat er so etwas wie eine zweite Versuchsreihe durchgeführt. Und dafür brauchte er neue Versuchspersonen. Und das sind Lucca, Ludo, Serafino, Emma und Hector. Verstehst du? Sie sind die Cinquenti."

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